Antimaterie

Die Antimaterie ist nichts geheimnisvolles. Genauer gesagt, sie war einmal etwas geheimnisvolles, allerdings nur für 4 oder 5 Jahren. Nachdem Einstein seine Relativitätstheorie aufgestellt und die Quantenphysiker die Quantenmechanik aufgestellt hatten, gab es Versuche, diese beide Theorien, die eine im Bereich des Makrokosmos gut bewährt und das andere im Bereich des Mikrokosmos, zu vereinigen. Der erste Erfolg gelang Paul Dirac.

Dirac ist ein englischer Physiker und ein unglaublich brillanter Mathematiker. Dirac vollendete 1928 eine Theorie, die die Quantenphysik und die spezielle Relativitätstheorie zusammenbindet und die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt (trotz viele Entdeckungen, die erst danach kamen). Dirac bemerkte in seine neue Theorie, dass es Lösungen gibt, die auf dem ersten Blick physikalisch nicht sinnvoll erscheinen.
Um diese Sachverhalt zu verdeutlichen, lassen wir mal mit einer ganz einfachen Aufgabe einen Vergleich machen: "Eine quadratische Geländer hat eine Fläche von vie Quadratkilometern, wie groß ist die Seitenlänge?" - "Zwei Kilometer", sagt der Schüler.
Naja, der peinlich genauer Mathematiker würde sagen plusminus zwei Kilomter. Aber offensichtlich gibt es für die minus zwei Kilometer keinen physikalischen Sinn, also nimmt man die plus zwei Kilomter als Lösung.

So ähnlich war nun auch Dirac ergangen. Nun war Dirac ein jener Menschen, die der Mathematik sehr vertrauen. Wenn die Mathematik schon so eine Lösung liefert, dann muss sie in der Natur auch einen Sinn haben, sagte er sich. Und so sah er, dass man diese Lösung als eine Art Anti-Materie betrachten kann.
Diese Anti-Materie haben mit der Materie fast alles gemeinsam, die Masse, die Energie, das Verhalten, die Ladungsmenge, nur nicht die Ladungsvorzeichen. Ein Stück Anti-Materie, die etwa ein Elektron entspricht, würde als nicht etwa eine Minuselementarladung besitzen, sondern eine Pluselementarladung.
Nun hat bis 1928 noch keiner ein Antimaterie gesehen, so sahen viele Physiker auch diese Spekulation von Dirac sehr skeptisch gegenüber. Schließlich sind die Physiker ja keine Mathematiker und für sie existieren genau das, was auch tatsächlich in der Natur nachgewiesen werden kann.

So verging 4 Jahre und am 2.August 1932 machte ein Amerikaner namens Carl Anderson auf dem Sternwärter von Mount Wilson eine Entdeckung, die besagt, dass Diracs Spekulation richtig ist. Was hat dieser Anderson gemacht? Dieser Anderson hat die Höhenstrahlung untersucht. Damals gab es noch keine Teilchenbeschleuniger, und die Physiker wussten auch noch nicht, wie man so richtig hochenergetische Teilchen erzeugen kann. Aber damals wusste man schon von Höhenstrahlung, die wurde nämlich noch früher durch Höhenballons mit entsprechenden Geräten an Board entdeckt. Nun sagten die Physiker, na gut, wenn wir noch keine Teilchenbeschleuniger zu bauen wissen, können wir doch die Natur bedienen. Also nimmt man die Teilchen zur Untersuchung, die von der Höhenstrahlung kommen.
Da man nie so richtig weiß, wann denn ein Teilchen ankommt, und das Warten darauf zu langweilig ist, überlässt der faule Mensch das Warten einem Photoapparat. Bei Anderson wurde ein Nebelkammer benutzt, der von Bleiplatten durchtrennt sind, und daneben ein Kamara. Parallel zum Kamara ist noch ein magnetisches Feld geschaltet. Wenn ein elektrisch geladenes Teilchen durch dieses magnetisches Feld fliegt, dann macht seine Bahn eine Kremung. Diese Kremung hängt von zwei Grossen ab: die Masse des Teilchens (genauer gesagt, das Verhältnis Masse zu Ladung, da allerdings die Höhenstrahlung nur Teilchen mit einer Elementarladung aufweisen, gibt diese indirekt den Hinweis auf Masse hin) und die Geschwindigkeit des Teilchens.
Die Richtung, nach welcher Seite die Spur gekrümmt ist, hängt von dem Vorzeichen der Ladung ab (aber das musst Du eigentlich schon in der Schule gehabt haben, von wegen Rechthand-Regel und so).

An jenem besagten August-Tag nun registrierte das Kamera von Anderson eine Spur, die außerordentlich seltsam ist. Von der Richtung der Kremung sah man, dass es eine positive Ladung war. Da man damals außer Elektronen nur Protonen kennt, würde man daraus schließen, dass das ein Proton gewesen sein musste. Allerdings durchdringt die Spur eine Bleiplatte. Das muss bedeuten, dass das Teilchen eine sehr hohe Geschwindigkeit gehabt haben musste. Wenn das ein Proton wäre und wenn seine Geschwindigkeit so groß wäre, würde er aber ein viel größeres Krümmungsradius haben als die auf der Platte. Folglich: das Teilchen, das diese Spur verursacht hatte, hat eine viel kleinere Masse.

Das ist doch was äußerst merkwürdiges, dachte sich Anderson und beschließ, die Sache genauer zu untersuchen, so konnte er aus der Spur vor und nach der Bleiplatte die Geschwindigkeit des Teilchens bestimmen und somit die Masse, und siehe da, die Masse ist genau so groß wie die des Elektrons. Somit hat Anderson ein positives Elektron, also ein Positron, entdeckt. Das war das erste Anti-Materie-Teilchen, dass je in der menschliche Geschichte dokumentiert wird.

Heute kennt man schon so viele Positronen, dass Photoplatte der Hoehenstrahlung mit einem Positron-Spur glatt weggeworfen wäre, weil sie

voellig uninteressant ist.

Nun, wie entstehen die Positronen in der Hoehenstrahlung (und damit

verbunden auch die Frage, wie macht man sowas), schliesslich besteht ja

unsere Welt aus Materie. Die Hoehenstrahlung besteht aus Teilchen mit sehr

hoher Geschwindigkeit (zum Beispiel Elektronen oder Protonen, die mit fast

Lichtgeschwindigkeit bewegen) oder sehr hochenergetische Photonen (also

Gamma-Strahlung). Wenn diese Teilchen auf einem irdisches Teilchen in der

Atmosphaere trifft, dann zerschmettert diese das irdische Teilchen

buchstaeblich. Daraus wird zuerst einmal eine riesen Truemmel, die mit

ebenfalls immer noch sehr hohe Geschwindigkeit bewegen. Dabei koennen die

Teilchen-Antiteilchen-Paare entstehen, ein hochenergetisches Photon kann

also zum Beispiel in einem Positron und einem Elektron zerfallen. Das ist

das Umkehrereignis, wie wenn ein Positron einen Elektron trifft, dann gibt

es ein Lichtblitz. So stellen heutzutage die Physiker auch in den

Teilchenbeschleunigern Antimaterie her: Man beschleunigt zum Beispiel

Elektronen oder Protonen so stark, dass sie fast mit Lichtgeschwindigkeit

fliegen und zerschmettern sie auf Atomkerne, dabei koennen unter anderem

auch Antimaterie entstehen.

An sich genommen ist dies inzwischen schon eine Routine bei den

Hochenergie-Physiker. Wenn zum Beispiel die Ringe bei DESY oder bei CERN

laufen, werden taeglich milliarden von Positronen erzeugt.

Diese erzeugte Teilchen fliegen aber ebenfalls mit sehr hoher

Geschwindigkeit. Diese zu fangen und abzubremsen, das ist nun eine wahre

Kunst, die ebenfalls eine lange und wundervolle Entwicklungsgeschichte

hinter sich hat und einige Nobelpreise hervorgebracht hatte. Vor etwa 5

Jahre war man so weit, dass man Anti-Protonen so weit abkuehlen konnte,

dass man sie in einem thermoflaschefoermigen Behaelter in einem Pkw von

der Ostkueste des amerikanischen Kontinents bis zur Westkueste

transportieren konnte (ich moechte gern wissen, welche Gefahrengut-

Transport-Tafel das Fahrzeug getragen hatte :-).

Anti-Protonen oder Positronen sind deswegen "leicht" zu behandeln, weil

sie elektrisch geladen sind. Elektrisch geladene Teilchen kann man immer

mit elektrische oder magnetische Kraefte ablenken, waehrend bei neutrale

Teilchen das schon viel schwieriger ist, zumal bei den Anti-Teilchen man

sie nicht antasten kann, weil wie vorhin schon beschrieben, sie sonst in

einem Lichtblitz zerstrahlen. Das ist auch der Grund, warum die Anti-

Protonen transportiert werden konnten und die Anti-Wasserstoff-Atome

binnen kurzesten Zeit wieder weg waren.

Um diese schon recht lange (und doch immer noch nicht ausfuehrlich genuge)

Mail zu beschliessen, haenge ich noch drei Literatur-Empfehlungen fuer das

weiterlesen (alle drei aus dem Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft"):

Einschluss neutraler Teilchen mit Laserstrahlen (*)

von Steven Chu

1992 / 4 S.68 - 75

Elektrisch neutrale Partikel wie Atome oder Makromolekuele lassen sich

mittels Laserlicht nahezu vollstaendig zur Ruhe bringen und gezielt

beeinflussen. Damit eroeffnen sich neue Anwendungen in Physik und Bio-

chemie. So kann man etwa Gase bis fast auf den absoluten Nullpunkt

kuehlen, praezisere Atomuhren entwickeln oder einzelne DNA-Molekuele

strecken.

Kuehlung und Speicherung von Antiprotonen

von Gerald Gabrielse

1993 / 2 S.44 - 51

Mit einem neuen Verfahren lassen sich die in Beschleunigern erzeugten

hochenergetischen Antiteilchen der Protonen abbremsen und einsperren.

Die Untersuchung dieser Partikel niedrigster Energie liefert die bis-

her genauesten Vergleiche der Eigenschaften von Materie und Antimate-

rie.

Paul Dirac und das Schoene in der Physik

von R. Corby Hovis & Helga Kragh

1993 / 7 S.84 - 90

Sein Leben widmete er der Suche nach mathematischer Eleganz in den

Naturgesetzen. Geradezu besessen von dieser Vorstellung gelangen ihm

bahnbrechende Erkenntnisse in der Quantentheorie -- wie etwa die Vor-

aussage der Antimaterie.

Ferner das wunderschoene Einfuehrungsbuch in die Quantenmechanik vom

Spektrum-Verlag: Das Quantenuniversum.

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