Multiple Persönlichkeitsstörung

Entdeckung

Die amerikanische Psychiatrie hat vor einiger Zeit ein neues psychisches Syndrom identifiziert, das inzwischen auch Eingang in die europäische Psychiatrie und Psychotherapie gefunden hat. Gemeint ist die "multiple Persönlichkeit" (MPS - multiple Persönlichkeitsstörung oder amerikanisch "MPD - Multiple Personality Dirsorder").

MPS ist eine der umstrittensten Diagnosen in der Psychiatrie, weil einige Fachleute behaupten diese Krankheit sei nicht real.
MPS ist keine phantastische Kuriosität, bei der es mehr als eine Person im selben Körper gibt. Es gibt nur eine Person - eine Missrauchsüberlebende -, die sich vorgestellt hat, es gäbe andere Leute in ihrem Inneren, um zu überleben. Der von dieser Krankheit betroffene Mensch wechselt ständig seine "Persönlichkeit" mit jeweils ganz unterschiedlichen Haltungen und Verhaltensweisen. Manche Patienten greifen auf einen "Fundus" von einhundert und mehr Persönlichkeiten zurück. Nach bisheriger Kenntnis versucht der Patient auf diese Weise, frühen traumatischen Erfahrungen zu entgehen, vor allem sexuellem Missbrauch und seinen seelischen Folgen.

Kennzeichnend für eine Multiple Persönlichkeitsstörung ist, dass die erste Spaltung sehr früh eingesetzt haben muss. Nämlich in einer Zeit im Leben des Kindes, als dieses dabei war, seine Identität zu finden und zu entwickeln. In der Regel wird davon ausgegangen, dass eine Multiple spätestens bis zum fünften Lebensjahr derart intensiven und häufigen Traumata ausgesetzt war, dass sie schon damals begonnen hat, sich zu spalten.

Erst 1980 wurde MPS in das amerikanische Standardwerk der Beschreibungen von geistigen Störungen aufgenommen: Multipel ist demnach ein Mensch, in dem mindestens zwei unterschiedliche Persönlichkeiten vorkommen, jede mit einem eigenen Muster, die Welt und sich wahrzunehmen. Wobei mindestens zwei der vorhandenen Pesönlichkeitszustände wiederholt und abwechselnd die vollständige Kontrolle über das Individuum gewinnen. Der Patient ist unfähig sich an eine wichtige persönliche Information zu erinnern, die zu umfangreich ist, als dass sie sich durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklären ließe. Die Störung ist nicht auf die direkten physiologischen Folgen einer Substanz zurückzuführen (z.B. Alkohol) oder auf einen allgemeinen medizinischen Zustand (z.B. komplexe partielle Anfälle).

Vor 1980 wurde die Krankheit weder eingeordnet noch - mangels eines therapeutischen Konzepts - adäquat behandelt. Psychiater und Psychotherapeuten waren schlichtweg überfordert. Weder hatten sie in ihrer Ausbildung davon gehört, noch konnte die moderne Literatur ihnen weiterhelfen.

Aber das Wissen um das Phänomen der multiplen Persönlichkeit ist älter als dieses Jahrhundert. MPS wurde damals als eine Art der Hysterie angesehen. Der französische Psychiater Pierre Janet gilt als der eigentliche Theoretiker der MPS. An seinen berühmten Versuchspersonen Lucie, Leonie und Rose lernte er im Jahre 1888 die Aufspaltung menschlichen Bewusstseins kennen. Er befasste sich mit traumatisch verursachten Neurosen, indem er die Patienten davon überzeugte, dass das Trauma nie geschehen sei. Er pflegte dies durch Suggestion und Hypnose zu tun, wann immer er konnte. Janets Bewunderer in der Bewegung der traumatischen und der multiplen Persönlichkeitsstörung verehren ihn als Verfechter traumatischer Ursprünge der meisten Hysterien.

Von 1880 bis 1920 gab es eine Zeit verstärkten Interesses am Studium dissoziativer Störungen und multipler Persönlichkeiten; zahlreiche Studien von Psychiatern, Psychologen und Philosophen widmeten sich diesem Thema, vermutlich auch dadurch bedingt, dass sich die Hypnose als Therapiemethode steigernder Beliebtheit erfreute.

War die klinische Literatur über die Multiplen vor der Jahrhundertwende noch sehr weit verbreitet, so hörte sie mit zunehmender Akzeptanz der Psychoanalyse fast schlagartig auf. Denn Freud behauptete jeglicher sexueller Missbrauch in der Kindheit sei Phantasie. Dies erklärt er in der Verführungstheorie: Demnach wünschten die Patienten, vom Vater verführt zu werden, und wurden aufgrund der patologischen Verformung dieses Inzestwunsches zu Hysterikerinnen. Ein Grund weshalb Freud diese Theorie aufstellte könnte gewesen sein, dass er nicht wahrhaben wollte, dass die Perversionen gegen Kinder, weit verbreitet gewesen sein mussten, aufgrund der zahlreich vorkommenden weiblichen Hysterikerinnen. Ein weiterer Grund mag wohl gewesen sein, dass einige der Täter, von denen seine Patientinnen berichteten, zu Freuds Bekanntenkreis gehörten.

Zwischen 1910 und 1944 wurden weltweit nur noch 76 Fälle von MPD vorgestellt. Wobei die Zahl der inneren Personen weit unter dem heute bekannten Durchschnitt lag, der bei acht bis neun Personen liegt. Nicht dass es in der Zwischenzeit keine Muliplen gegeben hätte. Sie wurden nur nicht mehr als Multiple angesprochen, sondern als schizophren diagnostiziert, bekamen Psychopharmaka oder verschwanden in den geschlossenen Anstalten. Man machte mit ihnen keine Psychotherapie mehr. Das sorgte sowohl dafür, dass die meisten der inneren Personen nicht zum Vorschein kamen, als auch dafür, dass der in der Tiefe liegende sexuelle Missbrauch nicht ans Licht kam. Diese Entwicklung ist heute noch wirksam: rund vierzig Prozent aller als "schizophren" diagnostizierten Psychiatriepatienten sind vermutlich in Wirklichkeit multiple Persönlichkeiten.

Zwei Sachbücher "The Three Faces of Eve" (erschienen 1957) und auch "Sybil" (1973) hatten einen großen Einfluss auf das damalige Bild der MPS. Die beiden Bücher stellen das Phänomen in sauberer klinischer Arbeit vor und beschreiben die therapeutische Anstrengung in allen Details. Daher gewann in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts in den USA die Vorstellung wieder an Gehalt, jemand könne, vom Unerträglichem umzingelt, seine Identität spalten. Erst seit 1980 erscheinen dann zögernd die ersten klinischen Arbeiten über das Phänomen. Frank Putnam, Richard Kluft und Colin Ross sind bedeutende Forscher auf dem Gebiet der multiplen Persönlichkeitsstörung. Kluft hat wahrscheinlich mehr Multiple behandelt als sonst irgendwer, und er hat die größte Erfolgsquote bei der zu Integration führenden Therapie, außerdem ist er Herausgeber der Fachzeitschrift Dissociation. Putnam und Ross veröffentlichten die ersten Fachbücher zu diesem Thema, und haben ebenfalls schon zahlreiche Fälle behandelt..

Man erkannte immer mehr, dass Multiplizität sehr viel weiter verbreitet ist, als man bisher ahnte: 40.000 "Multiple" gibt es schätzungsweise in Deutschland, 300.000 in den USA. 1986 fand der erste Kongress zu diesem Thema statt. Heute ist das Feld weitflächiger bearbeitet. Es gibt jährliche Kongresse mit weit über tausend Besuchern, eine Gesellschaft ("International Society for the Study of Multiple Personality & Dissocation") und eine wissenschaftliche Fachzeitschrift, Dissociation, die bereits im 12.Jahr erscheint.

Seit 1994 ist die Krankheit auch unter dem Namen "Dissoziative Identitätsstörung" bekannt. In den USA und Kanada wurde eine Reihe von stationären Therapieprogrammen entwickelt, etliche Stationen und ganze Kliniken widmen sich speziell der Diagnostik und Behandlung von MPS. In Europa setzt diese Entwicklung nur zögernd ein. Die Erforschung des Phänomens ist also noch recht jung, und man ist noch lange nicht am Ende eines Konzepts, das mit Sicherheit Licht in dieses dunkle Thema bringt.

Arten von inneren Personen

Der durchschnittliche MPD-Patient hat in seinem Inneren zwischen sechs und zwölf "Kernpersönlichkeiten", um die sich andere, kleinere und nicht so individuell ausgeformte Persönlichkeitsteile gruppieren, und die sich im Laufe der Therapie zu Wort melden. Dabei ist es nicht etwa so, dass diese Personen dem Patienten am Anfang der Therapie bekannt wären. Der Patient leidet an Symptomen und weiß von seinen Innenweltbewohnern in der Regel nichts. Dabei gibt es eine Kernpersönlichkeit, den so genannten "Host" und die anderen Personen, die "alters". Die meisten "alters" sind am Anfang vollständig unbekannt, und die Arbeit von Patient und Therapeut kommt einer astronomischen Suche gleich. In vereinzelten Fällen melden sich beim Patienten dreißig, vierzig oder sogar mehrere hundert Personen zu Wort. Es stellt sich freilich sehr schnell heraus, dass diese Personen eigentlich keine eigenständigen Personen sind, sondern Absprengsel oder Persönlichkeitsfragmente, die ganz bestimmte Spezialaufgaben haben, ansonsten aber keine eigenen Charaktereigenschaften aufweisen (z.B. kann ein Fragment die Aufgabe haben, den Fußboden aufzuwischen - gibt es gerade keinen Fußboden zu wischen, so ist es inaktiv. Manchmal kommt es in der Therapie zu dem Phänomen, dass der Therapeut das Gefühl bekommt, an einem "Fass ohne Boden" zu arbeiten: In jeder Sitzung kommen drei neue Gestalten zum Vorschein, und es besteht die Gefahr, die Übersicht zu verlieren. Je mehr "alter" Persönlichkeiten hervorgelockt werden, desto zwangsläufiger erscheinen sie als bloße Persönlichkeitsfragmente. Je zahlreicher die Personen in einem Multiplen, um so schwerer die Störung.

Bei vielen Multiplen tauchen ihre Personen ihr ganzes Leben lang immer wieder auf bestimmte Außenreize hin auf. Manche Personen im Persönlichkeitssystem können auch aufgrund von Innenreizen wie bestimmte Gedanken, Gefühle, Schmerzen oder Träumen urplötzlich da sein.

Es ist gerade das Schreckliche für multiple Persönlichkeiten, dass sie den Switch (Personenwechsel) bis weit in die Zeit der Psychotherapie hinein nicht selbst bestimmen können, sondern von den Außenreizen abhängen wie die Marionette am Faden.

Jede, der unterschiedlichen Persönlichkeiten produziert völlig verschiedene Hirnwellen Muster im EEG (Elektroenxephalogramm), diese sind so verschieden als stammten sie von völlig unterschiedlichen Menschen. Es gibt auch noch eine Menge von Unterschieden bei körperlichen Merkmalen: Eine Person ist Allergiker, die andere nicht, dasselbe in Bezug auf Süchte, Zuckerkrankheit, Weitsichtigkeit und ähnlichem. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Dies zeigt, dass die Psyche einen erheblich größeren Einfluss auf unseren Körper besitzt, als wir bisher glaubten. Auch die Augenfarbe kann sich unterscheiden. Noch andere äußere Merkmale an denen man die Personen auseinander halten kann sind: Gestik Mimik Stimme. Frank Putman nennt den Fall einer Multiplen, die jeden Monat dreimal menstruiert, einmal für jede erwachsene Frau in ihr.

Des weiteren konnte der Nachweis geführt werden, dass multiple Persönlichkeiten offenbar einen anderen Stoffwechsel haben als Nichtmultiple. Medikamente und psychisch wirksame Substanzen z.B. Narkosemittel wirken nur bei der Person, die sie auch eingenommen hat, und nur in äußerst schwacher Form, wenn überhaupt, bei den anderen Personen. Von daher betonen amerikanische Psychiater immer wieder die Notwendigkeit, dass Ärzte um die Stoffwechsellage der Multiplen wissen sollten, da sonst entweder erhebliche Schmerzen bei der Betroffenen oder falls nachgespritzt wird, die Gefahr einer Überdosierung besteht. Beides stellt für die Multiple ein erneutes Trauma dar.

Mindestens eine der inneren Personen möchte immer gewalttätig agieren, entweder gegen sich selbst oder gegen andere. In der psychotherapeutischen Arbeit mit Überlebenden sexueller Gewalt fällt immer auf, dass sie unter extremen Hassattacken gegen den eigenen Körper bzw. bestimmte Persönlichkeitsanteilen leiden. Bei multiplen Persönlichkeiten äußert sich dies oft im wütenden inneren Kampf verschiedener Personen gegeneinander, mit dem Ziel der gegenseitigen Zerstörung, wobei oft die Vorstellung besteht, nur die andere Innenperson würde Schmerzen leiden und sterben, die aggressive Person jedoch nicht. Dies ist eine Wiederholung der traumatisierenden Erfahrung: Dem Täter ist ja auch in der Regel nichts passiert, während das Opfer an der Seele und auch oft am Leib beinahe tödlich verwundet wurde. Manche Personen verspüren keine Schmerz. Ursache ist die dissoziative Fähigkeit der Multiplen, die nicht nur verschiedene Personen entstehen lässt, sondern auch dazu führt, dass verschiedene Empfindungen auf - und abgespalten werden, z.B. hat ein Alkoholexzess keine Folgen für die trinkende Person. Also wird es in der nächsten Stresssituation, wenn dieselbe Person wieder nach einem entlastenden Mittel sucht, vermutlich zu einer Wiederholung des selbst beschädigenden Verhaltens kommen. Die Schwelle zu Suizidverhalten wird auf diese Weise enorm herabgesetzt. Und bei der ungeheuren äußeren und inneren Belastung der Multiplen ist es geradezu ein Wunder, dass sie sich nicht sehr viel häufiger selbst töten. Glücklicherweise haben viele Multiplen im Inneren Personen, die aufpassen, dass es mit den Selbstschädigungen nicht überhand nimmt, und auf diese Weise das Überleben des gesamten Persönlichkeitssystems sichern.

Da viele innere Kinder in multiplen Persönlichkeiten Traumata erlebt haben, die Todesnäheerfahrungen darstellten, gehören Panik, Entsetzen, Ohnmacht, Schmerzen, Hass und Trauer zu ihren Mitbringseln, wenn sie herauskommen. Das heißt oft wird das Kind wimmern oder weinen, um sich schlagen oder mit weit aufgerissenen Augen dasitzen oder liegen, zumindest, solange es dem Therapeut noch nicht gelungen ist, das Kind aus dem Traumata herauszuholen. Daher ist der Umgang mit den Kindern kritisch. Man muss sich wirklich erst daran gewöhnen, das eine erwachsene Frau, wenn ein Kind in ihr herauskommt, tatsächlich dieses Kind ist. Es nützt also gar nichts, eine Multiple aufzufordern, sie solle sich doch mal zusammenreißen.

Die Opfer retteten sich selbst bzw. wurden von einigen Misshandlungen durch die Täter verschont, indem sie anderen Lebewesen etwas antaten. Viele behalten dieses Verhalten auch später bei und erleben durch Misshandlungen anderer eine psychische Erleichterung - es ist zu einem für sie unkontrollierbaren Zwang geworden.

Manchmal kann es auch vorkommen, wenn die Multiple selbst Kinder hat, dass eine bestimmte Innenperson das Kind körperlich oder sexuell misshandelt. Außerdem behandelt die Mutter das Kind manchmal liebevoll ein anderes mal ablehnend, dies alles kann dazu führen, dass das Kind selbst multipel wird.

Die Affekte der Multiplen, darunter auch Wut, sind in reiner Form in einzelnen Personen abgespeichert. Werden diese Personen herausgelockt oder von der Multiplen herausgelassen, dann treten die Affekte mit einer solchen Wut zutage, dass eine Bedrohung für den Multiplen selbst und für andere z.B. Therapeut besteht.

Die verschiedenen inneren Persönlichkeiten lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen:

die Kernpersönlichkeit (Host): Sie ist jene Person, welche die Symptome hat und als Patient in die Therapie kommt. Diese Person hat normalerweise die Kontrolle über den Körper und verbringt die meiste Zeit auf dem "spot". Der Host kann sich an große Teile seiner Kindheit gar nicht erinnern und darüber höchstens vage Angaben machen. Der Host weiß oft tatsächlich nichts von den anderen Personen in ihm, und auch diese kennen einander zunächst oft nicht; oder sie kennen nur manche der anderen Innenpersonen, während sie, wenn andere Personen draußen sind oft Amnesien haben.

Kinderpersönlichkeiten: Ein Kind - meist mehrere - wird in jeder multiplen Persönlichkeit im Laufe der Therapie auftauchen. Solche Kinder werden in der Zeit gefangen gehalten, d.h. ohne eine therapeutische Anstrengung bleiben sie das ganze Leben lang auf einer bestimmten Altersstufe stehen und agieren diesem Alter entsprechend. Die weitaus meisten dieser inneren Kinder tragen ein tiefes Trauma in sich und dieses muss in der Therapie auferstehen. Es sind die gequälten und misshandelten Seelenanteile, denen oft gleichaltrige Kinder gegenüberstehen, die das, was der Täter tat, idealisieren und als richtig definieren. Mitunter übersteigt die Zahl der inneren Kinder die Zahl der erwachsenen Innenweltbewohner.

Peiniger Persönlichkeiten (Persecuters) Solche Persönlichkeiten stehen in einem Konflikt zur Host-Persönlichkeit. Es sind zunächst einmal innere Feinde. Sie können das reale Leben des Host zerstören; Sie verwunden den Patienten und möglicherweise auch Außenstehende mit ihren Aggressionsakten, die bis zum Selbstmord gehen können. Nicht selten versuchen Peiniger, die Therapie zu sabotieren oder die Kernpersönlichkeit davon abzuhalten, zu den Sitzungen zu erscheinen. Dabei hat die interne Person manchmal die Absicht den Host zu töten, was man eigentlich als Mordversuch bezeichnen könnte, aber natürlich wird dieser nicht realisiert, da sie dabei selbst sterben würden.

Selbstmord-Persönlichkeiten Die innere Person versucht nicht den Host, sondern sich selbst umzubringen. Ist eine solche Person vorhanden, so bedarf es manchmal der gemeinsamen Anstrengungen von Therapeut und anderen inneren Personen, sie zur Vernunft zu bringen. Ist diese Persönlichkeit zu stark, so hat der Therapeut mitunter keine Chance, diesen Akt zu verhindern.

Beschützer- und Helfer- Persönlichkeit Die meisten Multiplen besitzen eine oder mehrere Helfer-Persönlichkeiten, die als Gegengewicht zu den Peinigern fungieren. Diese Helfer greifen dort ein, wo das System gefährdet ist, und schützen dort, wo die Traumata wieder drohen. Bei weiblichen Patienten ist der Beschützer oft ein "innerer Mann", und er entfaltet wesentlich mehr Kräfte, als die Patientin allein es je vermöchte. Im allgemeinen stehen Helfer der Therapie wohlwollend gegenüber.

Der innere Selbst Helfer Dieser Persönlichkeitstypos ist eine Sonderform der helfenden Persönlichkeit. Allison, der sie als erster beschrieb, behauptet jeder habe sie. Diese innere Person weiß über jede innere Person Bescheid. Hat der Therapeut diesen identifiziert und ist der bereit, Auskünfte zu geben, so liegt das System für den Therapeuten offen da. Er ist dann eine unschätzbare Quelle von Informationen auch über jene Personen, die sich in den Sitzungen noch nie gezeigt haben.

Personen des anderen Geschlechts In den weitaus meisten Fällen befinden sich im Inneren von männlichen Patienten weibliche alters und umgekehrt.

Sexuell aktive Personen Diese inneren Personen sind gleichsam die Hüter der verborgenen und verbannten sexuellen Anteile und Impulse. Viele derartige MPS-Patientinnen leben eine Zeit als Prostituierte und handhaben so ihre durch den sexuellen Missbrauch in der Kindheit fehlgeleitete Sexualität.

Drogen- Personen Es ist eine nicht vollständig gesichterte Hypothese, dass der Drogenkonsum, hauptsächlich von Tabletten, von einer oder mehreren inneren Personen ausgeht.

Dämonen und Geister Vor allem Patienten aus streng religiösen Elternhäusern erleben oft innere Personen, sie sich als böse Geister ausgeben. Diese können zum Teil starke Attacken auslösen, sind aber nichtsdestotrotz abgespaltene eigene Persönlichkeiten, gehören also zu diesem Patienten.

Entstehung der Krankheit

Jede innere Person ist entstanden, weil die Gesamtperson mit einem unerträglichem Trauma (=seelische Erschütterung, Verletzung der Psyche), einer Todesnäheerfahrung, konfrontiert worden ist. Dies gilt vor allem für die ersten Abspaltungen. Dabei ist es in der Regel nicht so, dass es sich um ein punktuelles Geschehen handelt, das sich nur einmal in eine ansonsten stressfreie Umgebung einmischt, sondern es handelt sich um eine lang anhaltende Kette von zerstörerischen Erfahrungen, die zu einem Zeitpunkt beginnt und sich über viele Stadien hindurch fortsetzt. Die körperliche, seelische und oder sexuelle Gewalt muss sehr früh beginnen - schon im Kleinkindalter -, muss sich über Jahre häufig wiederholen.

Für die Erkenntnis, dass MPS durch ein Trauma in der Kindheit entsteht gibt es zwei einander verstärkende Aspekte. Einerseits haben praktisch alle Multiplen, die sich heute in Therapie befinden, kindliche "alter" Persönlichkeiten. Andererseits werden diese kindlichen "alter" Persönlichkeiten in der Behandlung zu Zeugen für jenen Missbrauch, der sie ins Leben rief.

Je früher das Unerträgliche ins Leben tritt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch multipel wird. Denn die Gabe, sich wegzudenken, also die Fähigkeit zur unbewussten Selbsthypnose, schwindet mit zunehmenden Alter. Wer erst als Erwachsener ein Trauma erfährt, wird nicht mehr multipel. Wer es aber schon ist bestellt bei jedem Trauma neue Personen in sein Innenreich - nicht nur in Momenten aktueller Trostlosigkeit, auch zum Zeitvertreib, über Jahrzehnte weiter.

Eines der schwersten Traumata ist die Erfahrung sexueller Gewalt, da sie nicht nur psychisch verheerend ist, sondern auch die körperliche Integrität des Kindes zerstört. Fast alle Multiplen haben als Kind sexuelle Gewalt erlebt. Die Täter rauben ihrem Opfer die Kindheit und die Möglichkeit einer gesunden psychischen Ich-Entwicklung. Die Täter kommen vorwiegend aus der Familie des Opfers, aber auch Freunde und zahlende Fremde vergehen sich an den Kindern, nicht zuletzt gibt es noch Produzenten von Kinderpornos, Zuhälter, Dealer und Waffenschieber und ähnliche satanische Kulte benutzen und foltern Kinder auch wesentlich häufiger als man vermutet, der rituelle Missbrauch in diesen Sekten ist besonders grausam für die Kinder. Ein Opfer z.B. benötigte über 400 abgespaltene Personen in ihrem Inneren um die Qualen überleben zu können, die ihre Mutter und ein satanischer Kult, dem die Mutter ihr Kind bereits als Säugling opferte, ihr zufügten.

Eine Mutter, die zwischen extremen Gefühlen hin und her schwankt und sich für das Kind völlig unberechenbar verhält, fördert die Dissoziation. Einmal liebkost sie es für ein bestimmtes Verhalten, ein andermal wird es für dasselbe Verhalten misshandelt.

Wenn also zusätzlich beide Eltern extrem zwiespältig oder ausschließlich offen feindselig sind und das Kind wirklich niemanden hat, an den es sich wenden kann, muss es sich selbst helfen, indem es seine Persönlichkeit aufspaltet.

Vorausgesetzt, es besitzt die Fähigkeit, sich aufspalten zu können, im Fachausdruck: Die Fähigkeit, extrem zu dissoziieren. Es gibt außer MPS noch andere dissoziative Störungen. Sie beruhen alle auf dem Prinzip der Dissoziation ,zusammengehörige Ereignisse werden aufgespalten, es ist also das Gegenteil von Assoziation. Eine Dissoziierungsstörung entsteht aber nicht einfach so. Sie entsteht dann, wenn verhindert werden muss, dass das Dissoziierte wieder assoziiert werden kann. Die Psyche merkt :Sie wäre völlig überfordert, wenn das komplette Ereignis, das Trauma, wieder assoziiert ins Bewusstsein gelangen würde. Wenn dies doch geschieht ¬ was die Betroffenen oft als eine Art "Flaschback" erleben, d.h. plötzlich ist die Szene wieder da, samt der Todesangst und den Schmerzen, - dann sorgt das Unbewusste dafür, es so rasch wie möglich erneut zu dissoziieren und in die "hintere Hirnregion" zu verbannen. Dissoziation ist also ein Abwehrmechanismus, eine Schutzfunktion des Unbewussten, mit deren Hilfe alles, was das Bewusstsein überfordern könnte, daran gehindert werden soll, ins Bewusstsein zu geraten und dort möglicherweise eine Katastrophe auszulösen in der Form, dass das Bewusstsein seine Funktion nicht mehr ausüben kann. Wenn das "Vergessen", d.h. dissoziieren so viele Bereiche des Lebens betrifft, kommt es auch im Alltagsbewusstsein zu einer Spaltung. Entweder werden große Teile der Vergangenheit komplett vergessen oder es entwickeln sich unterschiedliche Identitäten, letzteres ist dann eine multiple Persönlichkeit. Hier erstreckt sich die Dissoziation nicht nur auf die Erinnerungen, sondern auch auf die gesamte Identität. Daher wird MPS auch Dissoziative Identitätsstörung genannt. Colin Ross, eine Expertin auf diesem Gebiet, ordnet in einer Tabelle die dissoziativen Störungen nach ihrem Schweregrad, von normaler Dissoziation (Verdrängung) über Psychogene Amnesie, Psychogene Fugue, teilweise Multiple Persönlichkeitsstörung, duale Persönlichkeit komplexe MPS bis zur polyfragmentierten MPS, bei der es eine Fülle von Persönlichkeitssplittern gibt, von denen viele sich als eigenständiges Ich erleben. Die Auflistung reicht also von der alltäglichen und notwendigen Dissoziation von Ereignissen bis zur schweren Identitätsstörung kurz vor dem Zerfall der Identität, bei der sich das Gefühl dafür, wer ich bin völlig auflöst.

Eine Dissoziationsstörung ist dadurch gekennzeichnet, dass der normale Ablauf, ein Erlebnis im nachhinein rekonstruieren zu können, gestört ist.

Das gesamte Ich, das dem Trauma ausgesetzt war, wird mit einer amnestischen Barriere vom Rest der Persönlichkeit abgespalten. Es gibt dann eine Person, die das Trauma erlebt hat, und eine Person, die es nicht erlebt hat. Häufig finden solche Identitätsspaltungen aufgrund der Unerträglichkeit des Traumas bereits während des Traumas statt, so dass es mehrere Personen gibt die jeweils nur einen Teil des Trauma erlebt haben.

Wir wissen aufgrund der ungeheuren Komplexität des menschlichen Gehirns heute erst zu einem Bruchteil, wie Dissoziation und die dissoziative Identitätsspaltung wirklich funktioniert.

Die moderne Forschung über MPS ist erst zwanzig Jahre alt, Erklärungen werden aufgestellt und wieder verworfen.

Wie auch in alle anderen psychischen Störungen, die als Folgen schwerer Traumatisierung gelten, betrifft MPS zum allergrößten Teil Frauen.

Nicht jeder Mensch, der einer frühkindlich beginnenden Traumatisierung ausgesetzt ist, entwickelt aber MPD. Er hat zwei Möglichkeiten parat, eine Welt, die unerträglich ist zu bewältigen: Indem er das Unerträgliche verdrängt oder indem er sich aus dem Infernalen wegphantasiert bis er sein Bewusstsein spaltet, sich neue Identitäten schafft und die ursprüngliche verliert. Die Fähigkeit, sich aufzuspalten, außer sich zu sein, sich in eine andere Person im selben Körper auszutauschen, ist eine schöpferische Leistung des menschlichen Bewusstseins, MPD-Patienten müssen daher eine kreative Natur besitzen und höchst begabt sein. Die innere Figur hat es gelernt, den Schmerz entweder nicht zu fühlen oder ihn zu akzeptieren oder ihn gar als richtig willkommen zu heißen.

Später kommen Personen hinzu, die nicht in Traumasituationen entstanden sind, sondern bestimmte Funktionen innerhalb des Persönlichkeitssystems erfüllen.

Es entstehen völlig verschiedene Persönlichkeitsanteile, die eine eigene Handschrift haben, andere Gedanken und Vorlieben und Gefühlszustände und Fähigkeiten ihr eigen nennen, einen individuellen Kleidungsstil haben, eine eigenen Freundeskreis, Bildungsgrad, Alter, usw. und möglicherweise auch eine eigenes Geschlecht. Multiple verlieren Zeit. Ihre Persönlichkeitsanteile sind so voneinander abgespalten, dass sie oft nichts voneinander wissen: Das heißt: Das "Ich", das gerade "draußen" ist und fühlt, denkt und handelt, glaubt sich allein stellt aber entsetzt oder überrascht fest, dass Zeit vergangen ist Minuten, Monate, manchmal Jahre, von denen es nichts weiß.

Diagnose

Da größte Problem in der Diagnostik der Multiplen Persönlichkeitsstörung besteht darin, dass Multiple eine Fülle unterschiedlichster Symptome aufweisen, so dass MPS schwer zu erkennen ist. Außerdem versuchen die meisten Multiplen ihren Zustand mit einer Menge von Ausreden zu verhüllen. Daher liegt das durchschnittliche Alter bei der Diagnose zwischen dreißig und 35 Jahren. Durchschnittlich wurden die Patienten sieben Jahre mit anderen Diagnosen behandelt, wobei dies wahrscheinlich in Deutschland und Österreich noch länger sein dürfte, weil viele Therapeuten unwissend sind.

Sie meisten Multiplen sind Frauen. MPS beginnt in der Kindheit, wahrscheinlich vor dem fünften Lebensjahr. Sichtbar aber, mit allen Komplikationen bis zur Selbstverstümmelung und Suizid, wird die Multiple Persönlichkeitsstörung im frühen Erwachsenenalter. In den USA suchen fünf - bis zehnmal mehr Frauen als Männer eine Therapie. Das erklärt sich dadurch, dass überwiegend Mädchen sexuell missbraucht werden, und dass multiple Männer seltener zum Arzt gehen oder ihre Sozialisation sie mitunter in kriminelle Karrieren treibt.

Der diagnostizierende Kliniker

    muss selbst einen Wechsel zwischen zwei alternativen Persönlichkeitszuständen feststellen können. eine bestimmte "alter" Persönlichkeit bei mindestens drei verschiedenen Gelegenheiten antreffen, um die Einmaligkeit und Beständigkeit des alter Persönlichkeitszustandes einschätzen zu können und bestimmen ob der Patient an Amnesien leidet. Der Zeitverlust kann sowohl Ereignisse in jüngster Vergangenheit als auch Kindheitserinnerungen betreffen.

Die Diagnose erfolgt auch oft durch spezielle Fragebögen.

MPS ist eine so genannte Metadiagnose: Sie ist anderen psychischen Störungen gleichsam übergeordnet. So kann ein multiples Bewusstsein auch mit Depressionen oder Angstneurosen gekoppelt sein oder schizoide Züge haben.

Das Hören von Stimmen im Kopf ist oft das erste, woran die Betreffenden ihr Multipelsein bemerken. Multiple Persönlichkeiten aber haben keine Wahnvorstellungen. Im Gegensatz zur Schizophrenie, wie MPS oft fälschlich diagnostiziert wird. Tatsächlich sind die Symptome der Multiplen von den Symptomen der Schizophrenen kaum zu unterscheiden. Beide Krankheitsbilder entsprechen den so genannten Psychosen. Bis heute ist die Entstehung von Psychosen weitgehend ein Rätsel. So können Stoffwechselstörungen, aber auch erbliche oder psychologische Faktoren eine Rolle spielen. MPS aber, behaupten deren Vertreter, sei keineswegs physisch verursacht, sondern allein durch eine Verletzung der Seele. Durch soziale Traumatisierung.

Eine multiple Persönlichkeit rechnet ständig damit, verlassen zu werden, da ihr dies schon so häufig passiert ist. Es fällt ihr äußerst schwer, anderen Menschen Vertrauen zu schenken. Sie versucht krampfhaft den Anschein von Normalität nach außen zu erwecken, darf es sich also ihrer Ansicht nach gar nicht leisten, zuviel von sich zu zeigen. Denn sie wollen nicht als verrückt gelten und eingewiesen werden. Und sie haben dies Furcht nicht nur, weil sie wissen, dass andere Menschen das, was sie erleben, für verrückt halten würden, sondern weil sie sich selbst für verrückt halten. Vertrauen zu schenken ist außerdem deshalb so schwierig, weil ihre ersten Bezugspersonen, die Eltern, dieses Vertrauen auf grausamste Weise missbraucht haben.

Charakteristisch für MPS ist auf jeden Fall auch der Switch, also der Wechsel von Persönlichkeitsanteilen (Personen), und zwar aktuell, d.h. im alltäglichen, heutigen Erleben, ausgelöst durch Reize.

Da der Patient ebenfalls von seinen inneren Personen nichts weiß, im günstigen Fall etwa ahnt kann man nur von den äußeren Symptomen auf die Diagnose schließen. Erst bei Vorliegen mehrerer der nachfolgenden Symptome kann das Vorhandensein von MPS versuchsweise in Betracht gezogen werden. Bevor freilich nicht mindestens eine der inneren Personen sich mit ihrer Aufgabe und mit ihrem Namen zu Wort gemeldet hat, bleibt die Diagnose unsicher.

Die Krankheit tritt meistens in Verbindung mit den folgenden Symptomen auf:

Fugue - Episoden (bei 58 Prozent der Patienten).: Die (meist weiblichen) Kernperson erwacht in einer fremden Stadt und hat nicht die leiseste Ahnung, welcher Tag ist oder wie sie in hierher gekommen ist. Derartige Ereignisse kommen häufig vor und gehören in die große Gruppe von Symptomen, welche die Patienten als "verlorene Zeit" (time loss) (bei 98 Prozent) beschreiben. Es gibt für sie "Zeit - Löcher", in denen etwas geschehen sein kann, aber der Patient hat keinerlei Erinnerung daran. Die Zeitverluste können entweder Minuten, Monate oder manchmal sogar Jahre betreffen. 96% aller Multiplen haben Amnesien zwischen den einzelnen Personen.

Drogen-Missbrauch

Halluzinationen: Ein Großteil der MPD Patienten hört innere Stimmen oder hat visuelle Halluzinationen. Oft ist es so, dass diese inneren Stimmen die Kernperson zur Selbstverletzung oder gar zum Selbstmord treiben wollen. Selbstverletzungen oder Selbstmordversuche 71,5 Prozent der Patienten machten schon einmal einen Selbstmordversuch.

Kopfschmerzen: Sie sind das bei weitem am häufigsten auftauchende Einzelsymptom. Diese Kopfschmerzen sind ungewöhnlich schmerzhaft, werden mitunter als "blindmachend" beschrieben und können in der Regel von schmerzstillenden Mitteln nicht erreicht werden. Oft ist es so, dass dieser Kopfschmerz einem "switch" vorausgeht. Bevor also die Persönlichkeit "wechselt", kündigt sich der Vorgang durch heftige Kopfschmerzen an.

Heilung

Zur Zeit wird in der Literatur übereinstimmend die Meinung vertreten, dass das Phänomen der MPS sehr gut auf eine Therapie anspricht und - sofern die Therapie professionell durchgeführt wird - vollständig geheilt werden kann. MPS ist im Gegensatz zu Schizophrenie eine sehr gut psychotherapeutisch behandelbare Störung. Multiple Persönlichkeiten gehören daher in der Regel nicht in die Psychiatrie.

Multiple Persönlichkeitsstörung ist eine schwere psychische Störung, die unbedingt behandelt werden muss, da sie sonst für die erwachsene Persönlichkeit mehr Probleme schafft, als sie je gelöst hat. Aber wie problematisch die betreffende innere Person heute auch sein mag, sie war einst eine Lebensretterin.

Früher wurden Multiple oft falsch behandelt, sie wurden nicht ernst genommen oder in die Psychiatrie überwiesen und dort mit Medikamenten ruhig gestellt. Haben die inneren Personen diese Erfahrung einmal gemacht, werden sie sich hüten, ihr Vorhandensein zu enthüllen. Sie verheimlichen sich selbst weiterhin aus guten Gründen, verbarrikadieren sich noch mehr, und die Symptome werden schlimmer.

Solange noch Täterkontakt besteht, kann zwar die Multiple therapeutisch begleitet werden, aber die Traumabearbeitung kann erst vorgenommen werden, wenn der Täterkontakt beendet ist.

Solange sich der Patient freilich weigert, die Diagnose zu akzeptieren, kann zwar untergründig eine sehr wichtige Arbeit zwischen dem Therapeuten und den inneren Personen stattfinden, aber das Geschehen dringt nicht bis in die Bereiche der Realität. Es ist dann so, als fände die eigentliche Operation unter Narkose statt und der Patient, wach geworden, wüsste nicht, was geschehen ist.

Besonders wichtig für eine erfolgreiche Therapie ist das Vertrauen, ohne dem sich keine der inneren Personen dem Therapeuten zeigt. Oft wird das vom Therapeuten angebotene Vertrauen monatelang kritisch überprüft und zum Teil auf die Probe gestellt.

Der erste Therapieschritt kann darin bestehen, die alter Persönlichkeiten zu gegenseitigen Respekt zu veranlassen. Das ist besonders deshalb notwendig, weil es bösartige und grausame alter Persönlichkeiten gibt, die so böse sein können, dass sie mit Selbstmord drohen, um andere, verachtete "alter" Persönlichkeiten umzubringen. Es kann vorkommen, dass ein Psychiater mit solchen Verfolgern Verträge abschließt, um sie daran zu hindern, bestimmte Grenzen zu überschreiten. Von den alter Persönlichkeiten heißt es, sie hielten zwar Wort, seien aber streitsüchtig.

Der Gerechtigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass es auch hilfreiche alter Persönlichkeiten gibt, nach denen manche Therapeuten suchen und die sie als Therapieassistenten fördern. Der wertvollste von ihnen kann ein Innerer Selbst Helfer sein, der alle übrigen alter Persönlichkeiten kennt und sie dazu anregen kann, sowohl mit dem Therapeuten als auch untereinander zusammenzuarbeiten. Es gibt eine Vielzahl von beschützenden alter Persönlichkeiten.

Die Therapie eines MPD-Patienten dauert vier bis acht Jahre, bei zwei bis vier Sitzung pro Woche. Was die Art der Psychotherapie multipler Persönlichkeiten anbetrifft, so erfordert diese ein schulenübergreifendes Vorgehen. Elemente aus tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieformen ebenso wie Hypnose und Körpertherapieformen bis hin zu verhaltenstherapeutischen Elementen sind wichtig und sinnvoll zu kombinieren

Es gibt einige Tatsachen, die die Therapie noch zusätzlich erschweren:

Manche Persönlichkeiten agieren gewalttätig.

Jeder MPD-Patient hat ein oder mehrere innere Kinder, die nicht mit dem üblichen strengen Therapiesetting zufrieden sind. Es kann sein, dass sie sich vor Angst unter dem Tisch verstecken, in eine Ecke verkriechen, auf den Arm genommen werden wollen oder ein Schmusetier benötigen. Vertrauen heißt hier auch, dass der Therapeut sich möglicherweise selbst unter den Tisch begeben muss, um das Kind überhaupt zu erreichen. Die starre "Fass mich nicht an Regel" der Psychoanalyse ist hier vollständig fehl am Platz und kann zu einem Therapie - Hindernis werden.

Außerdem wird mitunter die "Nymphomanin" auf die Szene geschickt, um zu testen, ob der Missbrauch aus der Vergangenheit, in der Regel sexueller Missbrauch, vom Therapeuten bearbeitet werden kann oder ob die Gefahr besteht, dass er in der Realität noch einmal stattfinden kann.

Es ist wichtig, dass die Personen durch das gemeinsame Schreiben eine Tagebuches, während der ganzen Therapie sich untereinander kennen lernen und miteinander kommunizieren, wodurch sie sich gegenseitig ihre Erfahrungen, Denkweisen, Impulse und Verhaltensstrategien mitteilen können und daran gearbeitet werden kann eine Integration oder zumindest eine Kooperation der Personen zu erreichen. Außerdem wird notiert, was in der Therapiestunde geschah - zur Erinnerung für diejenigen, die in der Stunde da waren, und zur Mitteilung an diejenigen, die dafür amnetisch waren. Genauso wichtig für das innere Kennen lernen sind die gemalten Bilder. Sie erzählen häufig von traumatischen Erfahrungen. Sie sind besonders wichtig als Medium der Verständigung für die Kinder, die noch nicht schreiben können und sich davor fürchten etwas zu sagen, weil die Täter ihnen für diesen Fall sie schlimmsten Strafen angedroht haben.

Der Therapeut soll zwischen den unterschiedlichen Personen vermitteln. Er hilft, die verschiedenen Personen miteinander in Kontakt zu bringen und sie zu koordinieren.

Das Herstellen einer inneren Landkarte, einschließlich der Aufgaben und Fähigkeiten der einzelnen Innenpersonen sowie ihre Verbindung zueinander, ist ebenfalls einer wichtiger Punkt bei der Therapie.

Die Hauptarbeit der Therapie besteht nicht in der Bildung von Vertrauen oder in der Identifikation der inneren Personen, obwohl das anfangs äußerst wichtige Grundbedingungen sind ohne die dieser dritte Punkt gar nicht stattfinden kann, sondern in der Durcharbeitung jener Traumata, auf Grund derer die inneren Personen abgespalten und damit eigenständig wurden. Das Drama des Missbrauchs muss in seiner Originalgestalt wieder auferstehen, die Wunden müssen noch einmal aufgerissen werden, denn sie sind nicht etwa geheilt, sondern sie schmerzen unterirdisch weiter. Aber die Gesamtpersönlichkeit ist zu einem frühen Zeitpunkt der Therapie noch gar nicht in der Lage, mit dem Trauma umzugehen, geschweige denn, die dabei stattgefundenen Aufspaltungen rückgängig zu machen. Die spontane Abreaktion wird als etwas Entsetzliches, Überflutendes erlebt, und das darin Erlebte erneut massiv verdrängt und abspaltet. Daher sollte die Traumasynthese möglichst nicht in einer spontanen Abreaktion erfolgen, sondern es ist ein sehr sorgfältiges und systematisches Vorgehen erforderlich, um dem Multiplen wirklich dabei zu helfen, ihre Traumata erfolgreich bearbeiten und integrieren zu können. Traumasynthese ist also ein sehr absichtsvolles und sorgfältiges Vorgehen, das eine gute Planung, Vorbereitung, eine Fülle von Sicherheitsmaßnahmen und häufig eine ganze Reihe von Sitzungen erfordert. Wenn alle Bestandteile des Traumas jedoch sorgfältig und kontrolliert zusammengefügt werden, können alle daran beteiligten Personen das Wissen darum miteinander teilen, werden entlastet, das Trauma kann in die Gesamtpersönlichkeit integriert werden, und seine zerstörerischen Auswirkungen können, zumindest für die Zukunft, neutralisiert werden. Der Therapeut begleitet den Betroffenen durch das Geschehen, hilft dem Multiplen, seine verschiedenen Personen, die das Trauma unter sich aufgespalten haben, miteinander in Kontakt zu bringen, das Trauma noch einmal in allen Einzelheiten zu durchleben, und zwar so, dass es zum ersten Mal als gesamtes Geschehen das Bewusstsein der daran Beteiligten durchläuft, und es anschließend mit allen wesentlichen Persönlichkeitsanteilen zu teilen und zu neutralisieren. Was bedeutet das, wenn sich das Trauma nach einer erfolgreichen Synthese neutralisiert hat? Das Trauma hat seine Macht verloren, der Betroffene in einen psychophysiologischen Zustand extremer Unruhe und Todesangst zu versetzen und ihm das Traumageschehen in Form unkontrollierter Flashbacks noch einmal durchleiden zu lassen. Das bedeutet das Trauma wird realisiert, es wird als wirkliches Geschehen, als tatsächliche Erinnerung anerkannt und in die persönlichen Lebensgeschichte eingegliedert. In der Folge ändert die Betroffene ihre Einstellung zu ihren Innenpersonen und diese erkennen sich untereinander.

Das Co - Bewusstsein ist eines der wichtigsten Therapieziele: Das bedeutet: Die eine Person weiß von der anderen und bekommt mit, was diese macht, denkt und fühlt. Co Bewusstsein tritt ein, wenn amnestische Barrieren verschwinden. Co Bewusstsein stellt sich allmählich her, erst zwischen den Personen einer Gruppe, dann zwischen immer mehr Persönlichkeitsanteilen. Es ist ein Vorstadium für Integration und Fusion.

Integration bedeutet, dass Person A und Person B sich zusammen : die eine spürt, wie es der anderen geht, sie lernt deren Erinnerungen kennen und bekommt zunehmend das Gefühl, als habe sie das erlebt. Das dauerhafte Verschmelzen, wenn die einzelnen Anteile aufhören, ein Eigenleben zu führen, wird Fusion genannt. Häufig jedoch werden die Begriffe Integration und Fusion synonym verwendet bzw. auch der Prozess der Fusion als Integration bezeichnet.

Die Einsamkeit ist ein Grundgefühl multipler Persönlichkeiten. Jede Person hat sich allein gefühlt: allein im Körper, allein den verwirrenden Alltagserfahrungen ausgesetzt. Integration und Fusion sind Prozesse, während deren der Multiple zum ersten Mal in seinem Leben seine Einsamkeit überwindet. Innerpsychisch und nach außen hin. Im Inneren lernen die Personen einander kennen. Manches ist ihnen zunächst fremd oder erscheint ihnen sogar feindselig z.B. Die Kinder, die keine Traumaerinnerungen haben, fürchten sich vor den anderen Kindern, die so viele schreckliche Dinge erlebt haben.

Viele Integrationen von Personen erfolgen spontan, meist in oder nach der Traumabearbeitung. Oft wachsen dann auch, während der Integration, die Kinder. Allmählich wird es auch schwieriger, die einzelnen Personen auseinander zuhalten. Integration ist ein lange andauernder Prozess, immer wieder kommt es vor, dass bereits integrierte Personen wieder für eine Zeit lang auseinander fallen.

Das endgültige Ziel einer Therapie ist die Fusion: Mit Fusion ist gemeint, dass die inneren Personen im Therapieprozess wieder zu einer Gesamtperson vereinigt werden. Das bedeutet, dass die inneren Personen, die so lange lebensnotwendig waren, um das Trauma zu verwalten, ihre Eigenständigkeit aufgeben, und sich wieder mit der Kernperson vereinigen. Am Ende existiert dann nur noch der erweiterte Host. Das ist - nach vielen Therapiesitzungen und der Aufarbeitung der Traumata - ebenfalls nicht so leicht zu bewältigen, denn die inneren Personen hängen zum Teil sehr an ihrer Individualität. Sie aufzugeben ist buchstäblich ein Sterbevorgang. Nicht jeder multiple Patient gelangt freilich bis zu diesem Punkt, und manche Therapeuten zweifeln, ob eine Verschmelzung überhaupt notwendig sei. Oft reicht es ihnen schon, wenn die Personen deutlich zu identifizieren sind und sich untereinander kennen, wenn jeder dem anderen seien eigenen Raum lässt und ihn akzeptiert. Aber das setzt die Trauma - Arbeit voraus. Außerdem scheuen viele Patienten die Integration und leben lieber im Bewusstsein ihrer Vielfältigkeit ein ansonsten ungestörtes Leben. Entscheidend ist: Der Klient sollte um die Innenpersonen mit den wichtigsten Gefühlen und Erinnerungen wissen: Und er sollte am Ende der Therapie erreicht haben, dass er seinen Alltag bewältigen kann, ohne sich mit Zeitverlust herumplagen zu müssen. Und der Klient soll am Ende der Therapie selbst bestimmen können, welcher Persönlichkeitsanteil jeweils im Vordergrund ist. Wenn man vor der Entscheidung steht ob man die Personen integrieren soll oder nicht ist die Hauptarbeit bereits getan.

Auch wenn der Klient nicht mehr multipel ist, bleibt in der Regel noch viel zu bearbeiten. Es können noch Ess-, Schlaf-, und andere Störungen vorhanden sein, die nicht automatisch durch die Integration bzw. Fusion verschwinden.

Von großer Bedeutung für den Betroffenen ist es, dass er andere Abwehrmöglichkeiten lernt, denn bislang hat er sich auf die Dissoziierung verlassen. Wurde es schwierig, so folgte ein Switch, und schon übernahm eine andere Person. Jetzt gilt es für die Gesamtpersönlichkeit, Bewältigungsstrategien für Krisen und Stresssituationen zu erlernen, so dass sie da bleiben kann.

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