Iphigenie auf Tauris

Iphigenie auf Tauris

Das dramatische Werk "Iphigenie auf Tauris" wurde von Johann Wolfgang Goethe verfaßt. Goethe wurde am 28.8.1749 in Frankfurt am Main geboren und starb am 22.3.1832 in Weimar.

Er gilt vielfach nicht nur als der bedeutendste Dichter der deutschen Klassik, sondern auch als der bedeutendste deutsche Dichter überhaupt. Zentrale Themen seiner Werke sind die Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur und das Streben nach Harmonie sowohl im Innern eines Menschen als auch im Wechselspiel zwischen dem Wesen des Menschen und seinem Wirken in der Welt. Mit der Tragödie "Faust" schuf Goethe das zentrale Werk der nationalen Dichtung und ein Menschheitsdrama von zeitloser Gültigkeit und weltliterarischem Rang.

Die Erstfassung von "Iphigenie auf Tauris", wurde am 6. April 1779 im Weimarer Theater uraufgeführt. Er wollte es nicht bei dieser Erstprosafassung belassen und bearbeitete sie in den folgenden Jahren oftmals neu. Die endgültige vierte und letzte Fassung wurde um 1800 veröffentlicht.

Die Handlung in Kürze:

Der Priesterin Iphigenie wird auferlegt, ihren Bruder Orest und ihren Cousin Pylades als Menschenopfer darzubringen. Sie befreit sich und die beiden anderen durch eine Handlungsweise, die statt auf vernunftbestimmter Planung auf Wahrhaftigkeit und Vertrauen beruht.

Die Klassik und ihr grundlegendes Gedankengut

Als Blütezeit der Klassik wird unter den Begriffen deutsche oder auch Weimarer Klassik meist die Zeit von Goethes Reise nach Italien (1786) oder vom Beginn seiner Freundschaft mit Schiller bis zu Schillers Tod (1805) bzw. Goethes Tod (1832) bezeichnet. Auch der Begriff Goethezeit, der die herausragende Bedeutung Goethes für diese Epoche zeigt, ist in der Literaturgeschichte geläufig; er schließt Goethes erste Zeit in Weimar (ab 1775) mit ein.

Inhaltlich bedeutet der Begriff Klassik zweierlei:

die Zeitspanne, die allgemein als künstlerisch hervorragendste einer Nation gesehen werden kann, am Ideal der antiken Literatur (z.B.>>Antigone<< von Sophokles) orientierte, "vollkommene" Literatur.

Beides trifft auf die Weimarer Klassik zu. Sie ist eine überaus erfolgreiche Phase innerhalb der deutschen Literaturgeschichte und nimmt sich das antike Ideal zum Vorbild.

Das Drama>>Iphigenie auf Tauris<< wird weder der Zeit der Aufklärung noch der Epoche des Sturm und Drang, sondern eindeutig der Epoche der Klassik zugeordnet, die ihre Vorstellungen vom idealen Menschen aus dem Ideengut dieser beiden literarischen Bewegungen entwickelte.

Vorgeschichte:

Die Familiengeschichte der Tantaliden besteht aus einer Folge von blutigen Gewalttaten, die durch einen Fluch hervorgerufen werden.

Zu Beginn des Trojanischen Krieges wird Iphigenies und Orests Vater, König Agamemnon, mit seiner Flotte auf der Fahrt nach Troja durch widrige Winde aufgehalten. Der Seher Kalchas deutet dies als Zorn der Göttin Diana, den Agamemnon durch die Tötung einer ihr heiligen Hirschkuh verursacht hat und verlangt zur Besänftigung Dianas die Opferung Iphigenies. Die Göttin aber rettet das zum Opfer vorbereitete Mädchen, damit es ihr als Priesterin dient, und bringt Iphigenie nach Tauris. Dort herrschte bis zu deren Ankunft die Sitte, alle Fremdlinge der Göttin zu opfern. Doch Iphigenie bringt König Thoas dazu, auf die Ausübung dieses Brauchs zu verzichten.

Agamemnon wird nach seiner Rückkehr aus Troja von seiner Frau und deren Liebhaber getötet: Iphigenies Bruder Orest rächt den Vater, indem er wiederum seine Mutter und deren Liebhaber tötet. Seitdem befindet er sich in einer wahnhaften Verwirrung seines Geistes: Er glaubt sich dem Fluch der Götter hilflos ausgeliefert und wird erbarmungslos von den Schicksalsgöttinen (Furien oder Erinnyen) verfolgt.

So befragt er das Orakel in Delphi um Rat. Der Orakelspruch lautet:

"Bringst du die Schwester, die an Tauris's Ufer

Im Heiligtume wider Willen bleibt,

Nach Griechenland: so löset sich der Fluch."

Orest und Pylades verstehen den Orakelspruch als Auftrag und reisen nach Tauris um das Bildnis der Göttin Diana zu entwenden und so den Fluch zu lösen.

Inhaltsangabe:

Die Griechin Iphigenie lebt - gegen ihren Willen, aber von den Taurern geachtet - auf Tauris als Priesterin der Göttin Diana. Als sie sich weigert, Thoas, den König der Taurer, zu heiraten, will dieser, erbittert über ihre Weigerung, sie zur Darbringung von Menschenopfern zwingen.

Für Iphigenie ist es undenkbar, das Menschenopfer zu vollziehen. So ist sie sofort bereit, einem der beiden zum Opfer bestimmten Gefangenen zu helfen, ohne zu wissen, dass es ihr Cousin Pylades ist. Nach einiger Zeit gibt sich Iphigenie als Schwester und Cousine zu erkennen. Nachdem der vom Wahnsinn verfolgte Orest seine geistige Klarheit wiedergewonnen hat, wollen beide gemeinsam mit Iphigenie nach Pylades'Plan vorgehen: das Bildnis Dianas rauben und dann fliehen. Iphigenie beginnt zu zweifeln: Sie will König Thoas nicht hintergehen, will aber auch, dass die Gefangenen und sie selbst aus der schlimmen Lage befreit werden. Kurze Zeit darauf, schöpft Thoas Verdacht, und Iphigenie verrät daraufhin den Fluchtplan. Zuletzt siegt Iphigenies Offenheit über die Kampfbereitschaft der Männer. Thoas lässt die Griechen in Freundschaft zeihen.

Interpretation:

Zunächst sollen drei gegensätzlich wirkende Aspekte, die bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren haben, genauer betrachtet werden:

Männlichkeit und Weiblichkeit, die zwei Seiten des Menschseins; Iphigenie sieht sie in ihrem ersten Auftritt als Lebensaspekte, die einander ausschließen.

Weiblichkeit bietet zunächst ein Bild der Schwäche, weil sie machtlos scheint. Sie ist gekennzeichnet durch: bewundernde Orientierung am männlichen Vorbild, hilflose Abhängigkeit vom Willen eines Mannes, kindliche Unterordnung unter eine Vaterfigur.

Am Ende des Dramas erweist sie sich als menschliche Stärke, die allgemein als vorbildlich gelten muss, weil sie Gewalt verhindert durch: unerschütterliche Orientierung am eigenen empfinden, mutige Eigenständigkeit im Handeln, die Erkenntnis, dass Frauen wie Männer gleichermaßen wahrhaft menschlich handeln und leben können.

Zunächst erscheint Männlichkeit als Stärke, weil sie die Macht verkörpert und die Sicherheit fester Regeln bietet: Thoas und Pylades fordern die Unterwerfung anderer unter Ihren Willen und die Unterordnung aller Handlungsschritte unter ihr eigenes Ziel. Arkas und Orest unterstellen ihr Leben völlig der vorgefundenen Macht.

Am Ende des Dramas erweist sich Männlichkeit als Schwäche, da die Durchsetzung ihrer Prinzipien das menschliche Leben gefährdet: Das männliche Handlungsprinzip steht in direkter Spannung zum als überlegen gezeigten weiblichen Prinzip der Wahrhaftigkeit. Nur die als weiblich dargestellte Wahrung des Selbst gegenüber fremden Ansprüchen und Vorstellungen ermöglicht wahre Menschlichkeit, nicht die von Männern geforderte Unterordnung des Selbst.

Freiheit und Zwang, Gegensätze, die nicht nur die äußere Lebenssituation Iphigenies von Anfang an kennzeichnen, sondern - in Bezug auf das Verhältnis der Menschen zum Göttlichen, insbesondere durch den Fluch verkörpert - eine entscheidende Polarisierung innerhalb des Dramas bilden. Das von Zwang freie Handeln Iphigenies, das den Fluch löst, beweist, dass nicht die Unterwerfung unter den Willen der Götter, sondern nur die Freiheit eigenverantwortlicher Entscheidung zur Menschlichkeit führt. Politik und Wahrheit, nach Goethe zwei einander ausschließende Aspekte, die durch Iphigenie (Wahrheit) und Pylades (Politik) verkörpert werden.

Pylades und auch Thoas verkörpern das, was bis heute unter politischem Handeln verstanden wird, während Iphigenie, aber auch Orest, die Seite der Wahrheit vertreten. Dabei steht Thoas für die Politik traditioneller Monarchien, die den gesellschaftlichen Strukturen zur Zeit Goethes entspricht, und Pylades für Politik, wie sie seit der Athener Demokratie in demokratischen Staaten erfolgreich ist.

Goethes "Iphigenie auf Tauris" gilt bis heute vielfach als ein Höhepunkt des deutschen klassischen Dramas, der den Humanitätsgedanken in höchster Vollendung entfaltet. Meist wird auf den künstlerischen Wert und die ewige Gültigkeit des Dramas hingewiesen und sein Wert als unverzichtbares Bildungsgut aufs höchste gelobt.

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