Tristia

Jedesmal wenn in mir das sehr traurige Bild jener Nacht aufsteigt, in der ich die Abschiedsstunde in der Stadt hatte, jedesmal, wenn ich mir die Nacht ins Gedächtnis rufe, in der ich so viel geliebtes zurückließ, fließen mir auch jetzt Tränen aus meinen Augen. Schon war beinahe der Tag da an dem mir der Kaiser befohlen hatte das Gebiet des äußersten Ausoniens zu verlassen. Ich hatte weder Zeit gehabt noch war meine geistige Verfassung genügend geeignet zur Vorbereitung der Abreise. Das Herz war mir durch die lange Zeit erstarrt. Ich kümmert mich nicht um die Sklaven, um die Auswahl der Begleiter und um die für einen Flüchtigen geeigneten Kleidung oder Mittel. Ich war nicht anders betäubt, als einer der durch die Blitze Jupiters getroffen lebt und selbst nicht weiß, dass er lebt. Sobald jedoch der Schmerz selbst diese Betäubung entfernte und schließlich meine Empfindungen stark wurden, sprach ich vor meiner Abreise zum letzten Mal meine traurigen Freunde an, die von den eben noch vielen nur noch wenige waren. Die liebende Gattin umarmte selbst heftiger weinend den Weinenden und der Tränenstrom floß unaufhörlich über die unschuldigen Wangen. Die Tochter war getrennt von uns in der Ferne an den Küsten Afrikas, und sie konnte über mein Schicksal nicht all zu gut bescheid wissen. Wohin man auch immer schauen würde ertönen Trauer und Jammer und im Hause bot sich das Bild eines mit lautem Klagen begleitetes Begräbnisses. Die Sklaven und Sklavinnen und deren Kinder sind traurig wie über mein Begräbnis und im Haus hat jeder Winkel Tränen......

Nachwirken:

Diese Elegie ist eines der berühmtesten Exilgedichte der Weltliteratur. Sie wurde immer wieder nachempfunden und gab Anlass zu anderen Exil- und Abschiedsgedichten. Goethe zitierte sie und übersetzte die Verse 1-4;27-31 im 3.Teil seiner "Italienischen Reise" bei seinem endgültigen Abschied von Rom (1788). Ovid als Urbild des verbannten (od. emigrierten ) Dichters und der Exilpoesie hat sehr stark weitergewirkt: Goethe, Grillparzer (Tristia ex Ponte), Baudelaire, Verlaine, Giraudoux, Brecht. Direkten Bezug nimmt das Gedicht von Jan Korprowski, aus dem Polnischen von Oskar Jan Tauschinski übertragen.

Aufbau

Vers 1-4: Vorwort: Erinnerung; Ankündigung des Themas

Vers 5-26: Klage; Abschied von Freunden -Tag (iam prope lux aderat)

Vers 27-46: Gebet: Ovid betet - Nacht (iamque luna regebat equos)

Gattin betet zu den Hausgötter

Vers 47-70: psychische Krise - Nacht (nox......)

Vers 51-60: Gedicht im Gedicht

Vers 71-90: Abschied und Trennung - Morgen (lucifer....)

Vers 91-100: Reaktion der Gattin - Tag

Vers 101-102: Nachwort Wunsch

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