Sozialpsychologie der Gewalt und Aggression

Lorenz' Buch "Das sogenannte Böse" fiel mir vor etwas mehr als 10 Jahren zum ersten Mal in die Hand und führte in der darauf folgenden Zeit zu heftigen Diskussionen mit einem Biologie interessierten Schulfreund. Mein Interesse an humanistischer Psychologie mißfiel ihm ohnehin, und so stand einer offenen Auseiandersetzung nichts im Wege. Die Grundthesen und der Stil dieses Buches machten mir es damals leicht, ihn aus meiner "Weltsichtecke" mit einem guten Anteil Zynismus (natürlich der aggressiven Art) herauszufordern.
In der Zwischenzeit habe ich 10 Semester Psychologie studiert, einige plausible (und sich oft widersprechende) Theorien zum Thema Aggression kennengelernt und bin unterschiedlichen Weltbildern nachgehechtet, in der Hoffnung einen fruchtbaren Boden oder mir sinnvoll erscheinende Perspektiven für psychologische Theoriebildung und das Verständnis psychischer Phänomene zu entdecken.
Einen so umfassenden Disput wie den damaligen würde es wahrscheinlich mit dem heute studierten Biologen nicht mehr geben, da mir (und ihm hoffentlich auch) am Kampf um das Weltbild nicht mehr soviel liegt. Ich würde mir eher wünschen es gäbe eine differenzierte Betrachtung genauer Fragestellungen, die Hinweise auf die mögliche Antwortenkompetenz der unterschiedlichen Sichtweisen zur jeweiligen Frage geben könnte. Diesen Wunsch werde ich mir nun im Folgenden auch erfüllen, da mir die reine Darstellung einzelner (ohnehin allzu bekannter) Theorien + einem abschließenden persönlichen Urteil, als zu unflexibel erscheint und inhaltliche Wiederholungen provoziert. Die Seminararbeit wird also in Form einer fiktiven Diskussion verschiedener Denkansätze erfolgen. Ich werde versuchen, die Diskussionsteilnehmer am Tisch in meinem Kopf mit allen mir verfügbaren Informationen auszustatten.
Da Lorenz Buch keine wissenschaftliche Abhandlung im engeren Sinne ist - eine Quantisierung und Überprüfung seiner Hypothesen hat er nie angestrebt - und der aktuelle Einfluß hauptsächlich in der populärwissenschaftlichen, gesellschaftlichen Meinungsbildung fußt, erscheint mir eine Gegenüberstellung mit anderen Meinungen sinnvoll, die sowohl auf seine Argumentationsgrundlage, als auch auf seine Wirkung und den geschichtlichen Bezug (Sozialdarwinismus) eingehen.
Meine Meinung wird zwangsläufig durch die Argumentationsauswahl, die Fragestellungen und den Gesprächsverlauf durchschimmern.

Neben Konrad Lorenz werden als Vertreter der einzelnen "Gattungen" kumulierte Prototypen mit einer tolerant, liberalen Tendenz dargestellt. Im Falle der biologischen Argumentationsrichtung werden sinnvoll erscheinende Inhalte von verschiedenen Vertretern dieses Faches (Irenäus Eibl - Eibelsfed, Rupert Riedel, Dierk Franck...) nach den unten angegebenen Kriterien ausgewählt und eingeflochten. Selbiges gilt für den humanistisch orientierten und den kognitiv - lerntheoretischen Prototyp. Allen Prototypen sollen jedoch auch andere Argumentationsarten, sofern sie nicht der Grundorientierung zuwiderlaufen zugänglich sein (z.B. Sozial - und Entwicklungspsychologie, Anthropologie).
Ein Freud orientierter, tiefenpsychologischer Ansatz ließ sich, trotz anfänglicher Versuche nicht wirklich in den von mir gewählten Gesprächsverlauf integrieren. Gründe hierfür:
- Zentrale Thesen ( angeborene Instinkt - und Triebzuschreibung, Katharsis ) werden von den anderen Denkrichtungen vertreten. Lorenz und der biologische Prototyp postulieren ebenfalls einen starken, autonomen Aggressionstrieb, der Freuds späteren Beschreibung des Todestriebes (1920) im Bezug auf die Verankerung im Menschen entspricht. Zwar wird dem Todestrieb eine direktere, rein zerstörerische Wirkung als bei Lorenz zugeschrieben, aber gerade diese wird von vielen, ansonsten orthodoxen Analytikern (z.B O.Fenichel) stark kritisiert.
Freuds frühere Orientierung (ab 1915), die Aggression als Reaktion auf Unlustempfindung versteht, wurde über die Yale - Gruppe (Dollard et al; Frustrations - Aggressions - Theorie, 1939) später in der Humanistischen Psychologie integriert.
- Freuds eigene Deklarierung der Trieblehre als Mythologie. Triebe als "mythische Wesen, großartig in ihrer Unbestimmtheit" (1933) erfordern eine eher phänomenologische Gesprächsgrundlage um angemessen diskutiert zu werden.

Freuds analytischen, tiefenpsychologischen Konzepte sollen aber im Verlauf des Gesprächs durch andere Teilnehmer aufgenommen werden.



Zur Vorstellung der Diskussionsteilnehmer:

Lorenz:
Ethologe; Geht vonvier großen Triebsysteme aus, darunter den Aggressionstrieb. Vertritt Katharsishypothese.

Biol.:
Argumentiert biologisch - evolutionär; moderner Ethologe. Eingeladen um Lorenz eine aktuellere biologische Argumentationsweise gegenüber zu stellen. Ist an keine in sich geschlossene Theorie der menschlichen Aggression gebunden.

Human. Psych.:
Humanistisch orientierter Psychologe mit gesellschaftskritischem Background. Bezieht sich auf Frustrations - Aggressions - Hypothese

Kogni.:
Kognitivistisch - lerntheoretischer Psychologe mit wissenschafts - theoretischen Ambitionen.



Vorbemerkung:
Nach Sicht der mir zur Verfügung stehenden Literatur scheint es mir fast anachronistisch, 1993 die Thesen von Konrad Lorenz zu diskutieren.
Lorenz Ruf in Fachkreisen beruht anscheinend auf bestimmten Tierberobachtungen, die auch heute noch gern zitiert werden (z.B., Der Kumpan in der Umwelt des Vogels, 1935). Seine Thesen bezüglich intraspezifischer menschlicher Aggression werden aber hier doch eher dem alternden Nobelpreisträger zugeschrieben, der sich nun zu universellen Komentaren berufen fühlt. Methodische und inhaltliche Mängel unterstützen die Kritik - Fehler bei der Tierbeschreibung, induktive, nicht quantifizierte Vorgehensweise (L1).
Allein die heute noch herrschenden Mißverständnisse (siehe Diskussion) lassen darauf schließen, dass trotz annähernden Differenzierung der unterschiedlichen Paradigmen kein Konsens über die zentralen Hypothesen herrscht. Der Hinweis Herbert Selgs :" In der Geschichte der Aggressionsforschung haben teils nacheinander, teils nebeneinander drei theoretische Ansätze dominiert: Triebtheorien, Aggressions - Frustrations - Theorie, und Lerntheorie. Sie schließen sich nicht unbedingt wechselseitig aus, aber kompromißlerischen Harmonisierungsbemühungen sollte man skeptisch begegnen." (L1,S.18)
Das konsensarme nebeneineander der Theorien scheint auch darin begründet zu sein, dass sich in den Letzten 10 Jahren der Mainstream in der Psychologie und der Ethologie dem Thema Aggression kaum oder unter anderen Zugangsweisen genähert hat (was die Verwendung des Begriffes Paradigma nach Kuhn geradezu provoziert). Die heutige Ethologie hat andere Schwerpunkte und Aggression erscheint hauptsächlich in Modellen der mathematischen Spieltheorie (z.B. Falken und Tauben Modell) (L8,S.200).
Der Kognitivismus war bekannt für seine Vernachläßigung der Themen Emotion (siehe Roth,1980) und Aggression (L1: Psychological Abstracts: 1971 - 400 Veröffentlichungen zu Emotion einschl. "Aggression"; 1975 - nur noch 200 Veröffentlichungen). Außerdem wurden dies betreffende Hypothesen hauptsächlich in Bezug auf die motivationalen Aspekte bei der Informationsverarbeitung untersucht.



Themengebiete der Diskussion:

1.Ursprung und Verankerung der Aggression in der Persönlichkeit

2.Die Arterhaltende Funktion der Aggression

3.Die Theoriebildung

4. Theoriekonsequenzen im Umgang mit Aggression:


Die Diskussion



1.Ursprung und Verankerung der Aggression in der Persönlichkeit:


Lorenz:
Die (innerartliche) Aggression ist ein Instinkt wie jeder andere und unter natürlichen Bedingungen auch ebenso lebens - und arterhalten.(S.8 - die Seitenangaben ohne näheren Hinweis beziehen sich auf Konrad Lorenz, "Das sogenannte Böse")


Biol.:
Nach Tinbergen (der mit K.Lorenz zu den Gründern der Verhaltensforschung zählt) ist ein Instinkt ein "hierarchisch organisierter, nervöser Mechanismus, der bestimmte innere wie äußere Impulse mit koordinierten lebens - und arterhaltenden Bewegungen beantwortet." Instinkte sind wesentlicher Bestandteil des Fortpflanzugsverhalten (Balz, Brutpflege), des Beuteerwerbs und der Freßhandlungen. Als Instinkt in direkt nachweisbarer Form gilt beim Menschen bisher nur der Sauginstinkt.
Das Konzept ist eng verwand mit dem Triebkonstrukt, und K.Lorenz spricht auch vom Aggressionstrieb.
Auf die Triebdefinition bezogen, gibt es sehr weitläufige Begriffsbildungen. Im engeren Sinne betrachtet man beim Menschen hauptsächlich den Nahrungs -, Geschlechts - und Gefahrenschutztrieb als angeborenen Trieb. Faßt man den Begriff weitläufiger, so lassen sich auch Motivationen, Interessen oder Bedürfnisse ("Gesellungstrieb" u.ä.) darunter subsumieren. Diese Verhaltensweisen werden jedoch stark von geistigen und psychischen Impulsen beeinflußt.
Beiden Konzepten ist gemein, dass sie auf eine Endhandlung hin streben, und sich bei Nichterfüllung ihres Ziels aufstauen. Viele Tierstudien, und auch unser menschliche Alltagserfahrung scheinen zu zeigen, wie zutreffend diese Aussagen in Bezug auf die Aggression sind.


Human.Psy.:
In der Tiefenpsychologie gibt es den Szondi - Test, mittels dessen man Einblick in die Triebstruktur eines Menschen bekommen soll. Auch hier wird der Trieb als eigenständige Größe getrachtet, die in der Erbstruktur des Unbewußten schlummert, und die Kontrolle über das menschliche Schicksal ausübt. Diese Sichtweise entspringt ebenso wie die biologische, einem negativen, deterministischen Weltbild, das im Bezug auf den Menschen die persönliche Freiheit negiert.
Betrachtet man das kreative Potential und den Lebenswillen des Menschen als primäre Qualität, dann lässt sich Aggression als durch Lernen beeinflußte Reaktion auf drohende oder erlebte Frustration begreifen. Nach dieser Auffassung ist auch der "Todestrieb" ein bösartiges Phänomen, dass in dem Maße wächst und die Oberhand gewinnt, als "Eros" sich nicht entfaltet. Der Todestrieb gehört in die Psychopathologie und ist nicht - wie Freud annahm - Bestandteil der normalen Biologie (L5; S.47). Wir sind nicht instinktiv zur Aggression verdammt.


Lorenz:
Gerade die Einsicht, dass der Aggressionstrieb ein echter, primär arterhaltender Instinkt ist, lässt uns seine volle Gefährlichkeit erkennen: Die Spontanität des Instinktes ist es, die ihn so gefährlich macht. Wäre er nur eine Reaktion auf bestimmte Außenbedingungen, was viele Soziologen und Psychologen annahmen, dann wäre die Lage der Menschheit nicht ganz so gefährlich, wie sie tatsächlich ist. Dann könnte man grundsätzlich die reaktions - auslösenden Faktoren erforschen und ausschalten.(S.55)


Biol.:
Der Triebbegriff hat besonders im Zusammenhang mit dem Meinungsstreit über die menschliche Aggression zu schwerwiegenden Mißverständnissen geführt und soll daher künftig vermieden werden. Psychologen sehen in einem Trieb meistens ein spontanes, inneres Bedürfnis, unter dessen Zwang der Mensch, unbeeinflußbar durch Außenbedingungen, handelt. Da die Aggressivität durch Lernen beeinflußt wird, lehnen sie das Triebkonzept ab. Aus ethologischer Sicht bedeutet der Triebbegriff dagegen, dass die einem Verhalten zugrundeliegende Handlungsbereitschaft ständigen Veränderungen unterworfen ist, und zwar unter dem Einfluß endogener und exogener Ursachen. Wenn auch einerseits die spontane, d. h. die von exogenen Faktoren unabhängige, Komponente besonders betont wird, so wird doch andererseits auch anerkannt, dass aggressive Handlungsbereitschaften durch Lernen modifiziert werden können. (wörtlich aus L8,S.22)

Der Begriff Trieb wird in diesem Zusammenhang auch synonym zu Motivation oder Handlungsbereitschaft verwendet.


Human. Psy.:
Auch unter Ausklammerung einer "harten" Triebdefinition scheint das biologische Aggressions - Konzept immer noch auf einem maßgeblichen Anteil physiologischer Aggressionsdisposition zu beruhen.
Bezüglich Lorenz' Einwand der angeblich unerforschlichen reaktions - auslösenden Faktoren ist zu sagen, dass solche Faktoren durchaus zu benennen sind. Das amerikanische Autorenteam Dollard, Dolb, Miller, Mowrer, Sears, Ford, Hovland, Sollenberger weisen auf die mögliche Hauptursache menschlicher Aggression hin: die andauernde Frustration von kindlichen Bedürfnissen.


Kogni.:
Im Rahmen dieser Diskussion werden wir keine Gliederung aller Verhaltensphänomene, die mit Aggression bezeichnet werden aufstellen können. Nur auf diese Weise könnten wir aber die unterschiedlichen Ursachen der jeweiligen Phänomene untersuchen. Es mag aggressives Verhalten geben, das auf Frustration zurückzuführen ist, aber als Universalursache erscheint dieses Konzept als untauglich (siehe auch Werbik 1974).
In der Öffentlichkeit ist die Frustrations - Aggressions - Theorie als einfache Theorie populär geblieben. Ein unerkannter Taschenspielertrick trägt entscheidend dazu bei: Die Theorie hat ursprünglich ein Kurzzeitmodell geliefert, d.h. auf eine Frustration folgt sofort eine Aggressionsneigung. Unbemerkt wird sie aber erst als Langzeitmodell besonders relevant: eine gegenwärtige Aggression wird mit lange zurückliegender, exakt nicht mehr nachprüfbarer Triebunterdrückung o.ä. begründet. An die Stelle der Frustrations - Aggressionstheorie trat eine Frustrations - Ärger / Wut bzw. eine Frustrationsantriebstheorie. Ob diese höhere Erregung als Ärger / Wut oder als anderer Affekt (z.B.Angst) erlebt wird, ist prinzipiell offen.(wörtlich aus L1)


Human. Psy.
Das Kinder, die die Regeln für das Zusammenleben mit einem Minimum an Versagung lernen, nicht zu aggressivem Verhalten neigen, lässt sich auch im Kulturvergleich bestätigen.
Anthropologische Studien haben gezeigt, dass das Gerede von der natürlichen Aggression des Menschen ein Mythos ist, der die Ursache von Sadismus und Zerstörungswut nicht erklären kann. Kulturanthropologen haben nämlich Gesellschaften aufgespürt (grönländische Eskimos), in denen die Menschen praktisch aggressionslos zusammenleben.(Absatz wörtlich aus L6)
Ähnliche Hinweise finden wir bei H. Helmuth ("Zum Verhalten des Menschen",1967), der auf die Aggressionslosigkeit von Eskimos, Zuni - Indianern, die Arapesch aus Neuguinea und anderen Kulturen hinweist.


Bio.:
Möglicherweise handelt es sich aber auch dabei um Mythen. Weidkuhn (1968/69) wies auf die Beschreibungen der Zuni - Indianer durch R. Benedikt hin, in denen Aggression (z.B. von Nebenbuhlerinnen) beobachtet wurde (L9). Auch die Arapesch, die angeblich nie aufeinandeer einschlagen, scheinen nicht ohne Gewalt zu sein. Margret Mead (L10) schreibt, dass die Kinder darin unterrichtet werden, ihre Wut nicht an anderen Kindern, sondern an Objekten auszulassen.
Die vorher angesprochene physiologische Disposition scheint uns darüber hinaus auch aus anderen Gründen als plausibel. Unter Menschen wie unter Tieren kennzeichnet das männliche Geschlecht eine höhere Aggressivität. Das dies offensichtlich zum Teil dem frühen Einfluß von männlichen Sexualhormonen zuzuschreiben ist, zeigte Edwards (1971) mit einer Studie in der er aggressives Verhalten bei weiblichen Tieren mit injizierten männlichen Sexualhormonen provozierte.

Kogni.:
Das es physiologische Korrelate zum menschlichen Verhalten gibt ist unumstritten, aber nicht der eigentliche Kritikpunkt an dieser Art der Argumentation. Ob Hormone aggressives Verhalten generell auslösen wäre die relevante Frage, und das lässt sich schwerlich behaupten. Es gibt weder hormonell, noch auf Chromosomen bezogen (XYY - Anomalie wurde verdächtigt) direkte Zusammenhänge zu aggressivem menschlichen Verhalten, die die Hypothese der angeborenen, biol. Aggression bestätigt. Darüberhinaus ist die Rolle der Hormone psychischen Einflüßen unterworfen.
Alle bisher dargelegten Kernthesen beziehen den Aspekt des Lernens mit ein. Da wir keinen Trieb beobachten können, und das Lernen komplexen Verhaltens unumstritten möglich ist, sollte der Hauptaugenmerk auf diesem Phänomen liegen. Damit sind nicht nur einzelne Verhaltensweisen, sondern auch Einstellungen, Werthaltungen mit kognitiven und emotional - affektiven Anteilen gemeint, die gelernt werden. Das Lernen am Modell, wie Bandura es postuliert, berücksichtigt auch die kognitiven Aspekte die über das Handeln entscheiden (z.B. Erwartungen - Frustration).
Auch die anthropologischen Beispiele, die eine hohe Varianz der aggr. Handlungen zeigt, ist in Bezug auf die unterschiedlichen Lernumwelten zu verstehen.


Biol.:
"Es ist eine Erziehungssünde, wenn man Menschen nicht auf die Aggression vorbereitet, mit der er sich später auseinandersetzen muss. Jede Verharmlosung der Aggrression unter Hinweis auf deren angebliche Gelerntheit ist angesichts der vorliegenden Evidenz in höchstem Grade unverantwortlich (Eibl - Eibesfeld, 1970,S.100)."
Die Rolle der Emotion ist in Bezug auf Aggression auch bei Ethologischen studien zu beobachten - was aber nicht nur auf Lernen zurückzuführen ist. Neben den gelernten Verhaltensweisen scheint es z.B einen interindividuellen emotionalen Ausdruck zu geben. Schon Darwin wies als Unterstützung seiner These der angeborenen emotionalen Ausdrucksformen auf die Tatsache hin, dass blinde Kinder ihre Emotionen durch den gleichen Gesichtsausdruck zeigen wie sehende.


Kogni.:
Man könnte aber auch hier einen Lernprozeß nicht ausschließen, da die blinden Kinder möglicherweise eine Verstärkung oder Korrektur ihres Verhaltens durch andere Menschen bekamen. Wenn man die Berichte von "Kaspar Hauser" - Kindern und Kindern, die von Tieren aufgezogen wurden vertraut (wie sie z.B. in Indien in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vorkamen) dann fällt hier gerade die beschriebene emotionale Flachheit der Betroffenen auf.


Biol.:
Beweise im engeren Sinne für die These des angeborenen Verhaltens lassen sich nach Wieser (1976) in der Tat bis heute nicht finden. Er folgert: "...dass sich die in den letzten Jahren wieder virulentgewordene Auseinandersetzung um das Ausmaß der Bedeutung angeborener Verhaltensweisen durchaus im Rahmen eines jahrhundertealten Begriffsschemas bewegen, dem die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte wohl unübersehbar viele Fakten, aber keine entscheidend neue Einsichten hinzuzufügen vermocht haben."


Kogni.:
Die These der angeborenen Handlungstriebe, die immer noch weitgehend vorherrscht und somit die fruchtbare Zusammenarbeit mit den Sozialwissenschaftlern verbaut, wird von den Sozialbiologen (Wilson,1975;Barash,1977) zunehmend zugunsten des Begriffes der "genetischen Möglichkeiten" aufgegeben. Hier soll das Zusammenspiel von Erfahrung (Umwelt) und den Mustern der genetischen Möglichkeiten (Anlage) als zentrale Frage behandelt werden.(L11)
Im Rahmen dieser Vorgehensweise ließe sich dann möglicherweise der Stellenwert der unterschiedlichen Focusierungen (Umwelt vs. Anlage) erschließen.




2.Die arterhaltende Funktion der Aggression:
- Das Gute des Bösen, und das mögliche Böse dieser Sichtweise


Lorenz:
Die Frage nach dem Arterhaltungswert des Kämpfens hat Darwin selbst gestellt und auch schon eine einleuchtende Antwort dafür gegeben: Es ist für die Art, für die Zukunft, immer von Vorteil, wenn der stärkere von zwei Rivalen das Revier oder das umworbene Weibchen erringt. Wie so oft ist die Wahrheit von gestern zwar keine Unwahrheit, aber doch nur ein Spezialfall von heute, und die Ökologen haben in jüngerer Zeit eine noch viel arterhaltende Leistung der Aggression nachgewiesen. Wenn nicht etwa die Sonder - Interessen einer sozialen Organisation ein enges Zusammenlebenfordern, ist es aus leicht einsehbaren Gründen am günstigen, die Einzelwesen einer Tierart möglichst gleichmäßig über den auszunutzenden Lebensraum zu verteilen. Die Gefahr, dass eine allzu dichte Bevölkerung einer Tierart alle Nahrungsquellen erschöpft und Hunger leidet, während ein anderer Teil ungenutzt bleibt, wird am einfachsten dadurch gebannt, dass die Tiere einer Art einander abstoßen. Dies ist die wichtigste arterhaltende Leistung der intraspezifischen Aggression.(S.37)


Kogni.:
Dieser Argumentation zufolge würde einfach eine bessere Verteilung des Lebensraumes aggressives Verhalten vermindern. Wenn wir jedoch wissen, dass Anonymität Aggression fördert, und dass sogar dann noch, wenn die instrumentellen Konsequenzen der Aggression nicht im Interesse des Betreffenden sind (Frazer 1974), dann erscheint die lineare Gleichung: je mehr Abstand, desto weniger Aggression, als zumindest ungenügend.
Horn (1974, S.206; aus L11) weist darüber hinaus zurecht darauf hin, dass für jede menschliche Szene, die ethologisch interpretiert wird, sich auch konkurierende und vor allem nicht widerlegte sozialwissenschaftliche Deutungen und Erklärungen finden lassen.


Lorenz:
Der verhaltenspsychologisch recht einfache Mechanismus des territorialen Kämpfens löst in geradezu idealer Weise die Aufgabe, gleichartige Tiere in "gerechter", das heißt für die Gesamtheit der betreffenden Art günstiger Weise über das verfügbare Areal zu verteilen.(S.37)
Wir dürfen annehemen, dass die gleichmäßige Verteilung gleichartiger Tiere im Raum die wichtigste Leistung der intraspezifischen Aggression ist. Doch ist sie keineswegs ihre einzige ! Schon Charles Darwin hat richtig gesehen, dass die geschlechtliche Zuchtwahl, die Auswahl der besten und stärksten Tiere zur Fortpflanzung sehr wesentlich dadurch gefördert wird, dass rivalisierende Tiere, vor allem Männchen, miteinander kämpfen.(S.45)


Human. Psych:
Auf den Menschen bezogen erscheint das nicht plausibel. Wenn z.B. Arnold Schwarzenegger Sie, Herr Lorenz, aus Ihrem Labor mittels seiner Kraft entfernen würde, könnte man nicht von einer günstigen Aufteilung des Areals sprechen. Er könnte dort keine angemessene Arbeit leisten und sich inhaltlich nicht gegen einen Aufrtaggeber durchsetzen. Hier zeigt sich, dass in menschlichen Gesellschaften komplexere Kriterien herrschen, als in der Tierwelt.


Biol.:
Man kann bei der Lorenzschen Argumentation leicht dem verbreiteten Irrtums anheimfallen, Darwin und mit ihm die ganze Biologie würde das "Überleben des Stärkeren" postulieren. Schon bei der Übersetzung des Satzes "survival of the fittest" ins Deutsche wird oft fälschlicherweise "fit" mit "stark", anstatt mit "passend, geeignet" übersetzt. Aber der Passendste in seiner Umwelt ist keinesfalls nötigerweise der Stärkste.
Darüber hinaus ist unter Kampf ums Dasein keine Erklärung für einen aktuellen Kampf sondern das statistisch positive Nachkommensverhältnis zu verstehen.




Human.Psych:
Die evolutionsbiologische Argumentationsweise muss sich damit aber nicht nur die Kritik einer nach außen hin mißverständlichen Terminologie stellen. Ernst Häckel, der als Nachfolger und Anhänger Darwins die Grundlage zur Popularphilosophie des Sozialdarwinismus legte, hat aktiv das Zweckhafte als konstruktives Prinzip (wie es von Darwin postuliert wude) entfernt, indem er es als Wirkung (durch den Erfolg) definierte. Dem ursprünglich immanent Zweckhaften wurde nun eine zwangsläufige Zielstrebigkeit im Naturverlauf untergeschoben. Diese unscheinbare Änderung und Überdeutung führt besonders seit dem Ende des 19. Jh. ein Eigenleben, das verheerende Wirkung in der Gesellschaft zeigte. Die Degradierung und Ausrottung von Gesellschaftsschichten und Völkern konnte nun sogar von angeblich naturwissenschaftllich denkenden Sozialwissenschaftlern gerechtfertigt werden: Wer überlebt, der hat Erfolg, und wer Erfolg hat steht auf der Seite des evolutionären Naturrechtes und ist das biologisch bessere Individuum. Dabei ist es auch biologisch überhaupt nicht möglich, das zum überleben Zweckhafte für Individuen im vorhinein zu bestimmen, nicht zuletzt weil gesellschaftliche Normen neben anderen nicht biologischen Kriterien das als zweckmäßig Geltende bestimmen. Vor dem Hintergrund dieses geschichtlich dramatischen Mißverständnisses ist es eigentlich erstaunlich, dass Konrad Lorenz seine Argumentation ohne einen klärenden, differenzierenden Hinweis diesbezüglich vertritt.




Lorenz:
Die rein intraspezifische Zuchtwahl kann zur Ausbildung von Formen und Verhaltensweisen führen, die nicht nur bar jedes Anpassungswertes sind, sondern die Arterhaltung direkt schädigen können. Sie tut das immer dann, wenn der Wettbewerb der Artgenossen ohne Beziehung zur außer - artlichen Umwelt, allein Zuchtwahl betreibt. Den bösen Wirkungen intraspezifischer Selektion ist der Mensch aus naheliegenden Gründen besonders ausgesetzt. Wie kein anderes Lebewesen vor ihm ist er aller feindlicher Mächte der außerartlichen Umwelt Herr geworden. Er ist nun tatsächlich sein eigener Feind geworden.(S.46 ff)


Biol.:
Bei Tieren sind ernsthafte Schädigungen durch Ritualisierung (Hemmungsmechanismen) weitgehend ausgeschlossen. Beim Menschen hingegen hat eine Instinktverkümmerung bzw. ein Unwirksamwerden der Hemmungsmechanismen durch Herstellung von Waffen stattgefunden.


Human. Psych:
Diese These lässt sich also dadurch zusammenfassen, dass ein frühsteinzeitlich nützlicher Trieb seinen Sinn verloren hat, und nun blind vor sich hin wütet. Und selbst wenn wir z.B. den genetischen Code solch eines vererbten Verhalten verändern könnten, dürften wir das nicht tun, weil damit einen wichtigen Motor für viele andere Verhaltensweisen verlieren würden (Bezug: Lorenz S.49). Dabei wird der Lebensantrieb den aggressiven Bestrebungen quasi untergeordnet und für untrennbar erklärt, und das deshalb, weil man auch sinnvolle (arterhaltende) Aggression beobachtet hat. Darüber hinaus wird überall wo Aggression zusammen mit einem als überlebenswichtig geltenden Verhalten auftritt eine natürliche Bedingungen postuliert und bei negativen Beispielen ist die Bedingung unnatürlich.
Da diese Schlußfolgerungen keinesfalls zwingend sind, befinden wir uns hier schon im Bereich der zu kritisierenden Theoriebildung.




3.Die Theoriebildung; Anmerkungen und Kritik zur methodischen Vorgehensweise:


Lorenz:
Auch die innerartliche Aggression, die Aggression im eigentlichen Sinne vollbringt eine arterhaltende Leistung. Auch in Bezug auf sie kann und muss die Darwinsche Frage "wozu"? gestellt werden. ...wir werden unsere Aussichten ihr zu begegnen gewiß nicht dadurch verbessern, dass wir sie als etwas Metaphysisches und Unabwendbares hinnehemen, vielleicht aber dadurch, dass wir die Kette ihrer natürlichen Verursachung verfolgen.(S.36)


Kogni.:
Diese teleologische Herangehensweise ist aus mehreren Gründen problematisch:
1. Der Gegenstand (hier Aggression) wird nur noch im Bezug auf seine Funktion erfaßt. Der eigentliche Prozeß und das Verhalten werden nicht mehr aus sich heraus untersucht, sondern in Abhängigkeit zum gedeuteten Überlebenswert. Das Aggression wirklich an die Funktion gekoppelt ist, wurde apriori entschieden und wird nun nicht mehr weiter untersucht.

2. Die eigentliche Forschungsfrage nach dem WIE und WARUM (kausal - analytisch), wird durch die Frage WOZU (teleologisch) ersetzt. Man kann dabei aber nie sicher sein, ob der Zweck auch wirklich die "Ursache" der möglicherweise beobachteten Wirkung ist.
Wenn es heißt:"P. ist schlank, weil er wenig ißt"; (=kausal), dann ist wenig essen wirklich der Grund für seine schlanke Figur.
"P. ißt wenig, um schlank zu bleiben"; (=teleologisch), beschreibt lediglich seine Intention, und sagt nichts über den Grund seines Zustandes (schlank) aus - möglicherweise hat er eine Schilddrüsen - Überfunktion.(L3)
Bei Verhaltensweisen lässt sich aber im günstigsten Fall eine mögliche Intention, nie aber eine kausale Ursache zuschreiben.

3. Bei Menschen ist die Zuschreibung einer einheitlichen, generellen Funktion der Aggression nicht möglich. Eine unterschiedliche kognitive oder emotionale Bewertung kann zwei Menschen bei der gleichen Situation zu entgegengesetztem Verhalten veranlassen. Darüber hinaus können zwei oder mehr unterschiedliche Zwecke in einer Person konkurieren, was dann als Konkurenz verschiedener Triebe aufgefasst werden müsste.

4. Die Funktionszuschreibung ist mehrdeutig und hängt von dem ab, was der Beobachter als zweckmäßig einstuft. Die Zahl der Verhaltensweisen, die in der Literatur einem Instinkt oder einem Trieb zugeschrieben werden schwanken zwischen 1 und 5684 (Zitat nach Nolting 1978, S.37; L3).


Human. Psy.:
Mit der Zweck zuschreibenden Theoriebildung kann man oft auf problematischste Erklärungen von Gesellschaftsphänomenen stoßen. Außländerfeindlichkeit z.B wird demnach einem beobachtbaren Schutz - und Abgrenzungsbedürfnis zugeschrieben, das sich auch bei Tieren zeigt. Damit wird ihr Argumentativ eine rechtmäßige Natürlichkeit verliehen. Im Folgenden wird dann gar nicht mehr untersucht ob die fremdenfeinliche Einstellung auch wirklich diese Funktion hat, sondern nur noch die Stärke der Ausprägung herangezogen. Andere mögliche Erklärungsmuster dieses Verhaltens (kollektiver Narzißmus, Attribuierung persönlicher Probleme, etc.) bleiben unberücksichtigt. Die Auswahl des Begründungs - zusammenhangs ist einseitig und unzuläßig unvollständig. Hier scheinen Längsschnittstudien die nach Bedingungszusammenhängen forschen sinnvoll zu sein (z.B. Mantell "Familie und Aggression. Zur Einübung von Gewalt und Gewaltlosigkeit"; 1978)


Kogni.:
All diese (oben genannten) Probleme lassen sich als Gefahr des teleologischen Irrtums zusamenfassen. Die Forschung unter dieser Fragestellungen ermöglicht also weder einen Hinweis über den funktionalen Grund von Aggression, noch über die Verankerung als primärer Trieb in der Person.
Darüber hinaus bleibt noch die Frage der Forschungsmethode offen.

Lorenz:
Die induktive Naturwissenschaft beginnt stets mit der voraussetzungslosen Beobachtung der Einzelfälle und schreitet von ihr zur Abstraktion der Gesetzlichkeit vor, der sie alle gehorchen. (...) .Es ist leicht und billig eine Theorie zu entwickeln, und sie dann mit Beispielen zu untermauern, denn die Natur ist so vielgestaltig, dass man auch für völlig abstruse Hypothesen bei fleißigem Suchen scheinbar überzeugende Beispiele finden kann.(S.9)

Kogni.:
Schon Hume, aber vor allem die Wissenschaftstheoretiker des 20. Jh. (besonders Popper) kritisierten die induktive Methode. Zum Einen ist die voraussetzungslose Beobachtung nicht möglich, da eine Forschungsperspektive und ihre Methoden immer eine Eingrenzung des Gegenstandes vornehmen. Zum Anderen gehen wissenschaftliche Hypothesen über das Beobachtbare hinaus. Es kann von Herrn Lorenz auch kein Aggressionstrieb beobachtet werden, sondern nur ein Verhalten, das Sie als einen Trieb deuten. Naturwissenschaftliche Gesetze lassen sich auch nicht aus dem Beobachtbaren unmittelbar abstrahieren. Beobachtungen lassen immer mehere Deutungen zu, was auch die bisherige Diskussion zeigt. Möglicherweise kann eine wissenschaftliche Hypothese durch Beobachtung induktiv unterstützt oder geprüft werden, aber unmittelbar zuverlässig daraus generiert werden kann sie nicht.
Somit ist es auch mit der induktiven Methode durchaus möglich zu "abstrusen Hypothesen" zu gelangen. Diese Gefahr scheint sogar größer zu sein wenn man seine Hypothese nicht als deduktive Vermutung zur Diskussion stellt, sondern glaubt, induktiv zu einem Gesetz gelangt zu sein. Und letzteres gibt Lorenz vor.


Biol.:
Das Lorenz heutigen wissenschaftlichen Maßstäben nicht entspricht wurde auch in einem diesjährigen "Experiment" (anläßlich seines Geburtstages) sichtbar. Man schickte Studien von ihm unter einem anderen Namen an verschiedene Fachzeitschriften, die die Publikation aber aufgrund verschiedenster Mängel ablehnten.
Dies mag also ein Einwand gegen Lorenz, nicht aber gegen die heutige Ethologie sein.
Der verantwortliche Umgang der Ethologen mit dem Tier - Mensch - Vergleich erzwingt eine sehr vorsichtige Vorgehensweise. Das beruht auf dem Problem, dass eine Homologisierung auf der Ebene von Erbkoordinationen, d.h. formkonstanten, arttypischen Bewegungsabläufen, nur selten möglich ist. Dagegen haben der Mensch und andere Primaten allgemeine Verhaltensdispositionen gemeinsam, die unter Einbeziehung von Lernprozessen zu vergleichbaren Verhaltensweisen führen können. In diesem Sinne kann auch angenommen werden, dass die Aggression des Menschen stammensgeschichtliche Wurzeln im Tierreich hat.


Human. Psy.:
Das zu tolerieren fällt nicht so schwer. Es ist kein Problem zu akzeptieren, dass der Mensch eine Ahnenreihe besitzt, die ihm eine Erbe hinterlassen hat. Nur kann daraus keine Verhaltensbestimmung bei heutigen Menschen erfolgen, da gerade die Unterschiede zu unseren tierischen Vorfahren handlungsbestimmend sind.

Kogni.:
Möglicherweise können durch Tierbeobachtungen interessante Ideen über menschliches Handeln geboren werden - so formuliert Donald O. Hebb, dass er maßgebliche Thesen zur Überwindung des Behaviorimus aus der Beobachtung von Affen gewonnen hat (siehe Spektrum der Wissenschaft 11/93). Aber hierbei muss man sich - so wie Hebb - auf den Entstehungszusammenhang einer Theorie beschränken und den Begründungszusammenhang unabhängig davon am eigentlichen Forschungsgegenstand (dem Menschen!!) aufzeigen. Diese Vorgehensweise bleibt Lorenz aber dem Leser schuldig.





4. Theoriekonsequenzen im Umgang mit Aggression:


Lorenz:
Unter extremen Bedingungen (z.B.) kann es zu unangebrachter, unverhältnismäßiger Aggression kommen. Einsicht darein hält zwar von gewaltätigen Aktionen ab, schafft aber keine Linderung. Diese ist nur durch aggressives Abreagieren an Objekten zu erlangen (redirected activity). (Sinngemäß zusammengefaßt S.61)


Kogni.:
Diese Theorie entspringt einer Art Psychohydraulik, die die Möglichkeit der Katharsis - bei der aggressive Handlungen aggressives Verhalten reduziert - pro - pagiert. Dass es die Möglichkeit gibt körperliche Energie (z.B. Affekte) umzuleiten, bzw. an Objekten der eigenen Wahl auszulassen ist unbestritten. Ob solche Aktionen aber über meine körperliche Verausgabung hinaus zum "Aggressionsabbau" beitragen ist fragwürdig. Andere (nicht ganzkörperliche) kathartische Handlungen müssten dann ebenfalls zum psychischen Aggressionsabbau beitragen. Es ist aber sogar im Gegenteil ein Ansporn - Effekt bei Versuchen diesbezüglich zu beobachten: z.B. Mallick u.McCandless (1966), oder Kahn (1966): Bei 2 Gruppen, denen nach einer erlittenen Provokation verschiedene Verarbeitungswege geboten wurde (1.Gruppe.: kathartisches Interview; 2.Gruppe: keine Intervention), zeigte die erste Gruppe dem Wiedersacher gegenüber mehr Aggression, als die 2. Gruppe.
Medienwirkung wie sie von Hicks (1965) untersucht wurden zeigen zusätzlich, dass Aggression in Filmen bei Kindern zu einem Anstieg des aggressiven Verhaltens führt.
Das Konzept der Katharsis ist somit ein fragwürdiges Konzept, und kann vor allem im Hinblick auf therapeutische Konzepte nicht mehr als angemessen betrachtet werden.
Literaturverzeichnis und Kodierung


Alle nicht weiter benannten Seitenangaben beziehen sich auf:
Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse - zur Naturgeschichte der Aggression
dtv, München, ungekürzte Ausgabe, 1974

L1 Hrsg. von T.Herrmann, P. Hofstätter..., Handbuch psychologischer Grundbegriffe
Kösel Verlag, München, 1977

L2 P.G. Zimbardo, Psychologie
Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 4. neuberarb. Auflage 1983

L3 D. Ulich, Das Gefühl - eine Einführung in die Emotionspsychologie
PVU, München, 2. Auflage, 1989

L4 E. Fromm, Anatomie der Menschlichen Destruktivität
Rowohlt Verlag, Reinek bei Hamburg, 1977

L5 E. Fromm, Die Seele des Menschen - Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen
Deutsche Verlagsanstallt, Stuttgart, 1979

L6 H. Legewie, W. Ehlers, Knauers moderne Psychologie
Knaur, München / Zürich, 1978

L7 I. Eibl - Eibesfeld, Der Mensch das riskierte Wesen
Piper, München, 1988

L8 D. Franck, Verhaltensbiologie - Einführung in die Ethologie
Thieme Verlag, New York, 1985

L9 I. Eibl - Eibesfeld, Liebe und Haß - zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen.
Piper, München, 12. Auflage 1985

L10 M. Mead, Die Persönlichkeitsbildung bei den Arapesch
Piper, München, 1968

L11 Hrsg. R. Asanger und G. Wenninger, Handwörterbuch der Psychologie
Psychologische Verlags - Union, Weinheim, 1992

Ferner: Inhaltlich aber nicht zitiert:

L. A. Perwin, Persönlichkeitspsychologie
UTB für Wissenschaft, München, 1987

R. Riedel, Die Spaltung des Weltbildes
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