Probleme städtischer Entwicklung am Beispiel der Randstad Holland

Aktuelle Entwicklungstendenzen

Probleme städtischer Entwicklung am Beispiel der Randstad Holland

I. Einleitung

1. Strukturen einer Stadt / Begriffe

2. Stadtentwicklungsprozesse

II. Probleme städtischer Entwicklung am Beispiel der

Randstad Holland

1. Lage und Entstehung

2. Entwicklung der Randstad ab 1950

2.1. Raumordnungspläne zur Lenkung der

Stadtentwicklung/ Ziele und Ergebnisse

- 1. und 2. Raumordungsplan

- 3. Raumordnungsplan

- 4. Raumordnungsplan

3. Die Rolle der Randstad in Westeuropa

III. Literatur

I. Einleitung

1. Strukturen einer Stadt / Begriffe

Städtische Siedlungen fanden sich bereits in frühen Kulturen. Voraussetzung ihrer Entstehung sind Fortschritte in der Landwirtschaft, durch die mehr Menschen ernährt werden können als in ihr Beschäftigung finden. Aus der Freisetzung der Arbeitskräfte einerseits und dem nahrungsbedingten Abhängigkeitsverhältnis andererseits begründet sich der traditionelle Gegensatz zwischen der Stadt und dem ländlichen Raum.

Die Stadt ist ein "Bevölkerungsereignis".Darüberhinaus ist sie die räumlich markanteste aller Siedlungsformen. Sie bildet das physische Spiegelbild einer Kultur. Die physische Erscheinung einer Stadt steht dennoch erst an zweiter Stelle, da sie die Konsequenz ist aus demographischen Gegebenheiten und den Aufgaben, die sie zu erfüllen hat. Städte nehmen Funktionen für ihr Umland wahr, d.h. sie haben einen Bedeutungsüberschuß in Form von Zentralität. Ferner sind sie gekennzeichnet durch eine hohe Bevölkerungs- und Arbeitsplatzdichte relativ zu ihrem Umland. Innerhalb der Städte ist zumeist eine Differenzierung zwischen Nutzungsformen und Bevölkerungsgruppen festzustellen (Viertelsbildung). - Ursprünglich ist die Stadt klar abgrenzbar, in den meisten Industrieländern wird aus diesem Gegensatz zum Umland aber mehr und mehr ein fließender Übergang.

Unabhängig von den Strukturen und Funktionen einer städtischen Siedlung ist der juristische Begriff des Stadtrechts, das zu historischen Anlässen verliehen wurde und einer Siedlung wirtschaftliche und rechtliche Privilegien einräumte.

Statistisch sind Städte zumeist ausschließlich durch ihre Einwohnerzahl definiert. Abgrenzungen unterscheiden sich hier international stark (z.B. "Stadt" in Deutschland ab 2000 Einwohnern, in Schweden ab 200, in Japan erst ab 50.000; LICHTENBERGER 1991).

Der Begriff der Verstädterung bezieht sich sowohl auf die Bevölkerungszahl von Städten als auch qualitativ auf die Übernahme städtischer Wohn- und Lebensformen. Als statistische Bezugsgröße dient der Verstädterungsgrad, der den Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung eines Landes wiedergibt, daneben soziologische Merkmale wie Haushaltsgröße u.a.

Dabei bezeichnet Verstädterung einerseits den statischen Ist-Zustand (Urbanität). Auf der anderen Seite beschreibt sie den Prozeß der Übernahme dieser Lebensformen, also die Zunahme der Urbanität. Synonyme sind hier Urbanisierung, oder präziser: Urbanisation (Urbanisierung wird z.T. auch für den statischen Aspekt verwandt).

2. Stadtentwicklungsprozesse

Städte entstehen zunächst in ihrem Gegensatz zum ländlichen Umland. Ihre erste Entwicklungsphase, die Urbanisierungsphase, ist dabei gekennzeichnet durch große Wanderungsgewinne bei nur unbedeutenden Wanderungsverlusten, so dass die Bevölkerung der Stadt absolut stark zunimmt (Tab.1=Tab.49 aus GAEBE 1987). Diese Entwicklung kann sich schubweise vollziehen, aber auch über Jahrhunderte stagnieren. Die Bevölkerungszunahme muss noch keine räumliche Vergrößerung der Stadt nach sich ziehen, da im allgemeinen zunächst Baulücken aufgefüllt werden. Auch die Bildung von Vorstädten außerhalb der Stadtumgrenzung, auf städtischer Gemarkung, gilt noch als Urbanisierung. Solche Vorstädte sind in Europa ab dem Mittelalter, spätestens aber mit der einsetzenden Industrialisierung anzutreffen. Als im 19. Jh. die Befestigungsanlagen vieler deutscher Städte geschleift wurden, entstanden abermals Freiflächen, die aufgesiedelt wurden (GAEBE 1987). Damit verzögerten diese sogen. Stadterweiterungen zunächst das Einsetzen der der Urbanisierung folgenden Phasen.

Die Suburbanisierung bringt neben einer räumlichen Ausdehnung des Siedlungsgebietes auch eine Umstrukturierung von Bevölkerung und Nutzungen mit sich. Können die Kernstädte (Ziffer 1 in Tab.1) die Bedürfnisse nicht mehr erfüllen, wandern insbesondere Schichten höherer Einkommen und junge Familien ins Umland (Ziffer 2) ab bei gleichzeitigem Zuzug auch aus dem Hinterland. Dadurch erfährt der gesamte Verdichtungsraum (1+2) ein noch anhaltendes Wachstum. In den Kernstädten bleiben bei zunehmend mangelhaften Wohnverhältnissen Angehörige niedriger Einkommensschichten zurück. Die Zahl der Einzelhaushalte nimmt zu, und es kommt zu Überalterung. Der Fortzug großer Bevölkerungsteile im reproduktiven Alter lässt zudem die Geburtenrate im Zenrum ab- und im Umland zunehmen. Die bereits durch die Wanderungsströme entstehende Veränderung der Bevölkerungsverteilung wird so noch erheblich verstärkt, und die Bevölkerung des Umlandes wächst um so schneller.

Als Kondensationspunkte im Umland dienen meist vorhandene Siedlungskerne, z.T. werden Gebiete aber auch völlig neu erschlossen. Ungelenkt, wird das Umland rasch zersiedelt.

Es kommt weiterhin zu einer Trennung der Nutzungen, z. B. von Wohn- und Arbeitsfunktion, durch weitere Segregation u.U. noch differenzierter. Mit der Funktionstrennung treten erstmals Pendlerströme auf. Zu unterscheiden sind autochthone Pendler, die ursprünglich aus dem (mittlerweile) suburbanen Gebiet stammen und beispielsweise eine Arbeit in der Kernstadt erhalten haben, und allochthone Pendler, die ins Umland zugezogen sind. Voraussetzung ist die Motorisierung breiter Bevölkerungsschichten. Das erhebliche Aufkommen an Inividualverkehr stellt im allgemeinen hohe Ansprüche an die Verkehrsinfrastruktur und lässt die Suburbanisierung für viele Städte zum Problem werden.

Nach der Bevölkerungssuburbanisierung vollzieht sich zeitlich versetzt die des II. Sektors, wenn im Umland auf ein gewisses Arbeitskräftepotential zurückgegriffen werden kann. Die Suburbanisierung des III. Sektors geschieht im allgemeinen zuletzt.

Der ursprünglich bestehende Gegensatz zwischen Stadt und ländlichem Raum verliert zunehmend an Bedeutung. Einerseits wird der Übergang der Stadt als physischem Gebilde fließender, da mit den teilweise gestreut liegenden Vororten kein geschlossenes Siedlungsbild mehr vorliegt. Auf der anderen Seite geschieht die Ausbreitung städtischer Lebensformen durch Zuzügler in die umliegenden (noch) ländlichen Gemeinden sehr allmählich. Sukzessive übernehmen sie städtische Funktionen. In diesem Kontinuum ist das Hinterland nicht mehr als Gegensatz, sondern mehr und mehr als Ergänzung zur Stadt zusehen.

Statistisch ist die Phase der Suburbanisierung oft nur undeutlich zu erfassen, u.a. durch die unklare räumliche Abgrenzung. Eingemeindungen ordnen zudem suburbane Gebiete den Kernstädten zu, so dass Wanderungen nicht in Erscheinung treten. Gleiches gilt dann bei Betrachtung des gesamten Verdichtungsraumes. Was für die Planung der städtischen Entwicklung sicherlich von Vorteil ist, erschwert hier die Bilanzierung der Wanderungsströme.

Bei fortschreitender Suburbanisierung kann oft eine Tendenz zur sogen. Desurbanisierung festgestellt werden. In ihr erfährt der gesamte Verdichtungsraum aus Kernstadt und unmittelbarem Umland eine Bevölkerungsabnahme durch Wanderungsverluste. Die Migrationsströme, auch aus dem ländlichen Raum, sind auf einen noch weiteren Gürtel um den Verdichtungsraum gerichtet (ohne dass es also zu einer gleichmäßigen Aufsiedlung des ländlichen Raumes kommt; GAEBE 1987). Daher wird diese Phase auch als "erweiterte Suburbanisierung" bezeichnet. Prozesse der Suburbanisierung laufen im allgemeinen parallel weiterhin ab. Die in der Praxis nicht mögliche klare räumliche Abgrenzung des suburbanisierten Umlandes lässt einen Übergang zwischen einzelnen Entwicklungsphasen ohnehin unscharf werden. Häufig sind Anzeichen einer Desurbanisierung überhaupt nicht zu beobachten, und die Suburbanisierung verläuft Hand in Hand mit der Reurbanisierung. Diese beschreibt die erneute Bevölkerungszunahme in der Kernstadt. Auslöser sind in erster Linie planerische Maßnahmen wie Sanierungen und Stadtentwicklungsprojekte. Besonders für gehobenere Ansprüche soll wieder Wohnraum bereitgestellt werden. Die Kosten solcher Zentrums-Wiederbelebungen sind von niedrigen Einkommen ohnehin nicht mehr zu tragen, und so kehrt sich die Bevölkerungssegregation um. Sozial Schwächere sind nun gezwungen, sich in Vororten anzusiedeln.

Im folgenden sollen die beschriebenen Prozesse am konkreten Beispiel der Randstad Holland aufgezeigt werden. In ihrer Lage und Physiognomie werden die mit der städtischen Entwicklung verbundenen Schwierigkeiten auf charakteristische Weise deutlich. Versuche zur Lösung der Probleme werden vorgestellt und in ihren Ergebnissen bewertet.

II. Probleme städtischer Entwicklung am Beispiel der Randstad Holland

1. Lage und Entstehung der Randstad

Die Randstad Holland ist ein hufeisenförmiges Siedlungsgebilde im Westen der Niederlande. Die Schwerpunkte bilden die vier größten Städte des Landes, Utrecht, Amsterdam, Den Haag und Rotterdam. Die Ursache für ihre ringförmige Anordnung ist in ihrer Entstehung zu suchen, die von den physischen Gegebenheiten des Landes, vor allem der Höhenlage, abhängig war. Utrecht im Osten liegt in der Nähe des Geestrandes, Den Haag auf der Dünenkette, die sich an der Küste entlangzieht. Dazwischen dehnten sich weite Moore, deren Entwässerung und Besiedlung erst sehr viel später möglich war. Der Torfabbau bzw. die durch die Entwässerung bedingte Sackung des Moorkörpers führten dann zu einer Reliefumkehr, d.h. die Flußsedimente lagen nun relativ höher und wurden bevorzugt besiedelt. Die an den Flußmündungen errichteten Dämme (an der Amstel bzw. der Rotte) waren namengebend für Amsterdam und Rotterdam.

Großes Wachstum und wirtschaftlichen Bedeutungsgewinn erfuhren die Städte im 17. Jh., dem "goldenen Zeitalter" der Niederlande. Die folgende Stagnation wurde erst mit beginnender Industrialisierung Mitte des 19. Jh. durch eine weitere Urbanisationswelle abgelöst. Die Suburbanisation setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein.

Der Begriff "Randstad", geprägt in den 30er Jahren, beschreibt bildhaft die Anordnung der Städte, die sich am Rande eines offenen Mittelgebietes gruppieren (Abb.2 [aus igd 1986]). Dieses sogen. Grüne Herz wird überwiegend agrarisch genutzt, z.T. sehr intensiv (Gartenbau), durch einige darin liegende Seen kann es aber auch die Erholungsfunktion für den umliegenden Städtering wahrnehmen (idg 1986). Dabei ist das Gebiet keineswegs dünn besiedelt: Mit rund 430 Einwohnern/km² entspricht die Bevölkerungsdichte gerade dem Landesdurchschnitt (ebda.).

In der Randstad leben heute knapp 50% der niederländischen Bevölkerung. Sie stellt damit das größte Ballungsgebiet des Landes dar mit entsprechendem wirtschaftlichem Gewicht. Die Adressendichte in Abb.3 [OTTENS, Univ.Utrecht] umfaßt sowohl Wohn-, als auch gewerbliche Adressen und wird als ein Merkmal für den Verstädterungsgrad verwendet.

Die Randstad ist eine vielkernige Agglomeration. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Städten sind vielfältig, nicht zuletzt durch die Funktionsteilung zwischen ihnen. Während Den Haag traditioneller Verwaltungssitz ist (Sitz der niederländischen Regierung, des Europ. Gerichtshofes etc.), ist Amsterdam als Hauptstadt kulturelles und Finanzzentrum der Niederlande. Rotterdam ist eine reine Hafenstadt, und Utrecht ist durch seine zentrale Lage in den Niederlanden zum Verkehrsknotenpunkt und zur Handels- und Messestadt geworden. Die gegenseitige Ergänzung in ihren Aufgaben bringt hohe Verkehrsaufkommen zwischen den Städten mit sich.

2. Entwicklung der Randstad ab 1950

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zunächst noch zu einer kurzen Urbanisierungsphase, in der die Bevölkerung der Kernstädte noch zunahm (Abb.4 [aus DIERCKE-Handbuch]). In den 50ern setzte in vielen Städten der Suburbanisierungsprozeß ein. Mit steigendem Einkommen der Bevölkerung stiegen auch die Ansprüche an sowohl Wohnungszustand als auch Wohnumfeld. Die überalterte Bausubstanz und die Verkehrsbelastung in den Kernstädten wirkten vielfach als Push-Faktoren zur Abwanderung. Hinzu kamen eine Abnahme in der durchschnittlichen Haushaltsgröße und hohe Grundstückspreise. Als Pull-Faktor für den Zuzug in Vororte standen dem niedrige Bodenpreise und vor allem die leichte Erreichbarkeit von Erholungsgebieten gegenüber. Erleichtert wurde der Zug "ins Grüne" durch die zunehmende Motorisierung. Entfernungen spielten eine immer geringere Rolle.

Die Randstad Holland wurde von der Suburbanisierung zuerst und in besonderem Maße erfaßt, nicht zuletzt aufgrund ihrer Funktion als wirtschaftlicher Brennpunkt der Niederlande. Dies brachte einen um so höheren Platzbedarf in den Kernstädten mit sich. Auf der anderen Seite hatten die Städte den spezifischen strukturellen Nachteil, nur noch wenige Freiflächen im Kernbereich zu haben, da sie zu den ältesten Städten der Niederlande zählen.

Die immer weitere räumliche Verteilung der Bevölkerung über die Gemeindegrenzen hinweg verursachte enorme Pendlerströme. Dabei wurde der größte Teil der Wege im Individualverkehr zurückgelegt, da die Versorgung mit öffentlichem Nahverkehr in den verstreut liegenden suburbanen Gebieten kaum möglich war. - Die zeitlich geringfügig versetzt auftretende Suburbanisierung der Arbeitsstätten (nachdem im Umland das Arbeitskräftepotential wuchs) bewirkte aus dem gleichen Grund eher mehr als weniger Verkehr. Mancher Kernstadtbewohner wurde zum Auspendler. Die Städte der Randstad standen vor dem Verkehrsinfarkt.

2.1. Raumordnungspläne zur Lenkung der Stadtentwicklung/

Ziele und Ergebnisse

- 1. und 2. Raumordungsplan

Der im Jahre 1960 aufgestellte 1. Raumordnungsplan der Niederlande (1. Nota inzake de ruimtelijke ordening) sollte ein weiteres unkontrolliertes Ausufern der Agglomerationen verhindern. Als Ziele für die weitere Entwicklung der Randstad wurden u.a. 4km breite Pufferzonen zwischen den einzelnen Städten angestrebt, um deren Zusammenwachsen zu vermeiden. Insbesondere das Blumenzwiebelgebiet zwischen dem Nord- und dem Südflügel sollte erhalten werden. Im Verschmelzen zu einer Stadt sah man die Probleme sich nur noch verschärfen, z.B. durch schwindende Naherholungsgebiete. - Eine Besiedlung des Grünen Herzens ist nicht vorgesehen. Das räumliche Wachstum soll in die Außenbereiche der Randstad gelenkt werden.

Im 2. Raumordnungsplan (1966) werden diese Leitbilder ergänzt. Die übrigen Niederlande werden insoweit mit einbezogen, als eine gleichmäßigere Verteilung von Bevölkerung und Wirtschaftskraft im Land erreicht werden soll. Bevölkerungsabwanderungen in strukturschwache Regionen werden subventioniert, ebenso Firmen, die dort investieren (WEVER & ATZEMA 1993). Umgekehrt wurde ab 1972 auf Investitionen in der Randstad selektiv eine Steuer erhoben, und sie unterlagen speziellen Genehmigungsverfahren (idg-bulletin 1976/77 et al.).

Wo sich die räumliche Expansion der Randstad nicht vermeiden ließ, sollten die Strukturen wenigstens gelenkt werden. War die Siedlungsentwicklung bisher weitgehend dezentral verlaufen (Abb.5B [aus BORCHERT&van GINKEL 1979]), mit den Nachteilen der Zersiedlung und hohem Aufkommen an Individualverkehr, wurde nun das Modell der "gebündelten Dekonzentration" entworfen (Abb.5C). Im Gegensatz zur Siedlungskonzentration (Abb.5A) treten in den einzelnen Kernen die negativen Effekte großer Siedlungen weniger stark auf, auf der anderen Seite kann die Zersiedlung der Landschaft begrenzt werden. - Nach diesem Schema sollte die Entwicklung im Außenbereich der Randstad verlaufen. Gezielt wurden mehrere Orte in der Nähe der Agglomerationen als sogen. Wachstumskerne ausgewiesen, um den Suburbanisationsdruck abzufangen. Das Grüne Herz soll weiterhin vor Zersiedlung geschützt werden, dennoch wird u.a. die Gemeinde Zoetermeer östlich von Den Haag als Wachstumskern gewählt, da für Den Haag und Rotterdam kaum andere Expansionsmöglichkeiten bestehen. Wo nicht die Küste die Begrenzung bildet, ist es das Westland (Glashauskulturen) oder die "Bollenstreek" (Blumenzwiebelgebiet zwischen Den Haag und Haarlem). - Für Amsterdam übernahm die Funktion als Wachstumskern vor allem die neue Stadt Almere auf Flevoland, ebenso Alkmaar.

Ausgelegt für die Jahrtausendwende, erwies sich der 2. Raumordnungsplan schon nach wenigen Jahren als korrekturbedürftig. Einerseits stellte sich das Bevölkerungswachstum als deutlich geringer heraus als erwartet. Statt 20 Millionen werden im Jahr 2000 ca. 15 Millionen Menschen in den Niederlanden wohnen, was adäquate Planungen besonders im Infrastrukturbereich erfordert. Zum anderen konnte die Siedlungstruktur und -entwicklung der Randstad nicht ausreichend beeinflußt werden.

Wie Tab.3 [aus ALBRECHT&OELKE 1986] und 4 [=Tab.34 aus BORCHERT&vanGINKEL 1979] zeigen (vgl. auch Abb.4), hielt die Abwanderung aus den Kernstädten an und verstärkte sich sogar. Im Gegenzug wuchsen die Gemeinden des unmittelbaren Umlandes sowie die im Grünen Herzen an (Tab.5 [=Tab.1 aus BORCHERT 1980]). Während die Wachstumsorte die Planziele nicht erreichten, wuchsen die Gemeinden des Grünen Herzens weitaus stärker als vorgesehen. Für den einzelnen Bewohner des Umlandes ist offenbar das Wohnumfeld von größerer Bedeutung als die Funktion eines zentralen Ortes (CORTIE 1987).

Zu berücksichtigen sind bei der Wachstumsentwicklung nicht nur die tatsächlichen Migrationsströme, sondern auch die damit verbundene Bevölkerungssegregation. So wandern insbesondere junge Familien aus den Kernstädten ab, so dass in den Zielgebieten auch die Geburtenrate überproportional hoch ist und dort den Wachstumseffekt verstärkt. Die Altersgruppe der 18-35jährigen ist in den Gemeinden des Grünen Herzens dreimal so stark vertreten wie im Landesdurchschnitt (BORCHERT & van GINKEL 1979). Auf der anderen Seite kommt es in den Kernstädten zu Überalterung. Ungewollt erhalten sie die Funktion als Auffangbecken für sozial Schwächere.

Eine nicht zu unterschätzende Ursache für diese Fehlentwicklung ist das Verhalten der Gemeinden selbst. Gerade kleine Gemeinden sind an wachsenden Einwohnerzahlen interessiert, da dies ihnen ermöglicht, die vorhandene Infrastruktur besser auszulasten oder sogar zu erweitern. Die Aussage eines Ministers, erst ab 10.000 Einwohnern sollte eine Gemeinde selbständig sein, verstärkte die Wachstumsbestrebungen (BORCHERT 1980). Hinzu kommt, dass in den Niederlanden die Bürgermeister nach der Zahl der Einwohner bezahlt werden.

Die zu Beginn der 70er Jahre einsetzende Suburbanisierung des Dienstleistungssektors wurde z.T. sogar direkt von der öffentlichen Hand mitgetragen, indem Einrichtungen (mit viel Publikumsverkehr!) wie Krankenhäuser oder Universitäten (Utrecht) an den Ortsrand verlegt wurden.

Die Bevölkerungsabnahme der Agglomerationen im Ganzen (Tab.4) deutet darauf hin, dass in beschränktem Umfang ein Desurbanisierungsprozeß parallel ablief (vgl. Tab.2).

- 3. Raumordnungsplan

Im 3. Raumordnungsplan von 1976 wird weitgehend zweigleisig gefahren. Erste Stadterneuerungsprojekte laufen an, die Politik der "Entballung" der Randstad wird aber weiter verfolgt.

Um eine der Ursachen der Abwanderungen aus den Kernstädten zu beseitigen, wird angestrebt, Wohnraum auch für gehobenere Ansprüche in den Zentren bereitzustellen. Erste Erfolge der Strukturverbesserungen zeigen sich Anfang der 80er Jahre, als alle vier Großstädte der Randstad wieder steigende Einwohnerzahlen aufweisen (Abb.4). Parallel zur Suburbanisierung werden Anzeichen der Reurbanisierung deutlich. Abb.8 [aus CORTIE 1987] zeigt, dass die Zielgebiete der Migranten, die weiterhin die Kernstädte verlassen, deutlich weniger streuen und auf das unmittelbare Umland gerichtet sind. Durch die Aufwertung der Wohnfunktion beginnt, parallel zu den übrigen Stadtentwicklungsphasen im Bereich der Randstad, für die großen Städte die Phase der Reurbanisierung.

Für den gesamten Ballungsraum der Randstad bestehen hingegen Zuzugsbeschränkungen. Nur wer bestimmte persönliche Gründe angeben kann (z.B. in der Randstad geboren, oder Arbeitsplatz dort), erhält eine Genehmigung (van WEESEP mündl.). Die selektive Investitionsregelung wird offiziell bis in die 80er Jahre beibehalten. In der Praxis wird sie aber kaum angewandt, da von der Rezession der 70er Jahre auch die Randstad erheblich betroffen ist.

- 4. Raumordnungsplan

In den 80er Jahren sind rund 2/3 der Landgemeinden der Niederlande durch Übernahme städtischer Funktionen als verstädtert anzusehen (ALBRECHT & OELKE 1986). Die Niederlande sind ein "verstädtertes Land ohne Städte" (Atlas van Nederland 1988). Herausragend ist die Randstad, deren einzelne Kerne z.T. mittlerweile zusammengewachsen sind (Den Haag - Zoetermeer - Rotterdam). Die Städte sind nicht mehr klar räumlich abgrenzbar, sie bilden kein geschlossenes Ganzes mehr. Die Funktionsteilung zwischen ihnen wird differenziert durch Funktionsteilungen zwischen ihren einzelnen Subzentren.

Vor diesem Hintergrund wurde 1991 der 4. Raumordnungsplan verabschiedet. Man versucht nun, die Probleme der Agglomerationen soweit wie möglich auf ihren eigenen Territorium zu lösen (Abb.9 [=The Urban Regions aus FOURTH REPORT (EXTRA) 1991]), also keine Funktionen mehr auszulagern. Das betrifft in erster Linie die Funktionen Wohnen, Arbeiten und Erholen. Die meisten Wachstumsorte verlieren ihren Sonderstatus. - Realisiert werden soll dies durch kompakte Bauweise auch und gerade in den Kernstädten. Flächenintensive Betriebe werden nach Möglichkeit in andere Landesteile ausgelagert, um Raum zu gewinnen, so z.B. ein Teil der Glashauskulturen im Westen der Randstad. In Städten, in denen dennoch kein Wohnraum mehr geschaffen werden kann, wird die Ansiedlung von Betrieben mit vielen Arbeitsplätzen untersagt.

Die Maßnahmen begrenzen eine weitere Zersiedlung und sind letztlich Teil einer weitsichtigen Verkehrsplanung. Der Verkehrsvermeidung (wie durch räumliche Zusammenlegung verschiedener Funktionen) wird erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Der öffentliche Verkehr wird gezielt ausgebaut. Als Defensiv-Maßnahme werden dafür die Parkmöglichkeiten in den Zentren beschränkt. Die Verkehrstrennung erleichtert ferner den Verkehrsfluß und erhöht die Sicherheit. - Gemäß Abb.10 [Accessibility Profile of Urban Locations, Quelle wie Abb9) wird zwischen drei städtischen Standorttypen unterschieden. Einrichtungen, die für eine breite Öffentlichkeit bestimmt sind, sind in den Zentren anzusiedeln bzw. zu halten (Abb.10 A), während solche mit geringem Publikumszustrom vor allem eine gute Straßenanbindung benötigen (10 C). Inwieweit eine solche Funktionszuweisung zu realisieren ist, bleibt abzuwarten.

Die Entballungspolitik gegenüber der Randstad ist seit Anfang der 80er Jahre aufgegeben. Im Gegenteil: Die Randstad wird nun im internationalen Kontext gesehen. Es gilt, sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Projekte, die geeignet erscheinen, das internationale Gewicht zu erhöhen, werden staatlich unterstützt.

Es bleibt festzustellen, dass mit dem 4. Raumordnungsplan die bisher konkretesten Ziele zur Siedlungs- und Verkehrsentwicklung und zum sparsamen Umgang mit dem "Mangelgut Raum" vorgebracht worden sind. Da die Leitbilder von einer Vielzahl struktureller Maßnahmen gestützt werden, erscheint eine erfolgreiche Realisierung sehr wahrscheinlich. Angesichts dessen bietet sich ein Übertragung der niederländischen Raumordnungsmodelle auf andere Ballungsgebiete an.

3. Die Rolle der Randstad in Westeuropa

Die Randstad Holland zählt zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Europas. Bei einer Ausdehnung von 70 km hat sie, bedingt durch ihre Vielkernigkeit, in sich kein Zentrum. Im Osten streicht die Randstad aus zum Ruhrgebiet und geht im Süden in die belgischen Agglomerationen über. Sie ist damit Teil der "Megalopolis Nordwesteuropa" (vgl. HOTTES 1970).

Die wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb dieses Ballungsgroßraumes sind äußerst eng. Die Randstad spielt dabei vor allem durch den Hafen Rotterdam eine bedeutende Rolle und profitiert von ihrem Hinterland. Diese Rolle, auch in Hinblick auf internationale Verkehrsverbindungen, wird im 4. Raumordnungsbericht sehr hervorgehoben.

Um die Randstad als "Weltstadt" zu bezeichnen, wie z.B. Paris oder London, bildet sie in sich zu wenig eine Einheit. Diese Einheit wird auch von ihren Bewohnern kaum gesehen. So gut sich die Funktionen der einzelnen Kerne ergänzen, so unterschiedlich sind sie und geben den Städten jeweils ihr eigenes Gesicht. Der Randstad als Ganzes fehlt ein solches Image bisher, das, um als Weltstadt zu gelten, unabdingbar ist. Die Vielkernigkeit, die zweifellos ein struktureller Vorteil ist, wird hier zu einem funktionellen Nachteil.

III. Literatur

ALBRECHT, Gertrud & Eckhard OELKE (1986): Niederlande.

Landeskundlicher Ãœberblick. Leipzig.

Atlas van Nederland in 20 delen. Deel 3: Steden. 2.Aufl.1988; Den Haag.

BERG, M. van den & M. SCHAAFSMA (1991): Cities endangered, chances for

urban regions. In: DISP 105.

BORCHERT, J.G. (1980): Politische und ökonomische Steuerungsfaktoren der

Bildung eines Verdichtungsraumes am Beispiel der Randstad Holland. In:

Erdkunde, Band 34/1980.

BORCHERT, J.G. (1986): Politische und ökonomische Steuerungsfaktoren am

Beispiel der Randstad Holland. In: PGM 130.

BORCHERT, J.G. & J.A. van GINKEL (1979): Die Randstad Holland in der

niederländischen Raumordnung. Geocolleg 7; Kiel.

CORTIE, Cees (1987): Alkmaar, van streekcentrum naar groeikern. Academisch

Proefschrift, Universiteit van Amsterdam.

DUINKERKEN, H. & J.P.J.P.MENGER (1992): The fourth report on planning

reconsidered. In: TESG 83/1992.

Diercke-Handbuch. Materialien, Methoden, Modelle zum Diercke-Weltatlas. 1.

Aufl. 1989; Braunschweig.

GAEBE, Wolf (1987): Verdichtungsräume. Teubner-Studienbücher Geographie;

Stuttgart.

HAMBLOCH, Hermann (1977): Die Beneluxstaaten. In: Wissenschaftliche

Länderkunden, Bd. 13; Darmstadt.

HESSELS, Martin (1994): Business services in the Randstad Holland:

Decentralization and policy implications. In: TESG 85/1994.

HOTTES, Karlheinz (1970): Sozioökonomische Voraussetzungen für eine

Weltstadt in der nordwesteuropäischen Megalopolis. In: Institut für

Raumordnung: Informationen. 20.Jg., 1970, Nr. 24; o.O.

idg (1977): idg-bulletin 1976/77. Utrecht.

idg (1985): Compact Geography of the Netherlands. Utrecht.

(vgl. Folgendes)

idg (1986): Kleine Geographie der Niederlande. Utrecht.

idg (1986): Randstad Holland. 2. Aufl; Utrecht.

idg (1989): idg-bulletin 1989. Utrecht.

LEISKER, Kerstin & Eckhard OELKE (1989): Die Entwicklung des Südflügels

der Randstad Holland unter dem Einfluß der Raumordnung. In: Die Sektion

Geographie der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg in den 80er

Jahren; Halle (Saale).

LICHTENBERGER, Elisabeth (1991): Stadtgeographie. Bd.1. 2.Aufl.; Teubner-

Studienbücher Geographie; Stuttgart.

Ministry of Housing, Physical Planning and the Environment (1991): Fourth

report (EXTRA) on physical planning in the Netherlands. Comprehensive

summary. On the road to 2015. Den Haag.

TEMLITZ, Klaus (1987): Stadt und Umland in der Bundesrepublik

Deutschland. In: Praxis Geogr. 3/87; Braunschweig.

WEVER, E. & O. ATZEMA (1993): Regional policies in the Netherlands.

Utrecht.

ZÖRNIG, Stefan (1987): Amsterdam/Almere - Alte und neue Stadt. In: Praxis

Geogr. 6/87; Braunschweig.

sowie eigene Mitschriften der Vorlesung "Challenges and perspectives for the Randstad cities" (J. van WEESEP, Utrecht, 1994).

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