Johann Balthasar Neumann

1.Balthasar Neumann
Sein Leben


Als siebentes von acht Kindern eines armen Buchmachers kam Balthasar Neumann Ende Januar 1687 in der Schiffergasse zu Eger auf die Welt, wo die Sorge ein ständiger Gast im Elternhaus war; am 30. Januar trug man ihn in die nahe St. - Niklas - Kirche zu Taufe. Um die Jahrhundertwende kam er zum Paten als Glocken - und Geschützgießer in die Lehre. 1709 hört man erstmals von ihm: er half bei der Reparatur von Wasserkünsten.
Viel mehr als den Gesellenbrief der Glocken - und Geschützgießer, Büchsenmacher und Feuerwerker mag Neumann kaum in der Tasche gehabt haben, als er vierundzwanzigjährig auf Wanderschaft gen Westen zog und, angelockt von Ruf der Gießhütte Ignaz Koops und ihrer reichlichen Arbeit, in Würzburg haltmacht, das ihm zur zweiten Heimat wurde. In diese erste Würzburger Zeit fällt die Bekanntschaft mit dem Ingenieurhauptmann Andreas Müller. Er wird Neumanns Schicksal: der Offizier erkennt die besondere Begabung des Glockengießergesellen, die noch brachliegt, und rät ihn an, Geometrie, Feldmesserei und die französische Sprache zu erlernen.
Angesichts der ungewöhnlichen Fortschritte Neumanns macht Müller sich die Mühe, ihn auch in der Zivil - und Militärarchitektur zu unterweisen; Neumann ergreift die einzigartige Gelegenheit solcher Lehre. Dazu gehören aber auch Bücher und Instrumente, und weil er keinen anderen Ausweg weiß, schildert er im März 1712 den Stadtvätern in Eger brieflich seine Sorgen, und sie helfen mit Geld aus. Neumann ist nun mitten im Studium; von einem Rausch des Lernens und Begreifens gepackt, findet er den Mut, seine Bitte im März zu wiederholen, und man hilft ihm noch einmal. Man kann es dem reichsstätdischen Rat nicht hoch genug anrechnen, dass er seinem armen "Landeskind" ohne jede Sicherheit das Studiengeld vorausschoß, denn selten ist wohl ein solches Darlehen besser angelegt worden. Neumann arbeitete noch im erlernten Beruf des Glocken - und Geschützgießers, als ihn die wirkliche Berufung zum eigentlichen Lebensziel, zum Baumeister, erreichte und damit eine völlig neue, zweite Lehrzeit begann. So gab er bald, um sich ganz dem Studium zu widmen, sein Handwerk und also auch seinen Verdienst in der Hütte auf.



1714 trat er als Fähnrich in die Schloß - Leibkompanie ein; damit war er wirtschaftlich versorgt, er gehörte zur Garde des Fürstbischoffs und tat Dienst als Adjutant seines Lehrers. Er hatte auch Gelegenheit, mit Joseph Greising, dem führenden Zivilarchitekten im Fürstbistum, über Land zu reisen und dessen Großbauten überall heranwachsen zu sehen; in Ebrach zog der Meister ihn 1716 als Tiefbauspezialist zum Abteibau heran.
Da die Würzburger Truppen Karl VI. für den Türkenkrieg überlassen wurden, nahm Neumann 1717 als Ingenieur an der Belagerung und der viel besungenen Eroberung Belgrads unter Prinz Eugen teil. Von dort rief ihn der kaiserliche Hofkriegsrat nach Wien, wo er nun auch der künstlerischen Welt seines Heerführers begegnete, und bot ihm das Hauptmannspatent an; so war einst auch Lukas von Hildebrandt nach Wien gekommen. Der dreißigjährige Neumann schlug aber diese ehrenvolle Berufung aus, um noch mehr zu sehen und zu lernen. man findet ihn 1718 beim Stab des kaiserlichen Generalgouverneurs in Mailand, er arbeitete dort und lernte die oberitalienische Barockarchitektur kennen. Nach der Heimkehr folgte alsbald die Ernennung zum würzburgischen Ingenieurhauptmann. 1719 konnte Neumann sich am Fuße der Festung Marienberg mit zwei Hofbeamten in einem schlichten Reihenbau ein kleines Haus errichten.
Ein Regierungswechsel ist es, der in diesem Jahr die Laufbahn Neumanns auf neuere, höhere Ebenen führt. Dompropst Johann Philipp Franz Graf von Schönborn von dem die Domherren schon fürchteten, dass ihm kein Equipage und kein Möbel mehr gut genug sein würde, wenn er zum Regiment komme, bestieg im Herbst 1719 den Würzburger Bischofsstuhl. Das wurde Neumanns große Stunde, als Schönborn sich gleich nach der Wahl entschloß, die Hofhaltung vom Marienberg in die Stadt zu verlegen und Würzburg großzügig zu verschönern: es galt zu Vermessen und Pläne zu entwerfen; dazu rief ihn der Bischof, seine Lehrer Müller und Greising übergehend, weil sie durch das vorige Regime "belastet" waren.
Schon sehr bald wurde die behördliche Aufsicht über das gesamte Bürgerliche Bauwesen verkündet; der entsprechende Erlass geht in seiner scharfen Formulierung auf Neumann selbst zurück und ist ein echtes Gewächs absolutistischen Denkens. 1722 wurde eine Baukomission konstituiert, und nun konnte in Würzburg nichts mehr ohne Vorwissen und Billigung Neumanns gebaut werden; er wünscht: Verbot aller Erker, einheitliche Modellplanung, dafür aber auch Steuervergünstigungen für Neubauten, je nach Aufbau und Schmuck. So verdankte Altwürzburg sein Stadtbild mit der Fülle schöner Barock - und Rokokofassaden und mit der Schar der Hausfiguren vor allem dem städtebaulichen Wirken Neumanns.
Der Architekt steht gewissermaßen am Ende seiner zweiten Lehrzeit, als er die zunächst noch nicht sehr große Planung zum neuen Residenzschloß unter die Hände bekommt, die sich sehr rasch zum bedeutendsten Format auswächst und schließlich dann sein eigentliches Lebenswerk wird.
Neumann ist, als er 1719 auf die große Bühne tritt, zwar ein fertiger Architekt im landläufigen Sinne, aber als Künstler noch am Anfang seines Weges; er ist auch noch kein erfahrener Bauleiter, der dem technischen und verwaltungsmäßigen Betrieb einer solchen Großbaustelle schon vorgestanden wäre. Dafür hatte er das große Glück, dass er jetzt im Rahmen einer kollegialen Planung, wie sie die Bauherren bei Großbauten liebten, auf Jahre hinaus mit den führenden Architekten Süddeutschlands und Frankreichs in enger Zusammenarbeit stehen durfte. Was konnte einem Mann vom Schlag und Rang Neumanns Erwünschteres zustoßen, als mit den Großen seiner Zeit an ein und der selben Aufgabe zu arbeiten und dabei, im Zentrum der Planung sitzend, lernend zu wachsen, aus der Fülle der Anregungen eine Einheit zu gestalten und dem Werk schließlich doch den eigenen Stempel aufzudrücken?
Bischof Schönborn hatte schon als Dompropst die Idee gefaßt, eine eigene Grabkapelle für seinen Großvater und seinen Vater, die beiden Kurfürsten, und sich selbst am Würzburger Dom zu bauen. Erst 1722, als der Bau, dem Welsch die äußere Gestalt gegeben hat, bereits im Gange war, schaltete Neumann sich mit dem Vorschlag ein, die Rotunde im Inneren mit Säulenpaaren zu bestellen, und entschied damit das schließliche Raumbild durch ein sehr wirkungsvollesc für die deutsche Kirchenbaukunst neues Motiv. Neumann hat sich hier - das ist sehr bezeichnend für sein ganzes Schaffen - vor allem für Raumgestaltung interessiert.
Johann Dientzenhofer, der Baumeister Pommersfeldens, der Schöpfer des Fuldaer Doms und der Banzer Kirche, wurde für die Bauführung des sich bald ins riesenhafte dehnende Bauvorhaben der Residenz - aber nur für diese - verpflichtet.
Es ist heute unbestritten, dass das Würzburger Schloß, wie es vor Augen steht, Balthasar Neumanns Werk ist, dass er nicht nur die ersten, für alles spätere grundlegende Entwürfe lieferte, sondern aus der Fülle aller Einströmenden Wünsche und Ideen ein einheitliches Ganzes werden ließ; dass er es war, der schließlich mit souveräner Hand einen internationalen Künstlerstab von überragenden Qualitäten und von stattlichem Umfang zu verpflichten und nach seinen Ideen zu beschäftigen wußte und damit ein Gesamtkunstwerk schuf, das tatsächlich einzigartig ist. Man kann bei der Wertung des Erreichten wohl keinen unbestechlicheren Beurteiler als Georg Dehio finden, der das Würzburger Schloß als den vollkommensten Profanbau des 18.Jahrhunderts ansah.
Achtundreißig Jahre alt ist Neumann als er die Tochter des Geheimen Hofrats Dr.Schild ehelicht und er kommt damit in engste verwandtschatliche Bindung zu den alteingesessen Rats - und Beamtenfamilien. Neumann war, als er sich 1727 vom dem Nürnberger Porträtisten Kleinert Malen ließ, vierzig Jahre alt; er ist, was auch die Dokumente, seine Briefe und die Handschrift verraten, ein kerngesunder Mann und ein völlig lauterer Charakter.
Der Künstler steht nun vor der Höhe des Schaffens, als ein neuer Thronwechsel ihn 1729 zu größter Aktivität und herrlichen Aufgaben ruft. Es kam wider ein Schönborn auf den Stuhl des heiligen Burkard; Friedrich Karl, der Reichsvizekanzler aus Wien und bereits Fürstbischof von Bamberg, ein Mann von größtem Kunstverstänndnis.
Neumann erhielt 1729 die Stelle des Artillerieoberstleutnants beim fränkischen Kreistag. Damit trat er zu dem ganz Franken umfassenden Reichskreis in ein Dienstverhältnis, das zugleich eine willkommene Einkommensverbesserung bedeutete, denn er blieb Inhaber der Ingenieur - und Artillerieoffizierstellen in Würzburg. 1741 wurde er, nun in der Mitte der Fünfzig, zum Oberst der Kreisartillerie ernannt; damit hatte er in einer für den Stabsoffizier ohne weiteren Kriegsdienst raschen Karriere eine militärische Laufbahn abgeschlossen, die den Zeitgenossen wegen seines
Herkommens aus dem Handwerk staunenswert genug erschien.
Zu seinen zahlreichen neuen Verpflichtungen kamen nun bald neue, große Bauvorhaben dazu: das Schloß Werneck, die Kirche in Gößweinstein und noch Münsterschwarzach, dann Vierzehnheiligen, und im technischen Bereich die Fließendwasser - Versorgung von Würzburg. Außerdem legten die fürstlichen Brüder Kurfürst Franz - Georg von Trier und Kardinal Damian Hugo übertrugen ihm praktisch die gesamte Aufsicht über die Moselfestungen, die Zivilbauprobleme in Trier und Koblenz, aber auch in Worms und Ellwangen.
Neumann erhielt 1731 einen akademischen Lehrauftrag für Militär - und Zivilarchitektur an der Univerität in Würzburg, da der Bischof bald den Wert Neumanns als Lehrmeister erkannte, und dessen Genie erhalten wissen wollte. Er durfte im Sommer 1745 das neue Kaiserpaar Maria Theresia und Franz Stephan, durch das nun vollendete Würzburger Schloß führe.


Im gleichen Jahr, in dem Neumann einiger Schloßpläne wegen in Stuttgart war, erreichte ihn auch ein Kirchenauftrag aus dem Schwäbischen für die Reichsabtei Neresheim (siehe Kapitel 3).
Am 19. August 1753, als Tiepolo noch im Treppenhaus der Residenz seine Fresken vollendete, ging Balthasar Neumann in Würzburg aus dieser Welt;
Am 22. August wurde er unter dem Dröhnen der Salutbatterien nach feierlichem Leichenkondukt in der Marienkapelle am Markt zur letzten Ruhe gebettet. Ihm war es beschieden gewesen, über jene unvergleichlichen Schöpfungen süddeutscher Meister hinaus, die ihren festen Platz in der Geschichte der europäischen Kunst haben, ein Werk zu ersinnen, welches als ein letzter Höhepunkt der gesamten Barockarchitektur überhaupt jenseits solcher Maßstäbe lebt.


2. Kunstgeschichtlicher Hintergrund

In der Kunstgeschichte umfaßt die Stilperiode des "Barock" die Zeit vom ausgehenden sechzehnten Jahrhundert an. Sein Spätstil, das "Rokoko", etwa ab 1720, schließt diese Epoche um 1770 ab. Irdische Lebenskraft und Hingabe an das Geistige, wo immer es aufspürbar ist, Weltlust und religiöse Ekstase offenbaren sich im Barock. Aus solcher Lebenshaltung und aus exakter Schulung haben die Künstler und Handwerker diese Werke geschaffen. Die barocke Natur hat immer einen Schuß Großzügigkeit, Selbstbewußtsein, Mut und Künstlerisches an sich.
Von Italien ausgehend, wurde der Barock in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts schon der allein zeitgemäße Stil in Europa. Er ist ein Weltreich der Kunst. In seinen vielen Spielarten, landgetrennt und zeitverschieden, bewahrt er doch sein überall erkennbares Barockgesicht.
Die Peterskirche des Papstes zu Rom, der Escorial der spanischen Könige, das Schloß des Sonnenkönigs zu Versailles, tausend und mehr Kirchen und Schlösser mit vielen Bildern, Figuren und Möbelstücken, über die Länder hin, bis hin zum Belvedere, des Prinzen Eugen zu Wien, ja hinüber bis nach Latein - Amerika, die Jesuiten - und Benediktinerkirchen dort, das alles ist Barock.
Der Barock ist immer Schaustellung. Er nimmt alle Künste; er verflicht Architektur, Plastik und Malerei zum scharfsinnig durchdachten Gesamtkunstwerk. Er verwischt die Grenzen des Gebauten und Gemalten für die schwelgenden Betrachter: Wirkung ist ihm alles; er berechnet sie, er weiß die Sonnenstrahlen aufzufangen, dass sie seine Räume lebendig machen und die Figurengruppen in wechselndes Licht rücken. Selbst die Natur verwendet er als Kulisse für seine Bauten. Er zwingt Bäumen und Gärten geometrischen Formen auf und lässt in Brunnen die Wasser hoch und künstlich springen: und hat mit allem den nachhaltigsten Erfolg.
Der Barock entflammt die Könige und Fürsten zur Baulust. Sie geben Millionen Golddukaten an die Künstler und an die Scharen der Handwerker für Paläste, Prunkräume und Gärten. Dort wird die Macht des absoluten Herrschers mit Nachdruck der Welt und den Untertanen aufgezeigt. Dort kann das große Leben Feste feiern und üppig genossen werden.
Die Katholische Kirche entwickelt den Barock als ein funkelndes, die Völker begeisterndes Instrument der Gegenreformation. Sie lässt alle seine Künste spielen und bezieht Musik und Theaterspiel mit ein. Die schimmernden Kirchenhallen und die reichgeschnitzten Beichtstühle sind



auch dem ärmsten Bettler zugänglich. Die gemalte Glorie der Kirche und ihre Heiligen kann mit leiblichen Augen geschaut werden. Durch Italien, durch Spanien, durch Deutschland, durch Österreich hebt ein Kirchenauen an in Stadt und Dorf wie nie zuvor, und an den schönsten Stellen der Landschaft bauen die großen Klöster.
Dort wo Neubauten nicht möglich sind, werden die alten romanischen oder
Gotischen Kirchen umgebaut. Sie werden dem neuen Geschmack einverleibt. Helles Licht flutet durch neue Fenster in den modisch neu geschmückten Kirchenraum. Die alten Altäre und Figuren wandern auf die Speicher oder zum Brennholz. Der Barock ist kühn und voll strotzender Kraft. Er ergreift alle Stände und wird zur Volkskunst. Er steigt hinab zu den Dörfern und braucht sich der Arbeit der Maler und Schreiner nicht zu schämen. Der Bauernschrank ist ein Sproß, der noch im gleichen Saft des Barocks der höfischen und städtischen Meister steht.
Barock und Rokoko sind noch für zwei Jahrhunderte Kunst in den Schlössern der Könige und noch in den Stuben der Bürger und Bauern.


Die Baukunst im Barock

Die Baukunst des Barocks entwickelt sich aus der Renaissance in Italien. Wie die Natur ihre Geschöpfe blühen, reifen und vergehen lässt, so verwandelt der Mensch in den ihm überlassenen Gebieten seine Gebilde ständig. Aus einer neuen Weltsicht hat die Renaissance ihre Werke der Gotik entgegengestellt. Der Barock ist keine Umkehr, er entfaltet sich organisch aus der Renaissance. Geht man durch italienische Städte, so kann man in den Straßen und über die Plätze hin, an Kirchen und Palästen, dieses Werden des Barocks mit Augen sehen und begleiten.
Die Bauten der Renaissance erwecken ein Gefühl gelassener Ruhe durch die unaufdringliche Ruhe der Einzelglieder bis zu den Maßen eines jeden Mauersteins und durch ihren Zusammenklang im ganzen Bau.
Im Barock verändert sich diese Ausgewogenheit. Das Wort "Barock" hat die Bedeutung "schiefrund, sonderbar, regelwiedrig" im Hinblick auf die Regeln der Renaissance. Ursprünglich kommt es von einem Wort portugiesischer Juweliere: barocco, die "unregelmäßige Perle". Dies stimmt alles mit barocken Bauten überein: sie scheinen zu quellen und neue Formen aus sich herauszutreiben. Nun wird alles größer, massiger, lauter, plastischer und später abenteuerlich. Die einzelnen Architekturglieder und Schmuckformen, so kunstvoll und geistreich sie auch gearbeitet sind, werden der Gesamterscheinung des Bauens untergeordnet. Sie verlieren jede Selbständigkeit, sie sind dem ganzem einverleibt wie das Blütenblatt der Blume.
Die Schwere des Barocks wird in seinem Spätstil aufgelockert und besonders im Rokoko Österreichs und der süddeutschen Länder leicht und voll sprühender Grazie, wie das spielerische "roccaile", das Muschelornament aus Frankreich, das dem "Rokoko" den Namen gegeben hat.
Als Szenerie packt der Barockbau in seiner Erscheinung den Beschauer; seine Innenräume bezaubern durch festliche Pracht. Das schier Unbegreifliche aber ist, dass die Phantasien der Künstler aus ihren eigenen
Händen sowie unterstützt von abertausend meisterlichen Handwerkern Wirklichkeit geworden sind.


Die Zeit Balthasar Neumanns

Um 1450 begann sich Europa von den wirtschaftlichen Rückschlägen des 14. Jahrhunderts zu erholen. Die Bevölkerung nahm schnell zu. Die rasche Zunahme im 16. Jahrhundert wurde jedoch im 17. durch Kriege, Aufstände, Hungersnot und Pest gebremst und fand ihre Fortsetzung erst im 18. Jahrhundert. Von geschätzten 69 Millionen Einwohnern im Jahre 1500 stieg die Bevölkerungszahl auf 188 Millionen im Jahre 1800. Die Entwicklung war von Land zu Land unterschiedlich, am stärksten aber in England und den Niederlanden.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verlief ein schmaler Industriekorridor von Norden nach Süden, von Antwerpen und Brügge, über Ulm und Augsburg bis Mailand und Florenz.
Die enorme Steigerung des Überseehandels besonders nach 1700 begünstigte auch die Seefahrtnationen. Eine Folge davon war der Niedergang der einst bedeutenden Handelsstädte Norditaliens, die zwei Jahrhunderte dominiert hatten. Die Mehrzahl der aufstrebenden Städtischen Zentren lag westlich des Rheins. London und Paris hatten bereits die Halbmillionengrenze überschritten.
Die Kartoffel, welche sich nach ihrer Einführung um 1565 erst allmählich einen Platz eroberte, stieg um 1700 zur Hauptfeldkultur auf.
Die von Ludwig XIV. in einer schon beinahe neurotischen Furcht vor einer Wiederauferstehung des Reichs Karls V. und der Einkreisung Frankreichs durch die Habsburger geführten Kriege schmälerten die erstaunlichen Leistungen Ludwigs als Reformer und Kunstliebhaber.
Durch frühere Niederlagen wurde Ludwig XIV. gezwungen, sich einer Politik der indirekten Aggression zuzuwenden. Im Osten eignete er sich deutsche Gebiete an, besonders im Elsaß. Sein Ziel bestand im Gewinn des restlichen Burgund, das nach dem Tode Karls des Kühnen 1477 zwischen Frankreich und Österreich aufgeteilt worden war.
Durch Ludwigs brutales Vorgehen bei Eroberungen und der Hugenottenverfolgung wurde die Bildung der Großen Alianz (1689) unter Führung Wilhelms von Oranien provoziert. Dieser hatte nach der Revolution von 1688 und der Absetzung Jakobs II. den Englischen Thron bestiegen.
1697 wurde durch den Frieden von Rijswijk Ludwig XIV. eine erste schwere Niederlage zugefügt.

Ein neuer Zeitabschnitt begann, als Karl II. von Spanien 1700 starb, ohne einen Thronfolger zu hinterlassen. Lange war das bereits befürchtet worden. Doch die Seemächte England und Holland verhinderten eine Teilung der spanischen Herrschaftsgebiete um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, weil sie fürchteten, dass Frankreich durch die Übernahme der spanischen Überseekolonien ebenfalls zur Seemacht aufsteigen könnte.
Es kam zum spanischen Erbfolgekrieg, der durch den Frieden von Utrecht mit einem Kompromiß endete.
Die enormen Kosten der von Ludwig geführten Kriege hatten Frankreich in eine verzweifelte Lage gestürzt. Die Finanzen waren desolat, die Unzufriedenheit im Lande groß. Beide Faktoren machten den Nachfolgern Ludwigs lange Zeit schwer zu schaffen.

3.Die Abteikirche Neresheim als Beispiel zu

Balthasar Neumanns Stil



Geschichtlicher Ãœberblick:

Neresheim liegt im östlichen Baden - Württemberg, zwischen Heidenheim, Aalen und dem bayrischen Nördlingen, auf dem Märtsfeld, einem Ausläufer der Schwäbischen Alb.
Schon im 9. Jahrhundert stand auf dem Ulrichsberg eine beherrschende Burg der Grafen von Dillingen, die über die ganze Gegend als Gaugrafen geboten. Im Jahre 1095 wandelte Graf Hartmann I. seine Burg in ein Chorherrenstift um, das aber schon bald danach, im Jahre 1106, durch Bedediktiner aus dem Kloster Petershausen bei Konstanz übernommen wurde. Im Jahre 1119 kam weiterer Zuzug aus dem Kloster Zwiefalten. Nach dem Aussterben der Dillinger Grafen 1258 unterstellten die Grafen von Oettingen - Wallerstein das Kloster gewaltsam ihrer Vogtei, was zu einem 500jährigen Rechtsstreit führte, bis die Abtei im Jahre 1764 reichsunmittelbar wurde. Jahrhundertelang lebten die schwarzen Mönche des hl. Benedikt als Kolonisten auf dem Ulrichsberg, ertrugen, wie die Chronik berichtet, Hunger und Not, Krieg und Brand, Plünderungen und Flucht.
Eine Blütezeit erlebte die Abtei, als sie unter Abt Johannes Vinsternau (1510 - 1529) die Melker Reform übernahm. Die Reformation hat im Härtsfeldkloster keinen Widerhall gefunden. Abt und Mönche haben sich entschlossen und nachhaltig für die Erhaltung des alten Glaubens eingesetzt.
Die Entwicklung des Klosters wurde durch den Dreißigjährigen Krieg jäh unterbrochen. Im Jahre 1647 zählte das Kloster nur noch 4 Mönche. Doch Ende des 17. Jahrhunderts erhob sich die Abtei wie Phönix aus der Asche. Der neue Geist des Barock führte zu einer Baublüte, die mit der Abteikirche Balthasar Neumanns einen Höhepunkt europäischer Barockarchitektur erreichte. Als der Reichsdeputationshauptschluß im Jahre 1802 die meisten geistlichen Stifte in Deutschland auflöste, hatte auch für Neresheim die Stunde des Untergangs geschlagen, kaum dass die neue, mit großem Aufwand errichtete Kirche vollendet war. Alle einst dem Kloster gehörigen Besitztümer und Gebäude wurden dem fürstlichen Hause Thurn und Taxis zugesprochen. Dieser Zustand währte länger als hundert Jahre, bis Fürst Albert die profanierten Gebäude zusammen mit der Kirche ihrer alten Bestimmung zurückgab, indem er mit päpstlicher Genehmigung heimatvertriebene Benediktiner aus dem Kloster Emaus in Prag nach Neresheim berief und damit dem Orden die Möglichkeit gab, eine siebenhundertjährige Tradition wiederaufzunehmen und das feierliche Gotteslob zu halten. Die kanonische Wiedererrichtung als Abtei erfolgte am 14. Juni 1920 durch Papst Benedikt XV.
In den Jahren 1966 bis 1975 wurde die Abteikirche umfassend saniert und restauriert. Am 9. September 1975 konnte die Wiedereröffnung mit der Weihe des Hochaltars gefeiert werden.

Beschreibung der Kirche:

Äußerlich recht unscheinbar und größtenteils in der damals in dieser Gegend gängigen Form gestaltet, entfaltet die Abteikirche Neresheim von innen ihr ganzes majestätisches Ausmaß. Balthasar Neumann hat dem Licht eine bedeutende Rolle zugewiesen. Die ganze Kirche wirkt wie aus Licht erbaut. Es ist kein Vergleich zu den dunklen Domen wie sie im Mittelalter üblich waren. Neumann lässt das Licht mit voller Wucht einströmen, jedoch so, dass man beim Betreten der Kirche die hinter Säulen verborgenen Fenster nicht bemerkt, was ein vom Barock mit Vorliebe eingesetztes Illusionsmittel war.
Der Grundriß der Abtei ist ein lateinisches Kreuz. Die bei Kirchen sonst üblichen ausgeprägten Querschiffe verkümmern hier zu kleinen, längsgerichteten Ovalen. Das Oval der Hauptkuppel ist ebenfalls längsgestellt, wohingegen sich im Schiff und Chor zwei quergestellte elliptische Flachkuppeln anschließen. So entstanden die sieben, ihre Eigenstädigkeit bewahrend, Kuppelräume. Die Kirche selbst mißt in ihrer Gesamtlänge 83 Meter, wobei schon die von vier freistehenden Säulenpaaren getragene Vierungskuppel allein 24:20 Meter in der Weite mißt und vom Boden bis zum Scheitel eine Höhe von 32 Metern besitzt.
Dehio spricht vom Innenraum der Kirche als von "einem wunderbar schwebendem, schwingenden Reigentanz der Linien". Dieser Eindruck wird von dem sich in einem Bogen von Säule zu Säule schwingenden Hauptgesims erweckt. Die über dem Gesims sich wölbenden Kuppeln greifen in dei dazwischenliegenden Joche über und verbinden so die verschiedenen Raumeinteilungen, die sich aber nicht überschneiden, sondern sich nur berühren. Sie ruhen auf eigenartig geführten, sogenannten
"windschiefen" Doppelgurten, die für Neumann typisch sind.




Dehio sagt, dass mit keinen Worten deutlich zu machen sei, welch rhythmische Wucht und welcher Reichtum der perspektivischen Bilder mit der gegensätzlichen Bewegung der Emporen und der darüber aufsteigenden Wandfläche des Hauptgeschoßes erreicht ist. Die Wandarchitektur selbst ist so komplex, dass es schwer fällt, ihre Vielschichtigkeit zu beschreiben und sie dann auch noch jemandem zu erklären. Dehio hat aber insofern recht, dass man mit jedem Besuch des Klosters ein neues Detail entdecken kann, nicht nur im architektonichen Aufbau, sondern auch in den Deckenfresken Martin Knollers.
Der Kirchenraum wirkt durch seine Kuppeln und Seitenschiffe um einiges größer, als er tatsächlich ist. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Durchflutung der Halle mit Licht. Beeindruckend ist vor allem, dass Martin Knoller es allein durch die geniale Tiefenwirkung seiner Fresken geschafft hat, den Raum für den Betrachter noch höher wirken zu lassen, man beachte dazu besonders die Freske "Der Himmel", in der großen Kuppel der Vierung, in der der Meister sage und schreibe 150 Putten, Engel, Heilige, die vier, den Himmel "stützenden" Evangelisten und Apostel in perfekter Tiefenwirkung darstellte.




Persönliche Meinung zu Balthasar Neumann
und der Abteikirche Neresheim

Stefan Würdinger
Ich denke, man kann Balthasar Neumann als einen der größten Künstler der Barocken Epoche bezeichnen. Sein Schaffen versteht es auch heute noch, Menschen in seinen Bann zu ziehen, obwohl es in unserer Zeit schon viel gewaltigere Bauwerke, wie zum Beispiel das Empire State Building, das World Trade Center oder die Twin - Towers in Kuala - Lumpur (Malaysia) gibt. Wenn man bedenkt, dass sicherlich schon viele große Küstler ihrer Zeit in Vergessenheit geraten sind, ist es erstaunlich, dass sich Menschen auch noch zweieinhalb Jahrhunderte nach Neumanns Tod von seinen Bauwerken in ihren Bann ziehen lassen. Ich finde es bedauerswert, dass das Neresheimer Kloster trotz seiner eindrucksvollen Ausstrahlung lange nicht so bekannt ist wie Vierzehnheiligen oder die Würzburger Residenz, obwohl es mit diesen anderen, bedeutenderen Werken Neumanns durchaus mithalten kann.

Christian Witt
Nachdem wir vor knapp zehn Jahren auf die Alb gezogen waren fingen wir an, praktisch jede Sehenswürdigkeit abzufahren, die wir hier finden konnten. Darunter der Blautopf, das Ulmer Münster, das Wental, die Charlottenhöhle und natürlich das Kloster Neresheim. Nachdem mein Vater darauf bestanden hatte, das Kloster ungefähr zehnmal hintereinander zu besuchen konnten wir ihn endlich davon überzeugen, einmal etwas anderes zu besichtigen. Daraufhin fuhren wir zum "Münster Zwiefalten."
Es war eine herbe Enttäuschung. Das Münster erschlägt einen förmlich mit einem Übermaß an Barocken Verschnörkelungen. Aus allen Richtungen starren Putten, Engel und Heilige auf einen herab, und jede Figur scheint einer anderen Stilrichtung zu entstammen. Es sieht aus als hätte der Bauherr eine ganze Division an Künstlern, Steinmetzen, Handwerkern und Malern, die alle bei weitem nicht die Güte eines Balthasar Neumanns oder eines Martin Knoller erreichten, auf das Münster losgelassen und anschließend versucht das alles irgendwie unter einen Hut zu bringen.
Es wurde alles mögliche und unmögliche des Münsters vergoldet und Verziert, aufgebauscht und übertrieben. So wurden zum Beispiel sogar die Deckenfresken und die Gesimse der Säulen golden umrahmt und die Jungfrau Maria und das Jesuskind mit goldenen Kronen dargestellt.
Wir waren uns alle einig, dass das Münster Zwiefalten einem Vergleich mit der Abteikirche Neresheim bei weitem nicht standhält. Das Kloster wirkt erhabener und reifer und beeindruckt allein durch seine Architektur, die alles in "Bewegung" hält und gar nicht den Eindruck macht als wolle sie willentlich Beeindrucken. Das Münster Zwiefalten dagegen wirkt auf mich einfach nur protzig, als wolle man damit übertünchen, dass es in Wahrheit noch lange kein so vollkommenes Produkt seiner Epoche darstellt als das es nach außen hin wirken möchte.
Ich kann sagen, dass die Abteikirche Neresheim das beeindruckenste ist, was ich in dieser Größenordnung bisher gesehen habe. Balthasar Neumann
hat hier wohl die Summe aller seiner Erfahrungen verarbeitet und damit ein Werk geschaffen, das auch den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Martin Knoller gehört wohl zu den am meisten unterschätzten Malern des deutschsprachigen Raums, wenn man bedenkt, dass alle Farben und jeder Pinselstrich noch genau so aussehen wie damals, als Knoller sich mit Kusshand von seinem Lebenswerk verabschiedete.

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