Nur Sprache durch Erinnerung - Untersuchung zur Po



"Nur Sprache durch Erinnerung"


Untersuchung zur Poetik in Paul Celans Gedichten

"Todesfuge" und "Engführung"

Vorwort



Die vorliegende Arbeit versucht, sich in drei Schritten dem Rätsel der Celanschen Dichtung zu nähern. Nach einem Blick auf die biographischen und historischen Bedingungen, unter denen Celans Lyrik entstand, und auf die eigentlichen "Wurzeln" aller späteren Dichtung Celans, das Frühwerk, folgt eine Analyse der dichtungstheoretischen Schriften Celans und der Metapoesie seiner Gedichte. Der dritte und wesentlichste Schritt besteht schließlich in der Interpretation zweier zentraler Gedichte Celans, "Todesfuge" und "Engführung", zwischen deren Entstehung vierzehn Jahre liegen, die für die Entwicklung der dichterischen Sprache Celans besonders bedeutsam sind. Ein Abschnitt über die Rezeptionsgeschichte der beiden Gedichte beschließt die Arbeit.

"Nur Sprache durch Erinnerung" - damit ist ein Zusammenhang von Sprache und Geschichte angesprochen, dem Celan höchste Bedeutung beimißt; wie eng Sprach - und Geschichtsreflexion bei Celan tatsächlich zusammenhängen, zeigt am deutlichsten eine Analyse der metapoetischen Postulate in den Gedichten selbst, die aus diesem Grund in die Arbeit aufgenommen wurde.

Danken möchte ich Prof. Mag. Dr. Dieter Glasser für die vorzeitige Durchsicht der einzelnen Abschnitte sowie für seine Unterstützung und Beratung.










INHALTSVERZEICHNIS




Vorwort 2

1. Biographische und historische Aspekte 4
1.1. Jugendjahre und Frühwerk 4
1.1.1. Jugendjahre 4
1.1.2. Frühwerk 5
1.3. Hintergrund zur Entstehung von "Todesfuge" 6
1.4. Hintergrund zur Entstehung von "Engführung" 7

2. Literaturtheoretische Reflexionen Celans 8
2.1. Lyrik nach Auschwitz - Adornos Thesen und Celans Standpunkt 8
2.2. "Der Meridian" 9
2.3. Dichtung als Dialog 11
2.4. Metapoetische Reflexionen 12
2.4.1. Linguistische Programmatik 12
2.4.2. Die historische Reflexion im Innern der linguistischen Programmatik 15

3. Die Gedichte "Todesfuge" und "Engführung" 18
3.1. "Todesfuge" 18
3.2. "Engführung" 20
3.2.1. Einführung 20
3.2.2. Interpretation 20
3.3. Vergleich der Gedichte 30
3.3.1. Inhaltlich 30
3.3.2. Formale Aspekte und Sprache 30
3.3.3. Zitate 31
3.3.4. Semantik 32

4. Rezeption und Literaturkritik 35
4.1. "Todesfuge" 35
4.2. "Engführung" 36

5. Zusammenfassung 37

Anmerkungen 38

Anhang
Die Gedichte "ER" und "Todesfuge" 47

Literaturverzeichnis 48

1. BIOGRAPHISCHE UND HISTORISCHE ASPEKTE

1.1. Jugendjahre und Frühwerk

1.1.1. Jugendjahre

"Krieger / stießen den Speer in den Mond."[1]

"[...] es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten." (GWIII, 185)[2] - so wird Paul Celan 1958 vor einem deutschen Publikum die Bukowina, seine Heimat, beschreiben. Als Paul Antschel, Sohn deutschsprachiger Juden, wird er achtunddreißig Jahre zuvor, am 23. November 1920, in Czernowitz am Pruth (damals Rumänien) geboren.
Er leidet in der Kindheit an der Strenge seines Vaters[3] und hält sich stets mehr an die mildere Mutter, die bereits frühzeitig eine Liebe zur Lektüre entwickelt hat und mit der er später im Zitieren deutscher Klassiker wetteifert.[4] Auf ihr Verlangen hin wird im Haus nur Schriftdeutsch gesprochen, während Celan in der Schule Rumänisch und bei einem Hauslehrer (auf Verlangen des Vaters) Hebräisch lernt.[5]
Celans Jugendjahre sind geprägt von ersten Erfahrungen mit judenfeindlichen Positionen; so klagt er bereits im Alter von dreizehn Jahren in einem Brief an seine Tante in Palästina: "[...] was den Antisemitismus in unserer Schule betrifft, da könnte ich ein 300 Seiten starkes Buch darüber schreiben."[6] 1934 wechselt er aus diesem Grund in ein Staatsgymnasium mit einer Mehrheit jüdischer Schüler.[7] Zu dieser Zeit kennt er bereits Berichte über die nach der Machtübernahme Hitlers beginnenden Judenverfolgungen im Deutschen Reich.[8] Nun beginnt Celan, sich mit den Schriften von Marx und Engels[9] auseinanderzusetzen, entwickelt eine linksgerichtete Weltanschauung und beteiligt sich 1935 an einem illegalen Treffen der Antifaschistischen Jugend.[10]
Mit etwa sechzehn Jahren beginnt er, Lyrik zu schreiben,[11] die er bei regelmäßigen Treffen eines Lesezirkels vorträgt. Beeinflußt werden diese ersten Gedichte sowohl von Versen seines jüdischen Klassenkameraden Immanuel Weißglas[12], als auch von Celans damaliger Lektüre (Goethe und Schiller, aber auch Heine, Trakl, Hölderlin, Nietzsche, Verlaine, Rimbaud und später Hofmannsthal und Kafka).[13]
Wenige Monate nach der Matura bricht Paul Celan im November 1938 nach Frankreich auf, um in Tours Vorbereitungskurse für ein Medizinstudium zu absolvieren. Seine Ankunft in Berlin fällt genau auf den Tag nach der "Reichskristallnacht".[14] In Frankreich studiert er die Avantgarde nicht weniger aufmerksam als die Medizin und beginnt, nach seiner Rückkehr in die Heimat, in Czernowitz das Studium der Romanischen Philologie, da die Reise nach Frankreich durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 unmöglich geworden war.[15]
Nach dem Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin und dem Ausbruch des Krieges wird Rumänien gezwungen, die nördliche Bukowina an die UdSSR abzutreten. Im Juni 1940 besetzen russische Truppen Czernowitz. Dadurch verschlechtert sich die Situation der Juden gravierend: Viele werden arbeitslos, viele verschleppt und zu Zwangsarbeit gezwungen.[16] Paul Celan kann sich jedoch durch die Tätigkeit seines Vaters als Bauzeichner und durch das in der Sowjetunion übliche Gehalt der Universitätshörer noch sein Romanistik - Studium leisten.[17]
Völlig unmöglich wird das erst durch den Überfall von Hitlers Armeen auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Sofort nach dem Einmarsch in Czernowitz setzen systematische Liquidierungen durch die SS ein. Die Juden werden der Bürgerrechte für verlustig erklärt, zum Tragen des gelben Judensterns verpflichtet und müssen unbezahlte Zwangsarbeit leisten. Es folgen die Umsiedelung der Juden in ein Ghetto und Wellen von Deportationen nach Transnistrien (in der Ukraine).[18] Im Juni 1942 verliert Paul Celan auf diese Weise seine Eltern. Dieses Erlebnis bleibt dem Dichter ein lebenslanges Trauma; er wirft sich vor, seine Eltern im Stich gelassen zu haben. Der in der Ghettozeit zuvor apathische und energielose Celan wird jetzt zunehmend schwermütiger, leidet an tiefen Schuldgefühlen. Als er im folgenden Herbst vom Tod seines Vaters und im Frühjahr 1943 von der Ermordung seiner Mutter erfährt, verfinstert sich sein Leben völlig.[19]
Um wenigstens selbst der weiteren Gefahr der Deportation zu entrinnen, meldet sich Celan für den Arbeitsdienst. In den folgenden neunzehn Monaten seiner Zwangsarbeit muss er vor allem bei Straßenarbeiten helfen, die mit primitivsten Mitteln (nur Spaten und Schaufel als Arbeitsgerät) ausgeführt werden. Er klagt niemals über die Arbeit, doch selbst spätere Gedichte[20] zeugen noch davon, dass sie ihm in seiner Erinnerung lebendig geblieben ist. Wenn man ihn auf seinen kurzen Heimaturlauben in Czernowitz fragt, was er im Lager mache, antwortet er stets lakonisch: "Schaufeln!"[21]

1.1.2. Das Frühwerk[22]

In den Jahren 1938 - 1944, also kurz vor der "Stunde Null", schreibt Celan der deutschen Tradition entsprossene Gedichte,[23] die gleichzeitig in sie zurückkehren und sich mit ihr auseinandersetzen, aber noch "unverstellt eigene Erlebnisse und Entwicklungen"[24] spiegeln. Seine Lyrik beginnt noch innerhalb der traditionellen lyrischen Sprechweise, sie tritt allerdings bereits in den Jugendgedichten den Weg an, den Celan später die "Absicht des Gedichts" nennt, die überlieferten "Tropen und Metaphern ad absurdum" (GWIII, 199) zu führen.
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stehen Celans Gedichte allerdings noch unter dem Zeichen jugendlicher Romantik - Begeisterung; in traditionellen Formen beschwören sie den Nachtzauber, der "im Mondschein oder im Traum das Wunderbare offenbart."[25] In den folgenden Gedichten wechselt der Ton unter dem Einfluß des Kriegsgeschehens: Die zuvor noch besungene Nacht verwandelt sich in eine bedrohliche Finsternis, die Sprache wird dunkler und stockender, die gebundenen Formen lösen sich auf, Angst und Trauer bestimmen die Atmosphäre, es wird erstmals die Forderung nach einer Verweigerung der "Verklärung" gestellt. Damit wird die Dichtungstradition in Frage gestellt und die dort angelegte Tendenz zur falschen Beschönigung und zur ästhetisierenden Verharmlosung verworfen.[26]
Die Thematisierung des poetischen Sprechens erfolgt bereits sehr früh, die überlieferten Metaphern erfahren "durch das ‚Zerbröckeln‘ der Strophen, durch die unterbrochene Stimmführung, aber auch durch die häufig dunklen und undurchsichtigen Zusammenhänge eine gewaltsame Entfremdung."[27] Damit wird deutlich, dass nicht mehr in diesen Metaphern gesprochen wird, sondern über sie. Erstmals kommt es in diesem Zusammenhang zu einer "Versprachlichung des Celanschen Verstummens"[28] in "Mein Karren knarrt nicht mehr..."[29]. In romantischen Bildern wird eine Nachtlandschaft entworfen, die zunehmend von einer Stille des Todes beherrscht wird. Das Ende des Gedichts - "Das Herz der Espe / setzt aus." - verweist auf das Erstarren des "überlieferte[n] Lied[es] von den Gräsern, dem Mond und den Wäldern."[30] "Mein Wagen knarrt nicht mehr..." ist damit Reflexion und Kritik auf die traditionelle Lyriksprache,[31] poetisierendes Weltgefühl und spätromantisches Naturschwelgen werden negiert.[32]
In allen nachfolgenden Gedichten sind die Symbole der traditionellen Dichtung (z.B. "Mond", "Mohn") zu Chiffren für die verklärende Sprechweise selbst geworden. So auch in "Aus dem Dunkel":
"Krieger
stießen den Speer in den Mond.

Blutete. Auch Mohn
blutet.

5 Und die Brücke, Schwester, zu dir, zerschlugen sie.

Nicht mehr
ist der Stunden Geflüster rings. .

Nicht mehr
ist es dein treibender Zweig. .

10 Spät
knie ich und ruf und zünd in die Spiegel das Traumbild."[33]

Verknappter und stockender Tonfall sowie unregelmäßige "Strophen" deuten auf Auflösung, Zerfall und Disharmonie hin. Das eigene Stocken der Sprache wird mit den Bildern der verstummenden Natur verbunden, Negationen ("Nicht mehr" [6; 8]) beherrschen die Grundstimmung des Gedichts. Zum ersten Mal wird direkt die kausale Bestimmung des Verlusts angegeben: "Krieger / stießen den Speer in den Mond." Die Worte "Krieger" und "Speer" vermitteln den Hintergrund des Krieges und der Gewalt, denen der "Mond" mit seinem ganzen Bedeutungsballast zum Opfer fällt, denn in früheren Gedichten war der "Mond" noch Symbol poetischer Verklärung, Begleiter der Liebenden und "wichtigstes Paraphernalium der nächtlichen Verklärung"[34].
"Blutete. Auch Mohn / blutet." (3f.) kann als programmatische Aufforderung an die Dichtung, die Verletzung des Mondes am eigenen Leib zu vollziehen, verstanden werden.[35] Die zerschlagene Brücke zur Schwester deutet auf die Zerstörung der herkömmlichen Zeichensprache der Liebesdichtung; das Verstummen des "Geflüster[s] rings" (7) meint Absage an das zauberhafte, phantastische Wesen der Natur, deren "treibender Zweig" (9) eben nicht mehr der "organische Ursprung des dichterischen Drangs, der blühenden poetischen Inspiration"[36] ist, nicht mehr Zeichen der Erlösung.
Die letzten beiden Verse beschreiben Celans Verständnis der Dichtung zu dieser Zeit. Der Mond kann nur noch als "Traumbild" (11) in das Gedicht eingebracht werden. Durch das Bewußtsein dieser Unwirklichkeit wird aber eine Distanz zur Poetisierung geschaffen; die Novalische Vorstellung "Der Traum wird Welt, die Welt wird Traum" wird zu einem "Traum vom Traum".
"Zwar kann das dichtende ‚Ich‘ die Welt nicht mehr unmittelbar beschreibend ‚widerspiegeln‘, es kann jedoch seine poetische Vision als ‚Traumbild‘, aus einer bewußten Distanz entwerfen. [...] Als ‚Traumbild‘, das sich seiner ‚Wirklichkeitsferne‘ bewußt ist, bleibt Dichtung noch möglich, wenn sie auch den Gewaltakt der Krieger, die Verletzung des ‚Mondes‘ und des ‚Mohns‘ in sich trägt."[37]

Damit ist für Celan die Frage nach der Bedeutung und Rolle der Lyrik in "finsteren Zeiten" aber noch nicht geklärt. Die Infragestellung der Dichtung zieht sich in verschiedenen Konstellationen als Leitfaden nicht nur durch die Jugendgedichte, sondern durch das gesamte Werk.[38] Im Gedicht "Hieroglyphe"[39] setzt sich Celan etwa mit der romantischen Sprachauffassung auseinander. Novalis‘ utopisches Ziel der Dichtung, Natur und Subjekt im magischen, poetischen Wort zu synthetisieren, wird direkt widerrufen. Die Verse "Harfe, dein Schrei!" und "Frier mit mir, Baum." machen deutlich, dass erst im Schrei der Harfe und im Frieren des Baumes die Verbundenheit der lyrischen Sprache und der Natur mit der leidvollen menschlichen Existenz gewährleistet wäre.[40]
Paradoxerweise erfolgt in den nächsten Gedichten ein Rückgriff auf traditionelle Formen, zunächst allerdings als "Zitat", "als impliziter Widerruf der darin anklingenden Gattungen [...], später als Ausdruck der inhaltlich reflektierten ‚Weltflucht‘ und als Bestimmung des Orts der Hoffnung und des Trosts in der Dichtung selbst."[41] 1942 - 1943 gelangt Celan, nach der Deportation seiner Eltern und seiner Internierung in ein Arbeitslager, zu einem Ton der Desillusionierung und Resignation, der den Sinn des Dichtens - und des eigenen Ãœberlebens überhaupt - in Frage stellt. Die private Trauer um den Verlust der Mutter wird zentrales Thema, beginnend in "Mohn"[42] über die erste Nennung des Wortes "Mutter" in "Winter"[43] bis hin zu "Nähe der Gräber"[44]; darüber hinaus wird diese Trauer auch im späteren Werk noch thematisiert. Wichtig sind diese Gedichte auch deshalb, weil sie versuchen, nicht nur die Ermordung der Mutter, sondern das gesamte damit verbundene Geschehen vor dem Vergessen zu bewahren. So wird das Bestreben, eine Sprache, eine Dichtung zu finden, die diesem Vergessen entgegenwirkt, zum bestimmenden Moment der Celanschen Lyrik.[45]
Unmittelbar vor "Nähe der Gräber" steht das Gedicht "Russischer Frühling"[46], das ebenfalls von "jüdischen Gräbern" spricht. Zahlreiche literarische und zeitgeschichtliche Anspielungen[47] dienen der Gegenüberstellung von romantischen Reminiszenzen und aktuellem Kriegsgeschehen. Damit zeigt sich auch hier eine Gegenposition zur Romantik, die in der Vermischung des Getrennten das starre Verstandesprinzip aufheben und einen Zustand allgemeiner Vermittlung herstellen wollte. Bei Celan betont die Zusammenfügung von Heterogenem (in diesem Fall romantische Verklärung und aktuelles Kriegsgeschehen) im Gegenteil die scharfe Dissonanz.[48] Dieses Prinzip wendet er auch in "Todesfuge" an.

1.2. Hintergrund zur Entstehung von "Todesfuge"

Im Februar 1944 okkupieren die Sowjets im Zuge ihrer Offensive Czernowitz zum zweiten Mal. Celan bezeichnet die Zeit erneuter Unterdrückung später als "Antisemitismus in seiner sowjetischen Spielart"[49], kann aber der Zwangsrekrutierung entgehen, indem er als Arzthelfer in einer psychiatrischen Klinik arbeitet.[50] Um Geld zu verdienen, fertigt er für eine Lokalzeitung Übersetzungen aus dem Rumänischen ins Ukrainische[51] an. Im Herbst beginnt er Anglistik zu studieren und verfolgt erstmals das Ziel, einen Band mit Gedichten zu veröffentlichen. Als einige der nach Transnistrien deportierten Bukowiner nach Czernowitz zurückkommen, darunter Celans Klassenkameraden Immanuel Weißglas und Alfred Kittner, zwei Dichter, die mit ihren Familien die Umsiedlungen überlebt haben, wird dieser noch schwermütiger. Kittner glaubt, Paul Celan müsse "einen schweren, nie überwundenen psychischen Schock erlitten und sein Gewissen schwer belastet gefühlt haben: Es war der Gedanke, dass er vielleicht die Ermordung seiner Eltern im Lager hätte abwenden können, wenn er mit ihnen gegangen wäre."[52]
Ende April 1945 fährt Celan von Czernowitz nach Bukarest ("Die Hauptsache ist, von hier wegzukommen."[53]) - damit beginnt ein neuer Abschnitt in seinem Leben, er überschreitet "neben der politischen auch eine persönliche Grenze."[54] Arbeit findet er bei dem neuen Verlag Cartea Rusa ("Das russische Buch"), wo er Manuskripte lektoriert und russische Literatur ins Rumänische übersetzt. Seine Arbeiten werden gepriesen, er muss aber aufgrund des in Rumänien immer noch wirksamen Antisemitismus seinen Namen Antschel durch ein Pseudonym ersetzen und entscheidet sich letztlich für "Celan" (Anagramm zu Ancel).[55]
In Bukarest findet Celan, nicht zuletzt durch seine Verlagsarbeit, schnell Zugang zum dortigen literarischen Leben, in dem jüdisch - rumänische Schriftsteller einen wichtigen Faktor darstellen. Er knüpft viele neue Freundschaften mit jüdischen Persönlichkeiten, gelangt zu neuer Freude am Leben und entwickelt eine Liebe zu Wortspielen.[56] Dennoch betrachtet Celan die Jahre in Bukarest (April 1945 bis Dezember 1947) als Übergangszeit, in der er Geld verdient, um nach Wien übersiedeln zu können: "Das Erreichbare, fern genug, das zu Erreichende hieß Wien." (GWIII, 185)
Im Mai 1947 erscheint "Todesfuge" als erstes veröffentlichtes Gedicht Celans, zunächst allerdings nur in der rumänischen Ãœbersetzung Petre Solomons unter dem Titel "Tangoul Mortii" ("Todestango"), in der Bukarester Zeitschrift "Contemporanul". Folgende Notiz wird vorangeschickt: "Das Gedicht [...] beruht auf der Beschwörung einer wahren Begebenheit. In Lubin wie in vielen anderen ‚nazistischen Todeslagern‘ zwang man eine Gruppe von Verurteilten, wehmütige Lieder zu singen, während andere Gräber schaufelten."[57] Tatsächlich hat ein SS - Leutnant im Lager Janówska in Lemberg, unweit von Czernowitz, jüdischen Geigern befohlen, einen Tango mit neuem Text namens "Todestango" zu spielen, der bei Märschen, Folterungen, Hinrichtungen und beim Gräberschaufeln erklungen ist. Aber auch in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern verwendeten die Häftlinge die Bezeichnung "Todestango" für jede Art von Musik, die gespielt wurde, wenn eine Gruppe zur Erschießung geführt wurde.[58]

1.3. Hintergrund zur Entstehung von "Engführung"

In Rumänien sieht Celan als deutschsprachiger Dichter im Zeichen des Sozialistischen Realismus keine Zukunft für sich, weshalb er im Dezember 1947 aus Bukarest flieht und über Budapest nach Wien gelangt. Doch diese Stadt enttäuscht ihn aufgrund von immer noch spürbarem Antisemitismus so sehr,[59] dass er bereits im nächsten Jahr (Mitte Juli 1948) nach Paris[60] weiterfährt.
In den folgenden Jahren (1948 - 1952) entstehen kaum Gedichte, Celan schreibt nur über sein "Schweigen, auferlegtes und in sich selber beschlossenes, Schweigen, das ein Nichtreden - können war und solches, das Nichtreden - müssen zu sein glaubte."[61] Um sein Studium der Philologie und deutschen Literatur finanzieren zu können, betätigt er sich als Fabrikarbeiter, Dolmetscher und Übersetzer, er gibt auch Deutsch - und Französischstunden.[62] In Paris hat Celan vor der Bekanntschaft mit seiner späteren Ehefrau, Giséle Lestrange, kaum Freunde,[63] unterhält aber Kontakte zu Freunden aus Wien, Bukarest und Czernowitz und besucht im Mai 1952 ein Treffen der Gruppe 47 in Hamburg.[64] Dort trägt Celan auch die praktisch noch unbekannte "Todesfuge" vor, stößt damit aber auf Ablehnung.[65]
Im Dezember 1952 wird mit dem Erscheinen von "Mohn und Gedächtnis" "Todesfuge" einem größeren Publikum zugänglich.[66] Falsche Angaben zu Celans Leben[67] und Fehlinterpretationen der Gedichte in vielen Rezensionen[68] führen Celan zu dem Entschluß "niemals wieder ein Gedicht wie ‚Todesfuge‘ [zu] schreiben."[69] Das bedingt allerdings keinen thematischen Wechsel seiner Lyrik, sondern vor allem eine Änderung des sprachlichen Ausdrucks,[70] wie (auch) in "Engführung" deutlich wird. Er versucht, seine poetische Formulierung über die bisherigen Grenzen hinaus zu treiben, sie, wie er sagt, an den Rand ihrer Selbstbehauptung zu bringen.[71]
1953 bezichtigt Claire Goll Paul Celan des Plagiats von Wendungen und Bildern aus einem 1951 erschienenen Gedichtband ihres Mannes, was den Verfasser von "Mohn und Gedächtnis" zutiefst kränkt. Obwohl sich die Vorwürfe als haltlos erweisen,[72] wird sich Celan noch lange mit Bitterkeit daran erinnern.
Spätestens ab 1951 beschäftigt sich Celan mit dem Werk Martin Heideggers, er liest auch Hegel, Nietzsche, Schlegel und Fichte, sowie Martin Buber und Gershom Scholem. Ferner kauft er Bücher über Zoologie, Geologie, Mineralogie, Kristallographie, Physik, Anatomie, Vögel, Botanik und insbesondere über Rosen.[73] Wie immens wichtig die Lektüre für die Entstehung von Gedichten bei Celan ist,[74] zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass Randbemerkungen teilweise direkt in seine Dichtung eingehen[75] und er auf Seitenrändern öfters die Sigle " - i - " vermerkt, um erste Ideen für Gedichte zu kennzeichnen.[76]

2. LITERATURTHEORETISCHE REFLEXIONEN CELANS

2.1. Lyrik nach Auschwitz - Adornos Thesen und Celans Standpunkt

Jeder Künstler, der das Thema der Judenvernichtung im Dritten Reich aufnimmt, steht unter dem Zwang, dem Grauen "ästhetisch" gerecht zu werden und geht damit die Gefahr ein, geschichtliches Grauen zu beschönigen. Adorno formuliert deshalb 1951 seine vieldiskutierte These: "[...] nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, [...]."[77] Entgegnungen, die darauf hinweisen, dass nach 1945 Kultur und Literatur in durchaus produktiver Weise weitergegangen seien, stützen sich oft auf ein "scheinheiliges Geschichtsbild purer Nützlichkeit"[78] - eben diese Art der Vergangenheitsbewältigung nennt Adorno "barbarisch". Es gibt gegenüber der Position Adornos aber auch durchaus berechtigte Einwände, etwa von H. M. Enzensberger (1959): "Der Philosoph Theodor W. Adorno hat einen Satz ausgesprochen, der zu den härtesten Urteilen gehört, die über unsere Zeit gefällt werden können: Nach Auschwitz sei es nicht mehr möglich, ein Gedicht zu schreiben. Wenn wir weiterleben wollen, muss dieser Satz widerlegt werden."[79] Adorno entschließt sich daraufhin zu einer gewissen Einschränkung seines Urteils (1962); später (1966) schreibt er sogar: "Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben."[80]
Er weist aber auf die Gefahren hin, die in der Darstellung des Leidens, im "ästhetischen Stilisationsprinzip" des "unausdenklichen Schicksals" liegen, weil auch jene Kunstwerke potentiell "Sinn" und "Genuß" für den Betrachter enthalten, die sich vermeintlich engagieren - und "damit allein schon widerfährt den Opfern Unrecht"[81]. Gedichte nach Auschwitz - und hier stimmt seine Position mit der Celans überein[82] - hält er für möglich, wenn sie dem Leiden Ausdruck verleihen und der Vergangenheit gedenken. Deshalb kommt er auch zu dem Schluß, dass heute "keine heitere Kunst mehr vorgestellt werden kann."[83] Insgesamt sind die Thesen Adornos "Ausdruck einer negativ - dialektischen Denkbewegung zwischen der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Kunst nach Auschwitz: keine positive Synthese wird angestrebt, die Situation der Kunst bleibt für ihn paradox"[84], weil sie zwar "der Aporie anheimfällt"[85], aber dennoch notwendig bleibt, um dem Grauen Ausdruck zu verleihen.
1995 wird erstmals eine Notiz Celans veröffentlicht, die sich direkt auf das Diktum Adornos von 1951 bezieht und in der Celan eine ironische Haltung gegenüber diesem Satz einnimmt:
"Kein Gedicht nach Auschwitz (Adorno): was wird hier als Vorstellung von ‚Gedicht‘ unterstellt? Der Dünkel dessen, der sich untersteht hypothetisch - spekulativerweise Auschwitz aus der Nachtigallen - oder Singdrossel - Perspektive zu betrachten oder zu berichten [...]."[86]

Dass Celan dem Verdikt Adornos dennoch sehr nahe steht, belegt das Gedicht "Ein Blatt", in dem er auf Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen" antwortet ("Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!"[87]):
"EIN BLATT, baumlos,
für Bertolt Brecht:

Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es soviel Gesagtes
mit einschließt?" (GWII, 385)

Allein der Zugriff auf Wörter - in jeglicher Verwendung von Sprache - schließt demnach den Mißbrauch zwangsläufig ein.[88] Adorno, der plante, einen ausführlicheren Essay über Celan zu verfassen,[89] schrieb über dessen Dichtung, sie sei "durchdrungen von der Scham der Kunst angesichts des wie der Erfahrung so der Sublimierung sich entziehenden Leids. Celan Gedichte wollen das äußerste Entsetzen durch Verschweigen sagen. Ihr Wahrheitsgehalt selbst wird ein Negatives."[90]

2.2. "Der Meridian"

"Die Dichtung, [...] - : diese Unendlichsprechung von lauter Sterblichkeit und Umsonst!" (GWIII, 200)

Marlies Janz bezeichnet den "Meridian", Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg - Büchner - Preises im Jahr 1960, als den "Versuch einer Theorie von Lyrik nach Auschwitz"[91]. Diese Rede stellt die wichtigste und umfangreichste dichtungstheoretische Äußerung Celans dar. Jeder interpretative Umgang mit Celans Gedichten sollte mit der Deutung dieser Poetik beginnen, da ein Verständnis seiner Lyrik ansonsten zweifellos Glücksfall bleiben muss[92] - wiewohl gewöhnlich zwischen dem Werk und dessen Rezeption durch den Autor selbst unterschieden wird.[93]
Der berühmt gewordene Satz "[...] sollen wir, [...] Mallarmé konsequent zu Ende denken?" (GWIII, 193) aus dem "Meridian" und ähnliche Strukturmerkmale der Poetiken Celans und Mallarmés veranlassten frühe Interpreten Celans, in ihm einen "Nachfolge[r] des späten Mallarmé"[94] zu sehen, was Celan selbst jedoch mehrfach und zu Recht bestritten hat.[95] Schon 1958 schreibt er:
"Die deutsche Lyrik geht, glaube ich, andere Wege als die französische. [...] Ihre Sprache ist nüchterner, faktischer geworden, sie mißtraut dem ‚Schönen‘, sie versucht, wahr zu sein." (GWIII, 167)

Im "Meridian" nimmt er einige der wichtigsten Postulate der poésie pure zurück und entwickelt in einem kritischen Durchgang durch deren Vorstellungen seine eigene Position:
"Die Frage nach der Möglichkeit des absoluten Gedichts aufgreifend und den Anspruch darauf bekräftigend, gelangt er [...] im Namen einer gleichwohl nicht ästhetisch begründeten Utopie zu poetologischen Bestimmungen, die einerseits der poésie pure verbunden sind, andererseits aber deren artistische Beschränkungen zugunsten eines an jener Utopie orientierten Realismus überschreiten."[96]

Celans ambivalente Haltung gegenüber der poésie pure erklärt sich durch die außerästhetischen Bezugspunkte seines schriftstellerischen Schaffens; W. Menninghaus spricht von einer "geschichtliche[n] Erfahrung und Reflexion im Innern von Celans Intention auf die Sprache"[97] - mit dieser Erfahrung ist die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten von Deutschland ausgehende Verfolgung und Vernichtung der Juden gemeint.[98] Demnach ist Celans Auffassung der Sprache eng mit dem Erleben des Massenmords am jüdischen Volk verbunden. Die Sprache trägt einerseits Mitverantwortung für das Geschehen (weil sie daran teilgenommen hat), ist andererseits aber selbst durch die Auslöschung der Namen der jüdischen Opfer verwundet worden und damit ihrerseits Opfer. Auf der Ebene der Struktur der sprachlichen Zeichen versucht Celan nun Momente aufzufinden, die er analog zu jenen historischen Geschehnissen als "Finsternisse todbringender Rede" (GWIII, 186) versteht. Im Einbringen dieser Momente in das Gedicht liegt die Chance, "die Sprache vom Makel der Duldung maßloser Verbrechen durch die Konfrontation mit ihrer eigenen ‚Dialektik der Vernichtung‘ (Vietta) zu reinigen"[99] - hier erfolgt das bewußte Einbeziehen der Destruktion und des Schweigens.[100] Es handelt sich also um den Versuch, die Sprache bis an ihre Grenzen zu treiben, wo die Voraussetzungen für ein lebendiges Sprechen gegeben sind, dem keine Schuld durch Verschweigen von Verbrechen anhaftet.
Bei Mallarmé ist diese "Durchquerung des Nichts" eine Station auf dem Weg zum Erlangen von Schönheit.[101] Für Celan ist es der Weg des Dichters, der "mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend." (GWIII, 186) Im Zentrum seiner Sprache und poetologischen Vorstellungen stehen die genannten historischen Bezüge - so ist seine Frage zu verstehen: "Aber schreiben wir uns nicht alle von solchen Daten her?" (GWIII, 196) Celan geht es um eine Reflexion der Strategien der Dichtung, wozu er im "Meridian" Kunst und Dichtung einander gegenüberstellt.
Zuerst wird Kunst im Hinblick auf ihre artifiziellen Implikationen charakterisiert, wodurch sie den negativen Beigeschmack von "Künstlichkeit" erhält:
"‚Nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern!‘"[102] (GWIII, 188)
"Die Kunst, das ist, Sie erinnern sich, ein marionettenhaftes, jambisch - fünffüßiges und [...] kinderloses Wesen." (GWIII, 187)

Celan nimmt hier Bezug auf das Kunstgespräch zwischen Danton und Camille in Büchners "Dantons Tod"[103] und bringt so dessen Urteil über eine entleerte, das Leben stilisierende idealistische Kunst ein.[104] Büchner setzt gegen den (kritisierten) klassizistischen Idealismus eine eigene "Ästhetik des Kreatürlichen"[105]. Celan ortet hier ein allgemeines Dilemma der Kunst: Das künstliche Moment macht die Kunst generell fragwürdig.
In "Dantons Tod" personifiziert Büchner diese Problematik. Auf der einen Seite stehen die Revolutionäre, die Gespräche über Kunst führen und am Ende ihren Tod auf dem Schafott kunstvoll für die Nachwelt inszenieren,[106] auf der anderen Seite steht Lucile, die "Kunstblinde" (GWIII, 189), der alles Künstliche fremd ist und die für Celan die Dichtung repräsentiert. Sie sieht nur sprechen, achtet aber nicht auf den Gehalt des Gesagten[107] und ist damit für Celan
"[...] jemand, der hört und lauscht und schaut. .. und dann nicht weiß, wovon die Rede war. Der aber den Sprechenden hört, der ihn ‚sprechen sieht‘, der Sprache wahrgenommen hat und Gestalt, und zugleich auch [...] Atem, das heißt Richtung und Schicksal." (GWIII, 188)

Der Satz "Es lebe der König", den Lucile am Ende des Dramas nach der Hinrichtung ihres Freundes Camille ausspricht, führt zwangsläufig zu ihrer Verhaftung. Für Celan ist es das "Gegenwort, [...] das Wort, das sich nicht mehr vor den ‚Eckstehern und Paradegäulen der Geschichte‘ bückt, es ist ein Akt der Freiheit." (GWIII, 189) Mit diesem "Gegenwort" spricht Lucile ihr eigenes Todesurteil, sie führt ihr Ende herbei, "indem sie lediglich ihrer individuellen, unverfälschten Neigung gehorcht, ohne Effekt oder Wirkung zu kalkulieren."[108] Im Gegensatz zu den Revolutionären, denen es nur um die Wirkung ihrer Worte geht, sie sind daher von "subjektfremden Zwecken bestimmt"[109], lässt sich Lucile nicht im Namen einer Idee niederzwingen, sondern behauptet ihre Subjektivität.
Während die Äußerungen der Revolutionäre Bestandteil der entleerten Kunst geworden sind, weil sie die Vermittlung mit dem subjektiven Leben des einzelnen nicht mehr leisten können, substituiert Lucile deren künstlich gewordenes Pathos durch "ein Sprechen, in dem das Individuum als Atem und Schicksal präsent bleibt. Ihre Sprache ist [...] belebt. Zudem ist ihr subjektiver Protest gegen den Tod des Geliebten zugleich objektiv ein Protest gegen den herrschenden Terror; ihre sofortige Verhaftung belegt dies."[110] Lucile findet also eine Sprache für ihr subjektives Leiden, die zugleich objektiv Widerstand enthält. Diese Sprache bezeichnet Celan als "Dichtung".
"Dichtung, wie sie in der Gestalt Luciles verkörpert ist, zeichnet sich dadurch aus, dass sie wandlungsfähig auf die Wirklichkeit reagiert und ein individuelles ‚Gegenwort‘ formuliert, in der Hoffnung, dass dieses auch über den Einzelnen hinaus Geltung besitzen kann."[111]

Nach Celan bezeugt Dichtung die "Gegenwart des Menschlichen" (GWIII, 190) besonders dort, wo physische und psychische Leiden das Individuum bedrängen.[112]
Obwohl Dichtung und Kunst bisher als Gegensätze behandelt worden sind, legt Celan in der Folge dar, dass Dichtung ohne Kunst nicht bestehen könne. Einerseits muss nämlich die ästhetische Dimension von Sprache im Gedicht künstlerisch entfaltet werden, andererseits muss sich die Dichtung auch einer gewissen künstlerischen Eigengesetzlichkeit unterwerfen, will sie von der Alltagssprache verschieden sein.[113]
Die Kunst bleibt aber ein "Hinaustreten aus dem Menschlichen" (GWIII, 192), das "ästhetische Stilisationsprinzip der idealistischen Kunst tötet durch Abbildung, indem es das Lebendige fixiert."[114] Celan vergleicht das künstlerische Vorgehen mit der mortifizierenden Wirkung eines Medusenhaupts in Anspielung auf Büchners Lenz:
"‚Man möchte ein Medusenhaupt‘ sein, um. .. das Natürliche als das Natürliche mittels der Kunst zu erfassen! [...]
Das ist ein Hinaustreten aus dem Menschlichen, [...] in einen dem Menschlichen zugewandten und unheimlichen Bereich - denselben, in dem [...] die Automaten und damit. .. ach, auch die Kunst zuhause zu sein scheinen." (GWIII, 192)

Büchner, der "Dichter der Kreatur" (GWIII, 192), setzt der tötenden Kunst mit "unvergeßlichen Zeilen über das ‚Leben des Geringsten‘, die ‚Zuckungen‘, die ‚Andeutungen‘, das ‚ganz feine, kaum bemerkte Mienenspiel‘, [...] das Natürliche und Kreatürliche entgegen." (GWIII, 191) Celan sieht darin aber keinen Ausweg mehr, zumal er den mortifizierenden Charakter der Kunst mit der tatsächlichen Vernichtung von Leben verbindet.[115] Damit verschärft sich nicht nur der Gegensatz zwischen Dichtung und Kunst, es stellt sich die Frage nach der Existenzberechtigung der Kunst - und somit auch der Dichtung.[116]
"Der Dichter, der in der gegenwärtigen Epoche, seinem künstlerischen Impuls entsprechend, in den auf der Ebene des Ästhetischen ehemals legitimen Bereich des Inhumanen eintreten will, um im Medium der Kunst ‚Leben um des Kunstwerks willen zu mortifizieren‘ (Janz), sieht sich im Gegensatz zu einem Dichter der Zeit Mallarmés mit der Tatsache konfrontiert, dass in unmittelbarer historischer Nähe eine gigantische reale Vernichtungsmaschinerie am Werke war."[117]

Celan kommt zur Frage:
"Dürfen wir, wie es jetzt vielerorts geschieht, von der Kunst als von einem Vorgegebenen und unbedingt Vorauszusetzenden ausgehen, sollen wir, um es ganz konkret auszudrücken, vor allem - sagen wir - Mallarmé konsequent zu Ende denken?"[118] (GWIII, 193)

Mallarmé vertritt die Position der Kunst, die Celan trotz aller Problematik nicht vollständig zurückweist[119] und als Teil der Dichtung sieht:
"Und Dichtung? Dichtung, die doch den Weg der Kunst zu gehen hat? Dann wäre hier ja wirklich der Weg zu Medusenhaupt und Automat gegeben!" (GWIII, 193)

Auf diesem Weg distanziert sich das Ich des Künstlers oder desjenigen, der Kunst aufnimmt, von sich selbst. "Wer Kunst vor Augen und im Sinn hat, der ist [...] selbstvergessen." (GWIII, 193) Baudelaire und Mallarmé strebten eine Abspaltung des lyrischen Ichs vom Alltags - Ich an, forderten eine Trennung von Kunst und Leben.[120] Für Celan bedeutet das: "Kunst schafft Ich - Ferne." (GWIII, 193) Wie lässt sich nun diese "Ich - Ferne" der Kunst mit der geforderten Hinwendung zur Kreatur in der Dichtung vereinbaren?
"Vielleicht - ich frage nur -, vielleicht geht die Dichtung, wie die Kunst, mit einem selbstvergessenen Ich zu jenem Unheimlichen und Fremden, und setzt sich - doch wo? doch an welchem Ort? doch womit? doch als was? - wieder frei?
Dann wäre Kunst der von der Dichtung zurückgelegte Weg - nicht weniger, nicht mehr." (GWIII, 193f.)

Um zu vermeiden, dass Dichtung den "Weg zu Medusenhaupt und Automat" (GWIII, 193) geht, muss sie also durch die Position der Kunst reflektierend hindurchgehen.[121] Dichtung muss sich im Durchgang durch die Kunst wieder freisetzen, d.h. sie geht zwar den Weg der Kunst, einen Weg des Unheimlichen und Inhumanen, gewinnt aber das Ich schließlich wieder zurück.[122] Diese Freisetzung der Dichtung von der Kunst, die Freisetzung des Ich nennt Celan "Atemwende":
"Dichtung: das kann eine Atemwende bedeuten. Wer weiß, vielleicht legt die Dichtung den Weg - auch den Weg der Kunst - um einer solchen Atemwende willen zurück? Vielleicht [...] schrumpft gerade hier das Medusenhaupt, vielleicht versagen gerade hier die Automaten - für diesen einmaligen kurzen Augenblick?" (GWIII, 195f.)

P. Lacoue - Labarthe definiert Celans "Atemwende" als "Konversion des Ich, das dem Dasein sich öffnet, und, in ihm, dem Menschlichen ‚statt‘ gibt."[123] Sie ist mit einer subjektiven Entäußerung der Kreatur verbunden, die eine notwendige Reaktion auf eine bedrohliche Welt darstellt; Luciles "Gegenwort" etwa entspricht einer solchen Entäußerung. Deshalb vermutet L. Koelle den Ort der "Atemwende" dort, wo der Mensch unfreiwillig und unausweichlich seinem Tod ausgesetzt ist.[124] Der Sinnlosigkeit solcher Situationen werden allein absurde Gesten gerecht.[125]
Die idealistische und mimetische Kunst muss beim Eingedenken an Schreckliches versagen, sie begibt sich stets in die Gefahr, die Todeszone zu ästhetisieren. Auch Adorno schreibt in einem Essay über Arnold Schönberg von "Erfahrungen, welche der Kunst schlechthin sich entziehen"[126].
Im Gegensatz dazu die Dichtung: "Vielleicht darf man sagen, dass jedem Gedicht sein ‚20. Jänner‘ eingeschrieben bleibt?" (GWIII, 196) Das Datum "20. Jänner" taucht am Beginn Büchners "Lenz" auf, es liegt aber nahe, dass Celan damit auch auf den 20. Jänner 1942 anspielt, den Tag der Wannsee - Konferenz in Berlin, an dem die Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde.[127]
Celan stellt einen neuen, absoluten Anspruch an das Gedicht, der im Zusammenspiel von Kunst und Dichtung besteht. Aufgrund dieser inneren Widersprüchlichkeit sagt Celan vom absoluten Gedicht:
"Das absolute Gedicht - nein, das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" (GWIII, 199)

Die inneren Widersprüche der poetischen Sprache können nirgends zu einer endgültigen Auflösung gelangen,[128] die Dialektik von Kunst und Dichtung bleibt bestehen. Der Weg der Dichtung gleicht vielmehr einer Kreisbewegung - deshalb findet Celan schließlich das geeignete Sinnbild dafür: den Meridian[129].
"Ich finde etwas - wie die Sprache - Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei - heitererweise - sogar die Tropen Durchkreuzendes - : ich finde. .. einen Meridian." (GWIII, 202)

2.3. Dichtung als Dialog

"Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem - gewiß nicht immer hoffnungsstarken - Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht." (GWIII, 186)

Mit diesen Worten aus seiner "Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der freien Hansestadt Bremen" greift Celan ein Bild des russischen Dichters Ossip Mandelstamm auf, den Celan als Schicksalsverwandten ansah.[130] In seiner poetologischen Schrift "Vom Gegenüber" schreibt Mandelstamm:
"Der Seemann wirft im kritischen Moment eine versiegelte Flasche ins Wasser des Ozeans, welche seinen Namen enthält und die Aufzeichnung seines Schicksals. Nach langen Jahren, auf einer Dünenwanderung, finde ich sie im Sand; ich lese den Brief und kenne jetzt den letzten Willen des Verlorenen und den Zeitpunkt des Geschehens. [...] Der Brief, den die Flasche in sich barg, war an den adressiert, der sie findet."[131]

Nach Mandelstamms Lyrik - Verständnis ist das Gedicht an keine bestimmte Person gerichtet, hat aber dennoch einen Adressaten: den "Leser in der Zukunft"[132]. Mandelstamm geht soweit, einen prinzipiellen Antagonismus zwischen dem Dichter und seinem konkreten Publikum zu konstatieren, eine Feindschaft zwischen Künstler und Gesellschaft. Der Dichter muss im Gedicht mit jemandem sprechen, den er weder kennt, noch kennenzulernen wünscht, um über die eigenen Worte ins Staunen zu geraten, um von ihrer Neuartigkeit verzaubert zu sein - wenn das Gegenüber bekannt wäre, wüßte der Dichter im voraus, wie es das Gesagte aufnehmen würde. Daraus folgt:
"[...] die Neigung zur Mitteilsamkeit ist umgekehrt proportional unserem faktischen Wissen vom Gegenüber und direkt proportional dem Bestreben, dieses Gegenüber an uns zu interessieren."[133]

Celan hilft die Lektüre Mandelstamms, der ausdrücklich behauptet: "Es gibt keine Lyrik ohne Dialog"[134], mit der Tradition deutscher Dichtung zu brechen, die seit der Romantik eindeutig monologische Züge trägt,[135] besonders Gottfried Benn beharrt auf dem "unbestreitbar monologischen Charakter"[136] der Lyrik.[137] Im "Meridian" hingegen heißt es:
"Das Gedicht ist einsam. Es ist einsam und unterwegs. Wer es schreibt, bleibt ihm mitgegeben." (GWIII, 198)

Das entspricht der "Flaschenpost" Mandelstamms, die die Aufzeichnung des Schicksals des "Seemanns" und seinen Namen enthält.[138] Sprache ist also zunächst "gestaltgewordene Sprache des Einzelnen" (GWIII, 197f.). Celan meint weiter:
"Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu.
Jedes Ding, jeder Mensch ist dem Gedicht, das auf das Andere zuhält, eine Gestalt dieses Anderen." (GWIII, 198)

Damit wird die "Sprache des Einzelnen" zum "Gespräch" - "oft ist es ein verzweifeltes Gespräch." (GWIII, 198) Einige Interpreten gehen davon aus, dass Celan im Gedicht den Kommunikationsakt in reiner Form ausdrücken möchte.[139] Dafür spricht die Äußerung Celans in einem Brief an Hans Bender, er sehe "keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht." (GWIII, 177)

2.4. Metapoetische Reflexionen

"DAS GESCHRIEBENE höhlt sich, das
Gesprochene, meergrün,
brennt in den Buchten, [...]" (GWII, 75)

Dieser Abschnitt soll sowohl der theoretischen (und teilweise auch praktischen) Vorbereitung auf die Analyse des Gedichtes "Engführung" dienen als auch die praktischen Auswirkungen der im "Meridian" formulierten Poetologie Celans aufzeigen und den Zusammenhang zwischen seinen poetologischen und metapoetischen Reflexionen herstellen. Zur besseren Anschaulichkeit wurden auch Interpretationsansätze bestimmter Gedichte unter den jeweils in Frage kommenden Aspekten aufgenommen. Weiters soll dieses Kapitel einen kurzen Überblick über die wesentlichsten Merkmale der metapoetischen Semantik Celans geben.

2.4.1. Linguistische Programmatik

An der besonderen Stellung des Wortes "Name" in der Lyrik Celans (durch seine starke Geladenheit und auffallende Kontinuität) liest W. Menninghaus eine "Intention auf den Namen" ab, die er als "Intention auf die Sprache" versteht.[140] Dadurch ergibt sich eine Verbindung mit Walter Benjamins Sprachphilosophie, die mit dieser "Intention auf die Sprache" "keine bloße Absicht oder ein abstraktes Wollen [meint], sondern die die innere Form eines Sprechens ‚prägende Gewalt‘, die alles ‚Gemeinte‘ durchwaltende ‚Art des Meinens‘, das ‚Prinzip‘ von Sprachgestaltung, nach dem eine Rede (Text) in ihrer (seiner) inneren Form ‚gerichtet‘ ist."[141]
Allgemein gesprochen zeigt sich also, dass es in Celans Gedichten in irgendeiner Weise um eine Motivation des sprachlichen Zeichens geht. Eine auf rein formale Schönheit ausgerichtete Lyrik im Sinn der poésie pure Mallarmés, der es um eine "absolute Motivation des materiellen signifiant jenseits und in bewußter Loslösung vom signifié"[142] geht, kommt dabei schon aufgrund der poetologischen Äußerungen Celans im "Meridian" nicht in Frage.[143] Die Gedichte scheinen daher auf eine Korrelation von Signifikant und Signifikat zu zielen, die gewöhnlich als arbiträr angesehen wird.
"Das von ihm angestrebte ‚Sprechen‘ des ‚Gedichts‘ - so formuliert Celan in offenkundiger Anspielung auf Saussures Unterscheidung von langue und parole - sei grundsätzlich verschieden von dem allgemeinen, arbiträr - differentiellen System der ‚Sprache schlechthin‘. Es solle vielmehr eine ‚Individuation‘ des ‚Sprechens‘ realisieren, die ‚vermutlich auch nicht erst vom Wort her ‚Entsprechung‘‘ sei, also eine innere Beziehung zwischen der materiellen Form der signification und ihrer geistigen Bedeutung herstelle und damit auch das für gewöhnlich als abwesend (‚draußen‘) gedachte signifié nicht - signifikativ=unmittelbar in die materielle ‚Gegenwart und Präsenz‘ des Gedichts einwebe [...]."[144]

Das Gedicht soll also eine Verbindung von Signifikant und Signifikat anstreben, um eine Unmittelbarkeit des Sprechens zu erreichen. Celan wendet sich gegen die "totzuschweigende Zeichen - Zone" (GWII, 91) und spricht ausdrücklich vom "zu versenkenden Zeichen" (GWII, 37) oder von bereits "zusammengetretenen / Zeichen" (GWII, 69) - sein erklärtes Ziel ist, mit W. Menninghaus gesprochen, das "Versenken der semiologischen Differenz"[145].
Zwei Aspekte dieser Differenz stören Celan besonders: die Arbitrarität des Zeichens und die damit verbundene Abwesenheit und Abstraktheit der Bedeutung, die beide durch ein lebendiges Sprechen im Gedicht überwunden werden sollen. Anhand von Beispielen soll vorgeführt werden, wie Celans Gedichte die angestrebte Indifferenz der "signification" thematisieren bzw. auch zu realisieren versuchen.
W. Menninghaus gelingt es zu zeigen, dass sich Celans metapoetische Sprachreflexion einer optischen Metaphorik bedient, die von grell "blendendem Licht" über Zwischenstufen bis hin zum "Schatten" reicht. Das grell blendende Licht bildet durch seine schroffe "Differenz zum Wahrnehmungsapparat des von ihm Geblendeten" und seine "kommunikationsfeindliche Atmosphäre" den negativen Pol und entspricht damit der "in sich unvermittelten, nicht miteinander kommunizierenden"[146] Differenzvon Signifikat und Signifikant. Den Gegenpol dazu bildet der "Schatten".[147]
"SCHWIMMHäUTE zwischen den Worten,

ihr Zeithof -
ein Tümpel,

Graugrätiges hinter
5 dem Leuchtschopf
Bedeutung." (GWII, 297)

Hier zeigen sich weitere Aspekte Celans metapoetischer Metaphorik. Die "Schwimmhäute zwischen den Worten" (1), ihr "Tümpel" (3) und die ‚Gräten‘ sind dem "Leuchtschopf / Bedeutung" (5f.) nicht nur farblich ("grau" - "leuchten"), sondern auch bildlich entgegengesetzt: "‚Häute‘ und ‚Gräten‘ als Gestalten des vermittelnden ‚Zwischen‘ versus unvermitteltes Herausstehen des ‚Leuchtschopfs‘, Vermischtheit der Materien bis zur Ununterscheidbarkeit im ‚Tümpel‘ versus scharfe Konturen des ‚Leuchtschopfs‘"[148]. Diese Gegensätze entsprechen der Opposition von (vertikaler) Differenz und (horizontaler) Indifferenz der "signification".
Den Vorgang des Überführens der semiologischen Differenz in die Indifferenz thematisiert das folgende kurze Gedicht:
"KLOPF die
Lichtkeile weg:

Das schwimmende Wort
hat der Dämmer." (GWII, 268)

Durch das "Wegklopfen" der vertikalen "Lichtkeile" (2) Bedeutung kann die Differenz zwischen Signifikat und Signifikant aufgehoben werden. Der "Dämmer" (4) bewirkt ein Verschwimmen der scharfen Konturen.[149] Sowohl der "Dämmer" als auch die Metapher des "Schwimmens" erscheint in mehreren anderen Gedichten Celans. Schon im Gedicht "Sprich auch du" aus dem 1955 erschienen Band "Von Schwelle zu Schwelle" heißt es:
"[...]
Beim Tode! Lebendig!
15 Wahr spricht, wer Schatten spricht.

Nun aber schrumpft der Ort, wo du stehst:
Wohin jetzt, Schattenentblößter, wohin?
Steige. Taste empor.
Dünner wirst du, unkenntlicher, feiner!
20 Feiner: ein Faden,
an dem er herabwill, der Stern:
um unten zu schwimmen, unten,
wo er sich schimmern sieht: in der Dünung
wandernder Worte." (GWI, 135)

Das Gedicht lässt sich als poetologisch - programmatische Selbstanweisung lesen. Der Dichter soll zum "Faden" (20) werden, der den (hellen) "Stern" (21) mit der "Dünung / wandernder Worte" (23f.) verbindet. Die vertikale Differenz zwischen dem "Stern" und den wandernden "Worten" wird aufgelöst, der "Stern" "schwimmt" in einer horizontalen Ebene mit den "Worten". Das erinnert an folgende Verse aus "Sprachgitter":
"Iris, Schwimmerin, traumlos und trüb:
der Himmel, herzgrau, muss nah sein." (GWI, 167)

Auch hier das Motiv des Schwimmens, ein "Himmel", der "nah" ist (d.h. es gibt keine vertikale Differenz), die Worte "trüb" und "herzgrau" als Gegensatz zum grellen Licht.
Das Gedicht "Bakensammler" aus "Lichtzwang" (1970) spricht ebenfalls von der Aufgabe des Dichters:
"BAKEN -
sammler, nächtlings,
die Hucke voll,
am Fingerende den Leitstrahl
5 für ihn, den einen an -
fliegenden Wortstier.

Baken -
meister." (GWII, 244)

"Baken", Orientierungszeichen auf Verkehrswegen (auch Leuchtzeichen für Schiffe), stehen nach W. Menninghaus in diesem Gedicht für die arbiträren Zeichen,[150] von denen der Dichter, der Bakensammler, "die Hucke voll" (3) hat. Der "Wortstier" (6) stehe für eine "besondere, einzigartige Sprachgestalt"[151], deren Anflug nicht durch die Baken selbst, sondern durch den Bakensammler geleitet werde. Mit dem "Leitstrahl" (4) am Fingerende, möglicherweise dem Schreibmaterial, meistere er gleichsam durch eine Blendung des Blendenden die arbiträren Zeichen.
Der "an - /fliegende[] Wortstier" (5f.) steht im Kontrast zu den arbiträren Zeichen, während allerdings der "Leitstrahl" (4), der den Landevorgang des "Wortstier[s]" (6) regeln soll, dieselben Eigenschaften wie die Baken selbst hat.[152] Die Landung kann nur glücken, wenn dem "Wortstier" (6) die Funktionsweise der Baken - in Form des "Leitstrahl[s]" (4) - entgegengehalten wird. Menninghaus schreibt dazu:
"Das Wort ‚Leitstrahl‘ markiert mithin sowohl die inhaltliche Funktion und die semiologische Form der Bake als auch - eine Art Mimikry - die Strategie dessen, der die arbiträr - instrumentelle Zeichen - Logik, bis zum Ãœberdruß von ihr erfüllt (‚die Hucke voll‘), immanent durchbricht und aus einem Zeichen - Sammler zu ihrem Bewältiger, Ãœberwältiger, kurz: ‚Meister‘ wird."[153]

Wenn der Dichter den "Wortstier" (6) so zur Landung bringt, schafft er aus arbiträren Zeichen etwas Neues und wird dadurch selbst vom Bakensammler zum Bakenmeister. Die neuartige sprachliche Figur, der "Wortstier" (6), kann aber nur im Durchgang durch die Funktionsweise der "Baken" zur Landung gebracht werden - vergleichbar dem im "Meridian" beschriebenen Gang der Dichtung durch die Kunst hindurch.[154]
W. Menninghaus weist ein dichtes sprachliches Beziehungsgefüge nach, zeigt aber gleichzeitig, dass dessen "Vielstelligkeit" nicht mit seiner "Präzision" konkurriert.[155] Das Gedicht aktiviert auf poetische Weise seine Metapoesie: Die Bake als Inbegriff der "zu versenkenden Zeichen" (GWII, 37), "Bakensammler" und "Bakenmeister" als neologische Metaphern für den Dichter. Der Landevorgang des "an - /fliegenden Wortstier[s]" (5f.) (als Einebnung der Differenz) zeigt ebenfalls sehr deutlich eine Opposition zur vertikalen semiologischen Differenz der Baken als arbiträre Zeichen.[156]

Es stellt sich allgemein die Frage nach der Intention des angestrebten "Versenkens" der semiologischen Differenz. Zunächst ließe es sich - rein theoretisch - als eine Intention auf eine "natürliche" Nomenklatur der Dinge verstehen, also auf onomatopoetische Relationen zwischen singulären Worten und singulären Dingen. Obwohl Celans metapoetische Gedichte (durch die Intention auf den "Namen") das zu bestärken scheinen[157] - weshalb viele Interpreten diese Intention nahegelegt haben[158] -, widerspricht hier, nach Menninghaus, die Poetologie der "Meridian" - Rede, die auf ein "signifié sui generis" hindeutet, "das sich durch die Worte hindurch realisiert"[159]. Menninghaus sieht das signifié, das im Gedicht zu unmittelbarer "Präsenz" gelangen soll, "statt auf der atomistischen Ebene singulärer signifiants in der inneren Form, in der strukturellen Bewegung der Worte [...], in demjenigen, was Benjamin eine sprachliche ‚Mimesis‘ im ‚weiteren Sinn‘ nennt [...]."[160] Das scheint viel eher der "Meridian" - Poetologie zu entsprechen, in der die angestrebte "Gegenwart und Präsenz" (GWIII, 198) des Gedichts nicht als Vergegenwärtigung von Dingen in einzelnen Worten definiert wird, sondern als Verbindung der "Gestalt" einer Person und des (historischen) "Neigungswinkels [ihres] Daseins" (GWIII, 197) mit "Gestalt", "Richtung" und "Atem" (GWIII, 188) ihres Sprechens. Deshalb spricht auch Menninghaus von einer "‚magische[n]‘=nicht - instrumentelle[n] Ineinsbildung von (historischer, psychologischer) Subjektivität und der ‚Gestalt‘, der inneren Form ihres Sprechens."[161]
Im "Namen" sieht er den Inbegriff dieser "eigenen Gestalt" des Sprechens, das - "un - /berührt von Gedanken" (GWII, 15) - "Gestalt" und "Richtung" (GWIII, 188) der Subjektivität einer Person und ihrer historischen Bedingungen zum Ausdruck bringen soll.[162] Da sich dieses Sprechen nur im Extremfall direkt in einem singulären Wort ("Name") realisieren kann, hat es ihren "Ort" (GWIII, 199) in der inneren Gestalt des Sprechens.
"KLEIDE DIE WORTHöHLEN AUS
mit Pantherhäuten,
[...]
und lausch ihrem zweiten
und jeweils zweiten und zweiten
Ton." (GWII, 198)

Die angestrebte Sprachform kann sich nicht in verbalen Inhalten der Worte verwirklichen, sondern nur im "zweiten / Ton" einer Sprachbewegung. Es handelt sich in vielen Gedichten um metapoetische Umschreibungen dieser Sprachdimension, "die Humboldt die innere Sprachform und Benjamin die ‚magische Seite der Sprache‘ nennt, ihren ‚physiognomischen Ausdruckscharakter‘ jenseits der ‚verbalen Inhalte‘, kurz: die ‚Sprache der Sprache‘."[163]

Aus all dem resultiert eine Paradoxie von Celans Metapoesie des "Namens". Eine Sprachform jenseits von transportierten Inhalten wird gefordert, während die Gedichte selbst dennoch weitgehend der kritisierten (inhaltstransportierenden) Sprachlogik gehorchen. In nicht - metapoetischen Gedichten finden sich, nach Menninghaus, sogar "stark markierte ‚Bedeutungen‘ im traditionellen Sinn"[164].
Anders betrachtet verwirkliche, so Menninghaus, zumindest die Metapoesie "in manchem bereits an sich selbst, was sie scheinbar nur postuliert"[165]. Das geschehe einerseits durch Parallelismen und Oppositionen der metapoetischen Metaphern ("Licht" - "Schatten") und Motiven, andererseits in der Art der Verwendung des Wortes "Name".
Im Verhältnis zur nicht - metapoetischen Lyrik Celans finde hier wieder die Bewegung einer Vermittlung der Differenz in die Indifferenz statt.
"Beide Momente - der Widerspruch zwischen dem metapoetischen Postulat des Transzendierens instrumenteller Signifikativität und der selbst noch in vielem der kritisierten Sprachlichkeit verhafteten Form sowohl des Formulierens als auch des ‚poetischen‘ Realisierens dieses Postulats einerseits, die immanente Poetisierung der metalingualen Sprachfunktion und damit die Ineinsbildung von Poesie und Metapoesie andererseits - werden [...] immer wieder als ein konstruktives Spannungsfeld von Celans ‚Sprechen‘ erkennbar [...]."[166]

2.4.2. Die historische Reflexion im Innern der linguistischen Programmatik

Celan bezieht die Arbitrarität des Zeichens - wie die Sprachmystik - auf die Motive des Sündenfalls und der Sprachverwirrung von Babel. Babel wird zu einer Chiffre für die Arbitrarität des Zeichens, von dem sich das "lebendige Sprechen" des Gedichts abstoßen muss.[167] Das Besondere an Celans Reinterpretation dieses theologisch - mystischen Erklärungsschemas besteht in dessen nahtloser Verknüpfung mit den historischen Erfahrungen des Faschismus und der Judenverfolgung. Durch diese Verbindung werden die sprachverwirrenden Folgen von Babel aktualisiert und dramatisiert.[168] Die Formulierung "blutschwarz umbabelt" (GWII, 339), "blutschwarz" als Steigerung von "blutrot" bzw. als Beschreibung getrockneten Blutes, verknüpft deutlich die Katastrophe der Konzentrationslager mit der Sprachverwirrung von Babel.
Celan betreibt eine enge Parallelisierung von herrschaftsförmiger Abstraktion in Sprache und Realität:
"Auseinandersetzung mit der ‚Verkrüppelung‘ gesellschaftlichen Lebens durch abstrakte politische Gewalt und mit der ‚Verkrüppelung‘ sprachlichen Lebens durch abstrakt - arbiträre Bedeutungsfunktionen sind für Celan zwei bis zur Indifferenz identische Seiten desselben Abstoßens von ‚huriger‘ und ‚umbabelter‘ [...] Abstraktion: [...]."[169]

Anhand zahlreicher Beispiele weist W. Menninghaus die Bedeutung des Wortes "Baum" (Baum des Lebens, Baum der Erkenntnis) in Celans Darstellung des "Sündenfalls" von Sprache (Babel) und Realität (Auschwitz)[170] nach und zeigt, dass die Metaphorik des Brennens, Glühens und Strahlens die Evokation faschistischer Vernichtung mit der sprachreflexiven Licht - Metaphorik verbindet und ihr entspricht. Damit leistet Celan "auch im metaphorischen Volumen der (metapoetischen) Sprache selbst die Verschränkung von Sprach - und Geschichtskritik."[171] Parallel dazu entspricht die Metaphorik des "Schattens" (und "Atems") als unmittelbare "Präsenz" des Sprechens dem "Postulat einer sich selbst bestimmenden Individualität [...] als der Voraussetzung der Überwindung politisch - gesellschaftlicher Fremdbestimmung"[172].
Abschließend sollen diese Aspekte am Gedicht "Deine Augen im Arm", das allerdings keine mystisch - theologischen Topoi zitiert, nachgewiesen und veranschaulicht werden.[173]
"DEINE AUGEN IM ARM,
die
auseinandergebrannten,
dich weiterwiegen, im fliegen -
5 den Herzschatten, dich.

Wo?

Mach den Ort aus, machs Wort aus.
Lösch. Miß.

Aschen - Helle, Aschen - Elle - ge -
10 schluckt.

Vermessen, entmessen, verortet, entwortet,

entwo

Aschen -
Schluckauf, deine Augen
15 im Arm,
immer." (GWII, 123)

Die "auseinandergebrannten Augen" verweisen auf einen beschädigten Zustand des Angesprochenen, wobei die elliptische Grammatik der ersten Strophe offen lässt, ob das Subjekt der Verse ein angesprochenes Du oder ein sich selbst zum "Weiterwiegen" aufforderndes Ich ist. Das "Weiterwiegen" kann als Appell zum Durchhalten und Weitermachen, Weiterleben trotz der erwähnten Verletzung verstanden werden. Mit dieser Situation vergleichbar ist die Verfassung der Juden, die die nationalsozialistische Ära überlebt haben. Der "Herzschatten" (5) bezeichnet offenbar dasjenige, das vom Brand geschützt oder zumindest verschont worden ist.[174]
In der zweiten Strophe - "Wo?" (6) - wird nach dem Ort des "Weiterwiegens" gefragt, dem eine Reihe von Antworten folgen, "die den Gegensatz von Brand und Schatten, [...] einer Metapoesie des ‚Wortes‘ einbeschreiben und in sich die Bewegung vom abstrakt - arbiträr ‚brennenden‘ Wort zum ‚schattenverheißenden Baumwort‘ (= ‚Name‘) sowohl postulieren als auch vollziehen."[175]
"Mach den Ort aus, machs Wort aus.
Lösch. Miß."

Dazu schreibt Menninghaus:
"Ort und Wort ‚ausmachen‘ kann einerseits heißen, die lebensvernichtende Abstraktion (Brand) in Geschichte wie Sprache zu tilgen, zu ‚löschen‘. Andererseits und gleichzeitig dagegen, den lebensermöglichenden (Herz - )‚Schatten‘ in Realität und Sprache zu entdecken, ihn auszumessen, zu ermessen. Des weiteren realisiert diese - durch den Vers ‚Lösch. Miß.‘ auch explizit auseinandergelegte - Ambivalenz von ‚ausmachen‘ bereits eben dasjenige, was sie postuliert. Indem die Worte in und an sich selbst zu einem sprachlichen ‚Leben‘ gebracht werden, wird ihr bloß ‚dienender‘ Status ‚ausgemacht‘ im Sinne von ‚gelöscht‘ und ihre expressive Potenz ‚ausgemacht‘ im Sinne von ‚ausgemessen‘."[176]

Diese doppelte Ambivalenz von "ausmachen" (in der "primären" Semantik und in der Beschaffenheit der Sprache selbst) wird in die folgenden Verse aufgenommen:
"Aschen - Helle, Aschen - Elle - ge -
schluckt."[177]

Die "Aschen - Helle" (9) stellt eine Verbindung mit den "auseinandergebrannten Augen" der ersten Strophe her und wird gleichzeitig zur "Aschen - Elle" (9), einem Maßstab also, der sich auf das "ausmessen" ("Miß." [8]) und "ausmachen" in der dritten Strophe zu beziehen scheint. Den politisch - moralischen Gehalt der Verse hält Menninghaus so fest:
"Celan sieht in dem vergangenen Leid ["Aschen - Helle"] den Maßstab ["Aschen - Elle"], an dem die angestrebte Positivität in Realität (‚Ort‘) und Sprache (‚Wort‘) sich auszurichten hat, eine leidvolle, ‚bittere Pille‘, die ‚ge - /schluckt‘ werden muss."[178]

Gleichzeitig hat das Wort "ge - /schluckt" (9f.) aber noch eine unmittelbar negative Bedeutung:
"[...] die ‚Asche‘ als die ‚Elle‘ gegenwärtiger und künftiger Praxis ist bereits ‚ge - /schluckt‘, nämlich aus dem Erfahrungshorizont verdrängt und vergessen worden."[179]

Die folgende Strophe stellt wieder eine Verbindung mit der in der dritten Strophe festgestellten Ambivalenz her:
"Vermessen, entmessen, verortet, entwortet,"

"Vermessen" (11) im Sinne von "anmaßend", "überheblich" erzeugt einen negativen Impuls, wodurch die positive Konnotation von "Messen" als produktives Erschließen von "Ort" und "Wort" in Frage gestellt wird und so Ort und Wort als das zu "Löschende" ("Lösch." [8]) in den Vordergrund gerückt wird. Das zweite Wort dieser Strophe und Verzeile - "entmessen" (11) - ergänzt, nach Menninghaus, die Bedeutung eines "Befreiens von negativen Formen äußerlicher Erfassung und Markierung (man denke z.B. an die ‚Vermessung‘ der Juden vom Judenstern bis zur KZ - Nummer)."[180] Damit entspräche dieses "entmessen" (11) dem positiven und angestrebten "verorten", das dann zugleich ein "entworten" wäre - und zwar "im Sinne der Ãœberwindung einer - mit der abstrakten Herrschaftsförmigkeit der Realität analogen - arbiträr - instrumentellen Sprachlichkeit"[181].
In der folgenden Strophe wird dieses "entworten" am Wort selbst vollzogen:
"entwo"

Diese "Wortruine" ist wiederum zweierlei: Zum einen "unmittelbarer Vollzug der Negation instrumenteller Semantik" und zugleich "Position bzw. Richtung auf eine aus sich selbst lebende ‚Präsenz‘ und ‚Gestalt‘ von Sprache"[182].
"Aschen -
Schluckauf, deine Augen
im Arm,
immer."

Der "Schluckauf" (14) dürfte Celans Forderung nach einer "unabdingbaren Vielstelligkeit des Ausdrucks" (GWIII, 167) genügen. Nach Menninghaus spielt er erstens er auf das "Aufstoßen" derer an, die das vergangene Leid einfach folgenlos hinunter - "schlucken", zweitens darauf, dass dieses (negative) Schlucken nicht gut bekommt oder bekommen wird. Drittens "reaktiviert er auch das Motiv der Umkehrung des Leids [...] und damit der verändernden Aneignung von Realität und Sprache (‚Ort‘ und ‚Wort‘) im Bewußtsein leidvoller Erfahrungen (‚Aschen - Helle‘ als ‚Aschen - Elle‘)."[183] Vor allem an die dritte Bedeutung schließt die Wiederholung von "deine Augen / im Arm" (14f.) an; das "Weiterwiegen" wird durch das abschließende "immer" (16) verewigt.

Diese Interpretation des Gedichts bestärkt die anfangs vorgestellte Theorie einer Verschränkung von Sprach - und Geschichtskritik bzw. Sprach - und Geschichtsutopie. Aufgrund dieser Verschränkung aber ist Celans Intention auf eine Sprache jenseits der "totzuschweigenden Zeichen - /Zone" (GWII, 91) (d.h. jenseits der semiologischen Differenz) konstitutiv gebrochen; die Sprache kann sich nicht vom grellen "Lichtzwang" (so der Titel eines Gedichtbandes) der sprachlichen Abstraktion und vom arbiträren "Leuchtschopf / Bedeutung" (GWII, 297) lösen. Denn nach Celan ist das Gedicht "nicht zeitlos" (GWIII, 186), sondern "wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend" (GWIII, 186), weshalb seine Sprache an zeitlich - historische Wurzeln gebunden bleibt. Das bedeutet, dass der "unerhörte Anspruch" (GWIII, 199) des Gedichts nicht in "absoluter" Weise erfüllbar ist, und erinnert an die Worte aus dem "Meridian":
"Das absolute Gedicht - nein, das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" (GWIII, 199)

Die Parallele ist offensichtlich: Celans Gegenüberstellung von Kunst und Dichtung im "Meridian" entspricht der Gegenüberstellung von semiologischer Differenz und Indifferenz in der Metapoesie seiner Gedichte. Wie die Dichtung den "Weg der Kunst" (GWIII, 193) gehen muss, kann auch die semiologische Indifferenz nicht jenseits von signifikativer Bedeutung existieren, sondern muss ebenso durch diese hindurch gehen. Auch in den metapoetischen Gedichten thematisiert Celan diese Dialektik seines "Sprechens" - und zwar hauptsächlich im ambivalenten Motiv des "Spiegelns":
"Wo immer dieses Motiv begegnet, bringt es gleichzeitig zweierlei zur Darstellung. Einerseits, in Ãœbereinstimmung mit der negativen Lichtmetaphorik, die unauratisch - reflektorischen ‚Blendeffekte‘ sprachlicher wie realer Gleichgültigkeit und Abstraktion. Andererseits, als Spiegeln in zweiter Potenz, das Zurückwerfen und immanente Ãœberwindung der kritisierten Geschichts - und Sprachverfassung mit deren eigenen Mitteln."[184]

3. DIE GEDICHTE "TODESFUGE" UND "ENGFüHRUNG"

3.1. "Todesfuge"

Schon der Ausdruck "Todesfuge" birgt eine unversöhnliche Zusammensetzung: Tod und Musik, Nichtigkeit und Ordnung. Die Umbenennung von "Todestango" in "Todesfuge", die Celan 1947 vornimmt, erweitert zudem die Bedeutung des Titels: Die Kunst der Fuge war die musikalische Summe des Schaffens von Johann Sebastian Bach, einem "Meister aus Deutschland". Jetzt wirft der Terminus "Todesfuge" einen "Schatten des Zweifels auf diesen Gipfel der Musik, welche ihrerseits der Inbegriff von Kunst ist. Jener Zweifel war bereits unüberhörbar, als Fugen von Bach vor dem Wohnhaus des Auschwitzer Lagerkommandanten erklangen."[185] Mit der Verbindung von Tod und Musik greift "Todesfuge" auch in eine Tradition deutscher und österreichischer Kultur ein,[186] die sie gravierend modifiziert, denn "die Negation aller Werte der Welt [ließ] doch die Musik und die Idee der Musik grotesk werden."[187]
Etwa im gleichen Zeitraum (1944 - 45) wie "Todesfuge" entsteht das Gedicht "ER" von Immanuel Weißglas[188], das für den Werdegang von Celans Text von großer Bedeutung ist. Es ist im Gegensatz zu "Todesfuge" in einem konventionellen Formschema (vier Strophen aus fünfhebigen, jambischen Vierzeilern in Kreuzreimen) verfaßt, während es inhaltlich offensichtlich Ähnlichkeiten gibt. Von einer "Abhängigkeit der ‚Todesfuge‘ von diesen nur wenige Monate zuvor verfaßten Versen"[189] zu sprechen, wäre allerdings übertrieben, da Celans formale Gestaltung, Komposition, Sprachbehandlung, die bildliche und motivische Spannungsweite und der ausdrucksmäßige Gesamtduktus in eine diametral andere Richtung weisen. Zudem enthält Weißglas‘ Gedicht perspektivische Ungenauigkeiten,[190] eine Unangemessenheit des sprachlichen Ausdrucks[191] sowie eine unangenehme Affinität zu anachronistischem Wortmaterial,[192] wie Theo Buck zeigt und damit zu dem Schluß kommt: "Verbrauchte Wörter, verbrauchte Bilder, schiefe Formulierungen und unpassende Vergleiche machen den Text insgesamt unbrauchbar."[193]
Dennoch dient dieses Gedicht Celan als Grundlage für einen neuen Text,[194] in den er viele Motive und Bilder direkt übernimmt[195] - er verwirft allerdings Wendungen, die ihm vermutlich zu antiquiert, verbraucht oder zu subjektiv erscheinen. Die Verse 9 und 10 aus "ER" ("Und wenn die Dämmrung blutig quillt am Abend, / Öffn‘ ich nachzehrend den verbissnen Mund") beeinträchtigen etwa mit ihrem Pathos die gebotene Intensität und würden außerdem "die Semantisierung der Technik der kurzen, harten Fügung von Hauptsätzen gestört und unmöglich gemacht haben."[196] "Todesfuge" wird von einem einfacheren Sprachduktus beherrscht, der bei vermindertem Pathos die Eindringlichkeit der Aussage steigert.
Celan verwendet Parataxe, woraus sich eine relative Selbständigkeit und Abgeschlossenheit der Rede - und Leseeinheiten ergibt, die die Möglichkeit der Einzelteile erhöht, Korrespondenzen herzustellen. Gottfried Schneider leitet davon den Begriff der "Flächenhaftigkeit" des Textes her:
"Das Gedicht erhält eine neue Dimension dadurch, dass die Leseweise nicht mehr linear sein muss. Die Fugentechnik produziert [...] eine Topographie zu den Topoi. Die Interpretationsweisen gehen von den Texteinheiten aus, die entsprechende Signale aus korrespondierenden oder kontrastierenden Reihen auffangen und resonieren lassen können."[197]

So können auch zyklische und prozeßhafte Veränderungen dargestellt werden. Dieses Verfahren findet ihre musikalische Entsprechung eben in der Fuge, welche einen mehrstimmigen Satz in strengster Form kontrapunktorisch organisiert. Theo Buck spricht von einer "quasi musikalische[n] Komposition mit Worten", von einer "in die Sprache überführte ‚Kunst der Fuge‘."[198]
Den Punkt zum Kontrapunkt bildet die Wortgruppe "Schwarze Milch der Frühe" (1, 10, 19, 27), und die weitere Folge "wir trinken sie abends / wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts / wir trinken und trinken" (1ff.). Drei poetische Techniken lassen sich hier aufzeigen: das Oxymoron "Schwarze Milch", die Genitivmetapher "Schwarze Milch der Frühe" und die anaphorische Folge von "trinken" + Zeitangabe.
Gottfried Schneider versucht das Oxymoron "Schwarze Milch" aufzulösen, indem er zwei Kontextreihen mit äquivalenten Signalen aus dem Gesamttext extrapoliert:
"Für ‚Schwarz‘ ließe sich die Reihe aufstellen: Schwarz - dunkel - in Deutschland - Nacht - Grab - Tod - Asche - Rauch. Man beachte, dass hier vorwiegend Substantiva angeboten werden und damit zugleich als charakterisierend die Statik und Abstraktheit des Nomens.
Dieser Reihe kann die ‚Milch‘ in der semantischen Kongruenz von: Milchtrinken=Leben gegenübergestellt werden. Dann vor allem die dynamische Bewegung von ‚wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken‘."[199]

Die erste Reihe kann unter die Kategorie des Todesprinzips gestellt werden, die zweite unter die des Lebensprinzips. Die kühne Metapher "Schwarze Milch der Frühe" kombiniert die beiden.
Gerade das Oxymoron "schwarze Milch" hat aber Wurzeln in Texten anderer, wobei verschiedene Quellen in Frage kommen:[200] Rose Ausländers Gedicht "Ins Leben"[201], Alfred Margul - Sperbers Gedicht "Ferner Gast"[202], sowie verschiedene Bildformeln mit vergleichbaren Konnotationen bei Trakl ("schwarzer Frost", "schwarzer Schnee", "schwarzer Engel", "schwarze Sonne" etc.). Wenn man so will, kann man diese Metapher bis ins Alte Testament zurückverfolgen.[203]
Das Gleiche gilt bezüglich des Figurengegensatzes von Margarete und Sulamith. Dem deutschen, blonden Gretchen (Anspielung auf Goethes Faust) wird in der Gestalt Sulamiths das exemplarische jüdische Frauenbild im "Hohenlied" gegenübergestellt.[204]
Viele weitere Bezüge lassen sich feststellen, die die Celan - Philologie mit "immer neue[m] Finderglück"[205] aufgedeckt hat. Anspielungen auf Bilder von Rilke und Trakl[206], auf Heines "Die schlesischen Weber", auf Puccinis "Tosca" fließen in diesem Gedicht zusammen.[207] Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, was Celan mit diesen Übernahmen bezwecken wollte. Theo Buck meint:
"Das zu registrierende Weiterdichten mit dem poetischen Material anderer ist, einmal abgesehen von der spätzeitlichen, alexandrinisch - eklektischen Komponente, zu verstehen als ein ebenso souveränes wie produktives Spiel mit Formeln der Lyriktradition. [...] in solcher Evokation und Wiederholung [liegt] ein aufhebender Gegenwurf, der - gleichsam überprüfend - die konventionell festgeschriebenen Sinnbezüge in Frage stellt [...]."[208]

Wie schon im Frühwerk setzt sich Celan hier also produktiv mit der Tradition auseinander. Zudem dienen die poetisch transformierten "Zitate" der von ihm angestrebten Verbindung von Konkretheit und Gleichnischarakter, denn die Montage etablierter lyrischer Wendungen erlaubt ihm die nötige Entsubjektivierung des ihn existentiell betreffenden Gegenstands.[209] Celan geht es jedoch ohnehin nicht um mimetische Repräsentation, sondern darum, die erfahrene und erlebte Wirklichkeit vor dem Vergessen zu bewahren. Die gebrauchten Metaphern vermeiden in diesem Sinn, das Vernichtungsgeschehen direkt nachzubilden und damit zu poetisieren. Theo Buck kommt so zu dem Schluß, es handle sich um "kein Gedicht über Auschwitz, [...] sondern eine lyrische ‚Fuge‘ des Erinnerns."[210]
Dem entspricht nun wieder die "bis ins Detail durchkomponierte Wortpartitur"[211], die mit Wiederholung, Antithetik und ihrer Vermischung arbeitet. Lyrische Strategien sind dabei etwa die Kombinatorik[212] und die Modulation[213], welche ohne ein konsequent umgesetztes parataktisches Darstellungssystem (radikale Nebenordnung der Sätze, Teilsätze und Satzteile; gleitende Übergänge; ausgesparte Interpunktion; häufige Enjambements) weitaus weniger wirksam wären. Auch die nur angedeutete strophische Gliederung unterstützt dieses Konzept; erst bei genauerem Hinsehen werden vier Teile erkennbar, die jeweils mit der Zentralmetapher ("Schwarze Milch der Frühe") eingeleitet werden.
Die durchgängige Antithetik des inhaltlichen Ablaufs findet ihre Begründung im "imitierenden kontrapunktischen Stil"[214] der Fuge. Die Gegensatzpaare werden einander kontrapunktisch gegenübergestellt: "wir" - "er", "schwarz" - "blau", "aschen" - "golden", "Sulamith" - Margarete", ausgelieferte Opfer ("wir trinken") - kommandierender Täter ("er pfeift", "er befiehlt", "er ruft" etc.).
"Die eine Seite bilden [...] die ‚Trinkenden‘, das heißt die Objekte deutscher Judenvernichtung; auf der anderen Seite steht der ‚Tod‘ als ‚ein Meister aus Deutschland‘."[215]

Metaphorische Linien ergänzen die kontrapunktische Konstruktion, wie bereits oben am Beispiel der "schwarze[n] Milch" gezeigt wurde, die Lebens - und Todesprinzip in sich kombiniert, wobei allerdings letzteres ausschlaggebend ist. Denn das adjektivische Beiwort "Schwarz" zerstört die positiven Implikationen des Substantivs "Milch", so dass sich die "lebenspendende Kraft der weißen Flüssigkeit" in ihr "verdorbenes und Verderben bringendes Gegenteil"[216] verkehrt. Die der Zentralmetapher folgenden temporalen Zuweisungen deuten in diesem Sinn auf eine schwer zu bestimmende Grenzzone des Übergangs vom Leben zum Tod, aber auch umgekehrt vom Tod zu neuem Leben.[217] Während so gegenwärtiges Leben als Leiden erfaßt wird, liegt im Sterben zugleich die Möglichkeit eines Lebens jenseits der Leiden.[218]
Durch die tragende Metapher "Schwarze Milch der Frühe" wird so die Tatsache der Menschenvernichtung vermittelt, ohne dass konkret von "Gaskammern" oder "Verbrennungsöfen" gesprochen wird. Auf diese Weise gelingt es Celan, das in seiner Totalität sonst Unsagbare zur Sprache zu bringen. Es ist deshalb verfehlt, von einer Verbundenheit der Zentralmetapher mit dem Surrealismus zu sprechen, da sie keinem spontanen Traumbild entspricht, sondern "auf exakter Erkenntnis beruht"[219]. Wie sehr Celan um die Gestaltung des Konkreten bemüht war, beweisen etwa die detailgetreue Darstellung des Mörders mit den "blauen Augen" und die Formulierung "wir schaufeln ein Grab in den Lüften"[220]. Selbst wenn ganz unmittelbar archetypische Zusammenhänge einbezogen werden, wie beim "Spiel" "mit den Schlangen", ist klar, was konkret gemeint ist. Es handelt sich stets um die "signifikante Inkarnation jener diabolischen Spannung von Ästhetik einerseits, Barbarei, Verbrechen, Gewalt und Vernichtung andererseits, die das Schöne zum Greuel denaturiert."[221] Die traditionsreiche Metapher wird so durch "Kontextdetermination" der Sinnebene des Gedichts einverleibt. Celan selbst spricht von der Notwendigkeit einer "aktualisierte[n] Sprache" (GWIII, 197) in der Literatur.
Der Gedichttext ist insgesamt zu verstehen als die Stimme der Leidenden, denen der Verursacher des Mordens als ein "Meister aus Deutschland" gegenübersteht.[222] Wie widerspruchsvoll eine Charakteristik dieses Mannes sein muss, zeigt sich schon in den ersten Zeilen. Es werden kunstvoll zwei Texte ineinandergefügt:
Text 1: "Ein Mann wohnt im Haus der spielt [...] der schreibt [...] dein goldenes Haar Margarete / er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne" (5ff.)
Text 2: "der spielt mit den Schlangen [...] er pfeift seine Rüden herbei / er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde" (5ff.)
Text 1 ermöglicht einen Makrokontext von deutscher Idyllenhaftigkeit, während Text 2 bereits die sadistisch - diabolischen Züge des Mannes zeigt.[223] Dieser "menschliche Vulgärromantiker und Mordästhet"[224] verkörpert den banalen Prototyp der tötenden "Herrenrasse".
Die Leidenden beschreiben aber nicht nur ihren gewaltsamen Tod, sondern bewahren ihn mittels ihrer Vergegenwärtigung auf, wodurch die personalen Perspektiven aufgerissen werden. Damit wird das Sprechen der Opfer zum an die Überlebenden adressierten Totengedenken.[225] Hier zeigt sich die dialogische Ausrichtung der Todesfuge.[226] Sie wird zum poetischen Notat eines Erinnerungsvorgangs im Wissen, dass das Geschehene eine völlige Zurücknahme der tradierten Sinn - und Wertordnung bedingt.[227]

3.2. "Engführung"

3.2.1. Einführung

"Engführung" (1958 entstanden) kann als eine Art "Gegenentwurf" zu "Todesfuge" verstanden werden; schon die Form zeugt von einem entscheidenden konzeptionellen Wechsel. Systematische Konterdetermination[228], fragmentierende Wort - und Satzbrechungen und die generelle Reduktion des Ausdrucks bilden eine neue lyrische Textur, durch die dem Einzelwort verstärktes Gewicht gegeben wird. Celans neuer Ausdrucksgestus zielt so auf den Abbau bedeutungsmäßiger Determination und damit auf die Auslösung kreativer Impulse - die Texte sind daher denotativ angelegt. Das bedeutet einen Abschied von mimetischen Praktiken "bebilderte[r] Sprachen" (GWI, 213) in ihrer Einsinnigkeit zugunsten semantischer Offenheit und Dynamik. Celan selbst soll gesagt haben: "Ich trachte sprachlich wenigstens Ausschnitte aus der Spektral - Analyse der Dinge wiederzugeben, sie gleichzeitig in mehreren Aspekten und Durchdringungen mit anderen Dingen zu zeigen: mit nachbarlichen, nächstfolgenden, gegenteiligen. Weil ich leider außerstande bin, die Dinge allseitig zu zeigen."[229] Immer aber bleiben Celans Gedichte auch ihrer "Daten eingedenk" (GWIII, 196), weil in ihnen der Autor "mit seinem Dasein zur Sprache" (GWIII, 186) geht.
Wie auch in "Todesfuge" bedient sich Celan in "Engführung" einer Kompositionstechnik, die aus dem Bereich der Musik stammt. "Engführung" heißt "eine Reihe von dicht aufeinander folgenden imitierenden Einsätzen [im letzten Teil der Fuge], wobei das Thema in einer neuen Stimme erklingt, bevor die alte dieses beendet hat [...]."[230] In Celans "Engführung" "erklingen" insgesamt neun Stimmen, deren Einsatz jeweils durch ein Sternchen (*) angekündigt wird; die Frage nach der Verteilung der Stimmen ist wesentlich für jede Interpretation.[231]

3.2.2. Interpretation

Durch den Bezug zu "Todesfuge" im Titel wird die Erwartung geweckt, auch dieses Gedicht behandle das Thema der Vernichtungslager - es wird sich zeigen, dass Celan in "Engführung" aber nicht nur die Thematik der historischen Erfahrung ausweitet, sondern diesen Bereich zusätzlich mit der Sprachproblematik überblendet.
In der folgenden schrittweisen Interpretation soll eine Synthese verschiedener, teilweise gegensätzlicher Deutungsversuche - soweit möglich - angestrebt werden, ohne dabei die "unabdingbare[] Vielstelligkeit des Ausdrucks" (GWIII, 167) zu beeinträchtigen, wohl aber mit dem Ziel, die Intention des Gedichts mit möglichst hoher "Präzision" (GWIII, 167) zu bestimmen.
Die ersten Verse lauten:[232]
*

VERBRACHT ins
Gelände
mit der untrüglichen Spur:

Gras, auseinandergeschrieben. Die Steine weiß,
5 mit den Schatten der Halme:
Lies nicht mehr - schau!
Schau nicht mehr - geh!

Das Partizip Perfekt Passiv "verbracht", mit dem der Text einsetzt, deutet auf eine unfreiwillige Verbringung an einen Ort, der scheinbar als bekannt vorausgesetzt wird. Marlies Janz sieht das erste Wort als "Signalwort", "das die amtsdeutsche Bezeichnung ist für den gerichtlich oder polizeilich verfügten Transport von Menschen"[233]. So wird gleich zu Beginn das Thema der Deportation angeschlagen, das Gelände erweist sich als eine "Landschaft der Gewalt und des Todes"[234]. P. Szondi bemerkt, der Leser sei "von Anfang an verbracht - in eine fremde und fremdartige Gegend" und kommt daher zu dem Schluß: "[...] das lesende Subjekt fällt zusammen mit dem Subjekt des gelesenen Gedichts."[235]
Der Auftakt der zweiten Versgruppe beschreibt jenes "Gelände" (2) genauer. Die Wortfolge "Gras, auseinandergeschrieben" (4) lässt zu, das "Gelände" nicht nur als reale Landschaft, sondern auch als einen Zustand von Sprache zu verstehen:
"Die Szenerie ist eine Landschaft, aber eine, die beschrieben wird als eine geschriebene. [...] die Gräser sind zugleich Buchstaben, und die Landschaft ist Text. [...] Wird das Gras erst einmal Buchstabe, dann ist das Weiß der Steine zugleich das Weiß der Seite [...], durchschnitten nur von Buchstaben - Halmen, oder genauer: vom Schatten, den sie werfen."[236]

Die "Spur" ist folglich ein Zustand der semiologischen Differenz ("auseinandergeschrieben"), die senkrecht stehenden Gräser erinnern an die vertikale Differenz des in sich gespaltenen Zeichens.[237]
Die folgenden Imperative richten sich an jeden Leser: Es genügt nicht, die Zeichen zu lesen, aber auch "schauen" (als "inneres Erkennen"[238]) genügt nicht - erst das "Gehen" durch das Gelände ermöglicht ein wirkliches Verstehen.[239] Die Erfahrung soll durch diese Stufenfolge intensiviert werden.
Das Gelände erweist sich als Schauplatz einer dreifachen Verwüstung: durch einen Völkermord, durch eine Beschädigung der Sprache und durch Atombombenexplosionen (wie sich später herausstellt)[240]. Im Gedicht werden diese Verwüstungen vergegenwärtigt, die Aufforderung zum "Gehen" wird im nächsten Abschnitt bestärkt: "[...] der Erinnerungsvorgang wird stimuliert."[241]
Geh, deine Stunde
hat keine Schwestern, du bist -
10 bist zuhause. Ein Rad, langsam,
rollt aus sich selber, die Speichen
klettern,
klettern auf schwärzlichem Feld, die Nacht
braucht keine Sterne, nirgends
15 fragt es nach dir.

Diese Verse verschaffen weitere Klarheit über den Gegenstand der Trauerarbeit. Die "untrügliche[] Spur" (3) ist an den Tod gebunden,[242] es folgen Beschreibungen der "Stationen aufhebender Entzeitlichung"[243]. Das "Rad" (10), das "aus sich selber [rollt]" (11), ein Bild aus Nietzsches "Reden Zarathustras",[244] deutet auf Auflösung und Neubeginn; auch die "kletternden Speichen", als das sich Auflösende, streben in ihrer unaufhaltsamen Aufwärtsbewegung nach einer Neuformation. Die Bewegung läuft "auf schwärzlichem Feld" (13) aus, ein Gebiet des Todes, das "keine Sterne" (14) mehr braucht; es ist "das Dunkel ewiger Nacht"[245]. Hier erreicht den "Verbrachten" auch keine Kommunikation mehr: "nirgends / fragt es nach dir." (14f.)[246]
Wenn man aber, wie Szondi, davon ausgeht, dass man sich hier in einer reinen Textlandschaft bewegt, Celans Dichtung also nicht mehr die Wirklichkeit beschreibt, sondern selbst Realität wird, muss man zu dem Schluß kommen, dass "das schwärzliche Feld nicht mehr [ist], was die Dichtung beschreibt, sondern was durch sie ist. Auf dem Feld, auf dem sie, sich selbst schreibend, geht, schreitet auch der Leser voran."[247]
*
Nirgends
fragt es nach dir -

Der Ort, wo sie lagen, er hat
einen Namen - er hat
20 keinen. Sie lagen nicht dort. Etwas
lag zwischen ihnen. Sie
sahn nicht hindurch.

Sahn nicht, nein,
redeten von
25 Worten. Keines
erwachte, der
Schlaf
kam über sie.

Der Beginn einer neuen Partie (wie hier der zweiten) ist jeweils durch ein Sternchen gekennzeichnet; darauf folgt eine Vorstrophe, die das Wortmaterial der vorangegangenen Schlußverse wiederholend aufnimmt. Diese Technik korrespondiert mit der genauen Bedeutung des musikalischen Begriffs "Engführung", der - vereinfacht ausgedrückt - eine möglichst gleichzeitige Zusammenführung von Themen im letzten Teil der Fuge bezeichnet. Die typographische Anordnung drückt demnach die "Fast - Gleichzeitigkeit"[248] mit dem eigentlichen Beginn der folgenden Partie aus. Im vorliegenden Fall bewirkt die Vorstrophe einen intensivierenden Nachhall, der nochmals an das "radikale Herausfallen aus dem Lebenszusammenhang"[249] gemahnt.
In dieser zweiten Partie meldet sich eine neue Stimme zu Wort; sie gibt in Form eines erinnernden Rückblicks einen Bericht über die Geschehnisse im "Gelände". Im Gegensatz zur ersten Partie überwiegt hier das Präteritum, der Bericht ist außerdem in der dritten Person Plural gehalten. Die Paradoxien zu Beginn der ersten Versgruppe werden von verschiedenen Interpreten unterschiedlich aufgelöst.[250] Theo Buck meint:
"Die anonymen Toten liegen in der Tat und liegen auch nicht; denn von ihren Leibern ist nichts mehr übrig geblieben. Die industriell organisierten Massenmörder arbeiteten gründlich. Deswegen sind die Namen der Opfer ebenso erloschen wie die Namen der meisten Opferstätten."[251]

Das "Etwas", das zwischen ihnen lag, versteht Buck als das Mordgeschehen, das selbst für die Opfer in seiner ganzen Tragweite undurchschaubar blieb: "Sie / sahn nicht hindurch." (21f.) Etwas weniger überzeugend ist aber seine Interpretation der zweiten Versgruppe, wenn er das "Reden von Worten" als "unangebrachtes Vertrauen in tradierte humane Wertbegriffe"[252] versteht.
Hier kann es sinnvoller sein, den "Ort" (auch) als einen Ort der Differenz zu sehen, der Differenz im Innern des sprachlichen Zeichens. Auch so lassen sich die Paradoxien auflösen: "Nicht zufällig ist dieser Ort ein Gebiet, von dem nicht klar ist, ob es einen Namen hat oder nicht, denn der Name wäre Mittel, um die Kluft zu überbrücken."[253] Jetzt wird auch verständlich, dass - im Gebiet der Differenz - "von / Worten" (24f.) geredet wird, nicht in Worten. Die Worte sind nicht "lebendig", sie sind nicht (zum Leben) "erwacht"; so erfaßt der Schlaf auch die Sprechenden.
*
Kam, kam. Nirgends
30 fragt es -

Ich bins, ich,
ich lag zwischen euch, ich war
offen, war
hörbar, ich tickte euch zu, euer Atem
35 gehorchte, ich
bin es noch immer, ihr
schlaft ja.

In der dritten Partie spricht jenes "Etwas" selbst, Buck nennt es eine "Anti - Stimme", die geradezu "ichbesessen" kommt, die das "schlechthin Bedrohliche, Tödliche" verkörpert und deren Bekundungen einen "Triumphgesang des Bösen"[254] darstellen. Damit verknüpft ist das zentrale Motiv der Zeitbombe[255] ("ich tickte euch zu" [34]). Diese "Anti - Stimme" betont sowohl ihre verbrecherische Vergangenheit als auch ihre sicht - und hörbare Präsenz, trotzdem bleibt und blieb sie unbeachtet - deshalb ihr ironisches "[...] ihr / schlaft ja." (36f.) Die Bemerkung "ich / bin es noch immer" (35f.) weist außerdem in die Gegenwart, in der das lebensfeindliche und inhumane "Etwas" immer noch wirksam ist.
Gleichzeitig spricht auch die semiologische Differenz (als "Etwas"); die unüberbrückbare Distanz ist ebenso verknüpft mit der Existenz der Bombe, die Differenz kontrolliert den "Atem" ("euer Atem / gehorchte" [34f.]): "‚Bombe‘ und ‚Atem‘ bewegen sich im Gleichklang; unter diesen Voraussetzungen kann kein Wort im emphatischen Sinne Celans entstehen."[256]
Die Vorstrophe der vierten Partie betont nochmals die Fortdauer des Bedrohlichen, Inhumanen:[257]
*
Bin es noch immer -

Jahre.
40 Jahre, Jahre, ein Finger
tastet hinab und hinan, tastet
umher:
Nahtstellen, fühlbar, hier
klafft es weit auseinander, hier
45 wuchs es wieder zusammen - wer
deckte es zu?

Diese Versgruppe thematisiert die zwischen den Verbrechen und der "untrüglichen Spur" (3) liegende Zeit - damit ist die Zeitstruktur "offen [...] im Hinblick auf die jeweilige Rezeptionsgegenwart des Lesers."[258] Der "hinab und hinan" (41) tastende "Finger" (40) ermöglicht dem erinnernden Menschen, der ins "Gelände" "verbracht" wurde, die "Jahre" (39) genauer zu erkunden.[259] Der "Finger" ertastet "Nahtstellen" (43), die sowohl Wunden sind, die eine inhumane Vergangenheit angerichtet hat, als auch (vertikale) Risse und damit Orte der Differenz.[260] Die Frage "[...] wer / deckte es zu?" (45f.) versteht Buck folglich als die "Frage nach den Urhebern des Verdrängungsprozesses und der damit verweigerten Trauerarbeit."[261]
*
Deckte es
zu - wer?

Kam, kam.
50 Kam ein Wort, kam,
kam durch die Nacht,
wollt leuchten, wollt leuchten.

Asche.
Asche, Asche.
55 Nacht.
Nacht - und - Nacht. - Zum
Aug geh, zum feuchten.

Der Ãœbergang zur fünften Partie lässt einen deutlichen Wechsel der Stimme erkennen.[262] Buck deutet das Kommen des Worts, das unstrittig positiv besetzt sei, als "wundersame Begebenheit"; es sei das "Wort des Lebens" oder auch "das von Celan proklamierte ‚Gegenwort‘"[263]. Die gewählte Zeitform, Präteritum, verdeutlicht - verstärkt durch die nachfolgende Versgruppe - das Scheitern des Worts an der "Wirklichkeit", an der "Blutspur der Geschichte"[264].
Der zweite Abschnitt der fünften Partie ist dem ersten entgegengesetzt;[265] Buck sieht in der Opposition von "Wort" und "Asche" die "Unvereinbarkeit von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit", wobei "die Reste der Ermordeten und tiefstes Dunkel [‚Nacht‘], [...] das leider obsiegende Gegengewicht zum Wort [bilden]."[266] Dieser Welt der Asche und Nacht soll - in der Schlußwendung - "wenigstens die tränenlösende Kraft des Mit - Leidens"[267] entgegengesetzt werden. Interessant ist hier der Reim "leuchten" - "feuchten" nicht nur, weil Reime in Celans reifer Dichtung Seltenheitswert haben, sondern auch, weil erst durch die Verbindung mit "feucht" die (angestrebte) Leuchtkraft des Worts positiver Natur ist - und so nicht zur Gruppe der negativ konnotierten "Lichtkeile" (GWII, 268) zu zählen ist.[268]
*
Zum
Aug geh,
60 zum feuchten -

Orkane.
Orkane, von je,
Partikelgestöber, das andre,
du
65 weißts ja, wir
lasens im Buche, war
Meinung.

War, war
Meinung. Wie
70 faßten wir uns
an - an mit
diesen
Händen?

Die sechste Partie bildet mit ihren 62 Versen ein Hauptstück der "Engführung" (die Partien I - V umfassen zusammen 57 Verse, die Partien VII - IX zusammen 52 Verse). Die neue Stimme spricht erstmals in der ersten Person Plural ("wir"), zur dominierenden Zeitstufe wird das Präteritum. Diese Partie spaltet die Interpreten in nahezu gegensätzliche Lager: Während Buck "die mit der Atombombe erfahrbar gewordene Möglichkeit einer Selbstvernichtung der Menschheit"[269] thematisiert sieht, bestimmt Szondi das Thema dieses Teils als "Erschaffung der Welt, ihre Wiedererschaffung durch das Wort"[270], A. Luther glaubt sogar, "dass die sechste Partie, als die sechs Tage der Weltgeschichte, den Spannungsbogen von der Urgeschichte zur Vergangenheit abschreitet, von den Orkanen am Anfang bis zum Tausendkristall als der Genesis des schöpferischen Erinnerungsprozesses"[271]. Hier soll zunächst die Interpretation Bucks - in leicht revidierter Form - vorgestellt werden, anschließend - in bescheidenerem Maß - die von Leutner, die einige Gedanken Szondis aufgreift, aber zu einer überzeugenderen Deutung gelangt.
Nach Buck übernimmt die Vorstrophe der sechsten Partie den Appell zum Mitleiden im Sinne einer traurigen, betroffenen Anteilnahme an einem Prozeß unerhörter Destruktion.[272] Die erste Versgruppe besteht aus zwei inhaltlichen Abschnitten; zunächst werden Extremformen der Zerstörung genannt ("Orkane" [61], "Partikelgestöber" [63]), anschließend ist die Rede von idealistischen Illusionen. Während die "Orkane" leicht erkennbar für verheerende, menschenvernichtende Naturgewalten stehen, ist die Deutung des "Partikelgestöber[s]" problematischer. Celan spielt hier auf einen Satz des Vorsokratikers Demokrit an: "Urgründe des Alls sind die Atome und das Leere, alles andere ist nur schwankende Meinung"[273]. Leutner bemerkt dazu treffend: "Im an den Atomismus Demokrits erinnernden ‚Partikelgestöber‘ sieht Celan die ‚Auflösung des lebendigen Zusammenhangs von Seiendem‘ (Janz) am Werk, den nach der Lehre des Empedokles, der gegen Demokrit ausgespielt wird, die Liebe stiftet."[274] Deshalb kann Janz die "Partikelgestöber" als "atomare Orkane"[275] bezeichnen, die gemeinsam mit den natürlichen Orkanen "das uns bedrohende historische und ebenso das aktuelle Vernichtungspotential"[276] symbolisieren.
Im zweiten Teil der ersten Versgruppe steckt ein weiteres Zitat ("wir / lasens im Buche" [65f.]), diesmal aus Dantes "Divina Commedia":[277] "An jenem Tage lasen wir nicht weiter."[278] Buck schreibt dazu: "Gemeinsames Lesen, gemeinsames Erfahren stiften eine Form menschlicher Steigerung."[279] Buck will hier, ebenso wie Janz, autobiographische Bezüge herauslesen können, was den "thematischen Akzent intensiver Partnerschaft"[280] unterstreiche; sicher aber verweist die Zwischenbemerkung "du / weißts ja" (64f.) auf vertrauensvolle Verständigung. Damit bildet dieser zweite Teilsatz eine Gegenkraft zu den Bedrohungen des "Partikelgestöber[s]" (63). Warum Buck hier zusätzlich eine "Einsicht in Wechselhaftigkeit und Relativität des Geredes der öffentlichen ‚Meinung‘"[281] thematisiert sieht, ist fraglich, wo doch die "Meinung" in deutlicher Opposition zum "Partikelgestöber" steht ("das andre, [...] war / Meinung" [63ff.]) und damit mit der Kraft des menschlichen Zusammenhalts harmoniert.
Im zweiten Versabschnitt der sechsten Strophe glaubt Buck, der Autor bekräftige nicht ohne "unterstreichendes Pathos [...] seine Ãœberzeugung, herrschende ‚Meinungen‘ als belanglos anzusehen [...]. Celan konnte eben dem üblichen Kommunikationsverschnitt nichts abgewinnen."[282] Vielmehr scheint Celan hier nochmals auf das Demokrit - Zitat anzuspielen, indem er - keineswegs pathetisch, sondern eher in einem traurigen Ton - auf die dort als nichtig bestimmte "Meinung" zurückkommt. Die Wiederholung ("[...] war / Meinung. // War, war / Meinung." [66ff.]) wirkt Demokrits Satz durch die Betonung von "Meinung" deutlich entgegen; er will nicht die Nichtigkeit und Belanglosigkeit der öffentlichen Meinung betonen, sondern im Gegenteil den Wert der menschlichen "Meinung" als individuellen Ausdruck (im Gegensatz zum "Partikelgestöber") hervorheben.[283] So kann auch die folgende Frage als ironische Replik auf Demokrits Satz verstanden werden: "Wie / faßten wir uns / an - an mit / diesen / Händen?" (69ff.) Natürlich sind die sich ergreifenden Hände "Zeichen liebender Ãœbereinstimmung"[284], die Betonung von diese (ein Ein - Wort - Vers, ebenso wie "Meinung" und "Händen") - "[...] mit / diesen / Händen?" (69ff., Hervorhebung vom Verfasser) - kann aber auch darauf deuten, dass hier nicht nur von einer körperlichen Berührung die Rede ist, sondern auch eine gedankliche oder geistige Berührung der "Meinungen" gemeint ist. Das Fragezeichen betont, dass eine solche (zweifellos mögliche) Berührung im Widerspruch zu Demokrits Satz steht; das lyrische Subjekt fragt, wie denn eine solche Berührung dennoch möglich war. Die Zeitstufe des Präteritums bedeutet hier aber nicht, dass von Vergangenem gesprochen wird, sondern in einer möglichen Zukunft von der Rezeptionsgegenwart des Lesers.
Nach Buck vermittelt die zweite Versgruppe der sechsten Partie eine "Ahnung gelingender Liebe", deren Andauern durch das Fragezeichen am Ende in Zweifel gezogen wird.[285]
Es stand auch geschrieben, dass.
75 Wo? Wir
taten ein Schweigen darüber,
giftgestillt, groß,
ein
grünes
80 Schweigen, ein Kelchblatt, es
hing ein Gedanke an Pflanzliches dran -

grün, ja,
hing, ja,
unter hämischem
85 Himmel.

An, ja,
Pflanzliches.

Den Wechsel von der zweiten zur dritten Versgruppe der sechsten Partie kennzeichnet eine deutliche Zäsur in Form eines gedanklichen Sprunges. Es folgt das Aufgreifen der biblischen Formel "Es steht geschrieben", die Celan aber vielsagend verändert:
"In der neutestamentlichen Fassung ist das, was ‚geschrieben steht‘, das Wort Gottes. Hier im Text hingegen ist das, was ‚geschrieben [stand]‘ (V.74), hinfällig geworden und darum nicht mehr benennbar. In seiner gewollten Dürftigkeit reproduziert das Satzfragment das Ausmaß der vorgefallenen Katastrophe [...]."[286]

Das nachgestellte Fragefürwort "wo" macht ergänzend darauf aufmerksam, dass nicht einmal mehr festzustellen ist, wo überhaupt etwas geschrieben stand. Die "Wir" - Perspektive sieht Buck gänzlich verändert: Nunmehr ist das "Kollektiv der zudeckenden [...] Mitwisser und der verdrängenden Mitmacher"[287] gemeint, die "ein Schweigen darüber [taten]" (76) - worüber erhellen erst die nachfolgenden Verse genauer. Das Schweigen wird als "giftgestillt, groß" (77) und "grün" beschrieben; Buck deutet das als "Kennzeichen einer denaturierten Natur"[288], der organische Lebenszusammenhang ist zerstört. In dieser toten Landschaft ist das exemplarisch herausgegriffene "Kelchblatt" (80) kein echtes Kelchblatt mehr, es hängt nur noch "ein Gedanke an Pflanzliches dran" (81).
Die beiden folgenden Versgruppen entbehren fast jeglicher Begrifflichkeit, sie bestehen aus bloßen Reliktspuren der vorhergehenden Inhalte. Die Form entspricht dem Inhalt: "Reduziertes Leben, reduzierte Verse, reduzierte Sätze."[289]
Ja.
Orkane, Par -
90 tikelgestöber, es blieb
Zeit, blieb,
es beim Stein zu versuchen - er
war gastlich, er
fiel nicht ins Wort. Wie
95 gut wie es hatten:

Körnig,
körnig und faserig. Stengelig,
dicht;
traubig und strahlig; nierig,
100 plattig und
klumpig; locker, ver -
ästelt - : er, es
fiel nicht ins Wort, es
sprach,
105 sprach gerne zu trockenen Augen, eh es sie schloß.

Sprach, sprach.
War, War.

Die anfängliche Bilanz des Restbestandes dient der Wiederaufnahme der am Beginn der sechsten Partie eingeführten Symbolik des Destruktiven ("Orkane" [61], "Partikelgestöber" [63]), die jetzt dem reduzierten Ausdrucksgestus angepaßt wird ("Par - /tikelgestöber" [89f.]). Diese Reduktion, die hier erstmals den Wortkörper zerlegt, verdeutlicht den Verlust einer Sinn - und Wertordnung unmittelbar auf der Ebene der lyrischen Sprache.[290]
Die sechste Versgruppe der sechsten Partie thematisiert einen verzweifelten Versuch der Existenzbewältigung, der paradoxerweise unter den Bedingungen unbelebter Natur ("beim Stein" [92]) vor sich gehen muss.[291] Dass dennoch nicht direkt von Kommunikationsverlust, Isolation und Leid die Rede ist, erklärt Buck damit, dass hier die "ironische Distanz des Autors auf einen Höhepunkt"[292] getrieben werde: "Wie / gut wir es hatten: [...]." (94f.)
Die nächste Versgruppe, in der die angebliche "Gastlichkeit" des Steins in konkreten Bildern vorgeführt wird, erweist sich als eine Aufzählung mineralogischer Formstrukturen. Die an sich wertneutralen Strukturen erhalten durch die Reihung eine negative Qualität; die Bedeutungslinie des "Partikelgestöber[s]" (63) wird verlängert, außerdem glaubt Buck durch die "sonore Wirkung der monoton gehäuften Endsilben" eine "Klangironie"[293] herauszuhören. Auffallend ist jedenfalls, dass Celan nur Strukturen amorpher Mineralisation aufzählt, was Auflösung und Verfall suggeriert.
Die zwei Personalpronomen "er, es" (102) nach Gedankenstrich und Doppelpunkt gemahnen einerseits, dass von einem leblosen Stein, keiner Person die Rede ist, andererseits wird so das Leitmotiv des "Es"[294] wieder aufgenommen, dem "Signal einer verdinglichten Welt"[295]. Zwar fällt der anorganische Stein "nicht ins Wort" (94), er kann aber "durch die Vielfalt seiner Erscheinungsformen"[296] "trockene Augen" ansprechen, die - im Gegensatz zum Symbol des "feuchten Auges" - negativ besetzt sind, da "unsere Affekte dabei ausgeklammert"[297] sind. Das Schließen der Augen deutet außerdem auf eine Nähe zur Sphäre des Todes.
Die kurze achte Versgruppe dieser Partie hält resümierend die Werte anorganischen Seins fest: "[...] sich mitzuteilen und zu sein."[298] Damit wird auch die Beschränktheit des Seins ohne Bewußtsein angedeutet; das rudimentäre Versgebilde erzeugt zusätzlich ein intensives Vorstellungsfeld bloßen Seins.
Wir
ließen nicht locker, standen
110 inmitten, ein
Porenbau, und
es kam.

Kam auf uns zu, kam
hindurch, flickte
115 unsichtbar, flickte
an der letzten Membran,
und
die Welt, ein Tausendkristall,
schoß an, schoß an.

Die beiden letzten Versgruppen der sechsten Partie berichten zunächst erneut von einem verzweifelten Versuch der Lebensbewahrung: "Wir / ließen nicht locker, [...]." (108f.). "Wir [...] standen / inmitten, [...]" (108ff.) betont die schwierigen Bedingungen dieses Versuchs.[299] Der Begriff "Porenbau" (111) hat im Lauf der Jahre unterschiedlichste Interpretationen erfahren;[300] Buck meint:
"Damit sind die Öffnungen oder Hohlräume in der Körperwand gemeint, deren Porosität den Austausch [...] mit der Außenwelt gewährleistet. Doch dringen durch die gleichen Öffnungen auch gefährliche Stoffe, [...] in den subkutanen Bereich und damit in den Körper. Für Opfer eines atomaren Schlages gilt das in noch höherem Maß. Die Poren werden zum ‚Durchgang‘ des Todes [...]."[301]

Laut Buck kündigt sich diesen Versen Bedrohliches an, die Atmosphäre der Gewalt verdichtet sich. Durch das "Flicken" "verliert der ‚Porenbau‘ seine Durchlässigkeit. Die Haut kann nicht mehr atmen. Der Tod ist damit unausweichlich."[302] Parallel zum "Partikelgestöber" (63) interpretiert er den anschießenden "Tausendkristall" (118) als Atombombenexplosion[303] und bestimmt "Engführung" als "Gedicht über die generelle Auslöschung des Humanen in der Welt."[304]
*
120 Schoß an, schoß an.
Dann -

Nächte, entmischt. Kreise,
grün oder blau, rote
Quadrate: die
125 Welt setzt ihr Innerstes ein
im Spiel mit den neuen
Stunden. - Kreise,
rot oder schwarz, helle
Quadrate, kein
130 Flugschatten,
kein
Meßtisch, keine
Rauchseele steigt und spielt mit.

Die Deutungen gehen auch bei dieser (siebten) Partie weit auseinander;[305] Buck sieht hier das Ergebnis der atomaren Explosion ins Bild gesetzt. Die "Nächte, entmischt" (122) evozieren völlige Finsternis ohne jegliches Leben. Es folgen "Informationen über das Funktionieren des apokalyptischen Mordsystems"[306], indem von "Zonen des Todes" ("Kreise" [122, 127], "Quadrate" [124, 129]) gesprochen wird. Die Planungsstellen, die diese Zonen festlegen, und der Vollzug ihrer Anweisungen hinterlassen keine Spur: "[...] kein / Flugschatten, / kein / Meßtisch, [...]." (129ff.) Im Vergleich zu "Todesfuge" erscheint das Sterben - im Zeitalter der Atombombe - noch stärker entpersonalisiert: "[...] keine / Rauchseele steigt und spielt mit." (132f.)[307]
*
Steigt und
135 spielt mit -

In der Eulenflucht, beim
versteinerten Aussatz,
bei
unsern geflohenen Händen, in
140 der jüngsten Verwerfung,
überm
Kugelfang an
der verschütteten Mauer:

Ab der achten Partie geht es weniger um Berichte und Reflexionen angesichts einer historisch erfahrenen Realität, als direkt um die erinnernde Evokation der Stimmen der Opfer.
In der Vorstrophe offenbart sich erneut die bittere Ironie Celans: Aktivität ("steigen") und Leichtigkeit ("spielen") stehen in einem Kontext der Vernichtung.
Gleich in der ersten Versgruppe geht die Stimme an die Betroffenen über; es ist die "Stimme der Toten"[308], die konsequenterweise von einer Todeslandschaft und den dortigen Opfern spricht. Zunächst wird eine Lokalisierung vorgenommen, indem fünf Merkmale des Ortes genannt werden. "Eulenflucht" (136) bedeutet einerseits "Dämmerung"[309] (zeitliche Bestimmung), andererseits bezeichnet sie ebenso die Stelle, wo die Eulen auffliegen (örtliche Bestimmung).[310] Der "versteinerte[] Aussatz" (137) bezeichnet die "zu toter Substanz gewordenen Ãœberreste der Ermordeten"[311], die "geflohenen Hände[]" (139) weisen auf einen verzweifelten, aber gescheiterten Fluchtversuch, die "jüngste[] Verwerfung" (140), ein geologischer Begriff für Erschütterungen und Katastrophen in der Erdgeschichte,[312] meint hier die Schicht aus Ãœberresten der Opfer oder allgemein "die Schicht der perversen Geschichte der Menschenvernichtung"[313]. Der "Kugelfang an / der verschütteten Mauer" (142f.) spielt auf einen nachprüfbaren Sachverhalt an: "In den Lagern gab es für die Erschießungskommandos einen speziell dafür angelegten Platz", ein Mauerstück mit "Kugelfang". Es soll also deutlich werden: "Wo einst Mörder [...] wüteten, steht heute nur noch eine ‚verschüttete[] Mauer‘."[314]
sichtbar, aufs
145 neue: die
Rillen, die

Chöre, damals, die
Psalmen. Ho, ho -
sianna.

150 Also
stehen noch Tempel. Ein
Stern
hat wohl noch Licht.
Nichts,
155 nichts ist verloren.

Ho -
sianna.

In der Eulenflucht, hier,
die Gespräche, taggrau,
160 der Grundwasserspuren.

Die "Rillen" (146) bezeichnen "Spuren" in der Landschaft, die, "sichtbar, aufs / neue" (144f.), wieder wahrgenommen werden, und sind damit allgemein erkennbare Indizien.[315] Äußerst stark divergierende Deutungen existieren zu der zerstückelten hebräischen Gebetsformel "Ho, ho - /sianna." (148f.) Einige Interpreten verstehen sie als Ausdruck triumphaler Überwindung, andere als eine Art Verzweiflungshandlung.[316] Buck sieht hier einen "Anflug des Integralen als Reaktion auf eine verzweifelte, aussichtslose Lage", eine "Gegenhaltung zum Fatalismus des Sterbens" durch die sich die "Chöre" (147) und "Psalmen" (148) zu einem "neuen Gesang menschlichen Sichbehauptens über den Tod hinaus" verwandelten, ohne Hoffnung aber auf ein Jenseits, ohne Bezug auf Gott, wodurch es sich in Wahrheit um "Anti - Gesänge"[317] handle. In der vierten Versgruppe der achten Partie drückt sich zwar Hoffnung aus ("nichts ist verloren" [155]), ein skeptischer Unterton schwingt jedoch mit ("noch" [151], "wohl noch" [153]).
Die "Gespräche, [...] / der Grundwasserspuren" (159f.) in der letzten Versgruppe, die das Bild der "Eulenflucht" (158) klammerartig wieder aufnimmt, deutet Buck als "düsteres Schweigen"; die "Grundwasserspuren" versteht er als "Zeichen des verschwundenen Lebenselements", deren "Gespräch" nur ein "Nicht - Gespräch"[318] sein könne. Deshalb glaubt er, die futuristische Komponente des Textes bestehe darin, die Wichtigkeit zu betonen, dass "nicht allein unsere Bewußtseinsbildung gefördert" werde, sondern auch "Folgerungen für die gesellschaftliche Praxis gezogen werden."[319]
*
( - - taggrau,
der
Grundwasserspuren -

Verbracht
165 ins Gelände
mit
der untrüglichen
Spur:

Gras.
170 Gras,
auseinandergeschrieben.)

Da in der neunten und letzten Partie kein einziges neues Wort vorkommt (das Textmaterial der ersten dreieinhalb Verse der "Engführung" wird hier auf acht Verszeilen ausgebreitet), liegt es nahe, die Funktion dieser Partie im erinnernden Rückbezug zu sehen. Gleichzeitig gewinnen die Worte durch die veränderte Rhythmisierung (durch die Aufteilung auf mehrere Verszeilen) ein größeres Gewicht, sie werden einprägsamer oder - mit Buck - : "Der Stakkato - Text hämmert die Erinnerung an das ‚Gelände mit der untrüglichen Spur‘ endgültig ins Gedächtnis des Lesers."[320] Das Gedicht endet mit der Wiederaufnahme der ersten Verse aber nicht in einer Kreisbewegung, da der Leser durch den Text auf ein höheres Erfahrungsniveau gebracht worden ist; man kann eher von einer "Spiralbewegung"[321] sprechen. Angesichts des so veränderten Bewußtseins des Lesers kann die Parenthese als "Zeichen der Verständigung mit dem Adressaten"[322] verstanden werden. Erst jetzt, am Ende des Gedichts, glaubt Buck das Adjektiv "auseinandergeschrieben" auch auf den Schreibvorgang beziehen zu können: "Durch die Erfahrung des Textes ist inzwischen wirklich das Gras im Bewußtsein des Lesers wortwörtlich ‚auseinandergeschrieben‘ worden."[323]
Als Intention von "Engführung" bestimmt Buck die Einsicht: "Allein die Kenntnis der falschen Vergangenheit kann uns vor einer falschen Zukunft bewahren [...]."[324]

Gänzlich andere Wege geht die Interpretation von P. Leutner, die (mehr als Buck) Rücksicht auf Celans Sprachauffassung nimmt und hier exemplarisch für ähnliche Deutungsversuche stehen soll.
Ein entscheidender Unterschied zur Deutung Bucks liegt im völlig anderen Verständnis der sechsten Partie. Das Scheitern des Worts in der fünften Partie führt, wie auch Buck feststellt, zu einem Gefühl der Trauer ("Zum / Aug geh, zum feuchten." [56f.]), das in die nächste Partie (als Vorstrophe) übernommen wird, wo anschließend die Schrecken der historischen Ereignisse in Bildern der Auflösung thematisiert werden. In der sechsten Partie wird aber auch die Ordnung der semiologischen Differenz überwunden; zuerst durch die Auflösung in vollständige Partikularisierung ("Partikelgestöber" [63]), danach durch die Schaffung einer anderen Ordnung ("Tausendkristall" [118]).
Das "Partikelgestöber" (wie den "Orkan" [61]) sieht Leutner wie Buck negativ konnotiert, es steht sowohl für die Atombombenexplosion wie für die Folgen der Vernichtungslager. Der atomistischen Dissoziierung im "Partikelgestöber" ist, nach Leutner, das Bild des "Tausendkristall[s]" - anders als bei Buck - entgegengesetzt. Der "Tausendkristall" symbolisiert für sie die "heilsame Wiederherstellung der Welt"[325].
Die sechste Partie bildet demnach eine geschlossene Einheit, in der zunächst mehrere mißlingende Versuche, die historischen Ereignisse zu bewältigen, dann die Ankunft des Worts benannt wird.[326] Die Zufluchtsuche beim Stein fungiert dabei (auch im Hinblick auf die Aufzählung unterschiedlicher Kristallisationsweisen) als Zwischenstadium vor dem Entstehen des "Tausendkristall[s]", obwohl es im Bereich des "Steins" "keine lebendigen Gefühle" und "keine aktive Auseinandersetzung mit der Welt"[327] geben kann.
In den beiden letzten Versgruppen der sechsten Partie wird schließlich das "Kommen des Worts"[328] thematisiert. Leutner versteht den Ausdruck "Porenbau" (111) als Bezugnahme auf das Verschließen von Wunden: "Das Wachsen von Haut wird angedeutet, das Heilen der Risse, die die Ankunft des Worts verhindert haben."[329] Die mehrfache Verwendung von "kam" verweist auf die fünfte Partie ("Kam, kam. / Kam ein Wort, kam [...]." [49f.]); das "Flicken" zeigt an, dass die Kluft der Differenz sich schließt. Das ankommende Wort deutet Leutner als "göttliches Wort", das mit der "welterschaffende[n] Kraft des Urworts" und der "Wirkung der göttlichen Namen" die "Restitution von Welt und Sprache"[330] herbeiführen kann. Wichtig ist auch, dass das Bild des "Tausendkristall[s]" wie ein Trugbild erscheint, da in der Folge ein paradiesischer, ahistorischer Zustand zum Ausdruck gebracht wird ("kein Flugschatten, / kein / Meßtisch, keine / Rauchseele" [129ff.]). Möglicherweise macht Celan hier ironisch darauf aufmerksam, dass "die Offenbarung von jenen auf die Katastrophen verweisenden Dingen schweigt."[331]
Die in der sechsten Partie aufgelöste Ordnung der Differenz wird später jedoch wieder hergestellt: "[...] sichtbar aufs / neue: die / Rillen, [...]." (144ff.) Das Bild der "Spuren" wird wieder aufgenommen, die Spuren sind aber verändert. Ein verschwommenes Grau bestimmt die Szene ("Eulenflucht" [158] (Dämmerung), "taggrau" [159], "Grundwasserspuren" [160]), es wird nicht mehr "über Worte" gesprochen, vielmehr "werden [jetzt] Worte gewechselt, die etwas von dem Schmutz der Massengräber, in denen Grundwasser steht, an sich haben."[332] Die Erinnerungsarbeit ist demnach erfolgreich verlaufen.
Gemäß dieser Deutung werden also im Gedicht zwei verschiedene Ordnungen einander gegenübergestellt: eine Ordnung der Differenz ("Gras, auseinandergeschrieben" [4]; "Etwas / lag zwischen ihnen" [20f.]; "Nahtstellen" [43]; "Rillen" [146]; "Grundwasserspuren" [160]) und eine Ordnung der ungeteilten Ganzheit ("kam hindurch" [113f.]; "flickte" [114]; "entmischt" [122]). Die zweite Ordnung findet im Bild einer totalen Dissoziierung ("Orkane" [61]; "Partikelgestöber" [63]) außerdem noch ein spezielles Gegenstück. Die Ordnung der Differenz ist zu Beginn des Gedichts durch eine innere Spaltung gekennzeichnet, gegen Ende durch "Mischungen" die sich - gemäß dem Verständnis Menninghaus‘ - in Farbattributen und Lichtwerten spiegeln ("Eulenflucht" [158]; "taggrau" [159]).[333]
Bezeichnend für das Gedicht "Engführung" ist auch die konsequente Anwendung der Mehrdeutigkeit der Sprache. Das "Gelände / mit der untrüglichen Spur" (2f.) beispielsweise erfährt im Verlauf des Textes verschiedene Bestimmungen, es handelt sich demnach um einen "überdeterminierten Signifikanten"[334]. Auch die Verwendung von (teilweise neologischen) Komposita ("Flugschatten" [130], "Rauchseele" [133]) stellt eine spezifische Form der Mehrdeutigkeit dar, was schon Szondi zu dem Schluß brachte, dass es bei der Analyse von Gedichten Celans "nicht weniger als bei Mallarmé unangemessen ist, das Saussure’sche Modell des Zeichens beizubehalten"[335]. Die Ãœberdeterminierung des Signifikanten stärkt die Funktion desselben, wodurch sich das zeichenimmanente Verhältnis der Repräsentation verschiebt; außerdem hält die Gleichzeitigkeit verschiedener Bedeutungsmöglichkeiten die Bedeutung in Schwebe.[336] Dadurch wird der Leser animiert, spezielle Bedeutungsvarianten zu finden, die auch etwa von der Gestalt der Signifikanten oder der graphischen Anordnung der Schrift wesentlich beeinflußt werden.
Deshalb spricht Menninghaus auch davon, dass Celans Sprechen eine "‚Grenzgängerei‘ zwischen ‚Bedeutungsflucht‘ (Auflösen der mit einem Wort verbundenen Laut - Bedeutungs - Zuordnungserwartungen) und ‚Bedeutungsjagd‘ (schwimmendes ‚Zuhalten‘ auf neue und motivierte Bedeutungswerte)"[337] betreibe.
Das "Gehen" ins "Gelände / mit der untrüglichen Spur" (2f.) ist zunächst ein "Gang in die arbiträre Differenz des Zeichens hinein. Es ist jedoch ein Gehen, das seine eigenen Voraussetzungen im Zurücklegen der Wegstrecke zugleich transzendieren will"[338] - damit ist es jener "Weg der Kunst" (GWIII, 193), auf dem sich Dichtung freisetzen soll.

3.3. Vergleich der Gedichte "Todesfuge" und "Engführung"

3.3.1. Inhaltlich

Nach den meist relativ autobiographischen Jugendgedichten wird das Thema der Judenvernichtung in Celans Gedichten (oft weiterhin verknüpft mit autobiographischen Elementen) bestimmend. Auch in "Todesfuge" ist explizit von "Juden" (als den Opfern) und von "Deutschland" (als Herkunftsland der Täter) die Rede, was die Thematik deutlich festlegt. Das vierzehn Jahre später entstandene Gedicht "Engführung" lässt sich ebenso als Text über die Judenvernichtung im Deutschen Reich lesen, erfährt aber insofern eine Ausweitung, als im Grunde jedes Verbrechen in der Geschichte (mit - )gemeint ist; insbesondere lassen sich Hinweise darauf finden, dass auch von der Gefahr eines atomaren Schlages, einer Atombombenexplosion gesprochen wird. Diese Art der Mehrdeutigkeit bestimmt das Wesen aller späteren Gedichte Celans. Außerdem lässt sich "Engführung" auch als metapoetisches Gedicht lesen, in dem die Ordnung der semiologischen Differenz (nach dem Zeichenmodell Saussures) einer Ordnung der ungeteilten Ganzheit gegenübergestellt wird. Die Verknüpfung von Sprachproblematik und historischer Erfahrung zieht sich durch das gesamte Spätwerk Celans.[339]

3.3.2. Formale Aspekte und Sprache

Auf die Umsetzung des Fugenstils und der Technik der Engführung in den Gedichten wurde schon in den jeweiligen Interpretationen hingewiesen. "Todesfuge" verzichtet auf jegliche Interpunktion, bedient sich eines konsequent umgesetzten parataktischen Darstellungssystems und wiederholt und variiert - ganz dem musikalischen Prinzip der Fuge entsprechend - Satzteile und ganze Teilsätze.
In "Engführung" sind sowohl Interpunktion als auch Hypotaxe vorhanden. Allerdings präsentiert sich das Gedicht in einer besonderen typographischen Gestalt und verzichtet auf ein einheitliches lyrisches Subjekt (wie es noch in "Todesfuge" existierte ["wir"]) zugunsten von neun verschiedenen, einander ablösenden "Stimmen"[340]. Die neun Stimmen verteilen sich auf neun Partien, die sich durch Vorstrophen, die Wortmaterial aus der jeweils vorangegangenen Strophe wiederholen, überlappen. Adornos Plan, den Weg des Bandes "Sprachgitter" von den "Stimmen" zur "Engführung" "als musikalische Gebilde zu erklären" fand Celan allerdings "eher belustigend"[341].
Während in "Todesfuge" immer wieder bestimmte Wortgruppen wiederholt werden, konzentriert sich "Engführung" auf die Wiederholung einzelner Worte: "Jahre. / Jahre, Jahre [...]". Besonders deutlich wird das in der fünften Partie:
"Kam, kam.
Kam ein Wort, kam,
kam durch die Nacht,
wollt leuchten, wollt leuchten.

Asche.
Asche, Asche.
Nacht.
Nacht - und - Nacht. - Zum
Aug geh, zum feuchten."

Das bewirkt eine Konzentration auf das einzelne Wort, wodurch dessen evokative Kraft und damit auch die Möglichkeit poetischer Erkenntnis gesteigert wird. Wieder wird deutlich, dass "Engführung" auf die Auslösung kreativer Impulse zielt.
Eine andere Funktion haben freilich die Wiederholungen[342] in den jeweiligen Vorstrophen. Sie dienen dazu, die Übergänge zwischen den Partien zu verwischen; es soll - in deutlicher Anlehnung an die musikalische Technik der Engführung - eine "Fast - Gleichzeitigkeit"[343] von Ende der vorangegangenen und Beginn der neuen Strophe (= Stimme) ausgedrückt werden, was durch die typographische Anordnung der Vorstrophen noch verstärkt wird.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass sich in beiden Gedichten Reime finden lassen. In "Todesfuge" heißt es:
"der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau" (30f.)

Hier wird über die phonologische Ebene eine Identität angestrebt. Der Reim dient nicht zur Beschönigung, in ihm vollzieht vielmehr sprachmimetisch der Vorgang des Tötens.[344]
In "Engführung" reimen im letzten Teil der sechsten Partie "kam", "Membran" und "schoß an", sowie in der fünften Partie "leuchten" und "feuchten". Interessant ist, dass es in einer Vorstufe der fünften Partie noch heißt:
"Es kam ein Wort, kam durch die Nacht,
wollt leuchten, wollt leuchten.
- Was Asche ist {,} ward, bleibt unentfacht, { - }
Zum Aug geh, zum feuchten!"[345]

In einer überarbeiteten Fassung enden die Verse 1 und 3 beide auf "Nacht", bis in der Endversion das Wortmaterial auf zwei Strophen und neun Verse ausgedehnt wird und nur mehr "leuchten" und "feuchten" als erkennbarer Reim übrig bleiben, als einzige Verbindungslinie zweier gegensätzlicher Versgruppen.
Neologismen, die in Form von Komposita für die spätere Lyrik Celans kennzeichnend werden, finden sich in "Todesfuge" keine. In "Engführung" lassen sich hingegen durchaus einige ausfindig machen, etwa "Partikelgestöber", "Porenbau", "Tausendkristall" oder "Rauchseele". Schon Szondi machte auf die Mehrdeutigkeit dieser Komposita aufmerksam, in der er eine zusätzliche Steigerung der syntaktischen Ambiguität Mallarmés sah.[346] Ab dem Band "Die Niemandsrose" lassen sich bei Celan vermehrt mehrteilige Nominalkomposita finden,[347] "Engführung" markiert etwa den Wendepunkt.
Auch typische Schlüsselworte Celans finden sich in "Todesfuge" nur wenige ("Stern", "Auge"), verglichen mit "Engführung" ("Asche", "Nacht", "Schlaf", "Stein", "Wort" etc.).
Hinsichtlich der Technik der Wortdestruktion bildet "Engführung" wieder einen Wendepunkt im Gesamtwerk Celans. In "Todesfuge" und den früheren Gedichten ist noch kein Wortzerfall bemerkbar, mit "Engführung" aber etwa beginnend wird diese Technik zunehmend bedeutender (besonders in "Die Niemandsrose"). Die Wortzerlegung durch Enjambements wird in "Engführung" ab der sechsten Partie angewendet: "Par - /tikelgestöber", "ver - /ästelt", "Ho - /sianna". Aus den isolierten Gliedern einfacher Worte können so neue poetische Vokabeln entstehen, wie z.B. im Gedicht "... rauscht der Brunnen":[348] "mit den Men, mit den Schen, mit den Menschen, [...]" (GWI, 237) oder in "Engführung" die Abspaltung der Vorsilbe "Ho" des Wortes "Hosianna" und ihre Wiederholung ("Ho, ho"). Durch Silbentrennung kann aber auch im einzelnen Wort eine mimetische Energie freigesetzt werden.[349]
Dieses Stammeln und "Lallen"[350], das besonders im Band "Die Niemandsrose" mehrfach auftritt, kann auch als Ausdruck einer zum Problem gewordenen Spaltung zwischen Sinn und Gestalt der Worte verstanden werden, da es als Beschreibung des modernen dichterischen Sprechens auftritt.[351]
Der Trend zu immer kürzeren, fragmentierten Versen im Gesamtwerk Celans lässt sich an den beiden besprochenen Gedichten exemplarisch ablesen. So beträgt die durchschnittliche Wortanzahl pro Verszeile in "Todesfuge" 10,3, in "Engführung" 2,8.
Außerdem erhält die typographische Gestalt der Gedichte eine zunehmend größere Bedeutung. In "Engführung" hat die besondere Anordnung der Vorstrophen ihre Funktion im Nachbilden einer Eigenheit der musikalischen Engführung der Fuge.[352] Auch die graphische Gestaltung der Texte kann eine spezifische Form der Motivierung der Sprache sein, indem die Bedeutungen durch die Anordnung der Schrift visuell erfahrbar gemacht werden[353] (Celan setzt diese Form der Motivierung hauptsächlich in den Gedichtbänden "Atemwende", "Fadensonnen" und "Lichtzwang" ein).[354]

3.3.3. Zitate

"Goethes gesammelte Werke
sackhüpfen über den Strand"[355]

Sowohl "Todesfuge" als auch "Engführung" enthalten Zitate und Anspielungen auf andere Texte. Schneider gab schon 1974 an, dass bei einem Durchschnitt von ca. 60 Gedichten pro Band der Anteil eindeutig fundierbarer Zitate 8 - 10 Stück betrage, also über 10%.[356] Die Frage, von welcher Bedeutung die Kenntnis dieser Textbezüge ist, führte zu einer breiten Diskussion in der Celan - Philologie.[357] Menninghaus kritisiert die Sucht, immer mehr Zitate und Anspielungen in Celans Gedichten aufzuspüren, ohne dabei über die Berechtigung oder Angemessenheit dieser Interpretationsmethode theoretisch Rechenschaft zu geben.[358] Schon Szondi trennt bewußt Sachkommentar (biographisch - historische Anspielungen) und Interpretation und fragt, ob die gefundenen Anspielungen und Zitate überhaupt relevant für Lektüre und Interpretation sind.[359]
Allgemein können zwei Gruppen von Zitaten unterschieden werden; von Celan markierte und ungekennzeichnete (in "Todesfuge" und "Engführung" handelt es sich ausschließlich um unmarkierte). Wenn ein Leser aber alle versteckten Referenzen kennen sollte, um Leser sein zu können, dann wäre Celans Dichtung ein "aleatorisches Versteckspiel mit und für gelehrte Leser"[360]. Gadamer wendet sich schon früh vehement gegen diese Auffassung, er sieht Celans "Dichtung nicht als gelehrtes Kryptogramm für Gelehrte"[361] und verzichtet in seinen Interpretationen auf "jede Information besonderer Art". Menninghaus meint sogar, dass das "Finderglück des Philologen eher ‚Pech‘ für das Gedicht sein kann"[362].
Verständlich scheint seine Forderung, die Celan - Forschung müsse begründen können, "welchen poetischen ‚Sinn‘ es macht, Dichtung auf einer super - enzyklopädischen Kenntnis verschiedenartigster, versprengter und zumeist unmarkierter Anspielungen zu fundieren"[363]. Er stellt fest, dass Celan die Deutlichkeit von Verweisen im Prozeß des Arbeitens an den Gedichten zunehmend getilgt hat und fragt nach dem Grund dafür:
"[...] vielleicht ist es gerade das Geheimnis des Gedichts, dass es mögliche Anstöße seines Werdens im Bestand seines Daseins so sich assimiliert hat, dass der Weg zurück nur um den Preis der Dichtung selbst beschritten werden kann. Denn die Vorstellung eines decodierenden Zurück zu den vermeintlich kodierten Anlässen und Anspielungen [...] nivelliert Werk wie Lektüre auf ein Rätselspiel von Codierung und Decodierung, [...] die beide nur unter der Celan - fremden Voraussetzung reiner Eigentlichkeit (Präsenz) funktionieren und auf ein heute kaum noch vertretbares ‚Konzept‘ von Sprache und Dichtung zurückfallen."[364]

Deshalb verweist Menninghaus darauf, dass eine gefundene Anspielung geradezu kontraproduktiv sein könne und stellt dem ein "produktives Nicht - Wissen" entgegen: "Nicht - Wissen meint dabei keine Voraussetzungslosigkeit der Lektüre, kein Nichts - Wissen, sondern eine Differenz zum Setzen auf ‚Entschlüsselung‘ durch abstrakt - singuläres Fakten - Wissen."[365]
In den vorliegenden Interpretationen der Gedichte "Todesfuge" und "Engführung" wurde dennoch auf einige Zitate hingewiesen, da sie manche Stellen erst (wenn schon nicht aufschlüsselbar, so doch) zugänglicher machen - freilich auf die Gefahr hin, dass die betroffene Textstelle "jene Unbestimmtheitsvaleurs, die es im Spiel des Textes vielleicht gerade haben soll"[366], verliert - diese Gefahr geht aber jede Interpretation in gewissem Maß ein.
Eine positivere Haltung gegenüber dem Auffinden neuer Zitate nimmt L. Koelle ein, die - ganz im Gegensatz zu Menninghaus, der gegen die Ansicht polemisiert, Celans Gedichte zögen den Leser durch das Auffinden der Zitate "in einen Prozeß bildender Aneignung hinein"[367] - Celans Auswahl der zitierten Texte, Daten und Orte als "Curricula der Gegen - Worte und - Zeichen"[368] schätzt.
Eine mögliche Begründung für Celans "Anspielungswut"[369] gibt O. Lorenz, wenn er - insbesondere bezüglich "Todesfuge" - vermutet, "dass Celans offenkundiger Eklektizismus motiviert sein könnte durch den Verzicht auf ein selbstverantwortetes Reden. Nur in den - zu einzigartigen Kunstwerken gefügten - Worten anderer hat er vom Nazi - Terror sprechen können und wohl auch wollen, und er hat damit bereits die Unmöglichkeit einer Rede über das Leid der Juden angezeigt."[370] Für wie bedeutsam Lorenz die "Frage der Intertextualität" hält, zeigt seine Interpretation von "Engführung", in der er zu dem Schluß kommt, "dass Celans Gedicht nur eine ‚Engführung‘ von Zitaten und Allusionen"[371] sei.

3.3.4. Semantik

Problematik der Methode der Wortkonkordanz bei Celan
Oft wird versucht, mit Hilfe der Methode der Wortkonkordanz Gedichte Celans zu interpretieren; dieses Vorgehen setzt aber die Existenz eines in sich geschlossenen hieroglyphischen Zeichensystems in seiner Lyrik voraus.[372] Obwohl eine auffallend häufige Verwendung bestimmter, relativ weniger Leitwörter festgestellt werden kann, zeigt sich aber, dass Celan seine Kernmetaphern eben gerade "nicht in einer konstanten Bedeutung [gebraucht]; als ‚Ãœbersetzungen ohne Originale‘ führen sie vielmehr ein dynamisches Eigenleben im Text und bilden lediglich einen Verweiszusammenhang untereinander."[373] Wenn also in zwei verschiedenen Gedichten vom Augenmotiv die Rede ist, muss es doch nicht dasselbe bedeuten. Mit seiner radikalen Deutung von "Engführung" wollte schon Szondi zeigen, dass es nicht um den Sinn der Worte geht, sondern nur um ihre Funktion im Gesamtkontext des Gedichts.[374] So soll auch - nach einem Bericht Gadamers - Celan bei "Leuten, die beim Interpretieren eines seiner Gedichte vom ‚lyrischen Ich‘ redeten" mahnend gesagt haben: "Aber nicht wahr, das lyrische Ich dieses Gedichts!"[375]
Es drängt sich also die Frage auf, welcher Art und Reichweite der Versuch sein kann, "mit einem Anspruch auf relative Allgemeinheit einige Elemente des semantischen Bewegungsraums von Celans Sprechen zu bestimmen"[376]. Eine solche Allgemeinbestimmung kann jedenfalls unmöglich die individuelle Semantik eines Gedichts erschöpfen, auch ist sie das "Schalere" im Vergleich zu dieser; sie schärft aber gerade deshalb zugleich den "Blick für den von Celan in jedem einzelnen Gedicht zurückgelegten ‚Weg‘."[377] Menninghaus sucht folglich nach Elementen von Celans Sprechen, an denen sich die generierenden "Uhrfedern" seines semantischen Bewegungsraumes so transparent machen lassen, "dass die Alternative einer unendlichen additiven Rekonstruktion der Semantik aller einzelnen Gedichte und einer schlecht summarischen, von Sprachgestalt und Wortbestand abgehobenen Durchschnittsbestimmung methodisch sinnvoll unterlaufen werden kann [...]."[378] Er findet sie in stark betonten, in auffälliger Kontinuität gesetzten leitwortähnlichen "Topoi".[379]
Jetzt stellt sich aber erst recht die Frage, ob identische Worte, die sogar überwiegend in ähnlichen Kontexten begegnen, als sich gegenseitig erhellende Parallelstellen gelesen werden dürfen, oder ob darauf verzichtet werden muss, um die Singularität der Gedichte zu wahren. Einzeln angewendet erweisen sich beide interpretative Verhaltensweisen als unbrauchbar. Eine Verabsolutierung der Gedichtimmanenz etwa wird dem Umstand nicht gerecht, dass bei Celan eine "intertextuelle Kommunikation der Gedichte oft integraler Bestandteil ihrer Intra - Kommunikation ist."[380] Am deutlichsten zeigt sich das im zitierenden Erinnern fremder Autoren oder Theoreme - oder auch eigener Verse.[381] Die häufig verwendeten leitwortähnlichen Topoi stiften ebenso einen intertextuellen Zusammenhang von Bezügen, was letztlich eine Verankerung des einzelnen Gedichts im Kontext aller Gedichte bewirkt. Diese "Konsistenzbildung" durch ein "Ineinanderspielen von Inter - und Intrakommunikation der Gedichte" geschieht jedoch "keineswegs in der Form eines rekurrenten Ãœbernehmens einmal fertiger ‚Chiffren‘. Vielmehr baut jedes Gedicht [...] die Evokationskraft der identischen Worte jedesmal aufs neue und jedesmal auch anders auf."[382] Das bedeutet also:
"[...] die intertextuelle Konsistenz ist auch bei den identischen, leitmotivähnlichen Worten keine additive oder gar deduktive, sondern allenfalls eine diskontinuierlich konstruktive."[383]

Eine Interpretation muss also auf ein "übersetzendes Fixieren von (vermeintlichen) Bedeutungen" verzichten, es ist aber durchaus methodisch zulässig, "die dem Wortlaut wie dem Kontext nach parallelen ‚Chiffren‘ auf die ihnen konfigurativ gemeinsame ‚Richtung‘ transparent zu machen."[384]
Ebendies soll an einigen Begriffen aus den Gedichten "Todesfuge" und "Engführung" im folgenden versucht werden.
Farbworte[385]
In "Todesfuge" werden Farben primär dazu verwendet, Kontraste herzustellen: "dein goldenes Haar Margarete / dein aschenes Haar Sulamith". Auch in der Zentralmetapher "Schwarze Milch"[386] werden schwarz und weiß einander gegenübergestellt. Dieser Schwarz - weiß - Kontrast lässt sich auch am Beginn von "Engführung" feststellen, wo der dunkle "Schatten der Halme" auf die ausdrücklich weißen "Steine" fällt, was auch ohne den Zusatz "Gras, auseinandergeschrieben" eine metapoetische Bedeutungsebene des Gedichts eröffnet.[387] In "Todesfuge" hingegen fehlt noch die Dimension der Sprachreflexion, Farben stützen hier den Kontrast zwischen der grauen ("aschenes Haar") bzw. schwarz - weißen ("Schwarze Milch") Welt der Juden und der vergleichsweise bunten, farbigen Welt der Deutschen (goldenes Haar, blaue Augen).[388] Das Wort "Asche" erscheint in "Engführung" losgelöst von seinem Gegenstück "Gold" in Verbindung mit dem "Wort" (GWI, 199) wie in vielen weiteren Gedichten Celans auch (GWI, 227; GWII, 158, 236 etc.). "Gold" bleibt aber als negativer Gegenpol erhalten, wenn auch nur in wenigen Gedichten erneut eine direkte Gegenüberstellung erfolgt (z.B. GWI, 227; GWII, 100):
"Boshaft wie goldene Rede [...]" (GWI, 35)

"Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife.
Meiner Mutter Herz ward wund von Blei." (GWIII, 40)

"FLüSSIGES GOLD, in den Erd -
wunden erkennbar, [...]"[389]

Die Negativität der Farbe Gold in sprachreflexiven Kontexten belegen Formulierungen wie "getriebene[s] Gold[]" und "klaffende[s] Gold[]" (GWI, 110), die eine Verwandtschaft mit grellen Lichtmetaphern ("Lichtkeile" [GWII, 268]) nahelegen, indem sie auf die semiologische Differenz verweisen.
Der "Schatten der Halme"
Schon im Band "Mohn und Gedächtnis" werden Naturbegriffe immer wieder in Zusammenhang mit dem Wort "Wort" gebracht:[390] "AUS Herzen und Hirnen / sprießen die Halme der Nacht, / und ein Wort, von Sensen gesprochen, / neigt sie ins Leben." (GWI, 70) Auch die Verwandtschaft der "Hand", die bei Celan häufig das "Gedicht" selbst symbolisiert,[391] mit Halmen und Gräsern ("EINIGES HAND - /äHNLICHE, finster, / kam mit den Gräsern: [...]" [GWI, 236]) stützt diesen Zusammenhang. Verse wie "deiner Hände laubgrüner Schatten" (GWII, 274) drängen diese Bereiche auf engsten Raum zusammen und bekräftigen noch die sprachreflexive Bedeutungsebene des Schattens. Bucks Interpretation, Celan evoziere in "Engführung" nur "konkrete Gräser, konkrete Steine und konkrete Halme [...] als Elemente einer realen Landschaft"[392] scheint damit fragwürdiger als zuvor.
Der "Stern"
Der "Stern" wird nicht nur zweimal in "Engführung" genannt, sondern auch schon in "Todesfuge". Während es dort aber heißt "und es blitzen die Sterne", so braucht in "Engführung" zunächst "die Nacht / [...] keine Sterne", bis es gegen Ende wieder hoffnungsvoller heißt: "[...] Ein / Stern / hat wohl noch Licht." In "Todesfuge" ist der "Stern" Teil eines Zitats aus Puccinis "Tosca", Felstiner will auch einen Anklang an Hitlers "Blitzkrieg" heraushören.[393] In "Engführung" hingegen hat der "Stern" bereits eine komplexere Bedeutung angenommen, er steht durch sein mild aus der Ferne scheinendes Licht sowohl in Verbindung mit dem positiven Pol von Celans sprachreflexiver Optik, als auch mit der sprachutopischen "Nacht" - Metaphorik.[394] Die "Sprache" selbst wird definiert als "Mitstern": "Sprache, Sprache. Mit - Stern. Neben - Erde." (GWI, 269)[395] An anderer Stelle steht der "Stern" auch für individuelles Schicksal oder die Seele des Einzelnen ("[...] in deiner Halsgrube lernt / mein Stern, wie man wegsackt / und wahr wird, [...]" [GWIII, 90]), er erinnert in bestimmten Kontexten auch an den "Judenstern", wenn es etwa heißt: "[...] sechsbeinig / hockt unser Stern im Schaum, [...]" (GWIII, 72).
Der "Tausendkristall"
Der Begriff "Tausendkristall" spaltet die Interpreten von "Engführung" in nahezu gegensätzliche Lager. Buck versteht ihn als "explodierende[n] Neologismus"[396] für eine Atombombenexplosion; für Leutner symbolisiert er die "heilsame Wiederherstellung der Welt"[397]. Allein das Wort "Kristall" erfährt widersprüchliche Deutungen von verschiedenen Interpreten. P.H. Neumann betrachtet das Motiv des "Kristalls" im Zusammenhang mit den Begriffen "Schnee" und "Eis" als Chiffre der Sprachlosigkeit und des Schweigens.[398] G. Kaiser schreibt zum Gedicht "Weggebeizt" (GWII, 31), in dem ein "Weg durch den menschen - /gestaltigen Schnee, den Büßerschnee, zu / den gastlichen Gletscherstuben und - tischen" benannt wird, der letztlich zum "Atemkristall" führt:
"Der Weg, den diese Sprache auswirbelt, führt noch nicht einmal ins ewige Eis der Gletscher, er führt in die tote Abstraktion der Fachsprache der Glazialwissenschaft, [...]. Der Mensch ist nur noch als gefrorene Erinnerung in dieser menschenleeren Sphäre anwesend, als menschengestaltiger Büßerschnee. [...] Auch die Sprache, die hierher reicht, gefriert zum ‚Atemkristall‘, einem ‚unumstößlichen Zeugnis‘, das zum Antipoden des wortverwandten Zeugens geworden ist."[399]

Im Gegensatz dazu sehen H.G. Gadamer und C. Jamme diesen "Weg" als einen "Weg der Reinigung des Wortes"[400], der allerdings "auf Kosten der lebendigen Sprache" zurückgelegt wird. Die Genauigkeit der neuen Sprache "resultiert aus einer Erstarrung der lebendigen Formen", weshalb es sich um eine bestimmte "Art von Sprachlosigkeit, von Schweigen"[401] handelt. Jamme sieht deshalb die Doppeldeutigkeit der Sprache im Wort "Kristall" aufbewahrt: "Sprache einmal als ‚versteinertes‘ Gespräch, als Unwahres, zum andern als neue, wahre Sprache: Schweigen."[402] Auch Menninghaus erkennt eine "selbstpräsente[] Objektivität"[403] der Sprache, die "von den Gletschern [kommt]" (GWIII, 170). Er deutet das als positives "Für - sich - sein der ‚Sprache‘ jenseits der semiologischen Differenz von Signifikant und Signifikat"[404]. Ein solches Verständnis des "Kristalls" und damit auch des "Tausendkristall[s]" in "Engführung" stützt die Interpretation Leutners im selben Maß, wie sie die Deutung Bucks schwächt.

4. REZEPTION UND LITERATURKRITIK

Dieser Abschnitt soll nicht zuletzt auch erhellen, warum sich Celans sprachlicher Ausdruck derart verändert hat, wie es im Vergleich der Gedichte "Todesfuge" und "Engführung" deutlich geworden ist, indem die Rezeptionsgeschichte der beiden Gedichte kurz nachgezeichnet wird.
Die Präsenz von Versen Celans in Form von Zitaten in den Werken von Gegenwartsautoren kann hier nur angedeutet werden. So ist ein längerer Abschnitt in Ingeborg Bachmanns "Malina" (1971) durchdrungen von vielen direkten und indirekten Zitaten aus Celans "Der Sand aus den Urnen",[405] aber auch etwa Herta Müllers "Überall, wo man den Tod gesehen hat. Eine Sommerreise in die Maramuresch"[406] (1987), Elfriede Jelineks "Stecken, Stab und Stangl" (1997), Bettina Galvagnis "Melancholia" (1997) oder Petra Nagenkögels "FREMDGÄNGE und nach spuren die suche" (in: Die Rampe, 1/97) greifen Celansche Verse auf.

4.1. "Todesfuge"

1952 besucht Celan ein Treffen der Gruppe 47, auf dem er einige seiner Gedichte, darunter "Todesfuge", vorliest. Trotz der eher ablehnenden Grundhaltung der Gruppe 47 - einer befindet, Celan habe "in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge", ein anderer glaubt in seinem Vortrag den "Tonfall von Goebbels"[407] zu erkennen - nimmt ihn ein Verleger unter Vertrag. Als im Dezember 1952 "Mohn und Gedächtnis" erscheint, wird "Todesfuge" einem größeren Publikum zugänglich. Kaum eine Rezension aber wird den Gedichten gerecht; Celan muss über seine Dichtung lesen, sie sei "poésie pure, zaubrische Montage", sie habe "französischen Schmelz und die Pracht des Balkans, die Suggestivität des Chansons und die Modulationen der Schwermut. Sie lebt ganz aus der Metapher, aus Bild und Inbild - : die Wirklichkeit wird in die Geheimschrift der Poesie transponiert!"[408] Auch "Todesfuge" bleibt von derartigen Interpretationen nicht verschont, es gefällt der "Abhub alles Gegenständlichen, der saugende Rhythmus, die romantisierende Metapher, die lyrische Alchimie", was zu dem fatalen Schluß führt: "Celans Gedicht ist ohne alle Absichtlichkeit. Es will nichts sein als Hauch, Laut, Lichtfigur, leicht und fast sangbar."[409]
Berechtigt ist aber Reinhard Baumgarts 1965 formulierte Frage, die auf das moralisch - ästhetische Problem aller Lyrik über Auschwitz hinweist: "Celans Todesfuge [...] und ihre Motive, die schwarze Milch der Frühe, der Tod mit der Violine, ein Meister aus Deutschland, alles das durchkomponiert in raffinierter Partitur - bewies es nicht schon zuviel Genuß an Kunst, an der durch sie wieder ‚schön‘ gewordenen Verzweiflung?"[410] Auf diesen Vorwurf der Verharmlosung antwortet Walter Müller - Seidel: "[...] ein Gedicht - auch ein modernes - kann gar nicht schön genug sein, wenn es nur nichts beschönigt. Von jeder Beschönigung aber ist Celans Todesfuge [...] so weit entfernt wie nur eines [...]."[411] Von einer "Schönheit" der Gedichte Celans zu sprechen, bedeutet aber, dem Autor zu widersprechen, der von seiner Sprache sagt: "[...] sie mißtraut dem ‚Schönen‘, sie versucht, wahr zu sein." (GWIII, 167) Theo Buck antwortet deshalb Walter Müller - Seidel: "Wer die ‚Todesfuge‘ ‚schön‘ findet, hat sie nicht verstanden."[412] P.H. Neumann weist außerdem darauf hin, wie sich in "Todesfuge" Kunst und Grauen durchdringen: "[...] mit befohlenem Wohlklang, Fideln und Tanzen [...] müssen die Ausgelöschten ihre Erniedrigung als schönes Fest begehen; sie werden exekutiert, indem sie Schönheit exekutieren."[413] Damit spricht "Todesfuge" doch einen "Genuß an Kunst" an: "Wessen Kunstgenuß? Den sadistischen eines ‚Meisters aus Deutschland‘. Hier wird kein geschichtliches Grauen beschönigt. Vielmehr werden das historisch Schöne, die Kunst der Fuge und Celans Gedicht in eins gesetzt mit dem Grauen: nicht als Schönheit des Grauens, sondern als ein Greuel der Schönheit."[414]
Die Rezeption der "Todesfuge" in den fünfziger und sechziger Jahren ignoriert diese Aspekte aber weitgehend. Celan gerät gegenüber dem Ausdrucksgestus seiner Verse schließlich selbst in ästhetische Zweifel. Dennoch ist es falsch zu behaupten, Celan habe sich explizit von "Todesfuge" distanziert.[415] Er faßt allerdings in der Folgezeit seine ästhetischen und poetologischen Prinzipien noch enger und schärfer. Ein Bericht über "Todesfuge" als Unterrichtsthema in höheren Schulen,[416] der 1957 erscheint und in der Interpretation des Gedichts davon ausgeht, dass das dargestellte Leid auf eine höhere Ebene der Kunst erhoben und damit objektiviert werde, wird so zum Anlass für die Entstehung von "Engführung".
Es verwundert folglich auch nicht, dass Celan "Todesfuge" schließlich nicht mehr öffentlich vorträgt und die Aufnahme des Gedichts in Schulbücher verbieten lassen möchte: "Das Gedicht sollte nicht zum billigen Alibi für fehlende eigene Bemühungen um Herkunft und Vergangenheit werden."[417] Er kann sein Gedicht aber kaum vor Gebrauch und Mißbrauch schützen; es wird - von unzähligen Interpretationen "lesebuchreif gedroschen"[418] - in etlichen Anthologien abgedruckt, wird mehrere Male vertont[419] und lebt in Israel als "Nationalhymne der toten und überlebenden Opfer der Shoa"[420] fort.
Aber auch in den neunziger Jahren gibt es noch neue Kritik an "Todesfuge". Gert Mattenklott verweist auf eine "plakative Wirkung" des Textes in Gestalt des "Appell[s] an eine Reihe deutscher Stereotypen" und kommt zu dem Schluß: "Die Assoziationen Celans stilisieren und dämonisieren die Shoa zu einem Ereignis der deutschen Kulturgeschichte klassisch - romantischer Prägung."[421] Er kritisiert die "Denunziation einer gewissen deutschen Tradition, die von den Nazis als ihr Erbe in Anspruch genommen worden ist"[422]. Dass das "Szenario deutscher Mythologie" unversehens "mit der ‚Endlösung‘ in symbolische Koinzidenz gerät"[423] ist zwar sicherlich richtig, allerdings will Celan mit "Todesfuge" keineswegs generell eine "gewisse[] deutsche[] Tradition" denunzieren, die sich die Nazis "als ihr Erbe" angemaßt haben, sondern vielmehr "unerbittlich das, was die braunen Verbrecher aus der deutschen Tradition zu machen beliebten."[424] Der Kritik Mattenklotts, "Todesfuge" zitiere deutsche Stereotypen herbei, stellt Buck die Frage entgegen: "Was hätte er anderes tun können, angesichts der hier unbedingt zu vermittelnden Auswirkungen der Naziideologie, die bekanntlich in starkem Maße davon lebte?"[425]

4.2. "Engführung"

Wie sehr gewisse Rezensionen der "Todesfuge" Celan berühren, zeigt etwa sein Gedicht "Mutter, Mutter", das im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Artikels Reinhard Baumgarts entsteht, in dem es u.a. um Theodor (Wiesengrund - )Adornos Diktum über Lyrik nach Auschwitz geht:[426]
"[...]
Vor die Messer
schreiben sie dich,
kulturflott, linksnibelungisch, mit
dem Filz -
schreiber, auf Teakholztischen, anti -
restaurativ, proto -
kolarisch, prä -
zise, in der neu und gerecht
zu verteilenden Un -
menschlichkeit Namen,
meisterlich, deutsch,
mannschmannsch, nicht
ab -, nein wiesen -
gründig,
schreiben sie, die
Aber - Maligen, dich
vor
die
Messer."[427]

Die Fülle von enttäuschenden Rezensionen führt letztlich auch zur Entstehung des Gedichts "Engführung", das sprachlich eine radikale Neuorientierung bringt. Doch auch dieser konzeptionelle Wechsel wird kritisiert; Friedhelm Kemp schreibt, es handle sich um keine Verse mehr, der Autor verliere sich in "typographischer Verkünstelung"; Kemp vermißt eine "akustische Einheit" sowie ein "Minimum an Bild, Gedanke, Sinn"[428]. Auch Hans - Jost Frey findet in "Engführung" nur "vorgetäuschte Verse" und eine "Beliebigkeit"[429] der Anordnung.
Celan fühlt sich aber nicht nur deshalb unverstanden; er klagt 1968: "Mein letztes Buch [...] wird überall für verschlüsselt gehalten. Glauben Sie mir - jedes Wort ist mit direktem Wirklichkeitsbezug geschrieben. Aber nein, das wollen und wollen sie nicht verstehen [...]."[430] Noch wenige Wochen vor seinem Tod schreibt er in seinem letzten Brief an Franz Wurm:
"Die Lesung wurde totgeschwiegen oder als ‚unverständlich‘ abgetan.
Gestern, bei Prof. Baumann, Lesung im kleinen Kreise. Heidegger war da, die Tochter Ludwig von Fickers, zwei Assistenten von Prof. Baumann, der eine von ihnen, [...] hatte schon vorher meine Gedichte ins ‚Absolut - Metaphorische‘ verrückt. Frau Baumann und eine junge Studentin haben wirklich zugehört, auch der andere Assistent (und dessen Frau), auch Prof. Baumann, auch Heidegger.
Ich habe hier, auch hier, manche Erfahrung gewonnen, manchen Einblick."[431]

5. ZUSAMMENFASSUNG

Der erste Abschnitt dieser Arbeit sollte einen Einblick in die historischen und biographischen Umstände und Bedingungen geben, unter denen Celans Werk entstand. Der Zweite Weltkrieg und die Judenverfolgungen im Deutschen Reich, denen auch Celans Eltern zum Opfer fielen, sind die wesentlichen Erfahrungen, aus denen sich Celans Dichtung speist. Celan geriet in die Zwangslage, als Dichter keine Sprache zur Verfügung zu haben, die dem Geschehen gerecht würde.
Adornos schroffes Urteil, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, sei barbarisch, konnte Celan - als Dichter - unmöglich akzeptieren, weshalb er eine eigene Poetologie entwickelte, die er im Rahmen seiner Büchner - Preis - Rede "Der Meridian" 1958 darlegte. Darin zeigt er die unauflösliche Dialektik von Kunst und Dichtung auf; Dichtung bezeugt eine "Gegenwart des Menschlichen" (GWIII, 190), während Kunst "Ich - Ferne" (GWIII, 193) schafft. Trotz dieser Gegensätzlichkeit kann Dichtung ohne künstlerische Elemente nicht existieren, weshalb "Kunst der von der Dichtung zurückgelegte Weg" (GWIII, 194) sein muss; den Augenblick der Freisetzung der Dichtung von der Kunst nennt Celan "Atemwende" (GWIII, 195). Dieser Gegenüberstellung von Kunst und Dichtung im "Meridian" entspricht die Gegenüberstellung von semiologischer Differenz und Indifferenz in der Metapoesie der Gedichte Celans. Celan begnügt sich ebensowenig mit der Arbitraritätsthese Saussures wie mit der archaischen Idee einer Wort - Ding - Identität, sondern entwirft ein differenziertes Modell für ein mögliches Zusammenwirken von Signifikant und Signifikat im Gedicht, für das der Begriff des "Namens" von besonderer Bedeutung ist. Das Anliegen, die arbiträre Zeichenlogik der Sprache auf der Ebene des Gedichts zu transzendieren, steht in Verbindung mit Celans Forderung nach einer Sprache des Einzelnen, der "Individuation" im "Meridian"; die Funktion der Motivation besteht eben darin, auf der Ebene der Sprache dem "Einzelnen" in Form einer "Präsenz" Raum zu geben.[432] Tatsächlich ereignet sich in den Gedichten Celans auch eine "Ineinsbildung von Sprachform und Geschichtserfahrung"[433], wie etwa bei einer metapoetischen Deutung der optischen Metaphorik Celans deutlich wird.
Im dritten Abschnitt wurde versucht, die Kenntnis der Grundzüge der Poetik Celans auf konkrete Texte anzuwenden. Aufgrund des frühen Entstehungsdatums der "Todesfuge" (1945) konnten an diesem Gedicht noch keine unmittelbaren Realisationen der im "Meridian" geforderten Poetologie aufgezeigt werden. Durch den Vergleich mit dem Gedicht "Engführung" (1958) wurde aber deutlich, welche Entwicklung die Dichtungstheorie Celans durchgemacht haben musste, um von den langen, suggestiven Versen der "Todesfuge" und den frühen Gedichten zu den fragmentierenden Wort - und Satzbrechungen, zu der generellen Reduktion des Ausdrucks der späten Gedichte zu gelangen.
Der vierte und letzte Abschnitt dieser Arbeit wies auf die Rezeptionsgeschichte der beiden Gedichte hin, die in ihren Anfängen nicht unmaßgeblich zur Weiterentwicklung der Poetologie Celans beigetragen haben dürfte, wenn auch - oder vielmehr gerade weil - seine Gedichte oft als in der Tradition des Symbolismus, der poésie pure stehend mißverstanden wurden. Der Sprache Celans wurde immer wieder ihr starker Hermetismus vorgeworfen, weshalb sich der Dichter bis zu seinem Tod unverstanden fühlte: "Glauben Sie mir - jedes Wort ist mit direktem Wirklichkeitsbezug geschrieben. Aber nein, das wollen und wollen sie nicht verstehen [...]."[434]
Anhang: Die Gedichte "ER" und "Todesfuge"


ER (Immanuel Weißglas)[435]

Wir heben Gräber in die Luft und siedeln
Mit Weib und Kind an dem gebotnen Ort.
Wir schaufeln fleißig, und die andern fiedeln,
Man schafft ein Grab und fährt im Tanzen fort.

5 ER will, dass über diese Därme dreister
Der Bogen strenge wie sein Antlitz streicht:
Spielt sanft vom Tod, er ist ein deutscher Meister,
der durch die Lande als ein Nebel schleicht.

Und wenn die Dämmrung blutig quillt am Abend,
10 Öffn‘ ich nachzehrend den verbissnen Mund,
Ein Haus für alle in die Lüfte grabend:
Breit wie der Sarg, schmal wie die Todesstund.

ER spielt im Haus mit Schlangen, dräut und dichtet,
In Deutschland dämmert es wie Gretchens Haar.
15 Das Grab in Wolken wird nicht eng gerichtet:
Da weit der Tod ein deutscher Meister war.


Todesfuge (Paul Celan)[436]

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
5 Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

10 Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
15 Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr anderen singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
20 wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
25 er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
30 der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

35 dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
Literaturverzeichnis


Primärliteratur

Brecht, Bertolt: Ausgewählte Gedichte, Frankfurt am Main 1970.
Büchner, Georg: Dantons Tod, Stuttgart 1995.
Celan, Paul: Die Gedichte aus dem Nachlass, Frankfurt am Main 1997.
Celan, Paul: Gedichte 1938 - 44, Frankfurt am Main 1986.
Celan, Paul: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Frankfurt am Main 1986.
Celan, Paul: Sprachgitter. Vorstufen - Textgenese - Endfassung, Frankfurt am Main 1996.
Celan, Paul; Franz Wurm: Briefwechsel, Frankfurt am Main 1995.
Celan, Paul; Sachs, Nelly: Briefwechsel, Frankfurt am Main 1995.
Dante, Alighieri: Die Göttliche Komödie, Stuttgart 1996.
Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra, Stuttgart 1995.
Trakl, Georg: Werke - Entwürfe - Briefe, Stuttgart 1995.

Verwendete Sekundärliteratur

Adorno, Theodor W.: Engagement; in: Kiedaisch, Petra (Hrsg.): Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter, Stuttgart 1995, S. 53 - 55.
Adorno, Theodor W.: Ist die Kunst heiter?; in: Kiedaisch, Petra (Hrsg.): Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter, Stuttgart 1995, S. 68 - 69.
Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft; in: Kiedaisch, Petra (Hrsg.): Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter, Stuttgart 1995, S. 27 - 49.
Adorno, Theodor W.: Meditationen zur Metaphysik; in: Kiedaisch, Petra (Hrsg.): Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter, Stuttgart 1995, S. 55 - 63.
Allemann, Beda: Nachwort; in: Celan, Paul: Ausgewählte Gedichte, Frankfurt am Main 171994, S. 149 - 163.
Arnold, Heinz Ludwig; Detering, Heinrich (Hrsg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, München 1996.
Benn, Gottfried: Probleme der Lyrik (Auszüge); in: Kaiser, Gerhard R.: Die deutsche Literatur in Text und Darstellung. Gegenwart (Bd. 16), Stuttgart 1995, S. 26 - 30.
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Taibon, Markus: Ein Wort nach dem Bilde des Schweigens. Zur Sprach - Metaphorik im Werk Paul Celans, Salzburg 1992.
Voswinckel, Klaus: Paul Celan. Verweigerte Poetisierung der Welt, Heidelberg 1974.
Weigel, Sigrid: Die Erinnerungs - und Erregungsspuren von Zitat und Lektüre. Die Intertextualität Bachmann - Celan, gelesen mit Benjamin; in: Böschenstein, Bernhard; Weigl, Sigrid (Hrsg.): Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Poetische Korrespondenzen, Frankfurt am Main 1997, S. 231 - 249.
Wiedemann - Wolf, Barbara: Antschel Paul - Paul Celan. Studien zum Frühwerk, Tübingen 1985.
Zschachlitz, Ralf: Vermittelte Unmittelbarkeit im Gegenwort. Paul Celans kritische Poetik, Frankfurt am Main 1990.
Begleitprotokoll



23. 5. 97 Erstes Vorbringen des Wunsches, eine Fachbereichsarbeit über Paul Celan zu schreiben; Einwilligung von Dr. Glasser

25. 6. 97 Unterredung über den ungefähren Aufbau der Arbeit

2. 7. 97 Unterredung: Genauere Themenbestimmung und erste Auswahl der Sekundärliteratur


15. 9. 97 Unterredung: Genaue Themen - und Titelfestlegung

16. 9. 97 Schriftliche Bestätigung des Themas

3. 10. 97 Unterredung: Gliederung der Arbeit, Zitierregeln (Kopien erhalten)

15. 10. 97 Vorlegen des Abschnittes "Jugendjahre und Frühwerk"

12. 11. 97 Vorlegen des Abschnittes "Todesfuge" (Interpretation)

26. 11. 97 Vorlegen des Abschnittes "Der Meridian"

13. 12. 97 Vorlegen des Abschnittes "Metapoetische Reflexionen"

18. 12. 97 Unterredung zum Abschnitt "Metapoetische Reflexionen" und zum weiteren Vorgehen

10. 1. 98 Vorlegen der Abschnitte "Engführung" (Interpretation), "Lyrik nach Auschwitz" und
"Vergleich der Gedichte"

15./16. 1. 98 Unterredungen zu den abgegebenen Abschnitten, Vereinfachung der Quellennachweise

28. 1. 98 Vorlegen der Abschnitte "Semantik" und "Dichtung als Dialog"

4. 2. 98 Vorlegen der Abschnitte "Rezeption" und "Zusammenfassung"


[ANMERKUNGEN]

1. Biographische und historische Aspekte

1Celan, Paul: Gedichte 1938 - 44, Frankfurt am Main 1986, S. 41.
[2] Celan, Paul: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Frankfurt am Main 1986. Die ab nun verwendete Abkürzung lautet GW, die römische Zahl bezieht sich auf die Bandzählung (I - V), die abschließende arabische Zahl verweist auf die Seitenzahl, auf der das Gedicht beginnt.
[3] Vgl. Chalfen, Israel: Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend, Frankfurt am Main 1983, S. 36 und 61f.; Felstiner, John: Paul Celan. Eine Biographie, München 1997, S. 29.
[4] Vgl. Chalfen, S. 31.
[5] Vgl. ebd., S. 40f.
[6] Celan, Brief an Minna Antschel, 30. 1. 1934; zit.n.: Chalfen, S. 51.
[7] Vgl. Chalfen, S. 56f.
[8] Vgl. ebd., S. 50f.
[9] Der trockene Materialismus der "Väter des Sozialismus" stößt ihn allerdings ab, so dass er sich dem anarchistischen Fürsten Peter Kropotkin zuwendet, dessen Werk "Gegenseitige Hilfe" ihn fasziniert. (Vgl. Chalfen, S. 63f.) 1960 bezeichnet Celan sich selbst als einen "auch mit den Schriften Peter Kropotkins und Gustav Landauers Aufgewachsenen" (GWIII, 190).
[10] Vgl. Chalfen, S. 62f.
[11] Vgl. Felstiner, S. 32; Chalfen, S. 73.
[12] Über die Beziehung zwischen Weißglas und Celan gibt es sehr divergierende, mitunter widersprüchliche Aussagen. Heinrich Stiehler etwa berichtet von einem "freundschaftlichen Wettbewerb" (Neumann, Peter Horst: Zur Lyrik Paul Celans. Eine Einführung, Göttingen 21990, S. 106) zwischen den beiden; Israel Chalfen hingegen behauptet, dass sich "Paul weder damals noch später mit Weißglas eingelassen" (Chalfen, S. 72) hätte. Wahrscheinlicher ist erstere Position, bedenkt man die auffälligen Parallelen ihrer Gedichte "ER" und "Todesfuge" (vgl. S. 18 dieser Arbeit).
[13] Vgl. Felstiner, S. 31.
[14] Im Band "Die Niemandsrose" (1963) verarbeitet er vermutlich das dort Erlebte:
"[...]
Ãœber Krakau
bist du gekommen, am Anhalter
Bahnhof
floß deinen Blicken ein Rauch zu,
der war schon von morgen. [...]" (GWI, 283)
[15] Vgl. Chalfen, S. 86f. und Felstiner, S. 34f.
[16] Vgl. Günzel, Elke: Das wandernde Zitat. Paul Celan im jüdischen Kontext, Würzburg 1995, S. 22.
[17] Vgl. Chalfen, S. 93f.
[18] Vgl. ebd., S. 115ff.
[19] Vgl. ebd., S. 126ff.
[20] Vgl. z.B.: "Es war Erde in ihnen" (GWI, 211).
[21] Vgl. Chalfen, S. 120f.
[22] Abgesehen davon, dass es bisher nur vergleichsweise wenig Sekundärliteratur zu Celans Jugendgedichten gibt, werden viele Interpretationen ihrem Gegenstand nicht wirklich oder überhaupt nicht gerecht. Vivian Liska leitet ihre Analyse, die hier als hauptsächliche Grundlage dient, mit einer gelungenen Kritik bisheriger Deutungsversuche ein: Liska, Vivian: Die Nacht der Hymnen. Paul Celans Gedichte 1938 - 1944, Frankfurt am Main [u.a.] 1993, S. 17 - 35.
[23] Celan ordnet bereits diese Gedichte in Zyklen, den einzelnen Titeln zufolge, Zyklen der Nacht.
[24] Buck, Theo: Celan - Studien. 1. Muttersprache, Mördersprache, Aachen 1993, S. 15.
[25] Liska, S. 137.
[26] Vgl. ebd., S. 138.
[27] Ebd., S. 50.
[28] Ebd., S. 54.
[29] Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 36. Vgl. die ausführliche Interpretation Vivian Liskas in: Liska, S. 54ff.
[30] Ebd., S. 55.
[31] In späteren Gedichtbänden entwickelt sich daraus eine Kritik an der Normalsprache. Vgl. Voswinckel, Klaus: Paul Celan. Verweigerte Poetisierung der Welt, Heidelberg 1974, S. 183.
[32] "Wo Sprache und Realität aufeinanderprallen, stehen lauter Negationen [...]." (Voswinckel, S. 17)
[33] Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 41.
[34] Liska, S. 57.
[35] Vgl. ebd., S. 57f.
[36] Ebd., S. 58.
[37] Ebd., S. 58.
[38] Vgl. ebd., S. 64.
[39] Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 51.
[40] Vgl. Liska, S. 68ff.
[41] Ebd., S. 137.
[42] Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 102.
[43] "Was wär es, Mutter: Wachstum oder Wunde - / versänk ich mit im Schneewehn der Ukraine?" (Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 112.)
[44] "Und duldest du, Mutter, wie einst, ach daheim, / den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?" (Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 130.)
[45] Vgl. Liska, S. 127ff.
[46] Celan, Gedichte 1938 - 44, S. 128. Schon der Titel weist auf einen geschichtlichen Zeitpunkt hin: Im Frühling 1944 wurde Czernowitz zum zweiten Mal von sowjetrussischen Truppen besetzt.
[47] Vgl. Wiedemann - Wolf, Barbara: Antschel Paul - Paul Celan. Studien zum Frühwerk, Tübingen 1985, S. 129ff.
[48] Vgl. Liska, S. 28ff.; Voswinckel, S. 111.
[49] Brief an Harald Hartung, 4. 12. 1958; in: Park 14/15 (1982), S. 7; zit.n.: Felstiner, S. 50.
[50] Vgl. Chalfen, 136f.; Felstiner, S. 52.
[51] Celan hat im Sommer 1940 begonnen, Russisch zu lernen. (Vgl. Chalfen, S. 93)
[52] Kittner, Alfred: Erinnerungen an den jungen Paul Celan; in: Zeitschrift für Kulturaustausch 32/3 (1982), S. 218; zit.n.: Felstiner, S. 52.
[53] Chalfen, S. 144 (von ihm zitiert nach Protokollen von Gesprächen mit Ruth Lackner).
[54] Felstiner, S. 70.
[55] Vgl. Chalfen, S. 146ff.
[56] Vgl. ebd., S. 148f.
[57] Contemporanul 32, 2.5.1947; zit.n.: Felstiner, S. 56.
[58] Vgl. Felstiner, S. 57f.
[59] Er findet dennoch einige verständnisvolle Freunde wie Edgar Jené, Milo Dor, Klaus Demus und Ingeborg Bachmann. Vgl. dazu: Böschenstein, Bernhard; Weigl, Sigrid (Hrsg.): Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Poetische Korrespondenzen, Frankfurt am Main 1997, passim.
[60] Seine anfängliche Paris - Begeisterung verliert sich mit der Zeit etwas. So schreibt er am 5.5.1967 an Franz Wurm: "Ich selbst muss die Hundstage gallischerweise in Lutetia verbringen [...]." (Celan, Paul; Franz Wurm: Briefwechsel, Frankfurt am Main 1995, S. 65); und am 20.10.1969: "Paris, das sind die Härten und dann und wann ein kleines Gedicht." (Ebd., S. 220)
[61] Brief an Ludwig von Ficker, 5. 2. 1951; zit.n.: Felstiner, S. 93.
[62] Vgl. Felstiner, S. 93.
[63] Sein erstes Jahr in Paris bezeichnet er als "ein Schatten - und Dunkeljahr [...], das [...] keinen anderen Namen trug als den der Einsamkeit, der Abgeschiedenheit und der Verschlossenheit." (Brief an Ruth Lackner, 2.12.1949; zit.n.: Buck, S. 35.) So gewinnen Begegnungen und kurze Freundschaften wie mit Diet Kloos - Barendregt an Bedeutung. Vgl. dazu: Sars, Paul: ‚Ein solcher Ausgangspunkt wären meine Gedichte‘. Zu den Briefen von Paul Celan an Diet Kloos - Barendregt, passim.
[64] Seine Empfindlichkeit gegenüber Nachkriegs - Deutschland, das er nun erstmals bereist, verdeutlicht folgende Anekdote: "Bei einem Spaziergang durch Hamburg stieß er auf einen Hund, der von einem Auto überfahren worden war, und ein paar Frauen, die über den Unfall die Hände rangen: ‚Bei einem Hund jammern sie!‘ rief Celan aus." (Felstiner, S. 98)
[65] Vgl. Felstiner, S. 98f.
[66] "Todesfuge" ist bereits in Celans erstem Gedichtband "Der Sand aus den Urnen" (1948) enthalten, der jedoch (offiziell aufgrund von vielen, teilweise sinnentstellenden Druckfehlern) vom Autor selbst zurückgezogen wurde. (Vgl. Felstiner, S. 92f.)
[67] Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" etwa druckt, er sei in Wien aufgewachsen. (Vgl. Felstiner, S. 106)
[68] Vgl. S. 35 dieser Arbeit.
[69] Felstiner, S. 107.
[70] Im Erscheinungsjahr von seinem Gedichtband "Sprachgitter" (1958), in dem "Engführung" enthalten ist, schreibt Celan, dass die Sprache der deutschen Lyrik "nüchterner, faktischer geworden [ist], sie [die deutsche Lyrik] mißtraut dem ‚Schönen‘, sie versucht, wahr zu sein." (GWIII, S. 167)
[71] Vgl. GWIII, S. 197. Vgl. dazu: Buck, S. 93ff.
[72] Vgl. Szondi, Peter: Schriften II. Essays, Frankfurt am Main 1978, S. 423ff.
[73] Vgl. Felstiner, S. 133f.
[74] Vgl. dazu: Günzel, passim. Es findet sich dort außerdem eine hilfreiche Übersicht zu Celans Nachlassbibliothek (Ebd., S. 327 - 369), die allerdings noch fragmentarisch und unvollständig ist, da alle Briefe, Notizen, Exzerpte und Tagebücher Celans bis zum Jahr 2020 unter Verschluß bleiben.
[75] Vgl. Günzel, S. 327f.
[76] Vgl. dazu: Gellhaus, Axel: Marginalien. Paul Celan als Leser, passim.

2. Literaturtheoretische Reflexionen Celans
[77] Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft, S. 49.
[78] Buck, S. 57.
[79] Enzensberger, Hans Magnus: ‚Die Steine der Freiheit‘, S. 73.
[80] Adorno, Theodor W.: Meditationen zur Metaphysik, S. 57.
[81] Adorno, Theodor W.: Engagement, S. 54f. Adorno lehnt jede Art von Dichtung nach Auschwitz ab, die "Sinn" suggeriert. (Vgl. Kiedaisch, Petra: Einleitung, S. 14)
[82] Vgl. dazu den folgenden Abschnitt "Der Meridian". Nach Celan muss Dichtung ihrer "Daten eingedenk" (GWIII, 196) bleiben; er führt aus: "Vielleicht darf man sagen, dass jedem Gedicht sein ‚20. Jänner‘ eingeschrieben bleibt?" (GWIII, 196) (Vgl. dazu S. 11 dieser Arbeit.)
[83] Adorno, Theodor W.: Ist die Kunst heiter?, S. 68.
[84] Kiedaisch, Einleitung, S. 16.
[85] Ebd., S. 14.
[86] Zit.n.: Koelle, Lydia: Paul Celans pneumatisches Judentum. Gott - Rede und menschliche Existenz nach der Shoah, Mainz 1997, S. 342. Die Notiz findet sich im Nachlass - Konvolut des Gedichtzyklus "Atemwende".
[87] Brecht, Bertolt: Ausgewählte Gedichte, Frankfurt am Main 1970, S. 56.
[88] Vgl. dazu: Janssen - Zimmermann, Antje: ‚Ãœberall, wo man den Tod gesehen hat, ist man ein bißchen wie zuhaus.‘ Schreiben nach Auschwitz - Zu einer Erzählung Herta Müllers, S. 245f; Kaiser, Gerhard: Wozu noch Literatur? Ãœber Dichtung und Leben, München 1996, S. 84f. Menninghaus weist auf eine weitere Bedeutungsebene des Gedichts hin: Menninghaus, Winfried: Paul Celan. Magie der Form, Frankfurt am Main 1980, S. 37ff. (Vgl. S. 41 [Anm. 85] dieser Arbeit.)
[89] Vgl. Szondi, S. 384f.
[90] Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, Bd. 7, Frankfurt am Main 1970, S. 477; zit.n.: Kiedaisch, Einleitung, S. 16.
[91] Janz, Marlies: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans, Frankfurt am Main 1976, S. 99.
[92] O. Lorenz sieht in Celans dichtungstheoretischen Schriften "gezielte Rezeptionsanweisungen" und "Verständnishilfen" (Lorenz, Otto: Paul Celan, S. 3).
[93] Vgl. Taibon, Markus: Ein Wort nach dem Bilde des Schweigens. Zur Sprach - Metaphorik im Werk Paul Celans, Salzburg 1992, S. 90.
[94] Szondi, Peter: Celan - Studien, Frankfurt am Main 1972, S. 45. Mitte der 60er Jahre, als die Literaturwissenschaft begann, sich mit dem Werk Celans zu beschäftigen, "ordnete man ihn in die Tradition des Symbolismus, der poésie pure, in die Tradition der Loslösung von der empirischen Realität ein. Das Gedicht entwerfe sich seine eigene Wirklichkeit. Gegenwirklichkeit, Hermetismus sei die notwendige Folge." (Jamme, Christoph: Paul Celan. Sprache - Wort - Schweigen, S. 213) Nach C. Jamme vertritt Celan eine "nach - Mallarmésche Position" (Ebd., S. 214).
[95] Vgl. Menninghaus, Magie, S. 15; Jamme, S. 213ff.
[96] Leutner, S. 147. Der von Leutner verwendete Begriff "Realismus" ist hier nicht terminologisch abgesichert; Celan selbst benutzt den Ausdruck des "auf die Kreatur zu beziehenden Worts" (GWIII, 197).
[97] Menninghaus, Magie, S. 14.
[98] C. Jamme spricht außerdem der "Erfahrung (mehrfachen) Exils" (Jamme, S. 214) Bedeutung zu.
[99] Leutner, S. 148.
[100] Vgl. dazu: Taibon, Markus: Ein Wort nach dem Bilde des Schweigens. Zur Sprach - Metaphorik im Werk Paul Celans, Salzburg 1992, passim.
[101] "[...] ich [befinde] mich [...] in den reinsten Gletschern der Ästhetik [...] - denn nachdem ich das Nichts gefunden habe, habe ich die Schönheit gefunden [...]." (Mallarmé, Stéphane: Correspondance 1862 - 1871, Paris 1959, S. 220f.; zit.n.: Schulze, Joachim: Die reinsten Gletscher der Ästhetik, S. 227)
[102] Celan zitiert hier aus Büchners "Leonce und Lena".
[103] Camille kritisiert dort das idealistische Theater: "Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen - welch ein Charakter, welche Konsequenz!" (Büchner, Georg: Dantons Tod, Stuttgart 1995, S. 35)
[104] "Lenz, also Büchner, hat, ‚ach, die Kunst‘, sehr verächtliche Worte für den ‚Idealismus‘ und dessen ‚Holzpuppen‘." (GWIII, 191)
[105] Leutner, S. 150.
[106] Vgl. ebd., S. 151.
[107] "CAMILLE. Was sagst du, Lucile? LUCILE. Nichts, ich seh dich so gern sprechen. CAMILLE. Hörst du mich auch? LUCILE. Ei freilich! CAMILLE. Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe? LUCILE. Nein, wahrhaftig nicht." (Büchner, Georg: Dantons Tod, Stuttgart 1995, S. 36)
[108] Leutner, S. 151.
[109] Janz, S. 100.
[110] Leutner, S. 152. Dem gegenüber steht P. Lacoue - Labarthes Interpretation, wenn er behauptet: "Das, was Celan Luciles ‚Gegenwort‘ nennt, ist eigentlich nichts entgegengesetzt, [...]. Es befürwortet auch nichts: es plädiert nicht für die Monarchie, ist kein politisches Wort - und kein anarchistisches. Es ist ‚absurd‘: es sagt nichts aus. Und dennoch ist es nicht ‚neutral‘, [...]. Gegenwort ist es nur, sofern es eine solche Geste ist, und insofern es, [...] von einer ‚Entscheidung‘ herrührt: der Entscheidung, oder Geste, zu sterben." (Lacoue - Labarthe, Philippe: Katastrophe, S. 40) Er nimmt hier Bezug auf Celans Aussage, Luciles "Gegenwort" huldige "der für die Gegenwart des Menschlichen zeugenden Majestät des Absurden." (GWIII, 190) Laut P. Leutner ist dieses "absurde Sprechen" notwendig, um das Pathos der Revolutionäre abzulösen. (Vgl. Leutner, S. 152)
[111] Leutner, S. 153. P. Leutner findet dazu eine Parallele in Kants "Kritik der Urteilskraft", worin dieser darlegt, "dass die Hervorbringungen des Genies sowohl ‚originell‘ als auch ‚exemplarisch‘ sein müssen. In diesem Sinne kann man auch das poetische Gegenwort verstehen als ‚originell‘, d.h. keiner bereits existierenden Regel folgend, aber doch als ‚Muster‘ für andere gelten wollend." (Ebd., S. 153)
[112] Vgl. Koelle, S. 144.
[113] Celan befürwortet einen eigenständigen Bereich der Kunst; die Formel "Elargissez l’Art" weist er zurück. (Vgl. GWIII, 200)
[114] Koelle, S. 144.
[115] "Das mortifizierende Prinzip der Ästhetisierung gemahnt aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit mit dem Akt realer Tötung an die historischen Ereignisse der Massenvernichtung." (Leutner, S. 154)
[116] Celan spricht von einer "radikale[n] In - Frage - Stellung der Kunst" bei Büchner, "zu der alle heutige Dichtung zurück muss, wenn sie weiterfragen will" (GWIII, 192f.).
[117] Leutner, S. 155.
[118] Laut P. Leutner bezieht sich Celan hier ausdrücklich auf Mallarmé, um sich einerseits damit gegen zeitgenössische Dichter (besonders Gottfried Benn) zu wenden, die sich auf die Poetik der poésie pure berufen, andererseits weil das artifizielle Moment der Mortifizierung bei Mallarmé eine herausragende Stellung einnimmt. (Vgl. Leutner, S. 155)
[119] Hier gibt es in der Sekundärliteratur allerdings unterschiedliche Auffassungen. Janz geht davon aus, dass Celan sich weigere, Mallarmé konsequent zu Ende zu denken, da ihm der Vergleich mit ihm unangemessen erscheine. (Vgl. Janz, S. 226)
[120] Vgl. Leutner, S. 156.
[121] Celan äußerte 1965 gegenüber D. Meinecke: "Es gebe Artistik, und sie könne von höchstem Rang sein, aber es gebe auch eine andere Sprechweise, die das Artistische nicht umginge, sondern durch es hindurchginge." (Meinecke, Dietlind: Wort und Name bei Paul Celan. Zur Widerruflichkeit des Gedichts, Bad Homburg - Berlin - Zürich 1970, S. 29; zit.n.: Koelle, S. 146.)
[122] Diesen Vorgang erläutert Celan am Beispiel Büchners Erzählung "Lenz", worauf aus Raumgründen hier nicht weiter eingegangen werden kann.
[123] Lacoue - Labarthe, S. 44.
[124] Vgl. Koelle, S. 148.
[125] Deshalb Celans Bemerkung über Luciles "Gegenwort": "Gehuldigt wird hier der für die Gegenwart des Menschlichen zeugenden Majestät des Absurden." (GWIII, 190) (Vgl. S. 40 [Anm. 34] dieser Arbeit.)
[126] Adorno, Theodor W.: Arnold Schönberg, S. 678; in: Der goldene Schnitt. Große Essayisten der Neuen Rundschau 1890 - 1960, Frankfurt am Main 1960; zit.n.: Koelle, S. 140. Celan besaß diese Arbeit Adornos und strich die zitierte Stelle an.
[127] Vgl. dazu: Leutner, S. 157ff.; Janz, S. 105; Jamme, Celan, S. 214; Lorenz, Celan, S. 7f.; Pöggeler, Otto: Spur des Worts. Zur Lyrik Paul Celans, Freiburg/München 1986, S. 145f.
[128] Vgl. Leutner, S. 163f.
[129] Der "Meridian" ist bei Celan aber auch Chiffre von Heimat, er findet als solche auch Eingang in Gedichte (vgl. GWI, 290). Möglicherweise wurde Celan auf das Meridian - Motiv durch einen Brief Nelly Sachs‘ vom 28. 10. 1959 an ihn aufmerksam: "Zwischen Paris und Stockholm läuft der Meridian des Schmerzes und des Trostes." (Celan, Paul; Sachs, Nelly: Briefwechsel, Frankfurt am Main 1995, S. 25. - Zu dieser Zeit lebte Celan in Paris, Sachs in Stockholm.) M. Taibon wiederum sieht im Tropus des Meridians eine Verbindung der Pole Utopie und Wirklichkeit und versteht den Meridian deshalb auch als "Bild für die Sprache in ihrem Wechsel - und Zusammenspiel zwischen dem Wirklichen und dem Unmöglichen" (Taibon, S. 101).
[130] P.H. Neumann schreibt, die Begegnung mit Mandelstamm werde Celan zu einer "Selbstbegegnung im Vergangenen" (Neumann, S. 31). Celan übersetzte eine Auswahl Mandelstammscher Gedichte und widmete ihm seinen Gedichtband "Die Niemandsrose". In zwei seiner Gedichte (GWI, 261 und 284) spricht Celan Mandelstamm direkt an. Vgl. zu diesem "Gespräch" zwischen den Autoren Celan und Mandelstamm: Schneider, Gottfried Reinhard: Untersuchungen zur Poetik Paul Celans. Versuch zum ‚dunklen‘ Gedicht, Salzburg 1974, S. 147 - 160. Vgl. zum Verhältnis zwischen Celan und Mandelstamm weiters: Neumann, S. 31ff.; Günzel, S. 117ff.; Broda, Martine: "An Niemand gerichtet". Paul Celan als Leser von Mandelstamms ‚Gegenüber‘, S. 209 - 221; Lehmann, Jürgen (Hrsg.): Kommentar zu Paul Celans ‚Die Niemandsrose‘, Heidelberg 1997, S. 12 - 16, 45 - 47.
[131] Mandelstamm, Ossip: Vom Gegenüber, S. 202f.
[132] Ebd., S. 203.
[133] Ebd., S. 207.
[134] Ebd., S. 207.
[135] Vgl. Broda, S. 211.
[136] "Alles möchte dichten das moderne Gedicht, dessen monologischer Zug außer Zweifel ist. Die monologische Kunst, die sich abhebt von der geradezu ontologischen Leere, die über allen Unterhaltungen liegt und die die Frage nahelegt, ob die Sprache überhaupt noch einen dialogischen Charakter in einem metaphysischen Sinne hat." (Benn, Gottfried: Probleme der Lyrik, S. 30)
[137] Vgl. zum unterschiedlichen Lyrik - Verständnis von Celan und Benn: Zschachlitz, Ralf: Vermittelte Unmittelbarkeit im Gegenwort. Paul Celans kritische Poetik, Frankfurt am Main 1990, S. 63 - 79.
[138] Vgl. Mandelstamm, S. 202.
[139] Vgl. dazu: Leutner, S. 162.
[140] Vgl. Menninghaus, Magie, S. 12f.
[141] Ebd., S. 13. Peter Szondi hat als erster Benjamins Begriff der Intention auf die Sprache zum erklärten Ausgangspunkt einer Celan - Interpretation gemacht. (Vgl. Szondi, Peter: Celan - Studien, Frankfurt am Main 1972) Er erkennt aber nicht die Bedeutung der "geschichtlichen Erfahrung und Reflexion im Innern von Celans Intention auf die Sprache" (Menninghaus, Magie, S. 14), weshalb er zu dem fragwürdigen Schluß kommt, Celan trete eine "Nachfolge des späten Mallarmé" (Szondi, Celan, S. 45) an. Vgl. dazu Menninghaus‘ fundamentale Kritik an Szondis Celan - Studien: Menninghaus, Magie, S. 13 - 16.
[142] Menninghaus, Magie, S. 23.
[143] Vgl. S. 9 dieser Arbeit; vor allem seine Äußerung: "Die deutsche Lyrik geht, glaube ich, andere Wege als die französische. [...] Ihre Sprache ist nüchterner, faktischer geworden, sie mißtraut dem ‚Schönen‘, sie versucht wahr zu sein." (GWIII, 167)
[144] Menninghaus, Magie, S. 24.
[145] Ebd., S. 24. Beda Allemann drückt dies folgendermaßen aus: "[...] die Worte werden nicht mehr nur als Bezeichnungen der Dinge aufgefaßt, sondern erscheinen als selbständige Wesen gleichrangig und ohne kategoriale Differenz neben und zwischen den Erscheinungen der im Gedicht ausgesprochenen Welt." (Allemann, Beda: Nachwort, S. 159)
[146] Menninghaus, Magie, S. 25.
[147] Allerdings bildet der "Schatten" keinen absoluten Gegensatz zum "Licht", da er sowohl materiell einen gewissen Grad an Licht enthält, als auch (in seiner metaphorischen Funktion bei Celan) zur gleitenden Skala positiv determinierter Lichtmetaphern (dämmerndes, lauschendes, schwimmendes Licht etc.) gezählt werden kann. (Vgl. dazu: Menninghaus, Magie, S. 43 - 47)
[148] Menninghaus, Magie, S. 26.
[149] Vgl. ebd., S. 26.
[150] Nach Menninghaus sind Baken deshalb besonders geeignet, "instrumentelle Zeichen - und dichterische ‚Wort‘ - Logik zu kontrastieren, weil in ihnen ein doppelter Parallelismus (im Sinne Jakobsons) statthat. Zum einen zwischen ihrer allgemeinen Semio - Logik als Signifikant und der konkreten Substanz ihres Signifikant - Seins - die Bake ist als Gegenstand ebensosehr ein Schild ohne räumliche oder gar geistige ‚Tiefe‘, wie sie abstrakt - zeichentheoretisch ein ‚leerer‘ Signifikant ist [...]. Zum andern zwischen ihrer allgemeinen Semiologik als Signifikat und dem konkreten Inhalt dieses Signifikat - Seins - die Bake hat als singuläres Zeichen genau das zum Inhalt, was nach Celan die allgemeine Form arbiträren Bedeutens charakterisiert" (Menninghaus, Magie, S. 29f.), nämlich das grelle Herausstehen der Bedeutung aus einem in seiner Materalität bedeutungslosen Wort.
[151] Menninghaus, Magie, S. 29.
[152] Der "Leitstrahl" ist Bestandteil der negativen Licht - Metaphorik, er entspricht etwa den "Lichtkeilen" und dem "Leuchtschopf". Das grell Blendende des "Leitstrahl[s]" wird durch das Wort "nächtlings" zusätzlich verstärkt.
[153] Menninghaus, Magie, S. 30.
[154] Vgl. S. 11 dieser Arbeit.
[155] "Dieser Sprache geht es, bei aller unabdingbaren Vielstelligkeit des Ausdrucks, um Präzision." (GWIII, 167)
[156] "[...] die Bildung von Baken (Zeichen) [...] ist durch das Aufreißen einer vertikalen semiologischen Differenz von Ding (Laut) und Bedeutung charakterisiert." (Menninghaus, Magie, S. 31)
[157] Vgl. dagegen die Begründung für die Intention auf den "Namen" bei Menninghaus, Magie, S. 52f.
[158] Menninghaus hingegen spricht von einem "sprachphilosophischen Dilettantismus solcher in der Literaturwissenschaft beliebten Amateur - Mystica", den schon die "Untauglichkeit zur praktisch - interpretativen Erschließung von Celans Sprechen" (Menninghaus, Magie, S. 36) hinreichend widerlege.
[159] Menninghaus, Magie, S. 36.
[160] Ebd., S. 35.
[161] Ebd., S. 37. W. Menninghaus sieht eine direkte Gegenüberstellung von instrumentellem Inhalt und innerem Form - Gehalt der Sprache nicht nur in der von Celan selbst formulierten Opposition von Reden und Sprechen (vgl. GWIII, 171), sondern auch in bestimmten Gedichten thematisiert (z.B.: "Ein Blatt" [GWII, 385]).
[162] Menninghaus betrachtet das Wort "Name" als außergewöhnlich zentralen Begriff der Lyrik Celans, das "von zahlreichen Gedichten nachdrücklich exponiert und insistierend umkreist" (Menninghaus, Magie, S. 9) werde. Auch enthalte es "offenkundige Anklänge an mystische Spekulationen" (Ebd., S. 21), weshalb es in Celan - Interpretationen immer wieder Hinweise auf die kabbalistische Namensmystik gebe.
[163] Menninghaus, Magie, S. 43. Er bringt den "Schatten" in Verbindung mit dieser Sprachdimension und erweitert so dessen (bisher angenommene) metaphorische Bedeutung (vgl. ebd., S. 44ff.): Im Schatten der verbalen Inhalte realisiere sich die nicht - instrumentelle Sprachlichkeit. (Vgl. ebd., S. 50) Ebenso erkennt er einen Zusammenhang mit dem häufigen Motiv des Schweigens. Die sprachphilosophische Reflexion mache "das Schweigen nicht nur als Verstummen oder Versagen der Sprache angesichts eines bestimmten Inhalts, sondern zugleich als formgeborene Implikation des postulierten Sprechens selbst erkennbar" (Ebd., S. 47), weil das Schweigen vergleichbar mit dem Nicht - Gesagten eines Sprechens sei und dadurch der "inneren Sprachform" gleiche. (Vgl. zum Motiv des Schweigens auch: Schmitz - Emans, Monika: Poesie als Dialog. Vergleichende Studien zu Paul Celan und seinem literarischen Umfeld, Heidelberg 1993, S. 224ff.)
[164] Menninghaus, Magie, S. 50.
[165] Ebd., S. 50.
[166] Ebd., S. 51.
[167] Vgl. dazu das Gedicht "Hinausgekrönt" (GWI, 271): "[...] / Und wir schicken / keinen der Unsern hinunter / zu dir, / Babel."
[168] Vgl. Leutner, S. 181.
[169] Menninghaus, Magie, S. 55. Menninghaus weist in der Folge darauf hin, dass diese Analogisierung als allgemeine sprachphilosophische Theorie für kurzschlüssig und in dieser Form für unangemessen gehalten werden könne, bestärkt aber ihre Bedeutung für Celans Programmatik des "Namens". (Vgl. Menninghaus, Magie, S. 56)
[170] Vgl. dazu vor allem die Gedichte "Weißgeräusche" (GWII, 146) und "Solve" (GWII, 82).
[171] Menninghaus, Magie, S. 57.
[172] Ebd., S. 59. Vgl. dazu beispielsweise die Verse "du sollst atmen, / atmen und du sein" (GWI, 178) und "Für - niemand - und - nichts - Stehn" (GWII, 23).
[173] Die Interpretation folgt im Wesentlichen den Auslegungen von W. Menninghaus (Menninghaus, Magie, S. 62 - 67) und O. Pöggeler (Pöggeler, Spur, S. 381f.).

174Menninghaus erklärt sich das Attribut "fliegend" dadurch, "dass auch dieser unversehrte Teil des ‚Herzens‘ (noch) vor Schmerz und Angst rasend und nur ganz leicht an gesicherter Lebenskraft ist." (Menninghaus, Magie, S. 63f.)
[175] Menninghaus, Magie, S. 64.
[176] Ebd., S. 64.
[177] Die parallele Zweiteiligkeit des zweiten dieser Verse ist nicht wie noch in der dritten Strophe gegeben, sie wurde gleichsam "ge - /schluckt" (9f.) - dadurch ergibt sich eine Konvergenz von Verstechnik und Semantik, die noch verstärkt wird, indem die Zeitstruktur des Gedichts (mit Zäsur und Enjambement zwischen "ge - " und "schluckt") den Moment des "Schluckens" nachbildet.
[178] Menninghaus, Magie, S. 65.
[179] Ebd., S. 65.
[180] Ebd., S. 66.
[181] Ebd., S. 66.
[182] Ebd., S. 66.
[183] Ebd., S. 67.
[184] Ebd., S. 69. Menninghaus belegt dieses Verständnis des Spiegelmotivs mit der Interpretation einiger Gedichte; vgl. ebd., S. 69 - 78.

3. Die Gedichte "Todesfuge" und "Engführung"
[185] Felstiner, S. 61.
[186] Vgl. z.B. Schuberts "Der Tod und das Mädchen", Wagners "Liebestod der Isolde", Brahms‘ "Ein deutsches Requiem", Mahlers "Kindertotenlieder".
[187] Felstiner, S. 61. Vgl. dazu auch: Pöggeler, Otto: Die göttliche Tragödie. Mozart in Celans Spätwerk, S. 68.
[188] Vgl. S. 38 (Anm. 12) dieser Arbeit.
[189] Stiehler, Heinrich: Die Zeit der Todesfuge. Zu den Anfängen Paul Celans; in: Akzente 19, 1972, S. 23; zit.n.: Buck, S. 67.
[190] Es findet sich neben der verallgemeinernden Perspektive ("wir") die individualisierende ("ich") und zusätzlich noch relativierende Zuschreibungen ("man"; "die andern"). Das führt zu einer diffusen Verteilung der Stimmen.
[191] Vgl. Buck, S. 69.
[192] Z.B.: der "gebotne Ort", "strenge wie sein Antlitz", "nachzehrend", "die Todesstund", "dräut und dichtet".
[193] Buck, S. 70.
[194] Theo Buck sieht in "Todesfuge" einen "produktiven ‚Gegenentwurf‘" (Buck, S. 62) zu "ER".
[195] Weißglas begehrt nie dagegen auf. Als er erfährt, dass manche hinter den "Parallelismen" Übernahmen und Entlehnungen, im Grunde also Plagiat wittern, wendet er sich sogar empört gegen "das schakalartige Schnüffeln [...] mit dem unlauteren Ziel, eine dichterische Erscheinung von hölderlinscher Prägung in Frage zu stellen [...]." (Brief von Weißglas, 27.5.1975; zit.n.: Buck, S. 62)
[196] Schneider, S. 55.
[197] Ebd., S. 55.
[198] Buck, S. 77.
[199] Schneider, S. 59f.
[200] Vgl. Buck, S. 73f.
[201] "Sie speist mich eine lange, trübe Zeit / mit schwarzer Milch und schwerem Wermutwein." (Scherzer - Ausländer, Rose: Der Regenbogen. Gedichte, Cernauti 1939, S. 9; zit.n.: Buck, S. 74, Anm. 29). Ausländer schreibt zu dieser Ãœbernahme: "Dass Paul die Metapher ‚schwarze Milch‘ [...] gebraucht hat, erscheint mir nur selbstverständlich, denn der Dichter darf alles als Material für die eigene Dichtung verwenden." (Chalfen, S. 133)
[202] Dort die Formulierung "dunkle Milch des Friedens" (Margul - Sperber, Alfred: Geheimnis und Verzicht, Cernauti 1939, S. 23; zit.n.: Buck, S. 74.)
[203] In den Klageliedern Jeremias heißt es dort: "Ihre Fürsten waren [...] klarer denn Milch; [...]. Nun aber ist ihre Gestalt so dunkel von Schwärze, [...]." (Klagelieder 4:7f.).
[204] Vgl. Hoheslied 7:1.
[205] Menninghaus, Winfried: Zum Problem des Zitats bei Celan und in der Celan - Philologie, S. 170. Vgl. dazu S. 31 dieser Arbeit.
[206] "In seinem Grab spielt der weiße Magier mit seinen Schlangen", "Leichenzug / In Lüften" etc. (Trakl, Georg: Werke - Entwürfe - Briefe, Stuttgart 1995, S. 37 und S. 7.)
[207] Vgl. dazu: Felstiner, S. 62 - 68; Buck, S. 75.
[208] Buck, S. 76.
[209] P. H. Neumann weist darauf hin, dass auch der Rückgriff auf die Fuge, eine Form vorindividualistischer Musik, der Objektivierung diene und somit als Versuch verstanden werden könne, "die ästhetische Gestaltung des Grauens der Ohnmacht des subjektiven Gedichtes zu entziehen [...], [was] das Gebilde auch von dem Vorwurf einer unangemessenen Schönheit freihalten sollte." (Neumann, S. 96)
[210] Buck, S. 78.
[211] Ebd., S. 78. Durch die Verwendung der strengen Fugentechnik zeigt Celan zugleich die "Konsumierbarkeit des Todes" (Schneider, S. 60) an, wie sie durch die Automatik der Destruktion des Massenmordes im technologischen Zeitalter möglich geworden ist.
[212] Z.B. einerseits die Themenexposition "wir trinken [...]", andererseits "Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt [...]".
[213] Übergänge wie: "dein goldenes Haar Margarete / dein aschenes Haar Sulamith".
[214] Neumann, S. 96.
[215] Buck, S. 80.
[216] Ebd., S. 80.
[217] Vgl. ebd., S. 81.
[218] Deshalb verbindet Celan häufig Leben und Tod; sehr deutlich etwa in "Sprich auch du": "Beim Tode! Lebendig!" (GWI, 135).
[219] Buck, S. 82.
[220] Celan schreibt dazu in einem Brief: "Das Grab in der Luft [...], das ist, in diesem Gedicht, weiß Gott weder Entlehnung noch Metapher." (Brief an Walter Jens, 19.5.1961; zit.n.: Buck, S. 82.)
[221] Buck, S. 83.
[222] Die Gegenüberstellung von Tätern und Opfern erreicht in den letzten Zeilen in der Gestalt der Symbolfiguren Margarete und Sulamith einen Höhepunkt des Kontrastes.
[223] Vgl. Schneider, S. 57f.
[224] Buck, S. 83.
[225] Theo Buck schreibt dazu: "[...] Celans lyrisches Gedenken [zwingt] Vergangenes, das nie vergessen werden darf, in jede Rezeptionsgegenwart hinein [...]." (Buck, S. 85)
[226] Vgl. S. 11 dieser Arbeit.
[227] Das wird im Gedicht deutlich durch den Gleichnischarakter der (dem Konkreten abgewonnenen) Metaphorik. Vgl. Buck, S. 84.
[228] Harald Weinrich versteht unter "Konterdetermination" die "Auflösung der in der Wortbedeutung angelegten Erwartung durch eine kontextuell unerwartete Bedeutung" (Arnold, Heinz Ludwig; Detering, Heinrich (Hrsg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, München 1996, S. 263).
[229] Zit.n.: Huppert, Hugo: ‚Spirituell‘. Ein Gespräch mit Paul Celan, S. 321.
[230 ]"Fuge", Microsoft® Encarta® 98 Enzyklopädie. Genauer formuliert bedeutet "Engführung" "‚die zeitlich enge, d.h. möglichst gleichzeitige kontrapunktische Zusammenführung von Themen. Im engeren Sinne ist die E. der dritte (letzte) Teil der Fuge, in dem die kurz aufeinanderfolgenden kanonischen Themeneinsätze der verschiedenen Stimmen eine besonders dichte Verflechtung des kontrapunktischen Gewebes bewirken‘ (Der Große Brockhaus)." (Szondi, S. 351)
[231] Vgl. Szondis Analyse der einzelnen Stimmen (= Partien): Szondi, S. 351ff.
[232] Der Abdruck des Gedichtes folgt: GWI, 197.
[233] Janz, S. 74.
[234] Buck, S. 114.
[235] Szondi, S. 346. T. Buck bestreitet das: "Was die Kommunikationsstruktur des ersten Versabschnitts bewirkt, ist nicht etwa eine wie immer geartete Identität von Leser und ‚gelesenem Gedicht‘. Bestenfalls gelingt es dem Autor, dem Leser eine Möglichkeit zu Identifizierung mit dem Text zu vermitteln. Jede andere Deutung verbietet sich schon deswegen, weil Celan nicht der Mann lyrischer Suggestion und literarischer Vereinnahmung war." (Buck, S. 114)
[236] Szondi, S. 347f. T. Buck verwirft diese Interpretation: "‚Die Gräser‘ sind eben nicht ‚zugleich Buchstaben‘ und ‚die Landschaft‘ nicht zugleich ‚Text‘." (Buck, S. 115) Entgegen der "eigenartigen These" (Buck, S. 104) Szondis interpretiert Buck: "[...] der ästhetische Text vermittelt Informationen über ein Gelände, aber er ist nicht das Gelände. [...] Celan evoziert [...] konkrete Gräser, konkrete Steine und konkrete Halme [...] als Elemente einer realen Landschaft [...]." (Buck, S. 105)
[237] Vgl. Leutner, S. 192.
[238] Buck, S. 116.
[239] "Das ‚Gehen‘ durch das Gelände der Verwerfung könnte einen Modus der Erfahrung darstellen, der jene Verwerfung aufzuheben vermag." (Leutner, S. 193) Nach Szondi will der Text "poetische Realität" (Szondi, 349) sein, weshalb weder "lesen" noch "schauen" angemessen seien, vielmehr werde vom Leser gefordert, "voranzugehen". Vgl. dagegen die Kritik von Menninghaus an Szondis radikaler Position: Menninghaus, Magie, S. 15f.
[240] Nach P. Leutner verweisen schon die "Schatten der Halme" auf eine Atombombenexplosion (durch die Assoziation mit Schatten von Menschen, die dabei umkommen; vgl. Leutner, S. 193).
[241] Leutner, S. 193.
[242] "Die Stunde, die keine Schwestern mehr hat, ist die letzte Stunde, der Tod. Wer dort ist, ist zuhause." (Szondi, S. 349)
[243] Buck, S. 117.
[244] Vgl.: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra, Stuttgart 1995, S. 26. Vgl. dazu: Pöggeler, Spur, S. 249.
[245] Buck, S. 117.
[246] Buck kommentiert dazu: "Alle Bezüge zum bisherigen Leben sind abgebrochen. Dass man dabei nicht allzuviel verloren hat, bezeugt die neutrale Form des Personalpronomens (‚es‘)." (Buck, S. 117)
[247] Szondi, S. 349. Er geht sogar so weit, zu behaupten, "[...] zuhause hört das Subjekt auf, Subjekt zu sein, geht es, radikaler noch als zu Beginn, ein in den Text." (Szondi, S. 350)
[248] Szondi, S. 351.
[249] Buck, S. 118.
[250] Vgl. Felstiner, S. 165; Szondi, S. 354; Buck, S. 118f.; Leutner, S. 194.
[251] Buck, S. 119.
[252] Ebd., S. 119.
[253] Leutner, S. 194. Die Ambivalenz weist auf eine Störung des Namens: "[...] weil der Name nicht funktioniert, hat der ‚Ort‘ sowohl einen Namen als auch keinen; [...]." (Leutner, S. 194) Die Störung des Namens wird durch eben jenes differenzierende Hindernis ("Etwas") bewirkt.
[254] Buck, S. 120f.
[255] Celan selbst soll Wert darauf gelegt haben, "dass ‚Bomben in diesem Gedicht ticken‘, dass sich etwas ankündigt" (Meinecke, Dietlind: Wort und Name bei Paul Celan. Zur Widerruflichkeit des Gedichts, Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1970, S. 177, Anm. 8; zit.n.: Buck, S. 121, Anm. 47). Szondi versteht diese Partie - insbesondere das "Ticken" - gänzlich anders als Buck; er bemerkt, dass "ticken" auch "mit der Fingerspitze berühren" bedeuten könne und spricht jenem "Etwas" den Willen zu, die "Schlafenden" (Toten) wieder "ins Dasein zurück[zu]führen" (Szondi, S. 358f.), sie aufzuwecken.
[256] Leutner, S. 194.
[257] Szondi, der der Vorstrophe eine "tröstliche Versicherung" (Szondi, S. 359) zuspricht, stößt damit durchwegs auf Kritik. (Vgl. Buck, S. 122, Anm. 49)
[258] Buck, S. 123.
[259] Für Buck steht der "Finger" pars pro toto "für jeden, der nicht vergessen will." (Buck, S. 123) Nicht sonderlich überzeugend ist dagegen Szondis Interpretation, wenn er von einer "Öffnung der inneren Zeit" (Szondi, S. 360) durch den "Finger" spricht.
[260] Vgl. Leutner, S. 195f.
[261] Buck, S. 124.
[262] Szondi sieht einen entscheidenden "Bruch", einen "Riß" (Szondi, S. 362) zwischen vierter und fünfter Partie.
[263] Buck, S. 125.
[264] Ebd., S. 125. P. Leutner meint, das semantisch ausgesprochene Scheitern des Worts solle "konterkariert werden, indem der Leser in die ‚Zeichen - Zone‘ hineingeführt wird." (Leutner, S. 196)
[265] Szondi bemerkt: "Zwischen der Welt des Worts, das durch die Nacht kam, um zu leuchten, [...], und der Welt der Asche, der absoluten Nacht, die nur sich selbst kennt, [...] ist nichts als Gegensatz, Zäsur." (Szondi, S. 363)
[266] Buck, S. 126.
[267] Ebd., S. 127.
[268] Vgl. dazu S. 13 dieser Arbeit.
[269] Buck, S. 129.
[270] Szondi, S. 366.
[271] Luther, Andreas: ‚Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch‘. Zur Möglichkeit von Lyrik nach Auschwitz am Beispiel Paul Celans, Berlin 1987, S. 341; zit.n.: Buck, S. 130, Anm. 63.
[272] Vgl. Buck, S. 130. Szondi hingegen sieht im "feuchten Aug" den "Grund des Scheiterns" (Szondi, S. 370), den "Weg", der nicht "hätte eingeschlagen werden sollen" (Ebd., S. 367).

273Zit.n.: Buck, S. 131. Schon Szondi verweist auf das Demokrit - Zitat (vgl. Szondi, S. 366). Celan schrieb in ein Geschenkexemplar des Bandes "Sprachgitter" die Widmung: "Es gibt nichts als die Atome und den leeren Raum; alles andere ist Meinung (Demokrit)" (Mayer, Hans: Der Repräsentant und der Märtyrer. Konstellationen der Literatur, Frankfurt am Main 1971, S. 182f.; zit.n.: Buck, S. 132).
[274] Leutner, S. 197.
[275] Janz, S. 83.
[276] Buck, S. 132.
[277] Celan machte Peter Szondi, Dietlind Meinecke und Marlies Janz persönlich auf diese Anspielung aufmerksam. (Vgl. Buck, S. 132)
[278] Dante, Alighieri: Die Göttliche Komödie, Stuttgart 1996, S. 25 (Inferno, 5. Gesang, V. 138).
[279] Buck, S. 132.
[280] Ebd., S. 133.
[281] Ebd., S. 133.
[282] Ebd., S. 133.
[283] Gegen Buck, S. 133.
[284] Buck, S. 133.
[285] Vgl. ebd., S. 134.
[286] Ebd., S. 134.
[287] Ebd., S. 134.
[288] Ebd., S. 135.
[289] Ebd., S. 135.
[290] Vgl. Schalk, Axel: Sprachverlust - Schreiben nach Hiroshima und Tschernobyl, S. 200f.
[291] Vgl. Buck, S. 136. Szondi dagegen spricht vom "Gelingen des [...] kosmogonischen Versuchs" (Szondi, S. 369), das sich hier vollziehe.
[292] Buck, S. 137.
[293] Ebd., S. 137.
[294] "Etwas / lag zwischen ihnen." (20f.), "Bin es noch immer - " (38), "[...] hier / klafft es weit auseinander, hier / wuchs es wieder zusammen - wer / deckte es zu?" (43ff.)
[295] Buck, S. 138.
[296] Ebd., S: 138.
[297] Ebd., S. 138.
[298] Ebd., S. 139. "Kein Sprechen in Zungen ist gemeint, sondern das beredte Schweigen abgewürgter, verhinderter Worte, die das Vergessene in sich bewahren." (Buck, S. 139)
[299] "Stehen" als Versuch sich zu bewähren, kehrt bei Celan oft wieder: "Auch wir hier, im Leeren, / stehn bei den Fahnen" (GWI, 190); "auch er / steht gegen / die Pest" (GWI, 230).
[300] Vgl. Leutner, S. 201; Szondi, S. 372. Vgl. auch S. 29 dieser Arbeit.
[301] Buck, S. 140.
[302] Ebd., S. 140.
[303] Vgl. ebd., S. 140. (Er spricht von einer "Atomexplosion".) "Der Text veranschaulicht dem Leser, wie der Mikrokosmos, das Atom als das ‚Kleinkristall‘, mittels der Kernspaltung den Makrokosmos, jedenfalls den ‚Tausendkristall‘ unserer Erde, mit Vernichtung überziehen kann." (Buck, S. 140f., Anm. 87)
[304] Buck, S. 141.
[305] Vgl. dazu: Szondi, S.373ff.; Janz, S. 86.
[306] Buck, S. 142.
[307] In "Todesfuge" heißt es noch: "[...] dann steigt ihr als Rauch in die Luft" (GWI, 42). Bei einer Atombombenexplosion bleibt nicht einmal eine "Rauchseele" übrig.
[308] Buck, S. 144.
[309] Vgl. Szondi, S. 379.
[310] Außerdem steht die zweite Worthälfte (" - flucht") im Zusammenhang mit der Situation der Verfolgten.
[311] Buck, S. 146. Szondi schreibt: "Nun meint Aussatz nicht nur die Krankheit. Das Wort gehört zu ‚aussetzen‘, der Behandlung, der man jene unterzog, die von dieser Krankheit befallen waren." (Szondi, S. 380)
[312] Vgl. Pöggeler, S. 173.
[313] Buck, S. 147.
[314] Ebd., S. 147.
[315] Vgl. ebd., S. 148. Andere Erklärungen der "Rillen" geben Szondi ("für immer in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben"; Szondi, S. 383) und Janz ("die einzigen ‚Tempel‘, die von der Geschichte der Juden noch übriggeblieben sind"; Janz, S. 87f.).
[316] Vgl. Szondi, S. 382. L. Koelle schreibt: "Die Verdopplung der ersten Silbe könnte [...] auch als Intensivierung der dringenden Bitte um göttlichen Beistand in der Situation der Todesbedrohung verstanden werden." (Koelle, S. 108f.)
[317] Buck, S. 149.
[318] Ebd., S. 151.
[319] Ebd., S. 151.
[320] Ebd., S. 154.
[321] Ebd., S. 152.
[322] Ebd., S. 153.
[323] Ebd., S. 154.
[324] Ebd., S. 157.
[325] Leutner, S. 198.
[326] Vgl. die genauere Analyse bei Leutner, S. 200ff.
[327] Leutner, S. 201.
[328] Ebd., S. 201.
[329] Ebd., S. 201.
[330] Ebd., S. 203. Zu den beiden Momente göttlichen Sprechens vgl.: Leutner, S. 202f.; Rey, William H.: Poesie der Antipoesie, Heidelberg 1978, S. 299f.
[331] Leutner, S. 203.
[332] Ebd., S. 199.
[333] Vgl. Menninghaus, Magie, S. 25ff.; Leutner, S. 203.
[334] Geier, Manfred: Poetisierung der Bedeutung. Zu Struktur und Funktion des sprachlichen Zeichens in einem Gedicht von Paul Celan, S. 244.
[335] Szondi, S. 377.
[336] Menninghaus schreibt über die Schwierigkeit, bei den Metaphern Celans dem Signifikanten ein eindeutiges Signifikat zuzuordnen: "Seine Worte sind in ihrer Differenz zur instrumentell zupackenden Denotation dingfest gemachter Signifikate (wie) ‚Steine‘, die derart ‚durch die Luft (gehn)‘, dass sie ‚nicht niedergehn, nicht stürzen, / nicht treffen. Sie gehen / auf, / wie die geringen Heckenrosen, so tun sie sich auf, / sie schweben‘ [...]." (Menninghaus, Magie, S. 170)
[337] Menninghaus, Magie, S. 169f.
[338] Leutner, S. 206.
[339] Vgl. S. 15 dieser Arbeit.
[340] Vgl. den "Stimmen" - Zyklus am Beginn des Bandes "Sprachgitter" (GWI, 147).
[341] Janz, S. 95. Eine genauere Untersuchung über Celans Verhältnis zur Musik und im Speziellen zu Mozart (vgl. das Mozart - Zitat in "Anabasis" [GWI, 256] und das Gedicht "Müllschlucker - Chöre" [GWII, 160]) unternimmt Pöggeler in: Pöggeler, Tragödie, S. 67 - 85.
[342] Es handelt sich dabei manchmal um keine reinen Wiederholungen, sondern um freiere Wiederaufnahmen des Wortmaterials der vorangegangenen Strophe.
[343] Szondi, S. 351.
[344] Vgl. Schneider, S. 56.
[345] Celan, Paul: Sprachgitter. Vorstufen - Textgenese - Endfassung, Frankfurt am Main 1996, S. 90.
[346] Vgl. Szondi, S. 376f.
[347] Z.B.: "Herzhammersilber" (GWI, 271), "Nacktpflanzenreigen" (GWII, 47), "Rundgräberschatten" (GWII, 48), "Augenschlitz - Krypta" (GWII, 65), "Schwarzgestirn - Schwarm" (GWII, 97).
[348] Vgl. die Interpretation Neumanns in: Neumann, S. 20f.
[349] Vgl. die Verse aus "Huhediblu": "Schwer -, Schwer -, Schwer - /fälliges auf / Wortwegen und - schneisen." (GWI, 275)
[350] Vgl. folgende Verse aus dem Gedicht "Tübingen, Jänner": "[...] nur lallen und lallen / immer -, immer - / zuzu." (GWI, 226) Leutner zeigt u.a. an diesem Gedicht, dass es neben dem Namen auch andere Formen der Motivierung der Sprache gibt: "Die Bedeutung des Worts ‚lallen‘ wird in den auf die Erwähnung des Ausdrucks folgenden Verszeilen auf die Konstitution der Sprache übertragen." (Leutner, S. 228)
[351] Vgl. Leutner, S. 228.
[352] Vgl. S. 22 dieser Arbeit.
[353] Vgl. Leutner, S. 229.
[354] Eine Verbindung von Wortdestruktion und graphischer Abbildung enthält das Gedicht "Keine Sandkunst mehr", dessen letzten Verse lauten:
"Deine Frage - deine Antwort.
Dein Gesang, was weiß er?

Tiefimschnee,
Iefimnee,
I - i - e." (GWII, 39)
[355] Aus einem Entwurf des Gedichtes "Mövenküken". Zit.n.: Pöggeler, Tragödie, S. 76.
[356] Vgl. Schneider, S. 121, Anm. 1. Menninghaus glaubt sogar, ein "‚ideeller Gesamtleser‘ würde vermutlich bei fast allen Gedichten Celans in irgendeiner Weise fündig werden" (Menninghaus, Zitat, S. 178).
[357] Vgl. dazu: Koelle, S. 125 - 129; Szondi, S. 390ff.; Gadamer, S. 112 - 156; Schneider, S. 120 - 161; Schulz, Georg Michael: ‚fort aus Kannitverstan‘. Bemerkungen zum Zitat in der Lyrik Paul Celans, passim; Gellhaus, Axel: Marginalien. Paul Celan als Leser, passim.
[358] Vgl. Menninghaus, Zitat, S. 170.
[359] Vgl. Szondi, S. 390ff.
[360] Menninghaus, Zitat, S. 180.
[361] Gadamer, S. 112.
[362] Menninghaus, Zitat, S. 181.
[363] Ebd., S. 183.
[364] Ebd., S. 184.
[365] Ebd., S. 187.
[366] Ebd., S. 187.
[367] Ebd., S. 181. Er schreibt: "[...] was soll man von einer Bildung halten, die im angestrengten und auf Zufälle angewiesenen Suchen nach isolierten - und überdies oft gar nicht als solchen markierten - Daten und Fakten der Literatur, Theorie oder Geschichte besteht? Statt von Bildung [...] wäre hier wohl eher von einem abstrakten Datenwissen zu sprechen." (Ebd., S. 181)
[368] Koelle, S. 127. Sie schreibt: "Nähme man alle von Celan erinnerten ‚Daten‘ zusammen, die jeweils auch ihren Kontext mitsprechen lassen, ergäbe sich tatsächlich ein eigener Kosmos, der von vergangenen Zeitebenen, im Gedicht revitalisiert, durchdrungen wäre: [...]." (Ebd., S. 127)
[369] Menninghaus, Zitat, S. 187.
[370] Lorenz, Celan, S. 10.
[371] Lorenz, Otto: Schweigen in der Dichtung: Hölderlin - Rilke - Celan. Studien zur Poetik deiktisch - elliptischer Schreibweisen, Göttingen 1989, S. 243.
[372] Vgl. Jamme, Celan, S. 215.
[373] Jens, Walter (Hrsg.): Kindlers neues Literatur - Lexikon, Bd. 3, München 1996, S. 775.
[374] Vgl. dazu die überzeugende Kritik Menninghaus‘ an Szondis radikaler Position: Menninghaus, Magie, S. 13ff.
[375] Gadamer, S. 135.
[376] Menninghaus, Magie, S. 82.
[377] Ebd., S. 82.
[378] Ebd., S. 82.
[379] Vgl. ebd., S. 87 - 129. Es handelt sich um astrologische Topoi (Himmel, Stern, Mond, Sonne), geologisch - chemische (Meer, Land, Erde, Gebirge, Gletscher, Schnee, Eis), botanische (Blume, Baum, Blatt), optische (Licht, Schatten), anthropologische (Auge, Mund, Lippen, Hand, Herz, Haar, Haut, Atem) und chronologische (Zeit, Uhr, Stunde, Tag, Abend, Sommer, Herbst, Winter, Erinnerung, Vergessen).
[380] Menninghaus, Magie, S. 84.
[381] Vgl. ebd., S. 269, Anm. 7.
[382] Ebd., S. 84f.
[383] Ebd., S. 85.
[384] Ebd., S. 85.
[385] Menninghaus versucht nicht, bestimmte Farbabstimmungen "auf ein metaphorisches Was ihres Bedeutens hin" zu verstehen, sondern fragt "statt nach dem materialen ‚Symbolwert‘ nach der formbezogenen ‚Funktionalität der Farbe‘" (Menninghaus, Magie, S. 181f.). Er stellt fest, dass bei Celan die "sprachgestische Bedeutungsinsistenz" von Farbworten "in umgekehrter Proportionalität zu ihrer ‚Dechiffrierbarkeit‘ steht" (Ebd., S. 179) und kommt zu dem Schluß: "Indem die extrem betonten Farbprädikationen (Attribuierungen) in ebenso extremer Resistenz gegen eine Aneignung durch argumentative semantische Begründungslogik verharren [...], lenken sie Schreiben und Lesen aus der Fixierung auf ein sie ‚dechiffrierendes‘ Für - Anderes - Sein der Worte auf eine ‚Aufmerksamkeit‘ (Me 18) gegenüber ihrem Für - Sich - Sein." (Ebd., S. 183) Vgl. zur nicht - instrumentellen Funktionalität der Farbadjektive: Menninghaus, Magie, S. 183ff.
[386] Sowohl "schwarz" als auch "Milch" kehren im späteren Werk Celans in Kontexten des Leids und der schmerzvollen Erinnerung wieder: "SCHWARZ, / wie die Erinnerungswunde, [...]" (GWII, 57); "Milchschwester / Schaufel." (GWII, 150); "[...] dass die Welle, die honig - /ferne, die milch - /nahe, wenn / der Mut sie zur Klage bewegt, / die Klage zum Mut, wieder, [...]" (GWII, 134).
[387] Vgl. beispielsweise den Vers "Wahr spricht, wer Schatten spricht" (GWI, 135) und die Bemerkungen zur Lichtmetaphorik auf S. 13 dieser Arbeit.
[388] Eine Häufung von Farbworten muss deshalb aber nicht automatisch negative Bedeutung haben (vgl. die siebte Partie von "Engführung" [GWI, 202]).
[389] Celan, Paul: Die Gedichte aus dem Nachlass, Frankfurt am Main 1997, S. 116.
[390] Vgl. u.a. auch: "Ein Wort, [...] / schlüpft unters Laub: [...]" (GWI, 68); "[...] ein Wort nach dem Bilde des Schweigens, / umbuscht von Singgrün und Kummer." (GWI, 92); "[...] und das Wort, das über dir glänzt, / glaubt an den Käfer im Farn." (GWI, 71); "[...] gedankenfarben und wild / überwuchert von Worten." (GWI, 128)
[391] Vgl. dazu: Lehmann, Jürgen (Hrsg.): Kommentar zu Paul Celans ‚Die Niemandsrose‘, Heidelberg 1997, S. 150f.
[392] Buck, S. 105.
[393] Vgl. Felstiner, S. 65.
[394] Vgl. Menninghaus, Magie, S. 116f.
[395] Vgl. dazu auch GWI, 135 und GWI, 235.
[396] Buck, S. 140.
[397] Leutner, S. 198.
[398] Vgl. Neumann, S. 74.
[399] Kaiser, S. 52f.
[400] Gadamer, S. 108.
[401] Jamme, Celan, S. 223.
[402] Ebd., S. 223.
[403] Menninghaus, Magie, S. 109.
[404] Ebd., S. 109.

4. Rezeption und Literaturkritik
[405] Vgl. dazu: Koschel, Christine: ‚Malina ist eine einzige Anspielung auf Gedichte‘, S. 17 - 22; Weigel, Sigrid: Die Erinnerungs - und Erregungsspuren von Zitat und Lektüre. Die Intertextualität Bachmann - Celan, gelesen mit Benjamin, S. 231 - 249; Böttiger, Helmut: Orte Paul Celans, Wien 1996, S. 79ff.
[406] Vgl. dazu: Janssen - Zimmermann, Antje: ‚Ãœberall, wo man den Tod gesehen hat, ist man ein bißchen wie zuhaus.‘ Schreiben nach Auschwitz - Zu einer Erzählung Herta Müllers, passim.
[407] Zit.n.: Felstiner, S. 98f.
[408] Piontek, Heinz: Welt und Wort 8 (1953), S. 200f; zit.n.: Felstiner, S. 106.
[409] Haas, Helmuth: ‚Mohn und Gedächtnis‘; in: Neue literarische Welt 4/13 (1953), S. 12; zit.n.: Felstiner, S. 107.
[410] Baumgart, Reinhard: Unmenschlichkeit beschreiben. Weltkrieg und Faschismus in der Literatur; in: Merkur 19 (1965), S. 48f.; zit.n.: Neumann, S. 94.
[411] Müller - Seidel, Walter: Probleme der literarischen Wertung. Über die Wissenschaftlichkeit eines unwissenschaftlichen Themas, Stuttgart 1965, S. 180; zit.n.: Neumann, S. 94.
[412] Buck, S. 87.
[413] Neumann, S. 99.
[414] Ebd., S. 99.
[415] Vgl. Buck, S. 89; Koelle, S. 340.
[416] Rumpf, Charlotte: Die ‚Todesfuge‘ von Paul Celan. Vgl. dazu: Felstiner, S. 162.
[417] Pöggeler, Tragödie, S. 70.
[418] Huppert, Hugo: Sinnen und Trachten. Anmerkungen zur Poetologie, Halle 1973, S. 32; zit.n.: Buck, S. 70.
[419] Vgl. dazu: Pöggeler, Tragödie, S. 71.
[420] Dora Schrager in einem Gespräch mit Lydia Koelle; zit.n.: Koelle, S. 341.
[421] Mattenklott, Gert: Zur Darstellung der Shoa in deutscher Nachkriegsliteratur, S. 30. Vgl. dazu: Buck, S. 88 - 92; Koelle, S. 341.
[422] Mattenklott, S. 30.
[423] Ebd., S. 30.
[424] Buck, S. 91.
[425] Ebd., S. 90.
[426] Baumgart, Reinhard: Unmenschlichkeit beschreiben. Weltkrieg und Faschismus in der Literatur; in: Merkur 1/1965, S. 37 - 50.
[427] Celan, Nachlass, S. 104.
[428] Kemp, Friedhelm: Dichtung als Sprache. Wandlungen moderner Poesie, München 1965, S. 131; zit.n.: Buck, S. 94.
[429] Frey, Hans - Jost: Verszerfall; in: Frey, Hans - Jost; Lorenz, Otto: Kritik des freien Verses, Heidelberg 1980, S. 66; zit.n.: Buck, S. 112.
[430] Zit.n.: Felstiner, S. 332. Vgl. dazu: Koelle, S. 129ff.
[431] Celan, Paul; Franz Wurm: Briefwechsel, Frankfurt am Main 1995, S. 239f.

5. Zusammenfassung
[432] Vgl. Leutner, S. 222ff.
[433] Menninghaus, Magie, S. 16.
[434] Zit.n.: Felstiner, S. 332.
[435] Weißglas, Immanuel: ER; in: Neue Literatur 2, 1970; zit.n.: Buck, S. 66f.
[436] GWI, 41.

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