Expressionismus

1. Einleitung

Seit dem Jahrhundertende wurde Europa mehr und mehr von einer düsteren Krisenstimmung erfaßt. Die Lebensauffassung des Naturalismus und seine Wandlung erwies sich als völlig unbefriedigend.

Alle bereits vor 1910 aufgetretenen Bestrebungen, die Krise zu überwinden und zu neuen Lösungen zu kommen, sammelten sich schließlich in einer revolutions - und explosionsartig auftretenden Bewegung, die von ihren Vertretern den Namen Expressionismus erhielt.

Abgesehen von einigen Vorläufern in der Malerei und einigen expressiven Stellen in einzelnen dichterischen Werken, tritt der Expressionismus in der Literatur und in der bildenden Kunst etwa gleichzeitig auf.

Expressionistische Maler schließen sich in Dresden 1909 zur Vereinigung "Die Brücke" zusammen. 1912 sammelt sich in München die expressive Gruppe "Der blaue Reiter" unter der Führung von Wassily Kandinsky und Franz Marc.

Im Vordergrund stand es auch bei den Malern, nicht die Natur wiederzugeben, sondern seelische Empfindungen und subjektive Ideen mit Hilfe von Symbolen darzustellen.

Die große Weltangst vor der drohenden Katastrophe bewirkte das leiden-schaftliche Rufen nach einer religiösen Erneuerung des Menschen. Der Künstler habe die Aufgabe, seine in seinem Inneren erahnte und geschaute Idealwelt in Bildern auszudrücken und die Mitmenschen für diese zu begeistern.

An die Stelle von Objektivität, Sachlichkeit, Analyse und Zergliederung habe die Ekstase, mystische Erregtheit, innere Schau und Visionen zu treten. Nicht auf den von Außen erzeugten Eindruck, sondern auf den aus dem Inneren strömenden Ausdruck kommt es nun an. Daher bezeichnet man die neue Dichtung Expressionismus (Ausdruckskunst) in Gegensatz zum früheren Impressionismus (Eindruckskunst). Damit fand aber auch die seit 1830 angestrebte und immer breiter ausgebaute Soseinsdichtung ihr Ende. An ihre Stelle trat wieder eine idealistische - subjektive Sollseinsdichtung, wie sie vor 1830 geherrscht hatte.

Die neue Dichtung will den Menschen im All und in seiner Totalität darstellen. Alles Individuelle, Einzelne, Zufällige wird abgestreift, um zum Wesentlichen vorzudringen. Oft tragen die Personen keinen Namen, sondern werden bloß als "Mann", "Frau", "Sohn", usw. bezeichnet. Der Mensch schlechthin wird aufge-sucht, nicht der Mensch im Bannkreise von Herkunft, Milieu, Zeit, Ort, Stand und Beruf. Die Charaktere werden oft übersteigert oder grotesk verzerrt. So kommt es zu einer immer weiter führenden Abstraktion vom Gegenständlichen. Das Dargestellte erweckt den unwirklichen Eindruck eines Traumes oder einer Vision.

Die Durchführung dieser Forderung ergab die Notwendigkeit einer "neuen" Sprache, die imstande war, die inneren Vision unmittelbar auszudrücken. So entstand als allgemeines Kennzeichen der Ausdruckskunst der SCHREI - und TELEGRAMMSTIL, die Verknappung der Sprache zu einem wilden, ekstatischen Gestammel. Es kam zu einer Verkürzung der Sätze, indem man die Artikel und Vorwörter wegließ, und die normale Wortstellung "verrenkt" wurde.

Um die Sprache dynamisch zu machen, wurde der impressionistische Nominalstil (Substantiva) durch den Verbalstil verdrängt.

Aus dem Expressionismus entwickelte sich als Spätform der DADAISMUS (etwa 1915 - 1925). Das Wort ist abgeleitet von einem Stammellaut der Kindersprache (dada). Neben Gedichten mit erkennbarem Sinn finden sich reine Lautgedichte ohne inhaltlichen Zusammenhang.

zB Lyrik:

Georg Heym: D e r H u n g e r

Er fuhr in einen Hund, dem groß er sperrt

Das rote Maul. Die blaue Zunge wirft

Sich lang hinaus. Er wälzt sich im Staub. Er schlürft

Verwelktes Gras, das er dem Sand entzerrt

Sein leerer Schlund ist wie ein großes Tor

Drin Feuer sickert, langsam, tropfenweis,

Das ihm in Bauch verbrennt. Dann wäscht mit Eis

Ihm eine Hand das heiße Speiserohr

Er wankt durch Dampf. Die Sonne ist ein Fleck,

Ein rotes Ofentor. Ein grüner Halbmond führt

Vor seinen Augen Tänze. Er ist weg

Ein schwarzes Loch gähnt, draus die Kälte stiert.

Er fällt hinab, und fühlt noch, wie der Schreck

Mit Eisenfäusten seine Gurgel schnürt

2. Geschichtliche Zusammenhänge

Um die Inhalte und Ideen diese Zeit besser zu verstehen ist es notwendig auch die geschichtlichen Zusammenhänge und Ereignisse zu erläutern. Denn ja mehr der Leser über die Zeit in der diese Bilder und Dichtungen entstanden sind weiß, desto besser kann er diese Werke deuten und sich in seinem Inneren realisieren.

Datum

Ereignis

1911

* Zweite Marokkokrise

Deutsche Flottenentsendung, Kanonenboot "Panther"

1912

* Erster Balkankrieg

Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro gegen

die Türkei à Befreiung der Balkanhalbinseln von den Türken

1913

* Zweiter Balkankrieg

Serbien, Griechenland, Rumänien und Türkei gegen

Bulgarien à Aufteilung Makedoniens

1914

* Erzherzog Franz Ferdinand wird ermordet (Sarajewo)

* Beginn des I. Weltkriegs

1915

* Kriegserklärung Italiens an Österreich

* Kriegserklärung der Entente an die Türkei

1916

* Kaiser Franz Josef stirbt

1917

22. Jänner

6./7.November

* Kriegseintritt der USA

* Februarrevolution, Petrogard

* Oktoberrevolution

1918

3. März

November

9. November

* Friede von Brest-Litowks

* Friedensvertrag für nichtig erklärt

* Revolution in Deutschland und Österreich

* Ausrufung der Republik in München und Berlin

* "Österreichdeutschland"

1919

14. Februar

* Friedensvertrag von Versailles

* Friedensvertrag von St. Germain

* Bildung des Völkerbundes

1920

* Österreichisches Bundesverfassungsgesetz

* Michael Hainisch wird Bundespräsident

1921

* Hungersnot in Rußland

à 4 - 5 Millionen Tote

1922

* Stalin wird Generalsekretär

* Hitler wird Vorsitzender der NSDAP

* Gandhi beginnt seinen Kampf

1923

* Hitlerputsch in Deutschland

1924

Tod Lenins

Hitler in Festungshaft in Landsberg

à schreibt "Mein Kampf"

3. Literatur: Lyrik

Die expressionistische Lyrik übernimmt Elemente aus fast allen literarischen Strömungen der Vergangenheit. Sie spielt alle Möglichkeiten der Form durch, von strengen Strophenbau über ungegliederte Gebilde bis hin zu ausrufen und Gestammel.

Zu Beginn war das lyrische Gedicht das vorherrschende Ausdrucksmittel des Expressionismus. Nach dem ersten Kriegsjahr setzte eine Ernüchterung ein. Viele Expressionisten starben jung oder fielen im Krieg. Sie zersplitterten in viele kleine Gruppen. Die meisten Dichter identifizierten sich nun mit den Begriffen Pazifismus, Nationalismus, Faschismus, Sozialismus oder Kommunismus. Das Drama gewann eine immer höhere Bedeutung.

Einige bedeutende Lyriker:

I. Georg Heym:

Georg Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg (Niederschlesien) geboren. Er war der Sohn eines Justizbeamten und fühlte sich in der Schule und in seinem Elternhaus nicht verstanden. Er begann sehr früh damit sich über Selbstmord Gedanken zu machen, von denen ein 1904 begonnenes Tagebuch zeugt. 1907 erhielt er sein Abitur und begann in Würzburg ein Jurastudium. 1908 ging Georg Heym nach Berlin und machte 1911 sein Examen als Kammergerichtsreferendar.

Georg Heym schrieb am 20. November 1911 in sein Tagebuch :

"Meine Phantasie, meine Seele, sie haben Angst und rennen wie verzweifelt in ihrem Käfig. Ich kann sie nicht mehr fangen."

Acht Wochen nach diesem Eintrag in sein Tagebuch ertrank Georg Heym beim Schlittschuhlaufen auf der Havel.

Werke:

"Der ewige Tag"

"Umbra Vitae"

"Der Hunger" (vorherige)

sowie zahlreiche Gedichte

II. Ernst Stadler:

Ernst Stadler wurde am 11. August 1883 in Colmar (Elsaß) geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik in Straßburg und Oxford. 1910 wurde er Brüssel Professor und fiel 30. Oktober 1914 bei Zypern.

In seiner ersten Entwicklungsstufe war Ernst Stadler ein Naturalist, verschrieb sich aber später mit Leib und Seele dem Symbolismus. 1910 machte er abermals eine starke Wandlung durch und wechselte zum Expressionismus.

Werke:

"Präludien"

"Der Aufbruch"

4. Literatur: Das Drama

Neben der Lyrik spielte zur Zeit des Expressionismus auch das Drama eine bedeutende Rolle. Häufig sind im expressionistischen Drama die Szenen nur lose verknüpft und die Figuren typisiert, zB der Vater, der Sohn, die Tochter, das Weib. Die Dramen zeigen häufig die Wandlung von Menschen und zeigen oft den "neuen Menschen " der sich für andere opfert.

Zitat über das Drama:

"Den eigentlichen Dramentyp des Expressionismus stellt das Protagonisten-drama dar. Auf allegorisch-symbolische Demonstration der Verwirklichung ethischer Werte ausgerichtet, führt es am Menschen, begriffen als Mitte der Welt, Erlösung als Wandlung vor."

Einige bedeutende Dramatiker:

I. Georg Kaiser:

Am 25. November 1878 wurde Georg Kaiser als Sohn eines Kaufmanns in Magdeburg geboren. Er arbeitete nach einer kaufmännischen Lehre von 1898 bis 1901 als Kontorist in Buenos Aires. Er kehrte aber wegen einer Malariaerkrankung nach Deutschland zurück. 1908 begann Georg Kaiser mit seiner literarischen Arbeit. 1915 wurde zum erstenmal eines seiner Stücke, Der Fall des Schülers Vehgesack, aufgeführt. Seit der Uraufführung seiner 1914 publizierten "Bürger von Calais" war Georg Kaiser einer meistgespielten deutschen Dramatiker. Von 1921-33 war er neben Gerhart Hauptmann der bekannteste Bühnenautor. 1920 wurde er wegen Unterschlagung zu sechs Monaten Haft verurteilt. 1933 bekam er Schreib- und Aufführungsverbot und emigrierte 1938 in die Schweiz. Er starb am 4. Juni 1945 in Ascona.

Werke:

"Die jüdische Witwe"

"Von morgens bis Mitternachts"

"Die Bürger von Calais"

II. Oskar Kokoschka:

Oskar Kokoschka wurde am 1. März 1886 in Pöchlarn geboren. Ausgebildet in Wien war unter anderem in Berlin, Dresden, Prag und Salzburg tätig. Seine Anfangswerke wurden stark von der Ausdruckskunst E. Munchs und dem Jugendstil Gustav Klimts beeinflußt. Die Hauptmerkmale seines der gegenständlichen Welt verhafteten Stils waren eindringlich psychologische Aussagekraft der Menschendarstellung, Monumentalwirkung der Landschafts- und Stadtansichten und sensible Strichführung - er war auch Maler. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Kokoschkas Kunst als "entartet" abgestempelt.

Werke:

Der brennende Dornbusch

Mörder, Hoffnung der Frauen

Spur im Treibsand

5. Literatur: Epik

Die Leistungen des Expressionismus auf dem Gebiet der Epik stehen in keinem Verhältnis zu ihrer geringen epochalen Wirkungsbreite. Bei der expressionist-ischen Erzählprosa kann man zwischen zwei verschiedenen Grundhaltungen unterscheiden. Die Eine stützt sich auf Anschaulichkeit, Gebärde und auf den Verzicht auf Einmischung des Erzählers, wobei die Andere von Vorstellung und Gedanken getragen wird. Beide Arten lehnen es aber ab Psychologie und Kausalität zur Erklärung von Mensch und Welt zu benutzen. Die meisten Werke haben die Tendenz kurze aber prägnante Aussagen machen.

Einige bedeutende Epiker:

I. Kasimir Edschmid:

Kasimir Edschmid wurde am 5. Oktober 1890 in Darmstadt geboren. Sein bürgerlicher Name war Eduard Schid. Er studierte Literaturwissenschaften in München, Genf und Paris. 1913 wurde er Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung. Kasimir Edschmid wandte sich Mitte der zwanziger der Romanbiographie und dem Reisebericht zu. Nach 1933 lebte er als freier Schriftsteller in Italien. 1945 ging er nach Darmstadt und äußerte sich mehrfach zur Theorie des literarischen Expressionismus. Am 31. August 1966 starb er in Vulpera in der Schweiz.

Werke:

"Die sechs Mündungen"

"Das rasende Leben Timur"

6. Malerei

Die Maler des Expressionismus versuchten damals ihre Gefühle in ihren Bildern zum Ausdruck zu bringen. Sie bedienten sich dabei vor allem der Ausdruckskraft der Farben, um ihre seelischen Empfindungen und inneren Bilder der bürgerlichen Welt näherzubringen. Ebenso wählten sie, anders als impressionistische Maler (wie z. B. Monet, Manet, Renoir), in deren Bildern sich eine Auflösung der festen Konturen abzeichnete, klare Formen und Linien.

Als Vorläufer in der Malerei des Expressionismus sind Paul Gauguin ("Nevermore") und Vincent van Gogh (Selbstbildnisse, "Nachtcafé in Arles") zu nennen. Zahlreiche Maler, wie zum Beispiel Franz Marc, Alfred Kubin, Oskar Kokoschka, Edward Munch und Pablo Picasso griffen diesen Kunststil in ihren Werken auf.

Gogh:

Vincent van (1853 - 1890), niederländischer Maler, einer der ursprünglichsten und bedeutendsten modernen Maler, zunächst in einer Kunsthandlung tätig, dann Laienprediger unter Grubenarbeitern; nach Mißerfolgen dort beschloß er Maler zu werden, fand seinen Stil in seinen letzten Lebensjahren in der Provence; malte auch in der Zeit geistiger Umnachtung

Picasso:

Pablo (1881-1973), spanischer Maler, Grafiker, Bildhauer, Keramiker lebte in Frankreich, er wurde von allen großen Kunstrichtungen beeinflußt, er hat diese abgewandelt und selbst neu interpretiert seine erste unabhängige Phase war die "blaue Phase" er malte in Nachtblauen Farben Angst und Armut diese Phase war von 1900-1904 ihr folgt die rosa Periode 1905/6. 1907 beginnt er Kubismus zu malen bekannte Bilder:

Die schöne Holländerin

Die Frau in Weiß

Guernica

Marc:

Franz (1880-1916), war ein deutscher Maler und Graphiker. Er war einer der Begründer des "blauen Reiters" (vorherige)

Rote Pferde

Die drei Pferde

Der Tiger

7. Musik

In der Musik löste die Zwölftonmusik Arnold Schönbergs, auch atonale Musik genannt, die traditionelle Harmonie in der Musik ab. Der Zwölftonmusik fehlt alles melodisch Einschmeichelnde. Deshalb stieß diese neue Art der Musik auf große Widerstände beim Publikum, welche allerdings in der heutigen Zeit nicht mehr zu finden sind. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Musik-richtung zählen Arnold Schönberg und Alban Berg.

Schönberg Arnold (1874-1951)

Österreichischer Komponist. Er ist einer der radikalsten Erneuerer der Musik und beeinflußte die neue Kompositionstechnik sehr stark,.

Oper: Moses und Aron

Kantate: Ein Ãœberlebender aus Warschau

Berg Alban (1885-1935)

Österreichischer Komponist. Auch er ist ein wichtiger Vertreter der Zwölftonmusik. Durch seine häufigen Krankheiten konnte er allerdings nur 20 seiner 70 Stücke fertigstellen

Oper: Lulu (allerdings wurde sie nie vollendet)

1992 Worte in "deutsch"  als "hilfreich"  bewertet