Der grüne Heinrich

AUTOR

Gottfried Keller (1819-1890)

Schweizer Lyriker und Maler, geboren und gestorben in Zürich

Keller wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Nachdem er mit 15 von der Schule verwiesen wurde, bildete er sich als Autodidakt weiter.

Er machte eine zweijährige Ausbildung zum Maler in München und kehrte danach nach Zürich zurück wo er sich dem Schreiben zuwandte.

Keller gilt als Meister der Novelle und als bedeutendster deutschsprachiger Erzähler des 19. Jahrhunderts

Bekannte Werke:

Der grüne Heinrich

Die Leute von Seldwyla

INHALT

An einem sonnigen Septembermorgen pflügen zwei Schweizer Bauern, Manz und Marti, abseits des Städtchens Seldwyl, ruhevoll und in behaglichem Gleichmaß ihre Äcker. Gegen Mittag, als die ein gutes Stück ihrer Arbeit getan haben, bringen ihnen die Kinder eine Mahlzeit, der siebenjährige Sali Manz und Vrenchen, die fünfjährige Tochter Martis. Während dann die Kinder auf dem steinigen, von Unkraut überwucherten Zwischenfeld spielen, unterhalten sich die Väter abfällig über die Bewohner Seldwyls und über einen seltsamen Menschen, der in der Gegend nur "der schwarze Geiger" heißt. Diesem soll das Mittelstück zwischen den Äckern der beiden benachbarten Bauern gehören, er hat aber nie einen Nachweis darüber führen können. Beim weiteren Pflügen schneiden dann beide Bauern von dem brach in der Mitte liegendem Land eine kräftige Furche zu ihrem Vorteil ab. Mit jedem neuen Pflügen wird das Mittelstück nun kleiner. Da beide Männer den Ackerstreifen für sich beanspruchen, kommt es zu einem langwierigen Streit, in dessen Verlauf beide um Haus und Hof prozessieren. Obwohl der Bauer Manz den kläglichen Rest des brachliegenden Ackers ersteigern kann, muss er den Besitz als erster aufgeben.

Abgewirtschaftet zieht er mit seiner Familie nach Seldwyl, belächelt und verspottet, und ruiniert sich als Wirt einer schäbigen Kneipe vollends. Aber auch Vrenchens Vater verarmt, und je ärmer die beiden Familien werden, desto größer wird der Haß der ehemaligen Nachbarn aufeinander. Als sich die Männer nach Jahren beim Fischen begegnen, kommt es zu einer erbitterten Auseinandersetzung auf dem Steg des Flusses. Nur mühsam können die Kinder ihre Väter trennen.

In diesem Elend keimt die Liebe zwischen Sali und Vrenchen auf. Gleich am darauffolgenden Tag sucht Sali das Mädchen auf. Er ist entsetzt über die verkommene Häuslichkeit, empfindet aber eine nur um so stärkere Zuneigung. Gemeinsam in ihr Glück des Beisammenseins versunken, wandern sie auf den steinigen Acker hinaus. Plötzlich steht jener schwarze Geiger vor ihnen, den die Väter um seinen Besitz betrogen haben. Den jungen Leuten trägt er die Schuld nicht nach, bietet ihnen im Gegenteil seine Freundschaft und musikalischen Dienste an. Während darauf die Kinder ihren Erinnerungen und träumen nachhängen, werden sie von Vrenchens Vater überrascht, der seine Tochter grob züchtigt. Um das geliebte Mädchen zu schützen, schlägt Sali in seiner Not mit einem schweren Stein zu. Marti scheint tot, regt sich nach einiger Zeit wieder, und Sali holt unauffällig Hilfe herbei.

Doch Marti bleibt tagelang ohne Bewußtsein. Als er körperlich wieder zu Kräften gelangt ist, stellt sich heraus, dass er durch den Schlag seinen Verstand verloren hat. An die Vorgänge auf dem Acker kann er sich nicht mehr erinnern. Noch im Bette liegend, verhält er sich wie ein Geisteskranker, lacht albern und erzählt wirres Zeug. Die wahre Ursache von Martins Verblödung wird geheimgehalten. Vrenchen versorgt ihn aufopferungsvoll, nach wochenlangem Krankenlager jedoch muss er in eine Heilanstalt gebracht werden.

Nun soll auch Vrenchen den Heimathof, der wie alles andere im Prozeß verlorengeht, verlassen und in der Fremde eine Arbeit suchen. Sali fühlt sich am Schicksal des Mädchens schuldig und nimmt sich besonders aufmerksam und innig des Mädchens an. Sie beschließen, an dem Tage, als Vrenchen ausziehen muss, gemeinsam zur Kirmes zu gehen. Sali verkauft seine Uhr und ersteht für das geliebte Mädchen die so heiß begehrten Tanzschuhe. Überdies hat er ein gutes Taschengeld für den Festtag. Vrenchen träumt sich nun ganz in die Rolle einer glücklichen Braut und kann so den Schmerz um den Verlust ihres Hauses und den Niedergang der Familie erträglich halten. Im nächsten Dorf kehrt das Paar in einem Gasthof ein und wird von der Wirtin reichlich beköstigt und sehr zuvorkommend behandelt. Anschließend suchen Sali und Vrenchen die Kirmes auf. Dort machen sie sich kleine Geschenke. Ganz beieinander, nehmen sie das Getuschel der Bekannten aus dem Heimatdörfern gar nicht wahr.

Bald wandern sie erwartungsfroh zu einer entlegenen Gastwirtschaft, in der die armen Leite und die Heimatlosen sich gewöhnlich vergnügen. Zu mitreißender Musik tanzen sie, untrennbar, und entdecken im ausgelassenen Treiben den schwarzen Geiger, der sie wie alte Bekannte begrüßt und bewegt in die Gesellschaft der Heimatlosen aufnimmt. Je wilder und ausgelassener das Fest wird, desto drängender wird in beiden die Sehnsucht, einander ganz zu gehören. In einer gespielt feierlichen Handlung traut sie der schwarze Geiger nach der Art der Heimatlosen. Spät verlässt die buntgewürfelte Gesellschaft die Gastwirtschaft. Der schwarze Geiger führt den lauten und wilden Zug, dem auch Sali und Vrenchen angehören, über Berg und Tal in die Nacht hinein. Schon bald hinter dem Dorfe setzten sich die beiden Liebenden ab. Unbemerkt gehen sie zum Fluß hinunter. Auf einem ungebundenen Schiff, mit Heu hoch beladen, finden sie für die Nacht ihr Brautbett. Sali löst das Schiff, das mit ihnen im Glanz des Mondes durch dunkle Wälder und vorbei an stillen Dörfern geleitet.

Im ersten Morgenlicht lassen sich die Liebenden eng umschlungen in das eiskalte Wasser hinab und werden später unterhalb der Stadt tot geborgen.

Die Zeitungen berichten über das Ereignis und sprechen von der sinkenden Moral der Jugendlichen, im übrigen nur ein Zeichen der allgemeinen "Ensittlichung und Verwilderung der Leidenschaft".

Vergleiche und Unterschiede zu Shakespeares

Der Titel der Novelle Gottfried Kellers "Romeo und Julia auf dem Dorfe" verweist auf William Shakespeares Drama "Romeo und Julia" und deutet zugleich die Umgestaltung an, die Keller vorgenommen hat.

Mit dem Drama Shakespeares hat die Novelle Kellers nur das Motiv nicht aber den Stoff gemeinsam.

Beide Werke behandeln ein Urmotiv, dass im normalen Leben und Beziehungen immer wieder vorkommen kann.

An die Stelle der beiden Veroneser Adelsgeschlechter in Shakespeares Drama treten in Kellers Novelle zwei Schweizer Bauernfamilien; Keller verlegt die Handlung aus dem Mittelalter in die Gegenwart.

Aus der schicksalhaften und schuldhaften Feindseligkeit der Väter erwäschst die Tragik des Geschehens sowohl bei Shakespeare als auch bei Keller. Deshalb widmen beide Dichter etwa ein Drittel ihrer Dichtungen dem Streit der beiden Familien.

Sowohl Romeo als auch Sali werden unter dem Zwang der Verhältnisse schuldig: Romeo tötet Tybalt, Sali bringt Vrenchens Vater durch einen Steinschlag um den Verstand.

Sowohl Romeo und Julia als auch Sali und Vrenchen sind sich der Tragik ihres Liebesbundes bewußt und fürchten sein baldiges Ende.

Romeo und Julia gehen an einem Irrtum zugrunde: Romeo hält die scheintote Julia für tot und nimmt sich na ihrer Seite das Leben; als die Erwachende ihn tot neben sich findet, ersticht sie sich.

Sali und Vrenchen hingegen gehen in der Erkenntnis der Auswegslosigkeit ihrer Lage aus eigenem Entschluß freiwillig und gemeinsam in den Tod. Der Höhepunkt ihres Lebens, ihre Hochzeitsnacht, ist auch zugleich das Ende.

Charaktere

Die Bauern Manz und Marti werden zu Beginn der Geschichte als "lange knochige Männer von ungefähr vierzig Jahren" beschrieben, die den sicheren, gutsituierten Bauern verkörpern. Es wird auch erwähnt, dass sie von der Entfernung einander in Aussehen und Bewegung vollkommen gleichen. Beide haben keine besonders gute Meinung von den Seldwylern.

Als Manz den Acker erwirbt ist es vorbei mit der guten Freundschaft und den gemeinsamen Frühstücken. Beide entwickeln ihre Sturheit und Habgier voll aus. Sie stritten, bis sie beide verarmten, dennoch gab keiner nach im Gegenteil, sie haßten sich noch mehr, da jeder den anderen an seinem Unglück die Schuld gab.

Die Frau vom Bauern Manz wird zuerst als zärtlicher Bäuerin charakterisiert, paßt sich später aber der neuen Lebenssituation an und entfaltet sich und bildet alle weiblichen Laster voll aus. Ihre Naschhaftigkeit wurde zur Freßsucht und ihre Zungenfertigkeit zu einen grundfalschen und verlogenen Schmeichel- und Verleumdungswesen.

Die Frau des Marti war von guter Art und konnte die Streiterei und den Verfall des Bauernhofes nicht ertragen. Sie härmte sich ab und starb ehe ihre Tochter 14 Jahre alt war.

Sali und Vrenchen waren beide gesunde und muntere Kinder die gerne miteinander spielten. Das Mädchen wird schon im zartem Alter von 5 Jahren als sehr hübsch beschrieben. Sali wächst zu einem hübschen und kräftigen Burschen heran und bekommt von seiner Mutter alles was er sich wünscht. Trotzdem war Sali seines Lebens nicht froh, da er nicht viel Zukunft hatte. Sein Vater hatte kein Geld mehr und Sali hat auch nicht rechtes gelernt.

Vrenchen leidet sehr unter dem Streit. Da ihre Mutter gestorben ist geht es ihr weniger gut als Sali und sie leidet unter der Tyrannei ihres Vaters. Sie war ein schlankes, ziervolles Mädchen. Feurige Lebenslust und Fröhlichkeit zeichneten ihr Wesen. Sie kleidete sich gerne sauber, dies war ihr jedoch nur begrenzt möglich, da ihr ihr Vater kein Geld gab.

Dem "schwarzen Geiger" gehört eigentlich der umstrittene Acker. Vrenchen und Sali begegnen ihm das erste Mal als sie am Acker spazieren gehen. Das zweite Mal treffen sie ihn bei der Tanzveranstaltung. Er rät ihnen zu heiraten um mit den restlichen Heimatlosen mit in die Berge zu kommen. Er freut sich über ihren sozialen Abstieg und sieht ihr Unglück als verspätete Rache seines eigenen Schicksals und erlittenen Unrechts.

Interpretation und Hintergrund

Kellers Anlass diese Novelle zu schreiben war eine Zeitungsnotiz im September 1847 der folgend lautete:

"Im Dorf Altsellerhausen bei Leipzig liebten sich ein Jüngling von neunzehn Jahren und ein Mädchen von siebzehn Jahren, beide Kinder armer Leute, die aber in einer tödlichen Feindschaft lebten und nicht in eine Vereinigung des Paares willigen wollten. Am 15 August begaben sich die Verliebten in eine Wirtschaft, wo sich arme Leute vergnügen, tanzten daselbst bis nachts ein Uhr und entfernten sich hierauf. Am Morgen fand man die Leichen beider Liebenden auf dem Felde liegen: sie hatten sich durch den Kopf geschossen."

Keller kritisiert die gesellschaftlichen Prinzipien der Ordnung. Diese Gesellschaft verhindert das Sali und Vrenchen die Erfüllung ihres Glücks finden. Diese Gesellschaft drückt er auch durch den schwarzen Geiger aus, der ihnen ihren Abstieg vergönnt und sie auch noch weiter mitreißen will.

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