Ödipalisierung von Frauen

Gliederung

1) Einleitung

2) Die Ödipalisierung von Frauen

A) Umstrittene Auffassung des Ödipuskomplexes in der Psychoanalyse:

Ableitung des Weiblichen vom Männlichen ?

B) Eva Poluda-Korte:"Der lesbische Komplex" statt "Negativer weiblicher

Ödipuskomplex": Aufhebung der Negation

C) Nancy Chodorow: Der Ödipuskomplex als Familienkomplex

3) Die Bedeutung der "Präödipalen Phase" sowie der "Primären

Liebe" für die Ödipalisierung von Kindern: Theorien von

S.Freud, E. Poluda-Korte und N.Chodorow

A) Sigmund Freud:

B) Eva Poluda-Korte:

C) Nancy Chodorow: "Das Erbe der Mütter": Vergleich der präödipalen

Phase bei Jungen und Mädchen

4) Der Eingang der Wut aus dem lesbischen Komplex in die Ãœber-

Ich-Entwicklung von Frauen:

A) Kurze Darstellung von Freuds Theorie der Ãœber-Ich-Bildung

B) Eva Poluda Kortes Erfahrungen mit einer psychoanalytisch

angeleiteten Frauentherapiegruppe: Ãœberwindung des lesbischen

Komplexes

5) Verschiedene Formen der Lösung des lesbischen Komplexes

5.1)Bewältigung der Traumatisierung bei heterosexuellen Frauen

5.1.A) Neurotischer Typ:

5.1.B) Frühgestörter Typ

5.2) Bewältigung der Traumatisierung bei lesbischen Frauen

5.2.A) Neurotischer Typ

5.2.B) Frühgestörter Typ

6) Das Verlassen des "lesbischen Komplexes"

6.1.) Gesellschaftliche Hintergründe der Fixierung im "lesbischen

Komplex": "Die besser Dyade"

6.2.) Die zentrale Bedeutung des "lesbischen Komplexes" in

Frauengruppen

6.2.A) Schwierigkeiten und Bedeutung der nachträglichen Ödipalisierung :

Befreiung aus der typischen Frauenrolle.

7) Erläuterung der 4 Phasen der Ödipalisierung am Beispiel einer

Frauentherapiegruppe:

1. Phase: Wiederkehr der Kränkung durch die homosexuelle

Zurückweisung im "lesbischen Komplex".

2.Phase: Homoerotisches Frauenbündnis durch zwischenweiblich

modellierende Bestätigung.

3.Phase: Emanzipation durch Ödipalisierung.

4. Phase: Bearbeitung des Elektrakomplexes (= positiver

Ödipuskomplex).

Diskussion des Themas

9) Literaturverzeichnis

1) Einleitung

Es wird in dieser Arbeit um den Prozeß der weiblichen Ödipalisierung gehen, so wie ihn die Psychoanalytikerin Eva S.Poluda-Korte beschreibt. Diese sieht den wichtigsten Unterschied zum Ödipuskonflikt des Knaben in der Tatsache, dass die Beziehung zwischen Mutter und Tochter eine gleichgeschlechtliche, eine homosexuelle ist. Zunächst werden verschiedene Theorien der Ödipalisierung innerhalb der Psychoanalyse (S.Freud, E.S.Poluda-Korte, N.Chodorow) umrissen sowie der Begriff des "lesbischen Komplexes" von Eva S. Poluda-Korte eingeführt. An deren Aufsatz "Der 'lesbische Komplex'-Psychoanalyse und Weiblichkeit" orientiert sich diese Arbeit stark. Ebenso werden die Auffassungen der obengenannten AutorInnen bezüglich der Bedeutung der "präödipalen" Phase einander gegenübergestellt. Im folgenden wird dargestellt, wie Frauen die Wut über die Zurückweisung durch die Mutter in ihre Persönlichkeit integrieren. Es wird darum gehen, welche Formen der Verarbeitung des "lesbischen Komplexes" es gibt, sowie welche Bedeutung die Bearbeitung dieses Themas für die weibliche Sexualität hat. Am Beispiel einer psychoanalytisch angeleiteten Frauengruppe, in der es um die Lösung der Fixierung an den "lesbischen Konflikt" ging, werden die vier Phasen der Ödipalisierung anschaulich dargestellt.

2) Die Ödipalisierung von Frauen

A) Umstrittene Auffassung des Ödipuskomplexes in der Psychoanalyse: Ableitung des Weiblichen vom Männlichen ?

1924 schrieb Freud seinen Text "Der Untergang des Ödipuskomplexes". Zu diesem Zeitpunkt ging er schon davon aus, dass es eine zeitliche Entsprechung gibt vom Ende der Ödipalisierung und der "phallischen Phase"(S.Freud,1923), in der das Kind lediglich registriert, ob es einen Penis besitzt oder eben nicht. Dennoch nahm er zunächst eine weitgehende Parallelität der "männlichen" und "weiblichen" Entwicklung an. Seine Äußerungen waren nicht nur zu seiner Zeit äußerst umstritten, brach er doch mit dem Bild des unschuldigen Kindes, indem er eine kindliche Form der Sexualität annahm. Oft wurden seine Aussagen über "männliche" und "weibliche" Eigenschaften mißverstanden. Es wurde nicht hinterfragt, weshalb er selbst diese Begriffe in Anführungsstriche setzte. Erst 1925 bezog er in "Einige psychische Folgen des Geschlechtsunterschieds" die Spezifik der weiblichen psychosexuellen Entwicklung mit ein.

Für Freud war der Ödipuskomplex zunächst ein sich in der Phantasie des Kindes abspielender Prozeß, der bei Kindern beiderlei Geschlechts auf dieselbe Art und Weise abläuft. Er räumte lediglich ein, dass bei Mädchen einige zusätzliche Aspekte beachtet werden müssten. Inhalt des Ödipuskomplexes ist das konflikthafte Erkennen der eigenen Geschlechtsidentität sowie die Einstimmung auf die spätere als normal angesehene heterosexuelle Identität. Freud geht davon aus, dass Jungen trotz Maßregelungen auf den Lustgewinn durch Masturbation nicht mehr verzichten wollen und somit in einen Konflikt geraten, da sie ihre drohenden Eltern brauchen. Ihm zufolge käme für Knaben die Androhung von Strafe einer Kastrationsdrohung gleich, die jedoch erst durch den Anblick eines penislosen Mädchenkörpers vorstellbar wird. Der Konflikt besteht zwischen seinem narzißtischen Lustbedürfnis und den Konkurrenzphantasien dem Vater gegenüber, sowie seiner Liebe für die Eltern. "Bei diesem [dem männlichen Kind] ist es dann die Entdeckung der Kastrationmöglichkeit, wie sie durch den Anblick des weiblichen Genitales erwiesen wird, die die Umbildung des Ödipuskomplexes erzwingt, die Schaffung des Über-Ichs herbeiführt und so all die Vorgänge einleitet, die auf die Einreihung des Einzelwesens in die Kulturlandschaft abzielen." (S.Freud, 1931)

In der Regel befreit sich der Junge an diesem Punkt endgültig aus dem Ödipuskonflikt, indem er sich mit dem Vater identifiziert. Er verinnerlicht das Inzestverbot, welches in unserer Gesellschaft besteht und nimmt es in sein sich entwickelndes Über-Ich auf. Diese Dynamik wird an anderer Stelle näher ausgeführt. Bis zum Beginn der Pubertät wird der Junge nun sexuelle Regungen sublimieren. Der Begriff "Sublimierung" geht auf Freud zurück, der dem "Vokabular der Psychoanalyse" (Laplanche&Pontalis,1967, S.478) zufolge damit in erster Linie künstlerische oder geistige Betätigungen beschrieben hat, die zwar vom Sexualtrieb angeregt werden, jedoch keinen erkennbaren sexuellen Kontext besitzen. So kann der Trieb ausgelebt werden, ohne eventuelle Tabus zu brechen.

Für das Mädchen geht Freud davon aus, dass der Ödipuskonflikt im Erkennen der eigenen Penislosigkeit wurzelt. Dessen Ursache stellt es sich als Versagung durch die Mutter vor. Schon 1905, in den "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie", unterstellt Freud dem Mädchen "Penisneid". An dieser Theorie hält er sein ganzes Leben hindurch fest, wofür er von feministischer Seite besonders heftig kritisiert wurde. Den Unterschied zum Jungen sieht Freud 1924 darin, "dass das Mädchen die Kastration als vollzogene Tatsache akzeptiert, während sich der Knabe vor der Möglichkeit ihrer Vollziehung fürchtet." 1931 betrachtet er "als das stärkste Motiv zur Abwendung von der Mutter [den] Vorwurf [...], dass sie dem Kind kein richtiges Genitale mitgegeben, d.h. es als Weib geboren hat." Aus Enttäuschung über die Mutter wendet sich das Mädchen nun dem Vater zu, von dem es ein Kind als Ausgleich für den fehlenden Penis zu erhalten hofft. Da dieser Wunsch jedoch nicht erfüllt werden wird, scheitert der Ödipuskomplex an diesem Punkt. Anders als beim Jungen bleibt er jedoch im Unbewußten erhalten. Die Sublimation der sexuellen Strebungen in zärtliche Liebe gegenüber den Eltern erleichtert auch dem Mädchen die Zeit bis zur Pubertät.

Wichtig scheint mir an dieser Stelle festzuhalten, dass sowohl Freud als auch die deutsche Psychoanalytikerin Eva S. Poluda-Korte, deren Text "Der 'lesbische Komplex' - Das homosexuelle Tabu und die Weiblichkeit" (1993) Ausgangspunkt dieser Arbeit ist, als Ursache des "Objektwechsels", also der Hinwendung zum Vater sowie die Abwendung von der Mutter, eine Enttäuschung durch die Mutter annehmen. Inwieweit Poluda-Korte der Theorie des Penisneids widerspricht, wird im nächsten Abschnitt dargestellt. Ebenfalls wichtig scheint mir die bei beiden übereinstimmende Annahme zu sein, dass das Mädchen die Ödipalisierung nicht ganz überwinden kann. Freud erklärt dies mit dem Mechanismus der Verdrängung, während Poluda-Korte von einer unbewußten Fixierung an diesen Punkt der psychosexuellen Entwicklung spricht.

Als eine der psychoanalytischen Grundannahmen benennt Eva Poluda-Korte die bisexuelle Konstitution aller Menschen. Der Begriff "Bisexualität" geht dem "Vokabular der Psychoanalyse" (Laplanche&Pontalis, 1967) zufolge auf Wilhelm Fließ zurück, wurde jedoch von Freud aufgegriffen. Er soll die Beziehung zwischen den Konflikten in der psychosexuellen Entwicklung des Menschen sowie den männlichen wie weiblichen Eigenschaften eines jeden Menschen bezeichnen. Diese angenommene Bisexualität ist jedoch gar nicht so unumstritten, wie es Poluda-Korte zunächst darstellt. So ist Laplanche und Pontalis(1967) zu entnehmen, dass Freud selbst sich nie eindeutig zur Bisexualität geäußert habe: Seine Einschränkungen bezogen sich demnach zufolge zum einen auf die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" innerhalb der Disziplinen Biologie, Soziologie oder Psychologie. Des weiteren, und das ist für Eva Poluda-Kortes Theorie besonders wichtig, auf die Verdrängung der gegengeschlechtlichen Persönlichkeitsanteile.

Sowohl Mädchen als auch Jungen müssen einen Prozeß der Ödipalisierung durchlaufen. Unter "Ödipuskomplex" verstand Freud zunächst ganz allgemein den Konflikt eines Kleinkindes, das gewahr wird, dass die Mutter noch ein anderes Liebesobjekt hat als das Kind- den Vater. Freud schenkte den Konsequenzen des Geschlechtsunterschieds für diese Erkenntnis zunächst keine Beachtung. So nahm er an, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Muster haben, um diese Erkenntnis zu verarbeiten. Die Tatsache, dass es sich bei der Konstellation Mutter/weiblicher Säugling um eine in gewissem Sinne homosexuelle Beziehung handelt, schien ihm nicht aufzufallen. Die Tabuisierung der Homosexualität, die zu unterschiedlichen Zeiten auf verschiedene Weise Tatsache ist, hat da möglicherweise auch dazu beigetragen. Freud hat es Poluda-Korte (S.74) zufolge zwar abgelehnt, die weibliche mit der männlichen Sexualentwicklung gleichzusetzen, dennoch leitet er mit der Bezeichnung "postiver weiblicher Ödipuskomplex" die weibliche von der männlichen Entwicklung ab.

B) Eva Poluda-Korte:"Der lesbische Komplex" statt "Negativer weiblicher Ödipuskomplex": Aufhebung der Negation

Eva Poluda-Korte grenzt sich von Freuds Terminologie bezüglich des Begehrens der Tochter gegenüber der Mutter ab. Sie schreibt:

Der Begriff Ödipuskomplex ist anschaulich, wenn er sich auf das Begehren des Sohnes seiner Mutter gegenüber bezieht. Mit dem negativen Ödipuskomplex ist dessen Umkehrung gemeint, das Begehren des Sohnes seinem Vater gegenüber. Abgesehen davon, dass diese Benennung unanschaulich und schwer verständlich ist, suggeriert er eine Bewertung, die gewiß nicht beabsichtigt war. Der Begriff positiver weiblicher Ödipuskomplex entspricht einer wiederum unanschaulichen Ableitung der weiblichen Entwicklung von der männlichen und betrifft die Liebe der Tochter zum Vater.[....] Der Ausdruck negativer weiblicher Ödipuskomplex schließlich bildet einen doppelten Widerstand dessen, was er benennen will. (Poluda-Korte,1993,S.74)

Als Alternative führt sie nun den Begriff des "lesbischen Komplexes"(Poluda-Korte,1993,S.74) ein. Sie ist sich der Brisanz dieses Begriffes bewußt, denn gleich zu Beginn geht sie auf die Bedeutung der gesellschaftlichen Tabuisierung der Homosexualität ein. Durch die Wirkung dieses Tabus werden ihrer Erfahrung nach starke Ängste ausgelöst, wenn im Rahmen einer Analyse einer Frau alte Wünsche nach der Liebe einer Frau, die ihren Ursprung in der frühen Beziehung zur Mutter haben, auftauchen. Wenn gesellschaftlich nicht akzeptierte und deshalb mit Hilfe des Über-Ichs verdrängte Wünsche einer Frau während der Analyse bei einer Analytikerin wieder ins Bewußtsein gelangen, können diese "dieselben Ängste aus[lösen], die einst zu ihrem Ausschluß aus dem Bewußtsein führten, [....]" (Poluda-Korte,1993,S.73)

Sie schildert, dass Klientinnen das Thema der Homosexualität möglichst nicht bearbeiten wollen, da sie keine Möglichkeit sähen, darin Befriedigung zu erlangen. Dennoch, so stellt sie fest, suchen Frauen in der Analytikerin oft nach der Mutter, die auf ihre frühen Triebbedürfnisse reagiert. Inhalt des "lesbischen Komplexes" ist die Erfahrung des kleinen Mädchens, von der Mutter als Liebespartnerin abgewiesen zu werden und hinter dem Vater zurückstehen zu müssen. Dies bewertet Poluda-Korte als traumatisches Erlebnis, welches zu ganz bestimmten Störungen der psychosexuellen Entwicklung führen kann.

Der frühe Ödipuskomplex bedeutet auch für Poluda-Korte zwar für beide Geschlechter eine narzißtische Kränkung, da die Mutter als selbstverständlicher Besitz und als Liebesobjekt verloren geht, beim Mädchen kommt zum Inzesttabu sowie zur Generationengrenze jedoch auch noch das Tabu der Homosexualität

hinzu. Das Mädchen erkennt die Forderungen, die von der Gesellschaft vorgegeben sind: Es lernt, dass es eine Frau sein soll, statt eine zu "besitzen", bzw. dass es weiblich sein soll, statt ein weibliches Liebesobjekt zu haben. Laut Eva Poluda-Korte fühlt sich das Mädchen von der eigenen Mutter verraten und betrogen. Diese Kränkung bezeichnet sie als die "homosexuelle Zurückweisung der Mutter" bzw. die "lesbische Enttäuschung an der Mutter".(Poluda-Korte,1993,S.78)

C) Nancy Chodorow: Der Ödipuskomplex als Familienkomplex

Nancy Chodorow hat 1978 in ihrem Buch "Das Erbe der Mütter" das Phänomen der Mütterlichkeit, sowie gerade auch die Besonderheiten der frühen Mutter-Tochter-Beziehung untersucht. Für sie betrifft der Ödipuskomplex die gesamte Familie. Das Kind macht verschiedene Beziehungserfahrungen, und alles, was zwischen den Familienmitgliedern abläuft, beeinflußt die weitere Entwicklung des Kindes.

Chodorow ergänzt Freuds Darstellung der Ambivalenz des Kindes mit dem Aspekt der ebenfalls ambivalenten Gefühle der Eltern. Demnach besetzen Eltern das Kind schon geschlechtlich, bevor dieses seinerseits dazu in der Lage ist. Laut Chodorow werden Jungen von Anfang an von ihren Müttern als geschlechtliche Wesen gesehen, erleben sich also eher als getrennte, individuelle Wesen und wechseln früher in die ödipale Phase. Das Mädchen hingegen verbleibt länger in einer verschmolzenen Beziehung (Symbiose) und wird als Ergänzung des mütterlichen Selbst erlebt. Deshalb liegt die Bedeutung des Ödipuskomplexes für das Mädchen eher in der Entwicklung der Psychosexualität, während für Jungen die Herausbildung eines sozialen Geschlechts im Vordergrund steht.

3) Die Bedeutung der "Präödipalen Phase" sowie der "Primären Liebe" für die Ödipalisierung von Kindern: Theorien von S.Freud, E. Poluda-Korte und N.Chodorow

A) Sigmund Freud:

Freud (1924) hielt die heterosexuelle Orientierung von Kindern ursprünglich für das Ergebnis des Ödipuskomplexes. Bei der Betrachtung des Ödipuskomplexes bei Mädchen konzentrierte er sich in erster Linie auf das, was er "Penisneid" nannte, mit dem männlichen Geschlechtsorgan letztendlich jedoch weniger zu tun hat als mit der gesellschaftlichen Höherbewertung all dessen, was Männern vorbehalten bleiben soll. Nach Freud halten sich Mädchen im Alter von ca. drei Jahren, wenn die Bedeutung der genitalen Triebe größer wird, für kastriert und minderwertig, weil sie keinen Penis besitzen. Sie stellen sich vor, die Mutter habe ihnen diesen Körperteil nicht geben wollen, hoffen aber, irgendwann doch noch einen Penis zu erhalten. Dies nannte er "Penisneid". Er erklärt damit die Wut auf die Mutter, die sie zum Vater hintreibt, sowie auch die Verachtung, die Frauen so häufig dem eigenen Geschlecht entgegenbringen.Das Mädchen hofft nun, vom Vater ein Kind als Ersatz für einen Penis zu erhalten.

Freud sah lediglich Unterschiede in bezug auf das unterschiedliche Ergebnis des Ödipuskomplexes bei Jungen und Mädchen. 1931 schrieb er allerdings einen weiteren Text, in dem er "alle Erwartungen eines glatten Parallelismus zwischen männlicher und weiblicher Sexualentwicklung [...] längst aufgegeben"(S.Freud,1931, Über die weibliche Sexualität) hatte. Hier beschäftigt er sich mit den Gründen, die das Mädchen dazu bringen, sich dem Vater zuzuwenden, also den Objektwechsel zu vollziehen. Er hält die Bindung zum Vater für einen Ersatz für die zuvor ausschließliche Mutter-Tochter-Bindung, für die er den Begriff "präödipal"(Freud, 1931) erfand und stellt fest, dass diese Phase bei Mädchen länger dauert als bei Jungen. Erst jetzt betont er auch den qualitativen Unterschied der weiblichen präödipalen Phase. Er schreibt: "Die Phase der ausschließlichen Mutterbeziehung, die präödipal genannt werden kann, beansprucht also beim Weib eine weitaus größere Bedeutung, als ihr beim Mann zukommen kann."(Freud,1931)

B) Eva Poluda-Korte:

Laut Eva Poluda-Korte ist der frühe Ödipuskomplex die "vielleicht entscheidendste[n] humane[n] Entwicklungs- und Sozialisationskrise in Bezug auf inter- und intra-psychische Beziehungs- und Strukturbildung!" (S.78)

Für die Bewältigung "der homosexuellen Zurückweisung der Mutter" spielt es eine große Rolle, wie die vorangegangene Beziehung zwischen Mutter und Tochter gewesen ist, d.h. ob diese gut genug war, dass die Tochter in die "depressive Position" gelangen konnte. Die "depressive Position" geht auf Melanie Klein zurück, welche sie durch folgende Merkmale charakterisierte:

Das Kind gelangt um den 4. Monat herum durch die Erkenntnis,dass sich gute und böse Eigenschaften in einer Person nicht gegenseitig ausschließen zu einer ganzheitlicheren realistischeren Sicht der Mutter. D.h. es richtet nun gleichzeitig libidinöse als auch aggressive Triebe auf die Mutterperson. Dies geht mit der Angst einher, die Mutter zu zerstören und zu verlieren, welche wiederum auf verschiedene Art bekämpft wird. Im Laufe des ersten Jahres wird die "depressive Position" überwunden, indem das geliebte Objekt als sicher verinnerlicht wird und Ambivalenz ausgehalten werden kann. Mit Eintritt in die "depressive Position" wird das Kind außerdem fähig, auch Beziehungen zu anderen Personen aufzunehmen. (Vgl.Laplanche&Pontalis,1967, S.114ff)

Eva Poluda-Korte zufolge kann der "lesbische Komplex" nur dann überwunden werden, wenn die Primärbeziehung die Akzeptanz ambivalenter Gefühle für ein und dieselbe Person ermöglicht hat. Wenn die Wut und Enttäuschung gegenüber der Mutter nicht ausreichend verarbeitet werden kann, kann das zu neurotischen Symptomen führen, die auf das Festhalten an diesen Gefühlen hinweisen. An und für sich ist die wütende Reaktion auf die homosexuelle Zurückweisung normal. Sie ist sogar für die Ausbildung eines Über-Ichs wichtig. Die Aggression des kleinen Mädchens wird zum Teil in ein frühes Über-Ich gebunden. Dieses sorgt dafür, dass die weitere Sozialisation des Mädchens ihren Lauf nehmen kann. Zum Teil bleibt sie im Ich und Es (entsprechend der Instanzen, in die Freud den psychischen Apparat einteilt) enthalten, wo sie sich sogar positiv fördernd auf die folgenden Entwicklungsschritte wie Separation, Objektwechsel, sowie die Hinwendung zum Vater auswirkt. Statt einzig die Mutter libidinös zu besetzen, beginnt das Mädchen sich narzißtisch mit der Mutter zu identifizieren sowie den Vater mit Libido zu besetzen. Es findet also eine Neuverteilung von liebevollen und ablehnenden Gefühlsregungen statt, welche laut Eva Poluda-Korte entscheidend für die Entwicklung von Weiblichkeit sind.

C) Nancy Chodorow: "Das Erbe der Mütter": Vergleich der präödipalen Phase bei Jungen und Mädchen

In ihrem Buch "Das Erbe der Mütter"(N.Chodorow, 1978) beschäftigt sich Nancy Chodorow unter anderem mit der Bedeutung der "Primären Liebe"(Der Begriff geht ursprünglich auf das Psychoanalytiker-Ehepaar Alice und Michael Balint zurück). Sie vergleicht verschiedene Erklärungsmodelle für die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Ihr zufolge sah Freud den Grund für frühe Objektbeziehungen in einem rein physiologischen Bedürfnis nach Nahrung und sprach von einem "primär narzißtischen Säugling", der libidinös völlig selbstbezogen sei. Diesem sei es zunächst egal, wodurch seine Bedürfnisse gestillt werden. Danach werde das Kind zunächst aus Selbstschutz (vor Hunger) zur Mutter hingeführt, woraus sich dann libidinöse Zuneigung entwickele. (Chodorow,1978,S.86)

Chodorow bezieht sich hier auf Freud, der in diesem Zusammenhang vom Anlehnungstypus der Objektwahl spricht (anaklitische Objektwahl). Sexuelle Triebe lehnen sich demnach an "Selbstschutz-Triebe an. Für Freud war die anaklitische Liebe die Voraussetzung für vollständige Objektliebe. Er übersah aber, dass es dann ein Widerspruch ist, wenn Frauen Männer als Sexualobjekt wählen. Insgesamt werden in der freudschen Psychoanalyse Objektbeziehungen aus bestimmten libidinösen Erlebnisweisen und Zonen abgeleitet.

Chodorow bezieht sich in ihrem Buch auch auf Michael und Alice Balint. Diese vertreten den Standpunkt, dass Säuglinge bereits vor der Geburt ihre Umwelt besetzen und somit schon hier die "Primäre Liebe" beginnt. Diese frühe Besetzung konzentriert sich zwar auf die Person, die für die Triebbefriedigung und körperliche Beziehungen am wichtigsten sind, wichtig erscheint Chodorow jedoch, dass sie von einer Art " primärer und fundamentaler Sozialität" ausgehen, die dem Säugling die emotionale Beziehung zu einem Objekt ermöglicht. Die Ursachen hierfür liegen in der totalen Abhängigkeit und Verschmolzenheit mit der Mutter sowie der Erwartung von dieser alles zu bekommen. Die Versuche, das primäre Bedürfnis nach menschlichem Kontakt zu befriedigen, habe so einen hohen Stellenwert für die persönliche Entwicklung und spätere psychische Verfassung. Michael und Alice Balint gehen davon aus, dass der Säugling grundsätzlich gezwungenermaßen eine Art totale Liebe ohne jegliche Gegenleistung fordert.

Wenn dieses Bedürfnis nach "primärer Liebe" unbefriedigt bleibt, wird immer eine Wut in dem Menschen zurückbleiben, zu deren Ursprung eine Psychoanalyse führen kann. Es existieren also unterschiedliche Theorien darüber, inwieweit ein konstantes Objekt, welches unabhängig vom Bedürfnis nach Nahrung ist, für die psychologische Entwicklung bestimmend ist.

Nancy Chodorow (1978) lenkt ihre Aufmerksamkeit auf die Objektbeziehungen, die das Mädchen beim Eintritt in den Ödipuskomplex hat und geht davon aus, dass die Art, wie die Familie strukturiert ist, verschiedene Möglichkeiten der Ich-Differenzierung sowie seiner verinnerlichten Objektbeziehungen mit sich bringt. Dies sei wiederum die Ursache für eine unterschiedliche Beziehungsfähigkeit der Geschlechter. Der weibliche Ödipuskomplex beinhalte für das Mädchen die Auseinandersetzung damit, dass eine dritte Person, der "Vater", der ein von der Mutter unterscheidbares Geschlecht hat, in die Beziehung zur Mutter mit hineingenommen wird. Für Chodorow bleibt die äußere Beziehung des Mädchen zur Mutter unverändert wichtig. Auf diesen Aspekt führt sie zurück, dass Frauen in ihren Beziehungen eine viel komplexere Selbstdefinition und Persönlichkeit mit hineinbrächten als Männer dies gewöhnlich täten. Außerdem entwickelten Mädchen durchlässigere Ich-Grenzen und definierten sich mehr in Beziehung zu anderen. All dies führe zu einer Erweiterung der Beziehungsfähigkeit, der eine gewisse Verkümmerung der Beziehungsfähigkeit bei Jungen durch den Ödipuskomplex gegenüberstehe. Laut Chodorow werden diese Persönlichkeitsmerkmale in der Über-Ich-Entwicklung reflektiert. Dem entspräche auch die längere Dauer der präödipalen Phase bei Mädchen, welche Freud bereits 1924 erkannt hat. Die Ursache hierfür findet Chodorow in der Mütterlichkeit von Frauen, die sie in "Das Erbe der Mütter" eingehend untersucht. Darauf näher einzugehen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wichtig scheint mir jedoch zu sein, dass Chodorow die spezifische Form der Liebesbeziehung zwischen Mutter und Tochter in der präödipalen Phase und danach bereits als eine Art "Prototyp spätere Liebe zu anderen Objekten, die als separat erlebt werden" (Chodorow,1978,S.97) betrachtet und sie dies für wichtig für die Entwicklung der späteren Beziehungsfähigkeit hält.

4) Der Eingang der Wut aus dem lesbischen Komplex in die Ãœber-Ich-Entwicklung von Frauen:

A) Kurze Darstellung von Freuds Theorie der Ãœber-Ich-Bildung

Es ist allgemein noch umstritten, wann die Über-Ich-Bildung beginnt. Für viele PsychoanalytikerInnen nach Freud gilt das Über-Ich bei Jungen als "Erbe des Ödipuskomplexes". Das Über-Ich, das in Freuds zweiter Topik die Rolle eines Richters oder Zensors übernimmt, der sich zur Zeit des Ödipuskomplexes durch Verinnerlichung der elterlichen Forderungen und Verbote gebildet hat, fällt bei Knaben und Mädchen unterschiedlich aus. Mädchen müssen nicht nur erkennen, dass es so etwas wie ein Inzesttabu gibt, welches den sexuellen Kontakt zwischen Personen innerhalb einer Familie verbietet, sondern auch, dass die (homosexuelle) Liebe zu einer Person des gleichen Geschlechts tabuisiert ist. Um mit ihren enttäuschten ödipalen Wünschen fertig zu werden, wandeln sie die libidinöse Besetzung der Eltern in eine Identifizierung mit ihnen um.

Eva Poluda-Korte vertritt die alternative Ansicht, dass das Über-Ich sich schon in der präödipalen Phase zu bilden beginnt. Danach bildet sich in der oralen Phase ein frühes Über-Ich, das sich durch Introjektion der "guten" und "bösen" Objekte bildet.

B) Eva Poluda Kortes Erfahrungen mit einer psychoanalytisch angeleiteten Frauentherapiegruppe: Ãœberwindung des lesbischen Komplexes

Eva Poluda-Korte geht davon aus, dass Mädchen ihre Wut über die homosexuelle Zurückweisung durch die Mutter zum Teil in ein frühes Über-Ich einbinden.(Poluda-Korte,1993,S.79). Sie beschreibt, dass Mädchen es im frühen Ödipuskonflikt so erleben, dass ihre Mütter ihnen die Erfüllung unbedingter Liebe bewußt versagen. Um diese Enttäuschung der "narzißtischen Illusion"(Poluda-Korte,1993, S.86) ertragen zu können, identifizieren sie sich mit der Mutter und binden ihre Wut in ein frühes Über-Ich ein.

In einer Frauengruppe, die Eva Poluda-Korte über sechs Jahre hinweg psychoanalytisch begleitet hat, erlebten die Frauen auf der regressiven Ebene die Wiederkehr des "lesbischen Komplexes". Sie unterstellten zu Beginn der Leiterin, die bewußt eine reine Frauengruppe gebildet hatte, dass sie die Teilnehmerinnen allesamt zur lesbischen Lebensweise bekehren wolle. Diese führte den Vorwurf auf den alten Wunsch nach Frauenliebe zurück, den die Frauen seit der Zeit des lesbischen Komplexes verdrängt hätten und der durch diesem intensiven Kontakt der Frauen wiederauftauchte. Die Verdrängung dieser ursprünglichen Sehnsüchte erklärt sie damit, dass Mädchen sich mit ihren Müttern, die sie zurückweisen, identifizieren müssen, um Wertschätzung und Liebe zu erfahren. Diese Identifikation sei notwendig, um die homosexuellen Gefühle abzuwehren.

Interessant ist hier, dass Poluda-Korte eine Verbindung zieht zwischen der Aggression, die im frühen weiblichen Über-Ich gebunden bleibt und der "weiblichen Frühreife"(Poluda-Korte,1993,S.86). Sie stellt fest, dass "Mädchen im Allgemeinen vom zweiten Lebensjahr an braver [seien] und [...] durch die frühe Eigenständigkeit im Endeffekt häufig unselbständiger [bleiben]." (Poluda-Korte,1993,S.86) Sie bezweifelt zwar nicht, dass Kinder sich auch mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil partiell identifizieren, betont jedoch den Einfluß, den die gesellschaftlichen Rollenzwänge besitzen. Das heißt, Mädchen spüren sehr früh, dass es von ihrer Umwelt anerkennender aufgenommen wird, wenn sie der Mutter nacheifern als Männern. Poluda-Korte sieht in der Bereitschaft der Frauen, diese Rolle zu übernehmen, den Versuch, die eigenen frühen homosexuellen Wünsche durch Sublimierung in Form einer narzißtischen Identifizierung der Mutter mit dem Kind, zu bewältigen und befriedigen.

In der Bearbeitung dieser Themen innerhalb einer Analyse macht sie die Chance aus, dass Frauen sich selbst begegnen und befreien, indem sie sich intensiv mit den ursprünglichen Wünschen nach unbedingter Liebe von der Mutter, also einer Person des gleichen Geschlechts, auseinandersetzen.

Des weiteren geht sie auf die Bedeutung einer gefestigten psychosexuellen Identität von Müttern ein. Töchtern solcher Frauen wird es durch eine "homoerotisch-narzißtische Spiegelbeziehung zur Mutter"(Poluda-Korte,1993,S.88) ermöglicht, ihre lesbischen Gefühle zu sublimieren. Solche Töchter verstehen der Autorin zufolge auch leichter, dass die heterosexuelle Geschlechterordnung einen anderen Sinn hat, als den, ihr das geliebte Objekt zu nehmen. Den solidarischen Trost, den ein Mädchen in einem solchen Fall von ihrer Mutter erhält, nennt Poluda-Korte eine "homoerotische Rückversicherung", mit der die Mutter, (die die gleiche Entwicklung leisten musste) ihrer Tochter beim libidinösen Objektwechsel zum Vater beistehen kann. Im reifen Ödipuskomplex kommt es jedoch oft zu Racheambitionen seitens der Tochter. Da laut Poluda-Korte der Preis jeder Identifizierung Aggression aufgrund von Ambivalenz ist, tritt die Tochter nun in Konkurrenz mit der Mutter, um die Mutter so zu vernichten, wie diese es durch die Zurückweisung mit der Tochter getan hat. (Vgl.Poluda-Korte,1993,S.88f)

5) Verschiedene Formen der Lösung des lesbischen Komplexes

5.1)Bewältigung der Traumatisierung bei heterosexuellen Frauen

5.1.A) Neurotischer Typ:

Wenn eine Frau ihre Wut über die Zurückweisung durch ihre Mutter nicht integrieren konnte, so kann es geschehen, dass sie ihre Tochter als Ersatz für die Mutter, die damals nicht ihr "Besitz" bleiben konnte, haben möchte. Eva Poluda-Korte stellt fest, dass eine Tochter, die so an die Mutter gebunden ist, keine Wertschätzung für ihr Geschlecht sowie ihre körperlichen Bedürfnisse entwickeln kann. Diese Frauen bezeichnet Poluda-Korte in ihrem Text über den "Lesbischen Komplex" als Neurotischer Typ. Der Objektwechsel, das heißt die Hinwendung zum Vater hin, und damit auch der Wechsel in eine heterosexuelle Beziehungskonstellation, wird behindert, wenn die Mutter die Tochter nicht loslassen will. Als mögliche Folge nennt Poluda Korte die Bildung eines übermäßig restriktiven Über-Ichs der Tochter. Sie hält es für möglich, dass eine solche Mutterbeziehung zu einer späteren homosexuellen Orientierung beitragen kann, welche unbewußt auf eine Wiedergutmachung mit der Mutter hin ausgerichtet ist.

Zunächst jedoch behindert die Mutter durch ihr Festhalten massiv die Entwicklung einer sexuellen Identität ihrer Tochter. Diese wird "unbewußt homosexuell an die Mutter fixiert, bzw. masochistisch an den lesbischen Komplex und regressiv an primäre Liebeserwartungen." (Poluda-Korte,1993,S.91). Eine nicht gelungene Lösung aus dem "lesbischen Komplex" kann Eva Poluda-Korte zufolge für Frauen lebenslange Folgen haben, weil sie die "sado-masochistische Mutter-Beziehung"(Poluda-Korte,1993,S.89) oft zwanghaft in ihren späteren Liebesbeziehungen wiederholen müssen. In der Psychoanalyse wird der Libido die Fähigkeit zugeschrieben, bezüglich des Objekts, welches sie besetzt, sowie in der Art der Befriedigung zu variieren. Wenn z.B. die Befriedigung der sexuellen Wünsche der Tochter gegenüber der Mutter unerfüllt bleiben (müssen), so kann

dennoch Befriedigung erlangt werden. Beispielsweise durch Sublimierung: Die ödipale Tochter kann sich narzißtisch mit der Mutter identifizieren. Wenn dies jedoch nicht gelingt, weil in ihr das Bild entstanden ist, dass ihre sexuellen Bedürfnisse etwas Abscheuliches, Ungeheuerliches sind und vor allem, dass ihre homosexuellen Gefühle oder auch lesbischen Neigungen tabu sind, so wird die Frau Schwierigkeiten haben, ihre Sexualität zu leben. Im Rahmen einer Analyse kann diese Einschränkung nachträglich durch eine weibliche Identifizierung gelöst werden.

5.1.B) Frühgestörter Typ:

Für Frauen, die dem Frühgestörten Typ (d.h., dass die Störung frühödipal ist) angehören, sind die Folgen einer mißglückten Identifikation mit der Mutter noch weitreichender. Sie beziehen die ursprünglich erlebte Zurückweisung nicht ausschließlich auf ihr Geschlecht, sondern auf ihre gesamte Identität.

Diese Frauen suchen Poluda-Korte zufolge später bei Männern nach einer die primären Bedürfnisse stillenden Mutter, bleiben also in einer infantilen Position verhaftet. Dies zeigt sich daran, dass sie Männer idealisieren während sie Frauen nicht unvoreingenommen gegenübertreten können. Unbewußt sucht die erwachsene Frau weniger einen erwachsenen Partner, sondern vielmehr einen mütterlichen Mann, von dem sie sich das wünscht, was die Mutter ihr versagt hat: Absolute Liebe ohne jede Gegenleistung.

Laut Eva Poluda-Korte äußert sich der Selbstwertmangel bei diesen Frauen ebenso wie bei den neurotisch gestörten Frauen immer auch auf ihr Geschlecht bezogen. Durch Spaltung (guter Vater versus böse Mutter) und Projektion (der guten und schlechten Seiten der Mutter auf den Geschlechtsunterschied), versuchen sie die Männer jedoch vor dem Haß zu schützen, der ihnen aufgrund der frühen Enttäuschung buchstäblich noch immer in den Knochen sitzt. Diese Frauen halten, so erklärt es Poluda-Korte, an der unbewußten Hoffnung fest, im Mann die "gute Mutter"zu finden. Sie bleiben unbewußt an die Vorstellung gebunden, Mutter und Tochter seien das ideale Liebespaar.

Interessant finde ich hierbei Poluda-Kortes Bemerkung, dass frühe narzißtische Kränkungen bei Frauen eher der Normalfall als die Ausnahme seien, da in unserer Gesellschaft Söhne traditionell noch immer einen höheren Stellenwert haben als Töchter. Sie stellt allerdings auch klar, dass manche Frauen ihre Ressentiments gegen den Vater richten und die Mutter idealisieren, was dann wiederum zu einer zwangslesbischen und heterophoben Entwicklung führt. Gemeinsam ist all diesen Frauen die Fixierung an den "lesbischen Komplex", der nicht befriedigend gelöst werden konnte.

Eine authentische erwachsene Sexualität bleibt diesen Frauen Eva Poluda-Korte zufolge so lange verwehrt, bis eine echte Ödipalisierung, bzw. das Erreichen der "depressiven Position" (Melanie Klein) nachgeholt wird und die Spaltung in gute und böse Außenobjekte nicht mehr nötig ist. Die Wut kann dann als zur eigenen Persönlichkeit gehörend integriert werden und muss nicht mehr auf die Mutter oder auf Frauen allgemein gerichtet werden.

5.2) Bewältigung der Traumatisierung bei lesbischen Frauen

Eva Poluda-Korte vermutet, dass eine tolerante Haltung der Eltern Mädchen ermöglichen kann, sich mit der Unabhängigkeit sowie dem Selbstbewußtsein des Vaters zu identifizieren, ohne ihn zu idealisieren wodurch auch die Ressentimentbildung gegenüber Frauen ausbleibt. Diese Mädchen können sich dem Tabu der Homosexualität widersetzen. Sie verweigern oder revidieren den Objektwechsel und können ihre Liebe zum gleichen Geschlecht akzeptieren. Des weiteren treten sie in Konkurrenz zum Vater. Sie haben also Zugang zu ihrer Wut über die Zurückweisung durch die Mutter, die bei einer neurotischen Entwicklung ins Über-Ich gebunden werden müsste. Poluda Korte zitiert hierzu Barbara Gissrau (1989), die in der Identifikation mit dem Vater eine Chance sieht, subjektives Begehren und erotische Initiative zu erlernen.

Da die lesbische Lebensform aber noch immer nicht als gleichberechtigt neben der heterosexuellen Norm akzeptiert wird, ist das lesbische "Coming Out" immer mit mehr oder minder starken inneren Konflikten auf der Suche nach einer authentischen Identität sowie nach einem Platz in der Gesellschaft verbunden. Lesbische Frauen müssen vor, bzw. während ihres Coming-Outs ihren Über-Ich-Widerstand gegen Frauenliebe überwinden. Eva Poluda-Korte nennt dies einen "Selbstheilungsversuch"(Poluda-Korte,1993,S.96), der die Frau zu ihrem wahren Selbst führen könne. Manche Frauen leben nach einer Phase der Frauenliebe wieder Männerbeziehungen. Immer jedoch müssen sie sich mit ihren Erwartungen nach primärer Liebe auseinandersetzen. Sie müssen akzeptieren, dass sie sich von der Hoffnung auf Erfüllung unbedingter Liebe verabschieden müssen. Das Durcharbeiten des "lesbischen Komplexes" und die Integration der verdrängten Bedürfnisse kann dafür für die Zukunft erfüllendere Liebesbeziehungen ermöglichen.

Poluda-Korte warnt jedoch davor, den Schritt in die neue (sexuelle) Identität jedoch zu schnell zu vollziehen. Denn dann sei die Gefahr groß, dass die gerade verweigerte heterosexuelle Norm einfach nur durch eine homosexuelle Norm ersetzt wird. Dann geschähe etwas Ähnliches wie zur Zeit des ursprünglichen "lesbischen Komplexes": Lesben werden idealisiert, während die heterosexuelle Norm angefeindet wird. Um dies zu vermeiden, hält es Eva Poluda-Korte für notwendig, dass lesbische Frauen auch ihre heterosexuellen Anteile integrieren, um zu einer authentischen, erwachsenen psychosexuellen Identität zu finden.

5.2.A) Neurotischer Typ:

Auch unter lesbischen Frauen gibt es laut Eva Poluda-Korte präödipal traumatisierte Frauen, welche die Zurückweisung durch die Mutter mit einer Abwertung des eigenen Geschlechts in Verbindung bringen. Die solchermaßen traumatisierten Frauen haben zwar im Erwachsenenalter Zugang zu ihren homoerotischen Gefühlen, leben auch lesbische Beziehungen, sind aber dennoch an den "lesbischen Komplex" fixiert. Sie konnten ihn als Kleinkind ebenfalls nicht lösen und wiederholen in ihren Liebesbeziehungen unter Umständen die "sado-masochistische"(Poluda-Korte,1993,S.98f) wie es Eva Poluda-Korte nennt, Konstellation ihrer frühen Kindheit, in der die Mutter die Tochter nicht loslassen konnte. Von den neurotisch gestörten heterosexuellen Frauen unterscheiden sie sich lediglich in der Wahl ihrer Liebesobjekte. Obwohl sie sexuelle Beziehungen zu Frauen als heilsam erleben können, fürchten sie dennoch stets die Konkurrenz der Männer. Sie haben die Zurückweisung durch die Mutter als Entwertung ihres Geschlechts erlebt und fürchten nun, wieder wegen eines Mannes verlassen zu werden und die Freundin zu verlieren.

Diese Frauen haben laut Poluda-Korte die Neigung, lesbisch-seperatistischen Ideologien folgend, Männer als Bedrohung des persönlichen Glücks zu fürchten sowie "ihre Beziehungen durch Verlagerung des Enttäuschungshasses nach außen zu stabilisieren." (Poluda-Korte,1993,S.98)

Poluda-Korte bezeichnet diese Frauen als "zwanghaft homosexuell[...]"(Poluda-Korte,1993,S.99) Auch für sie benennt Poluda-Korte die Chance, sich durch die Integration ihrer heterosexuellen Anteile, also die Überwindung des "lesbischen Komplexes", endgültig von der Mutter zu trennen und zu einer authentischen erwachsenen Sexualität zu gelangen.

5.2.B) Frühgestörter Typ:

Ebenso wie heterosexuelle gibt es auch lesbische Frauen, bei denen die Störung, die zur Fixierung im "lesbischen Komplex" geführt hat, bereits vor dem Zeitpunkt des anstehenden Objektwechsels eingetreten ist. Auch ihnen schreibt Poluda-Korte, auf die ich mich auch im folgenden beziehe, eine tiefergehende Traumatisierung als neurotisch gestörten Frauen zu. Demnach haben auch frühgestörte lesbische Frauen, einen grundlegenden Mangel an Liebe und Akzeptanz erlebt, der zu narzißtischen Problematiken führte. Diese Frauen suchen in ihren Liebespartnerinnen vor allem selbstbestätigende Verschmelzung, während Sexualität eine eher untergeordnete Rolle spielt.

Ebenso wie narzißtisch gestörte heterosexuelle Frauen sehnen sie sich nach der Erfüllung ihrer alten Sehnsucht nach absoluter Liebe. Sie idealisieren allerdings Frauen statt Männer. Und auch diese Frauen müssen erkennen, dass die Vorstellung von der Erfüllung des bedingungslosen Versorgtwerdens eine Illusion ist. Auch sie müssen den Verlust der Hoffnung betrauern, damit der Zwang, immer wieder unbefriedigende Beziehungen herzustellen, aufgegeben werden kann. Dann kann die Frau, auf Grundlage der Erkenntnis, dass zu einer erwachsenen sexuellen Beziehung die Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen gehört, auch erfüllende Liebesbeziehungen mit Frauen leben.

6) Das Verlassen des "lesbischen Komplexes"

6.1.) Gesellschaftliche Hintergründe der Fixierung im "lesbischen Komplex": "Die besser Dyade"

Eva Poluda-Korte gibt einen Einblick in die gesellschaftlichen Hintergründe, die dazu beitragen, dass Frauen statt als Mädchen einen gesunden Prozeß der Ödipalisierung zu durchlaufen, so oft bis ins Erwachsenenalter hinein an den "lesbischen Komplex" und damit in einer infantilen Rolle fixiert bleiben.

Sie analysiert den Aufbau und die Funktion traditioneller Mann/Frau-Beziehungen, sowie den Nutzen, den eine patriarchale Gesellschaft davon hat.

Laut Eva Poluda-Korte ist "die eheliche Standardsymbiose der Versuch, eine bessere Dyade wiederherzustellen". (Poluda-Korte,1993,S.102) Sie meint damit die Dyade, die in frühester Kindheit zwischen Mutter und Kind besteht. Ihr zufolge sind sowohl Männer als auch Frauen enttäuscht von ihrer Mutter. Frauen fühlen sich aber zusätzlich wegen ihres Geschlechts abgewertet. Als Erwachsene suchen sie in den Männern die Erfüllung ihrer narzißtischen Wünsche. Sie sollen ihr die Mutter, von der sie zurückgewiesen wurden, ersetzen.

Männer hingegen identifizieren sich mit der Agression sowie der Potenz der Mutter und übernehmen in der typischen Ehe-Beziehung die Rolle des herrschenden Ernährers, so wie auch die Mutter für das Kind zunächst immer die ernährende Rolle übernimmt. Eva Poluda-Korte zufolge ist die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau von beiden Seiten ein Versuch, präödipal-narzißtische Bedürfnisse erfüllt zu bekommen. Die Illusion der Dyade, die als Mutter-Kind -Verbindung nicht bestehen konnte, findet nun eine Fortsetzung. Die Frau übernimmt die Rolle des Mädchens, während der Mann den "pseudosouveränen Mutter-Mann" darstellt. Oder aber dem männlichen "Kind" steht eine "selbst-lose[r] Mutter-Frau" (Poluda-Korte,1993,S.102) gegenüber.

Hier kritisiert Eva Poluda-Korte die gesellschaftliche oder kulturelle Behinderung von Separation und Individuation, welche in ihren Augen die gesellschaftliche Unterordnung von Frauen zum Ziel hat. Es scheint also auch ein gesellschaftliches Interesse daran zu geben, die Fähigkeit von Männern und Frauen zu gleichberechtigten Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu behindern. Sie vergleicht dies mit dem Interesse, das eine Mutter hat, die ihre Tochter an sich bindet, sie nicht in die Heterosexualität entlassen kann, wie es Poluda-Korte formuliert, da sie sich durch diese Kontrollmacht über die eigene narzißtische Kränkung hinwegtrösten möchte.

6.2.)Die zentrale Bedeutung des "lesbischen Komplexes" in Frauengruppen

6.2.A) Schwierigkeiten und Bedeutung der nachträglichen Ödipalisierung : Befreiung aus der typischen Frauenrolle.

Der Bearbeitung des "lesbischen Komplexes" mißt Eva Poluda Korte eine ganz besondere Bedeutung in der Arbeit von Frauengruppen oder auch der lesbischen Kultur allgemein bei. Sie betont in ihrem Text wiederholt, dass die Gruppendynamik in reinen Frauengruppen für die Befreiung aus dem "lesbischen Komplex" sehr fördernd sein kann. Sie kann den Frauen einen Weg weisen, um zu authentischen, erwachsenen Liebesbeziehungen zu gelangen.

Teilnehmerinnen einer Frauengruppe müssen sich nämlich zwangsläufig mit den Gefühlen auseinandersetzen, die die Begegnung mit anderen Frauen in ihnen auslöst. Gleichzeitig, so schreibt die Psychoanalytikerin, fallen weibliche Rollenzwänge weg.Es kann es zu einer Reinszenierung des "lesbischen Komplexes" kommen, die es ermöglicht, die Ressentiments, die Frauen untereinander haben, sichtbar und analysierbar zu machen. Wenn dann verdrängte Gefühle der Liebe zu Frauen auftauchen, werden diese zunächst sublimiert, indem das Frauenbündnis homoerotisch besetzt wird. (Poluda-Korte,1993,S.103) Dadurch identifizieren sich die Frauen untereinander auf einer narzißtischen Ebene und finden ihre eigenen psychosexuellen Bedürfnisse in den anderen widergespiegelt. Die verdrängten Gefühle können nun bewußt werden, was laut Poluda-Kortes Beobachtung zu einer liebevollen Solidarität führt. Außerdem wird durch die "homoerotische Rückversicherung" die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhältnis zu Männern erleichtert. Und so beobachtete auch Eva Poluda-Korte in ihrer Gruppe: "Schneller als in anderen Gruppen entstand die Gewißheit, dass das Problem der anderen ebenso das eigene verhandelte."(Poluda-Korte,1993,S.108)

7) Erläuterung der 4 Phasen der Ödipalisierung am Beispiel einer Frauentherapiegruppe:

Eva Poluda-Korte zitiert zunächst ihre Kollegin Marina Gambaroff(1984), die als Chance von Frauengruppen die Möglichkeit sieht, "inhaltsleere Rollen abzuwerfen und das dahinter verborgene Selbst zu leben"(Poluda-Korte,1993,S.103)

Poluda-Korte ergänzt dies mit der Schilderung des Prozesses, innerhalb dessen eine solche Befreiung erreicht werden kann.

Als Beispiel beschreibt sie den Verlauf einer von ihr über sechs Jahre hinweg angeleiteten Frauentherapiegruppe, die mit der erfolgreichen nachträglichen Ödipalisierung der Teilnehmerinnen endete und verdeutlicht dabei die verschiedenen Phasen, die im Verlauf des Ödipalisierungsprozesses jeweils zugleich auf der individuellen als auch auf der Gruppenebene durchlaufen wurden.

Der Prozeß dieser Gruppe wird im folgenden theoretisch wiedergegeben, wobei das Hauptgewicht darauf liegen wird, wie die Autorin die einzelnen Phasen selbst analysiert. Zur Veranschaulichung werden ihre Schilderungen des konkreten Gruppengeschehens ausschnittweise zusammengefaßt wiedergegeben.

1. Phase: Wiederkehr der Kränkung durch die homosexuelle Zurückweisung

im "lesbischen Komplex".

In der ersten Phase dieser Gruppe prägend war der Konflikt zwischen

einer Frau, die zu Beginn der Gruppe schwanger geworden war und der einzig lesbisch lebenden Frau. Dies war für die leitende Analytikerin Anlass dafür, die verdrängten Ängste vor Homosexualität zu thematisieren. Daraufhin wurde ihr von den teilnehmenden Frauen unterstellt, sie wolle alle "lesbisch mache[n]".(Poluda-Korte,1993,S.111) Poluda Korte faßte diesen Vorwurf als Bestätigung der von ihr vermuteten starken verdrängten Wünsche nach Frauenliebe der Teilnehmerinnen auf. Die Verdrängung dieser Wünsche begründet sie mit der "heftigen sozialen Angst [...], damit der gesellschaftlichen Ordnung zu widersprechen."(Poluda-Korte,1993,S.111).

Der Konflikt begann damit, dass die lesbische Frau sich verraten fühlte, als auch noch die letzte der bislang kinderlosen Frauen schwanger wurde. Die Wut über den "Verrat an die Eindringlinge"(Poluda-Korte,1993,S.109) weist auf die Reinszenierung des "lesbischen Komplexes" hin. Und damit war laut Poluda-Korte der erste Schritt dahin getan, dass die Frauen sich über ihre eigenen homosexuellen Gefühlskonflikte sowie ihre "zwangsheterosexuellen Fixierungen"(Poluda-Korte,1993,S.111), bewußt werden konnten. Dies linderte ihre Homophobie und setzte eine Auseinandersetzung mit dem idealisierten Männerbild in Gang.

2.Phase: Homoerotisches Frauenbündnis durch zwischenweiblich

modellierende Bestätigung.

Die zweite Phase des Ödipalisierungsprozesses nennt Poluda-Korte "Männerschelte"(Poluda-Korte,1993,S.104). Damit meint sie, dass die Wut, die durch die Überwindung des Über-Ich-Widerstandes, Spiegelung und Solidarität mit anderen Frauen auftaucht, sich zunächst ganz allgemein auf die "gesellschaftliche Kränkung und Gängelung" (Poluda-Korte,1993,S.103) richtet.Dann werde der Frau jedoch bewußt, dass auch die eigenen Männerbeziehungen bislang eigentlich unbefriedigend waren. Die Aggression richtet sich nun auf die Männer, die das Bedürfnis nach einer "guten Mutter" nicht erfüllt und sogar mit ihr um Lust und Macht rivalisiert haben. Die Wut der Frauen auf die Männer bezeichnet Poluda-Korte als "Enttäuschungswut" oder auch "Enttäuschungshaß"(Poluda-Korte,1993,S.104).

Dadurch tritt eine Entidealisierung des Mannes ein, wobei gleichzeitig die Frauengruppe als Ersatz für die Liebesbeziehung zwischen Mutter und Tochter für eine Weile idealisiert wird. Das Bewußtwerden und Erleben des kollektiven Zorns der Frauen kann Eva Pouda Korte zufolge zu einer treibenden Kraft für die Aneignung eigener selbstbestimmter Lebensentwürfe werden.

Eva Poluda-Korte geht davon aus, dass Frauen sich den Vorstellungen der Männer umso mehr unterordnen, desto mehr sie sich in der Konkurrenz um den Mann unterlegen fühlen. Durch die Realisierung der eigenen Unzufriedenheit und Abhängigkeit von Männern, können Frauen ihre bislang unbewußten narzißtischen Wünsche und Bedürfnisse erkennen und dann auch ihre Illusion vom Mann als Entschädigung für die abweisende Mutter aufgeben.

"Männerschelte" dient also der Desillusionierung und Erkenntnis verdrängter Enttäuschung und Ressentiments gegenüber dem eigenen weiblichen Geschlecht und ist die Einleitung eines Weges der weiblichen Selbsterkenntnis und Befreiung.

Auch in Poluda-Kortes Frauengruppe fanden die Frauen im Anschluß an den Konflikt zu "einem solidarisch akzeptierenden und identifizierenden Umgang miteinander, als habe es nie Lähmung und Angst voreinander gegeben." (Poluda-Korte,1993,S.111) Die Aurorin schreibt, dass in dieser Zeit gerade auch die Enttäuschung an Männern viel Raum eingenommen habe, eine Frau den Impuls gehabt habe, nicht nur ihren damaligen Mann, sondern auch ihre Kinder zu verlassen. Eine andere Frau berichtete von ihrem Wunsch, von ihrem Mann versorgt zu werden, nachdem sie einen Sohn geboren hatte. Dies erklärt Eva Poluda-Korte mit der bislang aufrechterhaltenen Überidentifizierung mit der mütterlichen Versorgungshaltung, deren Unsinnigkeit (ob des Ziels, die Idealisierung des Mannes aufrecht zu erhalten) nun erkannt wurde.

Dazu kam, dass zwei Frauen zu dieser Zeit ihre Väter verloren. Beide konnten erstmals die schwachen Seiten ihrer ebenfalls idealisierten Väter akzeptieren. Diesen Prozeß der Ent-Täuschung nennt die Autorin auch "Ent-Vaterung"(Poluda-Korte,1993,S.112), da gleichzeitig eine Reidealisierung von Mütterlichem stattfand. Poluda-Korte stellt fest, dass die Frauen sich durch die Konfrontation mit ihren alten Gefühlen aus dem "lesbischen Komplex" in einem Zustand zunehmender Regression befanden. Den Tiefpunkt dieser Regression schildert sie anhand einer Gruppensitzung sehr eindrücklich. In dieser Sitzung brachten alle Frauen ihre Beschäftigung (schmerz- oder lustvoll) mit unangenehmeren Mutter-Assoziationen zum Ausdruck(Poluda-Korte,1993,S.112f).

Dadurch wurde die Rolle der Therapeutin als Mutterfigur deutlich, womit eine "progressive Wende"(Poluda-Korte,1993,S.113) eingeleitet wurde. Der "Ent-Vaterung" folgte nun die "Ent-Mutterung", die Emanzipation von Mutterfiguren, also auch von der Leiterin. Diese sah sich immer häufiger Angriffen ausgesetzt, welche sie sich mit der Konkurrenz um weibliche Potenz, die sich die Gruppenteilnehmerinnen noch nicht selbst zugestehen konnten, erklärte.

Thematisch ging es nun statt um die Sehnsucht nach der Frau, mehr um Gefühle des Festgehaltenwerdens. Dies verstärkte sich noch, als eine der Frauen, die erneut schwanger war, sich eine Tochter wünschte, um ihre Sehnsucht nach Frauenliebe auf diesem Wege zu befriedigen. Als sie das Kind jedoch verlor, empfand sie dies als eine Wiederholung der Zurückweisung durch die eigene Mutter. Die Gruppe wiederum reagierte als Gesamtheit mit Aggressionen, die laut Eva Poluda-Korte ebenfalls in den jeweiligen Mutterbeziehungen wurzelten. Die Frauen richteten ihre Wut nun auf die schwangere Frau und verweigerten ihr die "Bereitschaft zu narzißtischer Identifizierung mit ihr als Mutter[...]." (Poluda-Korte,S.115), indem sie alle die Beendigung der Gruppe forderten. Hierin sieht die Autorin den Versuch der Frauen, sich von der zurückweisenden Mutter (dem Gruppenkörper in dem Fall), durch aggressive Identifizierung durch Vergeltung zu lösen, indem sie die Rolle der Verlassenden übernehmen. Außerdem deutet sie dies als Aneignung von weiblicher Potenz, welche eine sexuelle Identifizierung mit dem Geschlecht der Mutter erst möglich macht. Sie verhinderte eine überstürzte Beendigung der Gruppe. Vermutlich auch, weil sie die endgültige Ödipalisierung der Frauen nicht behindern wollte. Der Weg aus diesem Dilemma wurde in besagter Gruppe von einer der Teilnehmerinnen gewiesen, die erkannte, dass die Übertragung der Mutterrolle sowohl auf die Therapeutin als auch die Gruppe verhinderte, dass sie als erwachsene Frauen mit sexuellen Bedürfnissen auftreten und diese auch thematisieren könnten.(Poluda-Korte,1993,S.116)

3.Phase: Emanzipation durch Ödipalisierung.

Die Voraussetzung für die Emanzipation der Frau ist nach Ansicht Eva Poluda-Kortes die Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse, einschließlich der Wut auf die Männer.

Indem sie sich nachträglich weiblich identifiziert und die "depressive Position" erreicht und durcharbeitet, die Versagungen aus ihrer frühen Kindheit und die Wut über die Zurückweisung durch die Mutter integriert, kann sie sich als erwachsene Frau emanzipieren. Das bedeutet, dass sie ihre eigenen psychosexuellen Bedürfnisse spüren und für ihre Erfüllung sorgen kann, ohne sich Männern unterzuordnen.

Am Ende der sechsjährigen Gruppentherapie schildert eine der Teilnehmerinnen, dass sie nun in ihrer Beziehung Geben und Nehmen ausgeglichener erlebe und sich endlich mehr als Frau denn als Mutter für ihren Mann fühle.

Das Ende der 3. Phase ist Poluda-Korte zufolge ein ganz besonders heikler Punkt, an dem viele Frauengruppen, die auf der Grundlage von "Männerschelte" und Idealisierung des Frauenbündnisses zusammenarbeiten, zerbrechen. An diesem Punkt tauchte das Bedürfnis nach "Ver-Söhnung" bzw. Wiederannäherung mit den Männern auf. Die Frauen hatten nun von der Befriedigung und Befreiung gekostet, die sie im Kontakt mit anderen Frauen finden können. Nun registrierten sie zunehmend, dass sie sich trotz aller Abgrenzung gar nicht endgültig für ein Leben ohne Männer entscheiden mussten.

Wichtig scheint mir hierbei in erster Linie die Tatsache zu sein, dass sich die Frauen hier als handelnde Subjekte und im Bewußtsein ihres eigenen Wünschens den Männern zuwendeten. Das ist eine ganz andere Beziehungsgrundlage als wenn sich eine Frau aus ihrer zwangs-heterosexuellen Fixierung heraus den Männern widerspruchslos unterordnet.

4. Phase: Bearbeitung des Elektrakomplexes (= positiver Ödipuskomplex).

Wenn die reife Ödipalisierung erreicht ist, muss die sexuelle Erfüllung neu thematisiert werden. Der positive weibliche Ödipuskomplex, oder auch der Elektrakomplex, wie C.G. Jung als Bezeichnung vorschlug (vgl.C.G.Jung, 1913, Versuch einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie) steht an. Die Thematisierung weiblichen Begehrens ist allerdings gesellschaftlich besonders stark tabuisiert. Eigentlich müsste nun die Sublimation,also die homoerotische Besetzung des Frauenbündnisses beendet werden. Dies hatte schließlich bislang vor der Thematisierung individuellen Begehrens, ob auf Männer oder auf Frauen gerichtet, geschützt.

Eva Poluda-Korte hat beobachtet, dass viele Frauengruppen an der Überwindung dieser Hürde scheitern. Eher verharren sie in der Bearbeitung von Themen des "lesbischen Komplexes", wie berufliche Behauptung und Selbstverwirklichung und lösen sich irgendwann schließlich selbst auf. Hier zieht sie den Vergleich mit der Frauenbewegung heran, welche zwar die alte Hebammenkultur vor dem Vergessen bewahrt habe, ihrer Meinung nach jedoch "keinen vergleichbaren Austausch von sexuellem Wissen zur Aneignung und Vertiefung des Erlebens des Sexual-Aktes geleistet [hat]"(Poluda-Korte,1993,S.105) - und deshalb möglicherweise ebenfalls die Selbstauflösung anstrebe.

Auffällig hierbei war, dass die einzige lesbisch lebende Frau die Gruppe der Autorin an dem Punkt verließ, an dem die anderen Frauen erste Schritte einer Wiederannäherung an die Männer und damit Abgrenzung von der Mutterfigur der Analytikerin bzw. der Gruppe unternahmen. Die lesbische Frau berichtete vom Abbrechen der sexuellen Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin sowie von sexuellen Träumen, in denen sich ihr Begehren auf einen Mann richtete. Poluda Korte vermutet, dass diese Frau die Trennung von ihrer Freundin sowie das Verlassenwerden so sehr fürchtete, dass sie es durch ihr Ausscheiden aus der Gruppe vor dem eigentlichen Gruppenende vorwegnehmen musste.

Nun kommt Poluda-Korte auf den Druck zurück, den sie bereits früher von der Gruppe wahrnahm. Die Frauen schienen sich an die Gruppenleiterin gebunden zu fühlen, ihr die Schuld für ihre Abhängigkeitsgefühle zu geben und danach zu trachten, ihr "notfalls mit Gewalt-[ihre] weibliche Potenz zu rauben, die [sie ] allein zu besitzen schien [...]"(Poluda-Korte,1993,S.114) Diesen Verdacht sieht sie in dem Abschiedsgeschenk der lesbischen Frau bestätigt: ein Kristall, in dem sie ein weibliches Genital symbolisiert sieht. Damit sieht sie nicht nur die Übertragung der Lösung der Tochter von der Mutter geglückt, sondern auch die gelungene sexuelle Identifizierung mit derselben, also auch eine Identifizierung und Übernahme mütterlicher Potenz. Die Rückgabe schien möglich geworden zu sein, da die Frau nun eine echte weibliche Identifizierung erreicht hatte und eine Wiedergutmachung anstrebte. Da es auch für diese Frau zu einer Integration ihrer heterosexuellen Anteile, unter anderem durch die Begegnung mit einer "sexuell-positiven Vater/Männer-Figur" (Poluda-Korte,1993,S.117) gekommen war, wäre wohl auch ihre Ödipalisierung als gelungen zu betrachten und ihre lesbische Lebensweise wohl von der Last der zwanghaften Fixierung an den "lesbischen Komplex" befreit.

Mit diesem Abschied wich der Druck auch von den anderen Frauen, denen nun die Thematisierung ihrer eigenen Genitalität erleichtert worden war. Erneut wurde eine Frau schwanger, wodurch die Auseinandersetzung mit der Genitalität, eben jener Thematik, die auf die Überwindung des "lesbischen Komlexes" hinweist, ebenfalls erleichtert wurde. So berichtet die Autorin, dass die beiden schwangeren Frauen die Geburt wegen der Bedrohung ihres weiblichen Genitals fürchteten. Sie deutet dies als Angst vor Vergeltung durch die Mutter, "deren Geschlecht und Funktion ihr von der Tochter geraubt wird, wenn sie den lesbischen Komplex löst und die Bindung an die Mutter aufgibt."(Poluda-Korte,1993,S.118) In dieser Angst geht es aber auch um den Verlust der geleisteten Hinwendung zum Mann als Liebesobjekt, der zur Zeit des Objektwechsels als Ersatz für die zurückweisende Mutter herhalten musste. Es geht um den Verlust autonomen Begehrens, welches nach erlittener Abweisung sich dem Mann statt der Frau zugewendet hatte.

Zu diesem Zeitpunkt der Ödipalisierung spielt wieder die Qualität der selbst erlebten Elternbeziehungen eine Rolle. Hat eine Frau keine gute Beziehung zur Mutter gehabt, so befürchtet sie, von dieser "kastriert" zu werden. Damit können Schuldgefühle aufgrund des Gefühls, der Mutter etwas geraubt zu haben, abgewehrt werden. Eigentlich hofft die Frau jedoch noch immer, von der Mutter in ihrem Selbstwertgefühl unterstützt zu werden.

Hat ein Mädchen eine ungenügende Vaterbeziehung erlebt, so befürchtet sie eine Verschlechterung ihrer Situation durch den Objektwechsel zu riskieren. Stellvertretend für diese Frauen berichtet die Autorin von einer Teilnehmerin, die zu diesem Zeitpunkt in ihrem Vertrauen in gute Männerbeziehungen erneut verunsichert war. Durch die Analyse einer ihrer Träume verlor sich ihre Befürchtung, als Frau Liebe stets nur geben zu müssen, statt zu erhalten. So konnte aus dem neuentdeckten Bedürfnis nach Frauen-/Mutterliebe eine Lust am Frau-sein werden. Fortan konnte sie ihr eigenes Begehren akzeptieren und so selbst die Verantwortung für ihre Befriedigung übernehmen.

Die Gründe für das Scheitern so vieler anderer Frauengruppen an diesem Punkt stellt Eva Poluda-Korte am Beispiel einer anderen homo- und heterosexuell gemischten Frauengruppe wie folgt dar:

Diese Gruppe arbeitete lange sehr erfolgreich zusammen. Die Frauen fanden untereinander die homoerotische Rückversicherung, die nötig ist, um sich von den Männern zu emanzipieren ("Männerschelte"). Über eigene sexuelle Bedürfnisse war jedoch nie gesprochen worden. Als die Autorin im Rahmen einer Exploration dieser Gruppe Homosexualität thematisierte, stellten sich viele komplizierte emotionale Verwicklungen heraus, mit Hilfe derer die Sublimation der eigenen homosexuellen Wünsche untereinander aufrechterhalten worden war. Die heterosexuellen Frauen gaben nun ihre Ängste preis, dass solcherlei Bedürfnisse eine Gefahr für ihre hart erarbeitete Emanzipation von den Männern darstellen könnten. Nun wurde ihnen ihre Angst bewußt, ohne die genitale Differenz in einer Beziehung in dieselbe Abhängigkeit zu geraten, wie sie es mit ihren Müttern erlebt hatten. Sie befanden sich laut Poluda-Korte also in demselben Konflikt wie zur Zeit ihrer ödipalen Entscheidung:

Entweder sie müssen die andere Frau verraten, (indem sie sich einem Mann zuwenden), oder die Aufhebung der Sublimierung droht ( indem sie das Begehren nach der Frau artikulieren und damit das bislang so bewährte Frauenbündnis gefährden).

In Frauenbündnissen, welche oft genug idealisiert und verklärt wahrgenommen werden, scheint es nach Poluda-Kortes Beobachtungen sehr schwierig zu sein, dazu zu stehen, dass nicht alle Frauen ganz ohne Männer leben können und wollen.

Eva Poluda-Korte hält diesen Konflikt für durchaus lösbar, und dennoch lösen sich viele Frauengruppen an diesem Punkt auf.

Umso beachtlicher ist die Tatsache, dass die Frauengruppe, die zur Veranschaulichung der Ödipalisierungsproblematik hier herangezogen wurde, eben jenen Schritt erfolgreich meisterte. Auch wenn dies erst nach gut sechs Jahren geschah. Nachdem die Frauen sich zuvor nicht nur ein neues Selbstgefühl, sondern auch eine "sexuelle[n] Komplettierung ihres Körperschemas (durch die Integration der Homosexualität)"(Poluda-Korte,1993,S.107) erarbeitet hatten, bearbeiteten sie in der Abschlußphase der Gruppe die geschlechtliche Thematik im engeren Sinne. Sie bearbeiteten die Scham über die Beschaffenheit der weiblichen Organe und ihre große Bedürftigkeit, sexuellen Neid, Eifersucht und das Begehren von Männern. Sie thematisierten ihre eigenen Beziehungen erneut und konnten sich noch klarer über ihre Wünsche und Bedürfnisse werden, sowie zu einem ausgewogenen Verhältnis von Abhängigkeit und Emanzipation gelangen. Da die nun vollständige Ödipalisierung erneut Wut über die Zurückweisung durch die Mutter auslöste, empfand es die Leiterin als "Heimzahlung", dass die Frauen die Auflösung der Gruppe auf eine Art und Weise forcierten, die deutlich machte, dass der Schritt, sich auch von der Analytikerin zu lösen, durchaus auch einer gewaltsamen Lösung von der Mutter, (deren Rolle sie auf der Übertragungsebene wiederholt eingenommen hatte), gleichkam.

Das Ausmaß der Enttäuschung, die kleine Mädchen bei der Zurückweisung durch die Mütter erleiden, wird gegen Ende der Gruppe noch einmal eindrücklich inszeniert. Nachdem eine der Frauen ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht hat, verweigerten ihr die anderen Frauen ihre Unterstützung. Einen Grund dafür sieht Eva Poluda-Korte darin, dass zwei der Frauen an ihre eigene Geschichte erinnert zu werden schienen. Diese wußten, dass auch sie als Ersatz für ein totes Geschwisterchen gezeugt worden waren. Und auch den anderen schien nun ganz besonders schmerzhaft bewußt zu werden, um wieviel willkommener Söhne in unserer Gesellschaft noch immer sind, wie schmerzhaft die Abwertung des weiblichen Geschlechts bereits bei Neugeborenen sichtbar und spürbar ist.

Die Gründe für ihren plötzlichen Stimmungsumschwung gegenüber der Mutter des Knaben wurde den Gruppenteilnehmerinnen erst bewußt, als die Therapeutin einen Zusammenhang zur selbst erlittenen Enttäuschung durch die eigenen Mütter herstellte. Denn dieselbe Frau hatte, als sie mit einem weiblichen Fötus schwanger war, viel Unterstützung in der Gruppe gefunden. Darauf reagierten die Frauen tief

verunsichert. So wagte eine es nicht einmal mehr, sich selbst einen Sohn zu wünschen. Deren Angst, "sich zu dem Wunsch nach einem Sohn zu bekennen", deutete die Autorin als "die Angst, den heterosexuell motivierten Impuls zum Schwester/Muttermord einzugestehen."(Poluda-Korte,1993,S.123). Genau

in diesem Eingeständnis aber sieht die Autorin den Schlüssel zur weiblichen Befreiung von der Über-Mutter, welche die Frauwerdung ihrer Tochter behindert.

Zum Abschied der Gruppe trägt eine der Frauen die jungsche Interpretation des Märchens vom Marienkind bei, welche veranschaulicht, wie das Erleben eines Mangels zur erotischen Fixierung einer Tochter an die idealisierte Mutter führt und es der Tochter einiges an aggressivem Kraftaufwand abverlangt, sich durch die eigene Heterosexualität von der Mutter zu trennen. Die Autorin zieht hier eine Parallele zu der zuerst ausgeschiedenen Frau, die ebenfalls zum Abschied sich selbst "Potenz aneignete", wie sie es nennt und eine Deutung des Gruppenprozesses vornahm, welche bislang als alleinige Kompetenz der Leiterin gewahrt wurde. Dies zeige, dass die Frauen sich nicht nur von der Leiterin, sondern auch von der sie bislang verfolgenden Mutter lösen konnten. Dass sie

sich nicht länger von Schuldgefühlen an aktiver Konkurrenz hindern ließen, was ja durchaus stets auch eine aggressive Komponente beinhaltet. Eine der Frauen berichtete dann auch, dass sie sich durch die Gruppe neue aggressive Handlungsmöglichkeiten aneignen konnte, um ihre Wünsche und Ziele effektiver durchzusetzen. Die Analytikerin sowie die Mutter verloren ihren Mythos, die "Ent-Mutterung" zieht die Identifikation mit dem Geschlecht sowie der Sexualität derselben nach sich. Wenn eine Frau sich nun ihre aggressiven Trennungsimpulse eingestehen kann und ihre damit verbundenen Schuldgefühle verarbeitet, so steht der endgültigen Ödipalisierung der Autorin zufolge nichts mehr im Wege.

In den vorläufigen Schlußfolgerungen Poluda-Kortes wird deutlich, dass es in ihren Augen durchaus einen positiven Aspekt gibt, wenn Frauen ihre Aggressionen ausleben, da sie sich dadurch Potenz aneignen und sich den Teil der Macht nehmen, den sich Frauen noch immer viel zu selten zugestehen.

Sie gesteht allerdings ein, dass sie nicht mit Sicherheit zu sagen vermag, ob die Gruppe zu einem weniger aggressiven Ende gekommen wäre, wenn sie die Vaterübertragungen, die ja während der positiven Ödipalisierung auftauchen, verstärkt analysiert und auf sich gezogen hätte, zumal ja männliche Analytiker auch Mutterübertragungen auf ihre Person deuteten.(Poluda-Korte,1993,S126)

Vermutlich sei es aber eine ganz normale Grenze von Frauengruppen, dass die Lösung des postiven weiblichen Ödipuskomplexes oder nach Jung auch Elektrakomplexes, die auf die Phase der Ödipalisierung folgt, ohne Übertragungen auf eine ödipal idealisierte Vaterfigur nicht möglich ist.

Eva Poluda-Korte fällt auf, dass die Frage der Macht sowie berufliche Karriere auch in dieser Frauengruppe nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Sie spekuliert deshalb über den Zusammenhang zwischen dem Maß, in dem Therapeutinnen zu ihrer Macht sowie ihren männlichen Anteilen stehen oder auch Vaterübertragungen analysieren und der Fähigkeit, die Frauen ebenfalls zur Übernahme von Macht zu ermutigen. Wie relevant dieses Thema gerade für die feministischen Bewegungen ist, macht sie daran fest, dass diese in einer "End- oder Umbruch-Phase" (Poluda-Korte,1993,S.128) sei und sich ebenfalls verstärkt mit dem Verhältnis der Frauen zur Macht beschäftige. Laut Poluda-Korte ist das "eine[r] Thematik, die eine Lösung des Elektrakomplexes anvisiert." (Poluda-Korte,1993,S.128)

Noch einmal zitiert sie Marina Gambaroff, die zum Thema "Frauen und Macht" die These aufgestellt hat, dass Frauen männliche Schuldprojektionen bereitwillig zu übernehmen bereit sind, da sie dadurch ihre"wahre"Schuld verstecken könnten. Dass Frauen sich selbst aktiv Macht aneignen müssten, um auf der Ebene gleichberechtigter Verhandlungen, sowie durch die Aneignung der eigenen Aggressivität in beruflicher Konkurrenz, den Männern standhalten zu können. Zur Lösung des Elektrakomplexes sei sowieso die Aufgabe der Anlehung an den Mann, in dem eine Vaterfigur gesehen wird, erforderlich.(Poluda-Korte,1993,S128f)

Diese These bestätigt Eva Poluda-Korte aufgrund ihrer Beobachtung, dass Frauen in gemischten Gruppen eher in Konkurrenz mit Männern und deren Werten treten, um "Unabhängigkeit und Selbstwert zu behaupten und sich gegen männliche Versorgungsbedürfnisse zu verwehren."(Poluda-Korte,1993,S.129)

Abschließend geht sie noch einmal ganz konkret auf die Bedeutung und Besonderheit von reinen Frauengruppen ein, welche durch die intensive Auseinandersetzung mit der Idealisierung des anderen Geschlechts zu einem neuen Umgang mit dem eigenen Geschlecht in einem sicheren Rahmen, sowie zur Integration der latenten abgewehrten oder frustrierten Homosexualität führen kann. Dies könne letztendlich zur Lösung der "zwischengeschlechtliche[n] Beziehungsstörung" (Poluda-Korte,1993,S.129) führen, welche den Ursprung in der Zwangsheterosexualität hat. Die Idealisierung des anderen Geschlechts geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem sie zum Ziel hat, vor dem Schmerz über die Erkenntnis des nicht als Liebespartnerin Angenommenwerdens durch die Mutter, zu schützen. Erst als Erwachsene können Frauen sich aus diesem Zwang lösen. Wenn die Idealisierung von Männern dann als unnötig erkannt werden kann, kann die Frau sich neu für den Mann oder eben auch die Frau als Liebesobjekt entscheiden. Sie hat Einfluß auf ihr ganz persönliches Glück. Die Bedingung für sexuell erfüllende Beziehungen ist Poluda-Korte zufolge zwar immer die sexuelle Idealisierung eines Geschlechts, allerdings auf der Grundlage eines "geschlechtsidentischen Selbstgefühls"(Poluda-Korte,1993,S.130). Dieses wird durch die zunächst homosexuelle Objektbesetzung erst möglich und setzt eine "relative narzißtische Stabilität, sexuelles Selbstbewußtsein, Liebe zum eigenen Körper und zum eigenen Geschlecht, sowie masturbatorische Kompetenz"(Poluda-Korte,1993,S.130) voraus.

8) Diskussion des Themas

Wenn man sich die Tabuisierung der Homosexualität, die durchaus noch immer nicht verschwunden ist, vor Augen führt, hat Eva Poluda-Korte mit dem

"lesbischen Komplex" einen mutigen Begriff gewählt, um etwas zu benennen, was für alle weiblichen Säuglinge und Kleinkinder gelten soll. C.G.Jung musste noch die griechische Mythologie heranziehen, um wenigstens auf der begrifflichen Ebene deutlich zu machen, dass es sich bei der männlichen und der weiblichen Ödipalisierung durchaus nicht um einander entsprechende Prozesse handelt. Er wählte den Begriff "Elektrakomplex", der von Freud jedoch abgelehnt wurde. Wenn man sich mit Freuds Texten beschäftigt, stellt man bald fest, dass in ihm eine große Neugier auf das Wesen der weiblichen Sexualität gewesen sein muss. Er wurde für seine Bemühungen um ein Verständnis dessen, was er als Mann immer nur aus zweiter Hand erfahren konnte, bis heute oft genug angegriffen. Besonders von feministischer Seite. Einige feministische Analytikerinnen haben jedoch begonnen, der Kritik an Freuds männlichem Blick einen Zugang aus der Perspektive von Frauen entgegenzusetzen. Zu ihnen zählt auch die Psychoanalytikerin Eva S. Poluda-Korte, die sich in ihrem Aufsatz "Der 'lesbische Komplex'- Das homosexuelle Tabu und die Weiblichkeit" mit der Tatsache beschäftigt, dass die erste emotionale Beziehung von so gut wie jedem Mädchen die zu einer Frau ist - eine homosexuelle Beziehung.

In einer Gesellschaft, in der die Heterosexualität noch immer als das einzig Normale gilt, lernen wir von frühester Kindheit an, dass Männer und Frauen unwiderruflich zusammengehören, dass die wahre Liebe nur zum anderen Geschlecht bestehen kann. Da in derselben Gesellschaft aber beinahe ausnahmslos alle Säuglinge zunächst von Frauen bemuttert werden, kann vermutet werden, dass es gerade diese (homosexuelle) Konstellation ist, die das Mädchen in bezug auf die psychosexuelle Entwicklung am nachhaltigsten beeinflußt. Eva Poluda-Korte stellt sehr eindrücklich dar, wie das Tabu der Homosexualität schon da beginnt, wo es zwangsläufig gebrochen wird: In der Beziehung zwischen Mutter und Tochter.

Und sie findet Erklärungen für das, was feministische Frauen auch ohne analytische Schulung in ihrem Leben oft genug wahrnehmen. Dabei geht es um die Frage, was Frauen dazu bringt, eine so große Bereitschaft zeigen, sich Männern unterzuordnen und sich deren Erwartungen anzupassen. Warum Frauen und Männer so oft Beziehungen leben, in denen es eine Rollenaufteilung wie bei Mutter und Sohn oder aber Vater und Tochter zu geben scheint. Und auch lesbische Paare finden sich schließlich oft genug in symbiotischer Verstrickung wieder, die weit von einer Beziehung zweier eigenständiger erwachsener Frauen entfernt ist. Es geht darum, weshalb es noch immer keine eindeutige Definition von weiblicher Erotik zu geben scheint. Und nicht zuletzt geht es um die Frage,

warum so viele Frauen von ihren Geschlechtsgenossinen nichts Gutes zu erwarten scheinen, woher die Ressentiments der Frauen untereinander kommen. Meiner Meinung nach enthält Poluda-Kortes Text einen wichtigen Hinweis darauf, welchen Wert therapeutische Frauengruppen haben, in denen sich Frauen jenseits aller Weiblichkeitsklischees und in einem geschützten Rahmen mit ihren verdrängten Sehnsüchten nach der Liebe einer Frau auseinandersetzen können. Sie beschreibt den Konflikt, den so viele Frauen in sich tragen, die in einer "zwangsheterosexuellen Fixierung" verhaftet sind und jegliche homoerotische Regung verleugnen müssen. Sie stellt klar, dass es auch lesbisch lebende Frauen gibt, die ihre heterosexuellen Neigungen verleugnen müssen und räumt auf mit der Absolutheit, auf die die sexuelle Orientierung eines Menschen so oft festgelegt wird. In den letzten Jahren wird durch die "Queer-Bewegung" auch in Deutschland das Bewußtsein geschärft, dass die Zweigeschlechtlichkeit ein Mythos ist. Möglicherweise tritt damit die Suche nach der Zugehörigkeit zu Hetero-, Homo- oder auch Bisexualität in den Hintergrund. Es gibt viele Ansätze, die die Entstehung der sexuellen Orientierung von Menschen erklären sollen. Warum dies überhaupt wichtig sein soll, bleibt dahingestellt. Poluda-Korte beschreibt sowohl die Dynamik von "gesunden" als auch "gestörten" Entwicklungen der psychosexuellen Identität. Wichtig scheint mir jedoch zu sein, dass sie die Bedeutung der frühen Beziehung einer Frau zu ihrer Tochter dahingehend untersucht, dass sie den Blick auf die Folgen davon lenkt, dass die erste Enttäuschung im Leben einer Frau von einer Fraue verursacht wurde. Sie stellt klar, dass jede Frau die Chance hat, sich aus ihrer Opferrolle zu befreien und zu einer ganz eigenen authentischen und selbstbestimmten Sexualität zu finden. Unabhängig davon, ob sie Frauen oder Männer als Liebesobjekte wählt. Mir erscheint der Gedanke nachvollziehbar, dass heterosexuelle Frauen eine Art "lesbisches Coming-Out" benötigen während lesbische Frauen ihre heterosexuellen Anteile integrieren müssen, bevor sie die Verantwortung für ihre Liebesbeziehungen voll und ganz übernehmen können.

Einen weiteren meiner Meinung nach sehr wichtigen Aspekt hat Poluda-Korte leider erst zum Schluß und nur sehr knapp dargestellt. Sie beschreibt, warum nur wenige Frauen Zugang zu ihrer Wut haben. Wut ist Aggression- und Frauen sollen nun mal nicht aggressiv sein. Das Thema Macht war auch in den feministischen Bewegungen lange ein Tabuthema. Es hat lange gedauert, bis auch Frauen den Mut hatten, zu ihren aggressiven Anteilen zu stehen. Poluda-Kortes Text gibt Aufschluß über die Gründe dieser Scheu der Frauen, sich "männliche Potenz" im Sinne von Forderungen, Zielstrebigkeit und Unbescheidenheit anzueignen. Deshalb lese ich gerade aus den letzten Abschnitten ihres Textes eine Aufforderung an ihre Kolleginnen heraus, Frauen mit ihren analytischen Mitteln Zugang zu dieser "latenten feministischen Wut" (wie sie es nennt), deren Ursprung in der homosexuellen Zurückweisung durch die Mutter liegt, zu verschaffen.

Möglicherweise ist das ein Weg, am hftig umstrittenen Geschlechterverhältnis etwas zu verändern.

9) Literaturverzeichnis

Bücher:

Chodorow, Nancy (1985). Das Erbe der Mütter.Psychoanalyse und Soziologie der Geschlechter. München: Vlg. Frauenoffensive

Laplanche J.& Pontalis J.-B. (1972). Das Vokabular der Psychoanalyse.

Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag

Buchbeiträge:

Freud, Sigmund (1923). Die infantile Genitalorganisation. In: Sexualleben.

Hrsg. T.v.Uexküll&I.Grubrich-Simitis. 6.Aufl.Frankfurt am

Main: S.Fischer Verlag 1972. S.235-241. (Studienausgabe).

- (1924). Der Untergang des Ödipuskomplexes. In:

Sexualleben. Hrsg.T.v.Uexküll&I.Grubrich- Simitis.

6.Aufl.Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag 1972.

S.243-251.(Studienausgabe)

- (1925). Einige psychische Folgen des anatomischen

Geschlechtsunterschieds. In: Sexualleben. Hrsg.

T.v.Uexküll&I.Grubrich-Simitis.6.Aufl.

Frankfurt am Main. S.Fischer Verlag 1972. S. 253-266.

(Studienausgabe).

- (1931). Über die weibliche Sexualität. In: Sexualleben.

Hrsg.T.v.Uexküll&I.Grubrich-Simitis.6.Aufl.

Frankfurt am Main. S.Fischer Verlag 1972. S.273-292.

(Studienausgabe).

Gissrau, Barbara (1989). Wurzelsuche. Psychoanalytische Überlegungen zur lesbischen und heterosexuellen Identitätssuche. Ein Vergleich. In: beiträge zur feministischen theorie und praxis, 25/26, S.133-146.

Poluda-Korte, Eva S. (1993). Der "lesbische Komplex" - Das homosexuelle Tabu und die Weiblichkeit. In: Stumme Liebe - Der "lesbische Komplex" in der Psychoanalyse. Hrsg.in. Eva Maria Alves. Freiburg i.Br. Kore-Verlag. S.73-132.

10413 Worte in "deutsch"  als "hilfreich"  bewertet