Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert - Absolutis

Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert -
Absolutistische Tendenzen und ihre Ãœberwindung
Eine schriftliche Arbeit verfasst von Lawrence Markwalder und Denis Nordmann im Juni 1999



Inhaltsverzeichnis
1. Das Zeitalter des Absolutismus
1.1. Europa: Die Entwicklung des Absolutismus
1.2. Sonderfall Schweiz
1.3. Das Patriziat entsteht - Die schweizer Spielform des Absolutismus
1.4. Zürich in der Zeit des Absolutismus
1.5. Der Bauernkrieg von 1653
1.6. Zürich: Wie die Landschaft regiert wurde
1.7. Konfessionelle Konflikte
1.8. Die Entwicklung des Neutralitätsprinzips
1.9. Die "fremden Dienste"
2. Die Helvetische Revolution
2.1. Der industrielle Aufschwung im 18. Jahrhunderts
2.2. Die Industrialisierung in Zürich
2.3. Die Vorboten einer neuen Zeit
2.4. Der Helvetismus
2.5. Das Memorial von Stäfa
2.6. Der Untergang der alten Eidgenossenschaft
3. Die kleine und grosse Restauration
3.1. Das Ende eines Versuches
3.2. Ein erster Schritt zurück: Die Mediation von 1803
3.3. Die Restauration von 1815
Quellenverzeichnis




Die Schweiz im 17. und 18. Jahrhundert -
Absolutistische Tendenzen und ihre Ãœberwindung

    Das Zeitalter des Absolutismus

1.1. Europa: Die Entwicklung des Absolutismus

In den meisten Staaten waren um 1500 Landesherren - Könige, Her - zöge,
Fürsten oder wie ihre Titel auch immer lauteten - an der Macht
und sorgten für Recht und Sicherheit in ihrem Untertanengebiet. Die
Gesellschaft war in verschiedene soziale Schichten gegliedert. Am
besten gestellt war das Patriziat - der Adel. Das Stadtbürgertum um - fasste
gut verdienende Händler und Handwerker. Die zahlreichen
Bauern bildeten selbst einen Stand.
Die Ständevertreter trafen sich mit dem Landesherren an Versammlun - gen.
Ohne die Ständevertretung konnte der Landesherr z.B. keine neuen
Gesetze erlassen oder neue Steuern erheben.
Im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert versuchten die Landesherren
immer wieder die Macht der Stände zu minimieren oder sogar aufzu - heben,
um zu absoluten Monarchen aufzusteigen.
Um dies zu erreichen, bildeten die Landesherren ständige Heere, bau - ten
ihren Verwaltungsapparat aus, führten regelmässige Steuern ein
und liessen sich meist eine prunkvolle Residenz erbauen.
Um den Widerstand des Adels zu brechen, gewährten ihnen die Lan - desherren
Privilegien wie eine weitgehende Steuerbefreiung oder die
Reservierung von Offiziersposten. Aber vor allem auf regionaler Ebe - ne
waren die Landesherren noch auf die Mitarbeit des Adels angewie - sen.
Auf diese Weise blieb die Ständeordnung unter der absoluten
Monarchie durchaus erhalten, nur wurde sie durch den Glanz des
Hofes überdeckt. Daher sollte man die Macht absolutistischer Herr - scher
nicht mit der Machtfülle moderner Diktatoren verwechseln.
Der Absolutismus ergriff zuerst Spanien, dann Frankreich, wo seit 1614
die Ständevertretung nicht mehr einberufen wurde. Von Frankreich
aus griff der Absolutismus auf die meisten europäischen Monarchien
über, so dass man die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts als Epoche
des Absolutismus bezeichnen kann.

    Sonderfall Schweiz - Staatenbund im Alleingang?

Zwischen den zusehends straffer organisierten europäischen Monar - chien
wirkte die alte Eidgenossenschaft wie ein Ãœberbleibsel aus dem
Spätmittelalter. Die Eidgenossenschaft bildete keinen Staat im moder - nen
Sinn, sondern war nur ein loses Bündnis aus autonomen Klein - staaten.
Es gab keine gemeinsame Verfassung und schon gar keine
zentralistisch organisierte Regierung. Der Zusammenhalt dieses kom - plexen
Staatenbundes war durch eine Vielfalt von Bundesbriefen und
Sonderbündnissen möglich gewesen. Einigkeit gab es nicht einmal im
Bezug auf die äusseren Grenzen. Den Kern des Ganzen bildeten die
sogenannten 13 Orte mit ihren ländlichen Untertanengebieten und
den Gemeinen Herrschaften, welche von diesen verwaltet wurden.
Zum weiteren Umkreis gehörten die zugewandten Orte. Altertümliche
Bauernbünde, stolze Stadtrepubliken, geistliche Fürstentümer und vie - le
Untertanengebiete - alles war vorhanden und bildete einen höchst
unterschiedlich zusammengewürfelten Staatenbund.
Die einzige Institution des Bundes war der Delegiertenkongress, die
sogenannte Tagsatzung. Diese traf sich mehrmals jährlich in Baden,
ab 1713 in Frauenfeld. Jeder Ort schickte zwei Gesandte, die zuge - wandten
Orte je einen.




1.3. Das Patriziat entsteht - Die schweizer Spielform des Absolutismus
In den acht Städten und fünf Landorten (13 Orte) der alten Eidgenos - senschaft
erstarrte nach der Dynamik der Reformationszeit das politi - sche
Leben. Die Herrschaft beschränkte sich auf einen immer kleine - ren
Kreis von Familien. In den Landsgemeindekantonen versuchten
die Behörden, die Rechte der Landsgemeinde massiv zu beschränken.
Es gelang zwar nicht, die Volksversammlung auszuschalten, jedoch
deren Rechte einzuschränken. Durch diese Massnahmen gelangten
die Patrizier zu einer überragenden Stellung. Durch Söldnerwerbung,
Handel und Industrie kamen sie teils zu grossem Reichtum.
Gleichzeitig wurden in den Städten sowie in den Landsgemeinde - kantonen
Neuaufnahmen ins Landrecht eingeschränkt und Fremde von
der Nutzung des Gemeindebodens ausgeschlossen. Dadurch entstand
eine breite Schicht von rechtlosen Kleinbauern, den sogenannten
Hintersassen, welche oft mit dem schlechteren Boden vorliebnehmen
mussten. Sie bildeten die unterste Schicht der bäuerlichen Gesellschaft.
Am extremsten zeigte sich der Absolutismus wohl in Bern und in den
katholischen Stadtrepubliken Luzern, Freiburg und Solothurn, wo das
Patriziat schon immer eine starke Stellung gegenüber den Zünften der
Handwerker eingenommen hatte. Dort sank der Anteil der zur Regie - rung
zugelassenen Familien drastisch. Intrigen und Cliquenkämpfe unter
den rivalisierenden Familien waren an der Tagesordnung. So wurde
eine klare Mehrheit der Bürger vom politischen Leben ausgeschlossen.
Ausserhalb des Patriziates gab es keine Möglichkeit mehr, in die Poli - tik
Einfluss zu nehmen. Im Regierungsstil vermischte sich republikani - sche
Tradition mit absolutistischem Machtanspruch, vom feierlichen
Zeremoniell bei der Eröffnung des Grossen Rates bis hin zum golde - nen,
mit einer Krone verzierten Thronsessel für den Berner Schultheiss.
Auch die Zunftstädte wie Zürich, Basel und Schaffhausen unterstüzten
das Patriziat, welches sich jedoch nicht so exklusiv herausbildete wie
in Bern oder in den katholischen Städten. Die Zunftmeister, selbst Patri - zier,
verhinderten dort die Aufnahme von neuen Bürgern ins Landrecht
und die Regierungsgeschäfte lagen ganz in ihren Händen.
Auch gegenüber der Landschaft setzten die Städte ihre Machtansprü - che
durch. Volksanfragen wie zur Zeit der Reformation verschwanden
im 17. Jahrhundert gänzlich. Die Landschaft wurde zum Untertanen - gebiet
der "gnädigen Herren". Zu der Obrigkeit gehörte auch der
Pfarrer. Ihm oblag es, Gehorsam zu predigen und von der Kanzel die
vielen Mandate zu verlesen, die das Landvolk immer wieder ermah - nen
sollten, folgsam gegenüber der gottgewollten Obrigkeit zu sein.
Der Schultheiss von Bern, Inhaber des
höchsten Amtes der Republik, präsentiert
sich in der nüchternen, schwarzen Amts -
tracht, wie es sich für den Beamten einer
protestantischen Republik gehört. Er trägt
die Ehrenzeichen der höchsten Staats -
gewalt: Zepter und Siegel der Rebublik.



1.4. Zürich in der Zeit des Absolutismus

An der Spitze der Stadt Zürich standen zwei Bürgermeister. Sie leite - ten
die Sitzungen des "Kleinen Rates", der ausser ihnen noch 48 Mit - glieder
umfasste. Dieser bildete die eigentliche Regierung. Er ernann - te
die Beamten und beaufsichtigte sie, hielt Gericht über die Bürger,
die gegen ein Gesetz verstossen hatten, empfing fremde Gesandte
und beriet über alle möglichen Probleme: äussere Gefahren, Bauten,
Einnahmen und Ausgaben und vieles anderes mehr. Für wichtige Ge - schäfte
zog er die "Zwölfer", im Ganzen 162 Personen, hinzu. Jede
Zunft ernannte 12 (daher der Name), die Konstaffel 18 "Zwölfer".
Ausserdem ordnete jede Zunft ihre beiden Zunftmeister, die Konstaffel
vier Mitglieder, in den Kleinen Rat ab. Die übrigen 20 Kleinen Räte
wurden von den "Zwölfern" gewählt. Mit diesen etwas komplizierten
System war dafür gesorgt, dass alle Zünfte im Kleinen und im Grossen
Rat einigermassen gleichmässig vertreten waren.
Es war aber allen Bürgern, die nicht ein "zünftisches" Handwerk aus - übten,
erlaubt, sich einer beliebigen Zunft anzuschliessen. Auch reich
gewordene Handwerkerfamilien, deren Angehörige längst andere
Berufe ausübten, blieben in ihrer Zunft. Daher waren die Zünfte keine
reinen Handwerkervereinigungen mehr. Dies bewirkte aber auch, dass
sehr bald die reichen, patrizischen Mitglieder der Zünfte das Sagen
hatten und so ausschliesslich sie Mitglieder des "Zwölfers" oder des
kleinen Rates wurden.



2 Bürgermeister
Kleiner Rat (48) Grosser Rat (162)
12·2 Zunftmeister 12·12 Zünfter
4 Konstaffler 18 Konstaffler
20 vom Grossen Rat gewählt
Soziale Schichten
Im Prinzip war jeder Bürger in jedes Amt wählbar. Die Wirklichkeit
sah aber anders aus. Die Einwohner der Stadt gliederten sich in 3
Schichten:
• Die vornehmen Bürger, die Patrizier (etwa 25% der Einwohner):
Kaufleute, Familien mit Grundbesitz auf dem Land, Berufsoffiziere,
die gegen Bezahlung in den Heeren der europäischen Herrscher
Kriegsdienst geleistet hatten. Sie beherrschten die Konstaffel und
waren in den meisten Zünften massgebend. Sie stellten die Bürger - meister,
den Kleinen Rat und die meisten "Zwölfer".
• Die einfachen Bürger (etwa 50% der Einwohner): Handwerker und
Kleinhändler. Die Mitgliedschaft in einer Zunft sicherte ihnen die
Existenz. Die Vorschrift der Zunft verhinderte nämlich, dass ein Hand - werksbetrieb
zu gross wurde oder dass zu viele Handwerksbetrie - be
entstanden. In der Politik hatte der einfache Bürger dagegen
kaum mitzureden.


Bauernkrieg, 1653 "Unternährer und Hinterueli, die letzten freien Entlibucher"
• Die "Nichtbürger" (etwa 25% der Einwohner): Sie übten einen
nichtzünftischen Beruf aus oder waren als Gesellen oder Arbeiter
irgendwo angestellt. Sie hatten keine politischen Rechte. Die Mög - lichkeit,
das Zürcher Bürgerrecht zu erwerben, wurde immer mehr
eingeschränkt und schliesslich ganz aufgehoben.



1.5. Der Bauernkrieg von 1653

Der ländliche Unmut gegen die Herrschaftsansprüche der Stadt äusserte
sich schon seit der Reformation immer wieder in Form von Unruhen.
Die Aristokratisierung der städtischen Obrigkeit verschärfte diesen
Spannungszustand noch. Während des Dreissigjährigen Krieges
(1618 - 1648), von dem die Eidgenossenschaft mit Ausnahme von Grau - bünden
verschont blieb, wurden zur Befestigung der Grenzen neue
Steuern erhoben. Ferner geriet der Getreide - und Salzhandel in die
Hand der Städte und Luxusgüter wurden verboten. Diese neuen Bela - stungen
führten noch während des Krieges zu einem Aufstand im
Zürcherland und in der Ostschweiz. Der Aufstand endete jedoch mit
der Hinrichtung der Anführer der Aufständischen.
Der grösste Aufstand erfolgte erst nach dem Dreissigjährigen Krieg.
Bern und Luzern werteten ihre Münzen ab und wählten eine so knap - pe
Umtauschfrist, dass die Landbevölkerung erst davon erfuhr, als die - se
längst verstrichen war. Dies riss das Berner und Luzerner Untertanen - gebiet
in einen grossen Aufruhr, zu welchem sich bald auch die Kan - tone
Solothurn und Basel gesellten. In diesem Bauernkrieg, welcher
unter der Führung reicher Bauern wie Hans Emmenegger und Niklaus
Leuenberger stand, ging es weniger um die wirtschaftlichen Nöte der
Kleinbauern, sondern um die Wahrung der althergebrachten Rechte
und Freiheiten, welche in die Hände der Aristokraten gelangt waren.
Trotz des Verbotes der Tagsatzung sammelten sich die aufständischen
Bauern aus Bern, Luzern, Solothurn und Basel 1653 in Huttwil und
beschworen die Erneuerung der alten eidgenössischen Bünde. Dem
Bund der Herren stellten sie einen Bund der Bauern entgegen.
Trotzdem war es für die städtischen Herren ein leichtes, den Bauern - aufstand
niederzuwerfen. Mit drakonischer Härte wurde das Landvolk
bestraft. Das Kriegsgericht der Tagsatzung fällte Strafen wie Todesur - teile,
Verstümmelungen, hohe Bussen und den Entzug aller Rechte oder
Privilegien. Mit diesem Sieg der Obrigkeit endete die grösste Bauern - erhebung
in der Geschichte der Eidgenossenschaft.


1.6. Zürich: Wie die Landschaft regiert wurde

Die Bewohner der Stadt Zürich begnügten sich nicht damit, sich selbst
regieren zu können. Schon seit dem 14. Jahrhundert strebten sie nach
der Herrschaft über die Landschaft in ihrer Umgebung. Zum Teil durch
Kauf, zum Teil durch Kriege erwarb sich die Stadt von den verschiede - nen
Adeligen alle Rechte, um die Bauern in den Dörfern zu beherr - schen.
In der Reformationszeit kamen auch alle Klöster mit ihrem gros - sen
Grundbesitz in den Besitz der Stadt. Im 16. Jahrhundert besass
die Stadt etwa das Gebiet, welches heute den Kanton Zürich bildet.
In den Dörfern unterstanden die Menschen, die früher adelige Herren
über sich gehabt hatten, nun einem Herrscher: der Stadt Zürich. Wie
der absolutistische Monarch Ludwig XIV. über Frankreich, so übte die
Stadt Zürich die absolute Macht über die Zürcher Landschaft aus.
Natürlich konnten Bürgermeister und Rat von Zürich nicht in jedem
Dorf selbst für Ordnung sorgen. Aus diesem Grund war das Herrschafts - gebiet
in Landvogteien eingeteilt. Das Amt des Landvogtes wurde je - weils
für einige Jahre einem Ratsherren übertragen, der vom
Landvogteischloss aus Aufgaben und Rechte der Stadt wahrnahm. Die
Schlösser übernahm die Stadt von den früheren adeligen Herren.
Die Lage der Bauern in den Dörfern
Für die Bauern brachte dieser Übergang folgende Veränderung:
• Die Kriege der früheren adeligen Herren, bei denen oft Dörfer ge - plündert
wurden, fielen weg. Es herrschte Friede und Ordnung.
• Führte die Stadt Krieg, mussten die Bauern mit in den Krieg ziehen.
• Die Stadt erhob keine neuen Steuern.
• Die Stadt liess den Bauern eine gewisse Selbständigkeit. Diese durf - ten
beispielsweise den Dorfvorsteher (Untervogt) selbst vorschlagen.
• Die Zünfte hinderten die Entwicklung des Handwerks, damit die
städtischen Handwerker keine Konkurrenz erhielten.
• Die Bauern waren der Stadt Gehorsam schuldig. Ihre Meinung war
nicht gefragt.
Die Stimmung der Bauern auf dem Land
Die militärische Macht der Stadt gegenüber der Landschaft war nicht
sehr gross. Die Stadt stellte nur zehn Prozent der Soldaten, die Land - schaft
neunzig Prozent. Eine Polizei gab es nicht; der Landvogt verfüg - te
etwa über ein Dutzend bewaffneter Knechte. Trotzdem gab es sel - ten
Unruhen oder gar Aufstände. Dies hat folgende Gründe:
• Innerhalb eines ländlichen Dorfes waren die Unterschiede zwischen
Reich und Arm oft gross.
• Die reichen Bauern wurden vom Landvogt mit tieferen Steuern zu - frieden
gestellt, und die armen Leute waren zu sehr mit ihrem eige - nen
Existenzkampf beschäftigt, als dass sie sich noch mit politischen
Fragen auseinandersetzen konnten.
• Die Pfarrer, die alle aus der Stadt kamen, ermahnten in der Predigt
zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit der Stadt Zürich.
• Bei einem Aufstand hätte man vielleicht Landvögte vertreiben, nicht
aber die Stadt erobern könne. Diese war viel zu gut befestigt.
• Die Bauern hatten keine Vorstellung, was für eine Ordnung an die
Stelle der bestehenden treten könnte.
Die Zufriedenheit der Landbevölkerung hing ausserdem stark davon
ab, wie gerecht und uneigennützig der Landvogt sein Amt ausübte.


1.7. Konfessionelle Konflikte

Der immer noch bestehende, versteckte Spannungszustand zwischen
den konfessionellen Lagern wurde vor allem in den Gemeinen Herr - schaften
ausgetragen. In dieser Pufferzone kam es alle paar Jahre zu
kleineren Konflikten, da die katholischen Orte seit 1531 eine Mehr - heit
in der Verwaltung dieser Gebiete besassen. Immer wieder fühlten
sich die Protestanten von der katholischen Obrigkeit unterdrückt oder
auch umgekehrt. Auch in der Tagsatzung, die sich mit den konfessio - nellen
Fragen zu beschäftigen hatte, besassen die Katholiken die
Mehrheit.
In diesen konfessionellen Konflikten vermittelten meistens Freiburg und
Solothurn (katholisch) und Basel und Schaffhausen (reformiert).
Für Zürich und Bern schien die nach dem Bauernkrieg bestehende
Solidarität der herrschenden Aristokratien eine günstige Gelegenheit,
einen Anlauf zur Behebung dieser Situation zu starten.
Drei Jahre nach dem Bauernkrieg standen Zürich und Bern den katho - lischen
Orten mit der Waffe in der Hand gegenüber. Dieser Konflikt
endete jedoch mit der Niederlage des Berner Heeres bei Villmergen
und Zürichs erfolgloser Belagerung von Rapperswil.
1712 starteten die reformierten Orte Zürich und Bern wiederum eine
Offensive gegen die Vorherrschaft der katholischen Orte. Diesmal sieg - ten
Zürich und Bern gegen die katholischen Orte, welche dadurch die
Mitspracherechte in den strategisch wichtigen Gemeinen Herrschaf - ten
Baden, Unteres Freiamt und Rapperswil verloren, während Bern in
die Verwaltung dieser und der ostschweizerischen Gemeinen Herr - schaften
neu eintrat.
Die konfessionellen Streitfälle wurden von nun an auch von einer un - abhängigen
Kommission beurteilt. Die Spannung um die Gemeinen
Herrschaften nahm von da an merklich ab, auch wenn keine eigentli - che
Versöhnung zwischen den beiden konfessionellen Lager zustande
kam.

1.8. Die Entwicklung des Neutralitätsprinzips

Zur Neutralisierung der Schweiz in den europäischen Konflikten des
17. und 18. Jahrhunderts hat neben der konfessionellen Uneinigkeit
auch das Söldnerwesen massgeblich beigetragen. Seit 1614 waren
alle Orte einschliesslich Zürich, welches wegen der Reformation dem
Soldabkommen zuerst nicht beigetreten war, in einem Soldabkommen
mit Frankreich verbunden. Gleichzeitig waren die katholischen Orte
auch Spanien und Savoyen, die reformierten Orte den deutschen Für - sten
und den Niederlanden verpflichtet. Diese Mächte lagen in dau - ernden
Kriegen miteinander. Dadurch entstand für die Eidgenossen
eine höchst merkwürdige Neutralitätspolitik. So standen sich zum Bei - spiel
in der Schlacht von Malplaquet (1709) schweizer Söldner auf
französischer und niederländischer Seite gegenüber. Wer immer über
genug Gold verfügte konnte in der Eidgenossenschaft Soldaten kau - fen.
Es galt das Sprichwort: "Pas d’argent, pas de Suisses".
Aber schon seit dem dreissigjährigen Krieg bemühten sich die Eidge - nossen
um Neutralität in den europäischen Auseinandersetzungen.
Der dreissigjährige Krieg, mit dem Schicksal Graubündens und der
benachbarten Reichsgebiete, führte erstmals zur bewussten Haltung
eines "Neutralstandes". Die ungern geduldeten Durchmärsche der
Schweden und Spanier durch Grenzgebiete im Norden waren Mahn - zeichen.
Die inneren konfessionellen Streitigkeiten wurden angesichts
der aussenpolitischen Lage gedämpft, und schliesslich die Landesver - teidigung
besser organisiert. Die Städte modernisierten ihre Befesti - gungen.
Erst 1647 kam es zum Abschluss einer einheitlichen Heeresordnung, dem "Defensionale", in welchem ein eidgenössischer Kriegs - rat
und eine auf den kantonalen Kontingenten beruhende Aufgebots - organisation
geschaffen wurde.
Am Westfälischen Friedenskongress gelang es dem Basler Bürgermei - ster
Wettstein, assistiert durch den Herzog von Orléans, der als Fürst
von Neuenburg ein Interesse an schweizerischen Belangen zeigte,
die völkerrechtliche Lösung vom Reich zu erlangen. Kaiser und Reich
akzeptierten diesen zeitgemässen Entwurf der staatlichen Souveräni - tät.
So fand eine lange Entwicklung ihren Abschluss; die Entfremdung
aus dem seit seiner Gründung so anders gewordenen Heiligen Römi - schen
Reich Deutscher Nation.
Als der französische König die spanische Freigrafschaft im Westen
Berns annektierte und zum bedrohlichen, direkten Nachbarn der
Schweiz wurde, erklärte die Tagsatzung zum ersten Mal formell die
bewaffnete Neutralität. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die
Neutralität der Eidgenossenschaft auch von den Grossmächten aner - kannt,
indem sie nicht mehr in die europäischen Friedensschlüsse ein - bezogen
wurde.
Das Hauptgewicht der aussenpolitischen Beziehungen lag im 17. und
18. Jahrhundert auf der Verbindung mit Frankreich, auch wenn zeit - weise
nicht alle Orte mit dem Königreich in einem vertraglichen Ver - hältnis
standen, so hatte doch das französische Gold einen gewalti - gen
Einfluss auf die eidgenössische Politik. In den Glanzzeiten des
Louis XIV. benahm sich die Eidgenossenschaft wie ein französisches
Protektorat.



1.9. Die "fremden Dienste"

Die Basis der fremden Dienste waren Verträge mit jenen Staaten die
schweizer Söldner benötigten. Der wichtigste Abnehmer war Frank - reich.
Das Soldbündnis mit Frankreich, erstmals 1521 abgeschlossen
und immer wieder erneuert, bildet den einzigen aussenpolitischen
Nenner in der Eidgenossenschaft. Zürich, das in Folge der Reformati - on
die fremden Dienste abgelehnt hat, trat 1614 diesem Bündnis bei.
Alle anderen Soldverträge wurden nur von einzelnen Orten abgeschlos - sen.
Die Bündnisse bildeten einen Rahmenvertrag, welcher die Höchst - zahl
anzuwerbender Söldner festlegte und den Vertragspartner zu re - gelmässigen
Zahlungen an die Orte verpflichtete. Im Falle Frankreichs
kam noch die Gewährung von Handelsprivilegien dazu. Eigentliche
Soldunternehmer, patrizische Familien, betrieben das Werbegeschäft
mit obrigkeitlicher Genehmigung. Es handelte sich in der Regel um
Elitetruppen, die von eigenen Offizieren und nach eigenem Recht be - fehligt
wurden. Nach wie vor schien der fremde Dienst politische und
ökonomische Notwendigkeit zu sein. Die fremden Dienste garantier - ten
bei gleichmässiger Verteilung auf die Staaten die Neutralität und
eine zeitgemässe Ausbildung von Offizier und Mannschaft. Für arme
Gebirgskantone bedeuteten sie vertraglich gesicherte Staatseinnah - men.
Die fremden Dienste boten aber auch Aufstiegsmöglichkeiten für
die Untertanen. Aber es wurden natürlich auch soundsoviele Schwei - zer
durch soziale Not in diese Dienste einzutreten gezwungen.
Die einst so ungebundenen fremden Dienste nahmen im Laufe des
17. Jahrhunderts den Charakter von ausgesprochenen Garnisons - diensten
mit periodischen Kriegseinsätzen an. Ihr Aushängeschild waren
die "Schweizergarden", die Leibwachen verschiedener Monarchen.
Das Soldbündnis von 1663 erlaubte dem französischen König Ludwig
XIV. das Anwerben von bis zu 16 000 Söldnern in der Schweiz. Die
Kantone erhalten dafür jährliche Pensions - Zahlungen, ebenso Erleich - terungen
im Salz und Getreidehandel und bei den Warenzöllen.



Zur Unterzeichnung von diesem zog ein Tross von 200 Personen unter
Führung des Zürcher Bürgermeisters Johann Heinrich Waser nach Pa - ris.
Johann Heinrich Blunschli beschreibt dies so: "Anno 1663 im
Oktober reisten die Herren Abgesandten der 13 Orte und die zuge - wandten
der Eidgenossenschaft nach Paris. Es waren Herren, Kam - merdiener
und Reiter zu Pferd, um die 200 Personen. Überall im Kö - nigreich,
wo die Herren Ehrengesandten durchreisten, wurden sie so
prächtig empfangen, wie der König. Nachdem sie mit grossem Pomp
in Paris eingeritten waren - es hatte eine unglaubliche Menge Zu - schauer
-, wurden sie durch den Grafen Harcourt in 40 Kutschen zur
königlichen Audienz abgeholt und köstlich bewirtet." Eine Woche lang
geniessen die Abgesandten das Pariser Stadtleben: Allabendliche
Empfänge, Theater mit Molière, ein Festakt in der Notre - Dame zum
Schluss, und alles auf Kosten des Königs. Nach vierwöchigem Aufent - halt
kehren sie Ende November wieder in die Schweiz zurück.
Louis XIV. träumt von der Vorherrschaft in Europa, und dies zu jedem
Preis. Auch die Eidgenossen gehören mit in seine Pläne. Das Abkom - men
mit ihnen garantiert den ungestörten Nachschub von Söldnern - truppen
für Ludwigs kriegerische Unternehmungen. Zudem bindet die
Abhängigkeit der Kantone von den Geldzahlungen die Eidgenossen - schaft
politisch an Frankreich.
Die Soldverträge bedeuten ein lukratives Geschäft für die Staatskas - sen
der Kantone und die Soldunternehmer, die sogenannten Pensions - herren.
Überzeugte Befürworter des Bündnisses sind auch die Textil - kaufleute.
Sie seztzen auf den Export und versprechen sich Handels - vorteile.
Louis XIV. liess die Unterzeichnung der Bündnisses auf einem Wand - teppich
festhalten. Der Auftrag für ein Gemälde von gleichem Umfang
würde einen Bruchteil der Tapisserie - Kosten ausmachen. Wandteppi - che
sind demnach ein Luxusgut, das Reichtum und Macht repräsen - tiert.
Sie gehören zur Grundausstattung jedes fürstlichen Hofes im 16.
und 17. Jahrhundert. Der Bedarf Ludwig XIV. ist so gross, dass es zur
Errichtung einer eigenen Werkstätte kommt. Die "Manufacture des Go - belins"
produziert ausschliesslich für den Hof. Die "Petite Académie",
das ideologische Zentrum für die höfische Kunstproduktion, bestimmt
das Bildprogramm, die Hofmaler führen die Zeichnungen aus, und
die Werkstätten stellen die Teppiche nach Vorlage her.
Wandteppich von Louis XIV., welcher die Unterzeichnung des Soldbündnisses von 1663
mit den Eidgenossen zeigt.






    Die Helvetische Revolution

2.1. Der industrielle Aufschwung im 18. Jahrhunderts

Der Sieg der reformierten Orte im 2.Villmergerkrieg schloss nicht nur
eine 200jährige Periode von Glaubenskämpfen ab, sondern verschob
auch die Machtverhältnisse in der alten Eidgenossenschaft zu Gun - sten
der Städte, die sich in einem industriellen Aufschwung befanden.
Die politischen Verhältnisse änderten sich aber bis 1798 kaum. Nach
wie vor herrschte die Aristokratie. Auf der sozialen sowie auf der
wirtschaftlichen Ebene fanden jedoch tiefgreifende Reformen statt.
Erstmals keimte die Hoffnung auf, auf der Basis des gesunden Men - schenverstandes
liesse sich eine neue Morallehre begründen, die für
Menschen verschiedener Konfession Geltung hätte. Damit aber die
Welt besser werden konnte, galt es das Wissen zur Öffentlichkeit zu
bringen. Die Verbesserung der Landwirtschaft wurde lautstark propa - giert.
Mit Schriften und Preisausschreibungen wurde versucht Feld - nutzung
und Arbeitsmethoden zu verbessern. Bekannt ist das Beispiel
des Zürcher Bauern Kleinjogg, welcher mit einem nach neuartigen
Prinzipien gestalteten Musterhof zu Reichtum gelangte.
Langsam fasste die Idee einer gewinnbringenden Wirtschaft auf dem
Lande Fuss. Die Allmenden wurden der allgemeinen Weidenutzung
entzogen und unter den reichen Bauern aufgeteilt. Der Ãœbergang zur
Stallfütterung des Viehs erlaubte die Düngung der Felder und die bes - sere
Nutzung des Brachlandes. Wegen dem Bevölkerungswachstum
und den damit verbundenen, periodischen Hungersnöten, wurden ver - mehrt
Kartoffeln und Klee angebaut.
Die Bevölkerung wuchs, vor allem auf dem Lande, von 1.2 Millionen
im Jahre 1700 auf 1.6 Millionen im Jahre 1800. Zwar mochten die
fremden Dienste 50 000 - 80 000 Männer zeitweise zu absorbieren,
aber das Interesse nahm im Laufe des 18. Jahrhunderts merklich ab.
Mehr denn je waren Kleinbauern und Tagelöhner nun auf zusätzliche
Verdienste angewiesen. Von dieser Bevölkerungssituation profitierte
vor allem die aufkommende Verlagsindustrie. Baumwollspinnerei, Baum - wollweberei,
Tuchdruckerei, Seidenbandindustrie, Seidenstoffweberei
und Stickerei erlebten vor allem in den nördlichen und östlichen Lan - desteilen
einen grossen Aufschwung. Um Genf, Neuenburg und im
Jura bereitete sich die Uhrenindustrie aus, die ebenfalls im Verlags - system
betrieben wurde. Hunderttausende lebten auf dem Land bald
von der Heimarbeit. Das 18. Jahrhundert wurde zur eigentlichen Epo - che
der Industrialisierung der Schweiz, welche bis zur Helvetischen
Revolution zum meist industrialisierten Land des Kontinents aufstieg.
Wenn auch die Verlagsindustrie die Armut nicht beseitigen konnte, so
führte sie doch zeitweise zu einem gewissen Wohlstand auf dem Lan - de,
und für viele Heimarbeiter sank die Landwirtschaft zu einer Ne - benbeschäftigung
ab. Aber um so mehr hingen sie von den heftigen
Preisschwankungen des Marktes ab. Im Jahre 1723 musste in der
textilen Hauswirtschaft durchschnittlich 1 - 3 Tage gearbeitet werden,
um 5 Pfund Brot zu verdienen; 1762 waren er dagegen nur noch ein
halber Tag. Im Hungerjahr 1771 brauchte man dazu fast eine Woche
und 1780 wieder nur einen Tag.

2.2. Die Industrialisierung in Zürich

Da die Bevölkerung zwischen 1500 und 1800 stark zunahm, bot die
Landwirtschaft nicht mehr allen Bewohnern Arbeit und konnte auch
nicht mehr alle ernähren. Zürich musste Getreide aus dem Ausland
einführen. Viele Zürcher wurden notgedrungen Soldaten in den Ar - meen
der europäischen Herrscher. Auch in der Stadt waren nicht mehr
alle Bewohner in den traditionellen Handwerksberufen tätig.

Kachelofen der Familie Pfau, für das
Zürcher Rathaus hergestellt. Auf den
abgebildeten Kacheln wird die Schwei -
zerischen Neutralität mit dem Sinnbild
von Skylla und Charybdis dargestellt.
Skylla und Charybdis stehen für die
europäischen Grossmächte.
Textilindustrie
Es war daher für Zürich von grosser Bedeutung, dass kluge und wage - mutige
Unternehmer eine neues Gewerbe einführten, das Arbeitsplät - ze
schuf und Produkte herstellte, die im Ausland verkauft werden konn - te
und Geld einbrachten. Dies ist die Herstellung von Stoffen aus Sei - de
oder Baumwolle, die Textilindustrie.
Exkurs: Die Hafnerei
Neben der Textilindustrie gab es in Zürich und Umgebung noch ein
anderes spezialisiertes Handwerk. Die Hafnerei. Ein Gewerbe das
besonders in Winterthur und auf der Landschaft blühte, war der Ofen - bau.
In Winterthur, das in dieser Hinsicht im 17. Jahrhundert zu be - sonderer
Berühmtheit gelangte, lassen sich Ofenbauer bis zurück ins
15. Jahrhundert nachweisen. Dabei bildete die Familie Pfau eine ei - gentliche
Dynastie von Hafnern, deren Arbeiten zu den Spitzenerzeug - nissen
der Ofenbaukunst gehörten. Die Hafner in der Stadt Zürich
hatten der Qualität aus Winterthur und anderen Orten nichts entge - genzusetzen.
Gern wurde deshalb bei der Einrichtung des neu erbau - ten
Zürcher Rathauses das Geschenk aus Winterthur, zwei prachtvolle
Öfen, akzeptiert.
Die Hafnermeister der Landschaft, die neben Öfen auch glasiertes
Kochgeschirr herstellten, waren eine ernstzunehmende Konkurrenz für
die stadtzürcherischen Hafner. Der Rat gestattete ihnen jedoch 1738
ausdrücklich, auch weiterhin an den Jahrmärkten ihre Ware feilzubie - ten.
In der Zeit zwischen den Jahrmärkten jedoch war der Geschirr - verkauf
allen fremden und einheimischen Hausierern verboten. In die - ser
Zeit konnten die zürcher Hafner ohne Konkurrenz verkaufen.

2.3. Die Vorboten einer neuen Zeit

Eine neue Zeit kündigte sich in neuen Ideen an. Die reformierte Theo - logie
befreite sich von den starren Lehrsätzen, mit denen die Kirche
Pfarrer und Gläubige disziplinierte. Die wiedererlangte Freiheit nutz - ten
zum einen die Rationalisten mit ihrer Vorstellung von einer vernunft - geregelten
Religion und auf der anderen Seite die Pietisten, welche
den frommen Lebenswandel in den Mittelpunkt des Glaubens rückten.
In der Naturforschung war die kopernikanische Wende zum heliozen - trischen
Weltbild überall vollzogen. Beobachtungen und Experimente
wurden als Erkenntnismittel in ihr Recht gesetzt. Grosses Ansehen erwarb der Mathematiker Leonard Euler, der Alpenforscher Horaz
Bénédict de Saussure, der 1787 als einer der ersten den Montblanc
bestiegen hatte und Albrecht von Haller, der es als Arzt und Biologe
sowie als Dichter der Alpen zu Weltruhm brachte. Diese wissenschaft - lichen
Fortschritte bewegten viele Patrizier aus persönlicher Liebhabe - rei,
Naturalienkabinette anzulegen, in denen sie Steine, gepresste Pflan - zen,
Tierknochen, aber auch Kupferstiche, Münzen und Kunstgegen - stände
sammelten.
Politische Bedeutung gewann die Naturrechtslehre, zu der die West - schweiz
einen grossen Beitrag geleistet hatte. Ihre Vertreter gingen
davon aus, dass die Menschen von Natur aus gleich und frei seien.
Der Genfer Uhrmachersohn J. - J. Rousseau stand jedem Menschen ein
Widerstandsrecht gegen jegliche Beherrschung zu, sofern der Mensch
nicht mit einem anderen vertraglich in einem Verhältnis steht.
Die Erziehungsexperimente von Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827) er - langten
eine weit über die Schweiz hinausreichende Bedeutung. Er
forderte eine umfassende Bildung für das ganze Volk, speziell aber für
die ländlichen Untertanen, die durch harte Berufsarbeit dem Elend
entrinnen sollten. Zwischen 1770 und 1800 soll sich der Alphatbe - tisierungsgrad
von 15% auf 25% erhöht haben. Kirche und Obrigkei - ten,
in deren Händen die Volksschule lag, hatten ein Interesse an lese - kundigen
Untertanen. Aber die Untertanen hatten zu Hause selten mehr
als einige Bücher und Volkskalender, die sie von Hausierern erworben
hatten. Erst die Lesegesellschaften ermöglichten grösseren Gruppen
die Lektüre zeitgemässer Autoren. Diese gab es sogar in den Untertanen - gebieten,
sieben allein in der Zürcher Landschaft. Man sass gemein - sam
zusammen und trank Kaffee, um den Verstand zu schärfen. In
einer solchen Runde hat der Bauer Ulrich Bräcker (1735 - 1785) auch
die Werke Shakespeares kennengelernt. Er verfasste später selbst die
autobiographische Lebensgeschichte des "armen Mannes im
Tockenburg", welche einen einmaligen Einblick ins Leben des einfa - chen
Mannes gestattet.

2.4. Der Helvetismus

Ein neues Nationalgefühl, das vom Gegensatz zu den umliegenden
absolutistischen Monarchien lebte, breitete sich aus. Die Helvetische
Gesellschaft (1761) und andere patriotische und aufklärerische Zirkel
wurden gegründet, welche ihre Heimatliebe mit der Förderung des
Guten und Gemeinnützigen verbanden.



2.5. Das Memorial von Stäfa

Es blieb aber nicht nur bei diesen ideellen Bestrebungen von Rousseau,
Pestalozzi und der Helvetischen Gesellschaft, sondern im ganzen
18. Jahrhundert flammten immer wieder neue Volkserhebungen, Verfas - sungskämpfe
und Verschwörungen gegen die Herrschaft des Patriziats
auf. Immer entschiedener verlangten die vom politischen Leben ausge - schlossenen
Bürger Teilnahme an der politischen Macht. Schon unter
dem Eindruck der französischen Revolution verfassten Untertanen aus
dem Zürcher Seeland das Memorial von Stäfa (1794), das die Gleichstellung
von Stadt - und Landbürgern, Handels - und Gewerbefreiheit,
Ablösung der noch bestehenden Feudallasten und freie Zulassung zu
Studium und Offiziersämtern verlangte. Mit harter Hand wurden auch
die Aufrührer von Stäfa bestraft. Unerbittlich hielten die Patrizier an
ihren Vorrechten fest.


2.6. Der Untergang der alten Eidgenossenschaft

Im ersten Koalitionskrieg der europäischen Mächte gegen das revolu - tionäre
Frankreich verhielten sich die Eidgenossen neutral. Nachdem
Napoleon Bonaparte aber Norditalien in seine Hand gebracht hatte,
erhöhte sich der militärische Druck auf die Eidgenossenschaft, denn
die schweizer Pässe waren als direkte Verbindung zwischen Paris und
Mailand von strategischem Interesse für die französische Revolutions - armee.
Im Dezember 1797 besetzte Frankreich vorerst die Besitzun - gen
des Bistums Basel im Jura.
In der Stadt Basel gewährte darauf der Grosse Rat eilig den Unterta - nen
Freiheit und Rechtsgleichheit. Ein entschiedener Verfechter der de - mokratischen
Erneuerung war hier der Oberzunftmeister Peter Ochs
(1752 - 1821): "Wir wollen dem Gewitter zuvorkommen. Aus freiem
Willen wollen wir uns revolutionieren. Zeigen wir einmal der Welt,
wie sich eine Aristokratie von sich aus demokratisiert."
In der Waadt war Frédéric César La Harpe (1754 - 1838) ein glühen - der
Verfechter der Revolution. Noch vor dem Einmarsch der Franzo - sen
wurde die Befreiung von Bern und die Lemanische Republik aus - gerufen.
Am 28 Januar 1798 zogen schliesslich die französischen
Revolutionstruppen als "Freunde und Brüder" in Lausanne ein.
Die Tagsatzung konnte sich zu keinem entschlossenen Vorgehen ge - gen
den französischen Einmarsch entschliessen. Im Unterwallis und in
den südlichen Alpentälern sagten sich die Untertanen von ihren Her - ren
los, in Zürich und Schaffhausen wurde die Rechtsgleichheit der
Untertanen gewährt. In den Gemeinen Herrschaften wurden die fran - zösischen
Truppen als Befreier von der Patrizierherrschaft begrüsst.
Die alte Herrschaft befand sich in völliger Auflösung. Bern stand allein
gegen das französische Heer und wurde in der Schlacht von Grau - holz
geschlagen. Am 5. März 1798 zogen die Sieger in die Stadt
ein. Der Widerstand in den innerschweizer Alpengebieten hielt zwar
noch einige Zeit stand, der Untergang der alten Eidgenossenschaft
war aber mit dem Fall Berns besiegelt.
Die von vielen herbeigesehnte helvetische Revolution hatte gesiegt,
aber sie trug den Stempel der Fremdherrschaft. Ein Verfasungsentwurf
von Peter Ochs wurde von Napoleon mit wenigen Änderungen gleich
als Staatsgrundlage proklamiert. Sie machte aus dem zersplitterten
Staatenbund der alten Eidgenossenschaft den unteilbaren Einheitsstaat
der Helvetischen Republik. Der erste Artikel der neuen Verfassung be - stimmte:
"Es gibt keine Grenzen mehr zwischen den Kantonen und
den unterworfenen Landen, noch zwischen einem Kanton und dem
andren". Oberste Gewalt war das ganze Volk. Wie in Frankreich
stand ein Direktorium von fünf Mitgliedern an der Spitze des Staates.
Es war aber auch klar, dass die alten Mächte sich mit einer so radika - len
Umwälzung des politischen Systems abfinden mochten.
Trikolore der Helvetischen Republik.
Nach dem französischen Vorbild führte
auch die neue Republik die Trikolore
im Wappen. In Anlehnung an die
Tradtion standen Gelb und Rot für Uri
und Schwyz, die Begründer der
schweizerischen Freiheit, währenddem
Grün die neue Freiheit symbolisierte.

Wie sah die Schweiz wäh - rend
der Zeit der Helveti - schen
Republik aus?

    Die kleine und grosse Restauration

3.1. Das Ende eines Versuches

Ãœber der Helvetischen Republik stand von Anfang an ein Unstern.
Fremde Herren hatten den ersten schweizer Staat aus der Taufe geho - ben
und so eng an sich gekettet, dass er sich nie frei entwickeln konn - te.
Mit direkten Interventionen, mit Intrigen und Druckausübung setzte
die französische Regierung immer wieder ihren Willen durch.
In die imperialen Pläne des künftigen Kaisers passte der innerlich zer - strittene
und zerfallende schweizer Staat nicht. 1802 zog Bonaparte
die Truppen ab. Die voraussehbaren Unruhen in der Schweiz gaben
ihm den Vorwand für eine erneute Intervention. Dies geschah auch
und 1802 stiessen im "Stecklikrieg", wie der Name sagt, nur behelfs - mässig
ausgerüstete Truppen bis nach Bern vor, wo die helvetische
Regierung residierte. Diese flüchtete in aller Eile nach Lausanne und
bat Frankreich um Unterstützung. Erst kurz vor dem Fall Lausannes
schaltete sich Napoleon ein, erklärte sich zum Vermittler und liess sei - ne
Truppen wieder in die Schweiz vorrücken. Der Vermittlungsbeschluss
beinhaltete die von Napoleon verfasste Gesamtverfassung, die die
Souveränität der Kantone wiederherstellte, aber die Untertanen - verhältnisse
nicht duldete. Um seinen eigenen Anteil an der Verfas - sung
herunterzuspielen, bezeichnete er diese als Mediationsakte, was
soviel wie Vermittlungswerk heisst.
Am 10. März 1803 hörte die Helvetische Republik auch rechtlich auf
zu bestehen. Der Versuch einer besseren Schweiz war gescheitert.


3.2. Ein erster Schritt zurück: Die Mediation von 1803

Gemäss der Mediatonsakte war die Schweiz ein Staatenbund von
neunzehn gleichberechtigten Kantonen, die den bis heute gültigen
Namen "Schweizerische Eidgenossenschaft" erhielt. Die Akte gab auch
der folgenden Epoche ihren Namen: "Mediationszeit".
Die Mediation verlangte, dass die Kantone wieder in ihre Rechte ein - gesetzt
werden sollten. Zu den 13 alten Kantonen kamen sechs neue
hinzu, die ehemaligen Untertanengebiete Aargau, Thurgau, Tessin und
Waadt und die ehemaligen zugewandten Orte St. Gallen und Grau - bünden.
In den Landsgemeindekantonen wurden die alten Zustände
mehr oder weniger wiederhergestellt, in den neuen Kantonen dage - gen
behielten die Anhänger der Helvetischen Republik die Oberhand
Die alte und die neue Schweiz existierten nebeneinander.

3.3. Die Restauration von 1815

Die Niederlage Napoleons in Russland bedeutete auch das Ende die - ser
diffusen politischen Situation. In der Restauration von 1815 stellte
der Wiener Kongress, dessen Ziel es war, Europa nach dem Fall Napoleons
I. neu zu ordnen, den alten, neutralen Staatenbund wieder
her. Die Aristokraten traten wieder in ihre Vorrechte ein, in der Tags - atzung
verfügte wieder jeder Kanton über eine Stimme und die
Niederlassungs - und Gewerbefreiheit fielen dahin. Als neue Kantone
wurden Genf, Wallis und Neuenburg zur Schweiz geschlagen. Bern
erhielt von den Wiener Diplomaten den Jura als Ersatz für die verlo - rengegangenen
Untertanengebiete im Aargau und in der Waadt. Für
die nächsten 15 Jahre schien das Rad der Geschichte zur aristokrati - schen
Tradition zurückgedreht.



Quellenverzeichnis

• Aus "Die Schweiz und ihre Geschichte" erschienen Lehrmittelverlag
des Kantons Zürich, 1998: Helmut Meyer: "Die Schweiz im Zeital - ter
der konfessionellen Spaltung - 16. und 17. Jahrhundert" und
Pierre Felder: "Vom Ancien Régime zu den Anfängen der moder - nen
Schweiz - 18. Jahrhundert bis 1884"
• Dieter Fahrni: "Schweizer Geschichte - Ein historischer Abriss von
den Anfängen bis zur Gegenwart" erschienen Pro Helvetia, 1996
• "Geschichte des Kantons Zürich, Band 2" erschienen Werd Verlag
• "Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Zeitreise, Vademekum für
Lehrpersonen"
• Ulrich Im Hof: "Die Schweiz" erschienen Kohlhammer
• Christoph Mörgeli: "Memorial und Stäfner Handel 1794/1795"
erschienen Lesegellschaft Stäfa, 1995
• Andres Furger: "Schweizerisches Landesmuseum Zürich und
Prangins" erschienen Museen der Schweiz




Hatte das Volk Einfluss auf politische Entscheidungen?

Wie gingen die Eidgenossen mit dem Absolutismus um?

Wie wurde Zürich regiert?

Wie wirkte sich der Absolutismus in Zürich auf die Gesellschaft aus?

Wie kam es zum Bauern - krieg von 1653?

In welcher Lage befanden sich die Zürcher Bauern?

Was hatten die Stadtzürcher für ein Einkommen?

Weshalb lehnten sich die Bauern nicht auf?

Weshalb entwickeln die Eid - genossen das Prinzip der be - waffneten Neutralität?

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Wann erklärte die Eidgenos - senschaft zum ersten Mal die bewaffnete Neutralität?

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Welche sozialen und wirt - schaftlichen Reformen fan - den im 18. Jh statt?

Welche Industriezweige ent - wickelten sich im 18. Jh?

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Welche wissenschaftliche Erkenntnisse läuteten die Helvetische Revolution ein?

Was beinhaltet der Hel - vetismus?

Weshalb haben sich die Stäfner gegen die Stadt Zü - rich aufgelehnt?

Wie sah die Schweiz wäh - rend der Zeit der Helveti - schen Republik aus?

Warum kam es 1803 zum Untergang der Helvetischen Republik?

Was bedeutete der Fall Na - poleons für die Schweiz?

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