Frustrations-Aggressions-Hypothese

Vorbemerkung der Fachschaft Psychologie:

Wir werden wie auch bei den Hausarbeiten mit diesem Angebot nicht das Ziel verfolgen, die didaktischen Anforderungen in der Prüfungsvorbereitung zu "verwässern", indem wir hier einen Katalog "gebrauchter" Spezialgebiete anbieten, die unbesehen für die eigenene Prüfung übernommen werden könnten. Auch mit diesem Angebot sollen nur (erfolgreiche) Beispielfälle zur Illustration der Anforderungen in einem Fach und zur thematischen Anregung gegeben werden.

Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

Spezialgebiet zur Vordiplomsprüfung "Allgemeine Psychologie II"

von Sandra Pillen

1. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

2. Die Katharsis-Hypothese als eine zentrale Nebenannahme der Frustrations-Aggressions- Hypothese

2.1 Die Katharsis-Hypothese der Yale-Gruppe

2.2 Motivkonzeption der Aggression nach KORNADT

2.3 Experiment zu den Auswirkungen von indirekten Vergeltungsmöglichkeiten eines zuvor

frustrierten "Opfers" auf dessen Aggressionsmotivation (ZUMKLEY, 1984)

3. Experiment zu den Konsequenzen von absichtlich bzw. unbeabsichtigt herbeigeführter Frustration in einer sozialen Situation (BURNSTEIN & WORCHEL, 1969)

4. Ausblick

Literatur:

BURNSTEIN, E. & WORCHEL, P. (1962). Arbitrariness of frustration and its consequences for aggression in a social situation. Journal of Personality, 30 (pp. 528 - 540)

DORSCH, F. (1987) Psychologisches Wörterbuch. 11., erg. Auflage. Bern/Stuttgart/Toronto: Huber

HECKHAUSEN, H. (1989). Motivation und Handeln. Berlin: Springer (pp. 319f; 337 - 342)

MUMMENDEY, A. (1992). Aggressives Verhalten. In: W. Stroebe et al. (eds.). Sozialpsychologie. Eine Ein-führung. Berlin/Heidelberg/New York: Springer

WERBIK, H. (1981). Aggression. In: H. Werbik & H. J. Kaiser (eds.). Kritische Stichwörter zu Sozialpsycho-logie. München: Fink (pp. 14 - 30)

ZUMKLEY, H. (1984). Individual differences and aggression interactions. In A. Mummendey (eds.), Socialpsy-chology of aggression. New York: Springer (pp 33-49)

1. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

Die Frustrations-Aggressions-Hypothese unterstellt eine Kausalbeziehung zwischen Fru-stration und Aggression, wobei Frustration als Störung bzw. Unterbrechung einer zielge-richteten Handlung und Aggression als Verhaltenssequenz, die direkt oder indirekt die Verletzung eines Organismus beabsichtigt, definiert wird.

Die beiden Grundannahmen der ursprünglichen Frustrations-Aggressions-Hypothese der sog, Yale-Gruppe (DOLLARD, DOOB, MILLER, MOWRER & SEARS, 1939) lauten:

Frustration führt immer zu einer Form von Aggression. Aggression ist immer eine Folge von Frustration

Der Kritik, es gebe alternative Reaktionsmöglichkeiten auf Frustration (z.B. Weinen oder Apathie) sowie alternative Ursachen von Aggression (instrumentelle Aggression) begegneten MILLER und SEARS (1941) damit, dass Sie wie folgt formulierten: Frustration schafft Anreize zu verschiedenen Arten von Verhaltensweisen; innerhalb einer individuellen Hierarchie stellt einer dieser Anreize stets einen Anreiz zu einer Form von Aggression dar. (Beispiel: Ich werde auf der Straße angepöbelt; Reaktionsmöglichkeiten: zurückpöbeln, weitergehen, flüchten, zuschlagen, kopfschüttelnd weggehen, um Hilfe rufen,...)

2. Die Katharsis-Hypothese als eine zentrale Nebenannahme der Frustrations-

Aggressions-Hypothese

Katharsis im aristotelischen Sinne bedeutet Reinigung, geistig - seelische Läuterung.

2.1 Die Katharsis-Hypothese der Yale-Gruppe

Die Ausführung der Aggression reduziert den von der Frustration erzeugten Aggressionsanreiz; das Bestreben, die gestörte Handlung fortzusetzen, bleibt bestehen. Daneben ist jede Hemmung einer Aggression eine Frustration und führt zu einer weiteren Zunahme der Aggressionsbereitschaft.

2.2 Motivkonzeption der Aggression nach KORNADT

Die motivtheoretische Auffassung von Zielhandlungen besagt, dass die Motivation, ein Handlungsziel zu erreichen, nur so lange besteht, wie dieses (noch) nicht erreicht ist.

Aufgrund dieser Ansicht entwickelte Kornadt eine Motivkonzeption der Aggression. Hiernach wird die Motivation, aggressiv zu handeln, ausgelöst, wenn man "wirklich ärgerlich" ist. Der Ärger kann dabei entweder eine ererbte, eine gelernte oder eine konditionierte Reaktion sein. Ausgelöst werden kann er durch die "Verletzung eigener Belange" oder durch eine Handlungsblockierung, die eine Frustration bewirkt. Ob es letztlich zu einer aggressiven Handlung kommt, ist von den daraus resultierenden Affektveränderungen und deren Gewichtung abhängig. Es muss abgewogen werden zwischen den positiven Affekt -

Veränderungen und den negativen Affektveränderungen, wie z.B. Schuldgefühle. Positive Affektveränderung wird erreicht durch den Abbau des Ärgers, also durch Erreichen des aggressiven Ziels. Nach der aggressiven Handlung wird die daraus entstandene Situation neu bewertet; bei positiver Bewertung sinkt die Aggressionsmotivation.

2.3 Experiment zu den Auswirkungen von indirekten Vergeltungsmöglichkeiten eines zuvor frustrierten "Opfers" auf dessen Aggressionsmotivation (ZUMKLEY, 1984)

Vier Gruppen von je 17 männlichen Vpn wurden mittels Freiburger Persönlichkeitsinventar bzgl. ihrer Aggressivität parallelisiert und von einem Gehilfen des Versuchsleiters frustriert. Vl bot ihnen (je nach Gruppe) folgende Vergeltungsmöglichkeiten:

vollständige Vergeltung/Zielerreichung partielle Vergeltung keine Vergeltung Kontrollgruppe (ohne Frustration und Vergeltung)

Bei allen Gruppen kam der Frustrator später in den Raum zurück, so dass es eine weitere Möglichkeit zur direkten Konfrontation gab.

Gemessen wurden die folgenden Motivationsindikatoren zu mehreren Zeitpunkten:

Pulsrate (Aktivationsindikator) Form - Interpretationstest (projektiver Test) Aggressions - TAT von Kornadt (1982) (projektiver Test) "Ärger - Barometer" (Fragebogen - Einschätzung)

Des weiteren hat man spontane Verbalaggression aufgezeichnet.

Zumkley kam zu dem Ergebnis, dass nach erfolgter Frustration die Pulsraten gestiegen und der Ärgergrad höher waren als bei der Kontrollgruppe. Nach der 1. Vergeltungsmöglichkeit sanken Pulsrate und Ärgergrad in allen 3 Katharsisbedingungen entsprechend dem Grad der Zielerreichung. Die Aggressionsmotivation stieg im Vergleich zur Basisrate oder zur Kontrollgruppe bei Zielerreichung nicht an; bei Teilzielerreichung und ohne Vergeltungsmöglichkeit war der Anstieg jedoch signifikant. Bei nochmaliger Konfrontation mit dem Frustrator wurde bei Zielerreichung keinerlei Verbalaggression geäußert (der Vorfall wurde nicht einmal erwähnt) bei Teilzielerreichung gemäßigte und ohne Vergeltungsmöglichkeit starke Verbalaggression.

Die beabsichtigte Verletzung der eigenen Interessen durch einen anderen löst (entsprechend der Ausgangshypothese) Ärgergefühle aus, welche durch aggressive Handlungen gegen den Täter reduziert werden können. Entsprechend dem Grad der Zielerreichung findet Katharsis statt (obwohl bei Zielerreichung von Katharsis im aristotelischen Sinne nicht mehr gesprochen werden kann): Die Aggressionsmotivation sinkt und weitere Aggression gegen den Täter wird reduziert. Vollständige Zielerreichung befriedigt das Opfer optimal, zu geringe/keine Zielerreichung führt dazu, dass aggressive Handlungen später wieder aufgenommen werden.

Damit widerlegt ZUMKLEY den triebtheoretischen Ansatz von Aggression: LORENZ nimmt ein sich spontan aufladendes Potential aggressiver Triebenergie an, die, wenn sie aufgrund von Schlüsselreizen nach außen abgeführt wird, die Tendenz, sich weiter aggressiv zu verhalten, reduziert. Geschieht das nicht, kommt es zum Aggressionsstau, der sich spontan entlädt (Dampfkesselprinzip). Zur Kontrolle von Aggression schlägt Lorenz vor, für eine kontrollierte Abfuhr aggressiver Energie in sozial akzeptierten Formen - z.B. einer sportlichen Betätigung - zu sorgen. Da diese jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Ärgererzeuger steht und somit auch kein Ärger abgebaut wurde, bleibt die Tendenz, ihm gegenüber aggressive Handlungen aufzunehmen, bestehen.

ZUMKLEY betont ferner die recht großen individuellen Unterschiede: Aggressive Menschen reagieren auf die gleiche Situation unterschiedlich, sie reagieren mit größerem Ärger als weniger aggressive Menschen und sind schwieriger zufriedengestellt.

3. Experiment zu den Konsequenzen von absichtlich bzw. unbeabsichtigt herbeigeführ- ter Frustration in einer sozialen Situation (BURNSTEIN & WORCHEL, 1969)

Bezog sich das vorhergehende Experiment lediglich auf beabsichtigte Frustration, so beleuchtete das Experiment von BURNSTEIN & WORCHEL zuvor schon, welchen Auswirkungen absichtlich herbeigeführte Frustrationen im Gegensatz zu unbeabsichtigten haben.

BURNSTEIN & WORCHEL stellten folgende Hypothesen auf:

Bei unbeabsichtigt herbeigeführter Frustration ist die Unterdrückung von Aggression größer als bei absichtlich erzeugter Frustration.

Wird bei unbeabsichtigt herbeigeführter Frustration die Stärke der Hemmung abgebaut, so führt das zu einem Zuwachs von direkter und einer Minderung von indirekter (verdrängter) Aggression.

Diese Hypothesen überprüften sie derart, dass sie 100 männl. Psychologiestudenten per Zufall in Gruppen von 3-5 Personen aufteilten und ihnen die Aufgabe stellten, über ein best. Problem zu diskutieren und sich nach 15 Minuten über die beste Lösung des Problems zu einigen. Ein Gruppenmitglied war - unerkannt von den Vpn - ein vom Versuchsleiter (Vl) instruierter Gehilfe (Vg), der die Variation der experimentellen Bedingungen zu realisieren hatte:

Absichtlich erzeugte Frustration Unbeabsichtigt herbeigeführte Frustration

3. Keine Frustration (Kontrollbedingung)

Anschließend wurde vom Vl auf eine zweite, ähnliche Diskussion hingewiesen, wobei jede Vp sich darüber äußern konnte, mit wem sie gerne wieder in einer Gruppe wäre bzw. welches Gruppenmitglied sie gerne von einer anderen Person ersetzt sähe. Dies geschah in verschiedenerlei Form (abhängige Variablen):

Öffentliche Zurückweisung Nichtöffentliche, bestrafende Zurückweisung Nichtöffentliche, nicht bestrafende Zurückweisung

Die Ergebnisse, dass bei absichtlich erzeugter Frustration wesentlich mehr Aggression gezeigt wird als bei unbeabsichtigt erzeugter Frustration, bestätigen die 1. Hypothese. Wenn anstatt öffentlich geheim abgestimmt wird, wird Hemmung abgebaut, so dass es unter beiden Bedin-gungen mit Frustration zu einem Zuwachs von Aggression kommt. Allerdings bestätigen die Ergebnisse nur teilweise die 2. Hypothese, da dort ja ein Zuwachs von direkter und eine Minderung von indirekt wirkender (verdrängter) Aggression vorausgesagt wird. Ein Frage-bogen, mit dem die Einstellung und Gefühle der Vpn gegenüber Vg erfaßt werden sollten, konnte das nicht klären, da dessen Ergebnisse bezüglich der experimentellen Bedingungen absichtlich bzw. unbeabsichtigt herbeigeführter Frustration nicht signifikant waren.

Bei der Kontrollbedingung "keine Frustration" stimmte unter allen drei Bedingungen keiner für die Zurückweisung von Vg.

Die Ergebnisse lassen sich wie folgt deuten:

Frustration erhöht deutlich die Aggressionshäufigkeit, wenn das Verhalten des Frustrators als absichtlich interpretiert wird, er also dafür als voll verantwortlich angesehen wird.

Die Häufigkeit von Aggression nach Frustration ist größer, wenn die handelnde (fru-strierte) Person annimmt, dass die von der Aggression betroffene Person (der originäre Frustrator) nicht weiß, ob die frustrierte Person aggressiv handelt oder nicht.

Eine solche Interpretation sprengt jedoch den terminologischen Rahmen der zu den behaviouristischen Theorien zählenden Frustrations-Aggressions-Theorie: beispielsweise beinhaltet sie nicht Begriffe wie Absichtsunterstellung oder Zuschreibung von Verantwortung; außerdem entziehen sich Frustration und Ärger der direkten Beobachtung.

4. Ausblick

Die beiden Experimente haben gezeigt, dass die Frustrations-Aggressions-Theorie der Yale-Gruppe nicht ausreicht, um Aggression zu erklären, ebensowenig, wie der triebtheoretische Ansatz. Eine mögliche Weiterentwicklung ist die handlungstheroretische Sichtweise von Aggression.

KEMPF (1978) setzte methodisch fest, dass Aggression planmäßig und mit Überlegung ausgeführt wird, also willkürliche, argumentationszugängliche Handlung ist. Erst wenn diese Erklärung als erfolglos angesehen gilt, ist Aggression als triebhaft oder irrational anzusehen. Indem er Aggression als Handlung auffaßt, kommt er zu folgenden Begriffsdefinitionen:

Aggression: Handlung ist dann Aggression, wenn - nach Meinung des Han-

delnden - als Wirkung der Handlung eine Situation eintritt, die die

andere Person - nach Meinung des Handelnden - zu vermeiden

sucht.

Frustration: Frustration ist ein Ereignis, als dessen Wirkung eine Handlung einer Person erfolglos bleibt, d.h., dass die Situationsveränderung, die sich die Person zum Zwecke gesetzt hat, nicht eintritt.

Frustrationen, die als bezweckte Wirkungen des Handelns eines anderen gedeutet werden, ermöglichen Aggression, denn durch sie (die Frustration) entsteht erst eine Situation, aus der heraus einer Handlung der Begriff Aggression zugesprochen werden kann. Es handelt sich hierbei um einen rein material-analytisch begründeten Zusammenhang, der sich dadurch empirischen Überprüfung entzieht.

Ich persönlich spreche jedoch Theorien, die empirisch überprüft werden können (z.B. die Motivkonzeotion der Aggression), eine größere Praxisrelevanz zu. Die Forschungsergebnisse bezüglich Frustration, Aggression und Katharsis sind allerdings trotz methodischer Fortschritte (wie z.B. Messung der Aggressionsaktivierung mittels physiologischer Indikatoren und Motivationsmessung mittels Aggressions-TAT von Kornadt) uneinheitlich.

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