Menschliche Neigungen

Die Wissenschaft behauptet, dass es keinen Zusammenhang zwischen Aussehen und Charakter gibt.

Der Züricher Pfarrer Johann Kaspar Lavater wollte das Einschätzen von Menschen auf eine exakte wissenschaftliche Basis stellen. Er vermaß Schädel, Nasen und Ohren, verknüpfte dies mit "objektiven Erfahrungen" und sicherte sich dabei die Mitarbeit einer hohen Autorität : Johann Wolfgang von Goethe. Doch er erlang dadurch einen fatalen Irrtum, der bis heute nachwirkt.

Dieses Gebiet heißt Ausdruckspsychologie, die bis heute nichts wissenschaftliches entdeckt hat. Sie behauptet etwa : " Eine Sattelnase deutet auf Genußliebe und Zuwendung an das Irdische hin." Doch auch ein gebrochenes Nasenbein ergibt diese Form. "Hohe Stirn zeigt hohe Intelligenz ." Aber auch beginnender Haarausfall schafft eine hohe Stirn.

Prof. Wilhelm Hehlmann schrieb über die Ausdruckskunde, die dieses sagt: "Viele vergleichende und statistische Arbeiten prüfen die Ergebnisse nach. Sie gestehen, dass die Möglichkeit von der Ausdrucksbewegung auf charakterliche oder psychische Vorgänge zu schliessen ist."

Man weiß nichts Genaues darüber, dennoch ist dieser Glaube unausrottbar.

Nach Prof. Siegfried Freys Feststellungen, sagt der Ausdruck eines Menschen sehr wenig über ihn selbst, aber sehr viel über den Beobachter aus.

Gesichtsausdrücke und Gestiken sagen nichts über die innere Befindlichkeit eines Menschen aus.Betrachtern war es noch nie gelungen, an Hand von Fotos des Gesichtsausdruck die Gefühlszustände der abgebildeten Menschen eindeutig zu benennen.

Die Körpersprache besteht aus 104 klar unterscheidbaren Grundelementen der Mimik und Gestik. Anders als gesprochene Laute werden die Grundelemente der Körpersprache meist gleichzeitig geäußert (man bewegt den Kopf und runzelt die Stirn und macht Handbewegungen).

Große Bedeutung hat die Kopfhaltung.Wenn der geneigte Kopf einer Frau geradeaus blickt, wirkt sie nicht mehr "anschmiegsam", sondern selbstbewußt und willensstark,obwohl der Gesichtsausdruck überhaupt nicht verändert wird.

Prof. Frey erklärt, dass es wissenschaftlich bedenklich sei, aus dem Lächeln eines Menschen auf dessen innere Fröhlichkeit zu schließen. Lächeln

Lächeln wird weltweit als freundliche Einladung zur Kommunikation empfunden.

Durch optische Täuschungen werden uns so Auslegungen über den Ausdruck unserer Mitmenschen aufgedrängt. Sie werden von der Gemeinschaft, in der wir leben, und auch einer

Grundveranlagung bestimmt.

An der Ausdruckspsychologie ist also falsch: Die noch immer verbreitete Meinung

"Ein Blick - und ich weiß Bescheid" sei heute widerlegt.

Nach Frey gibt es keine Seele, denn alles was bei psychologischen Versuchen herauskommt,

ist Interpretation und Interaktion ,nach dem Grundsatz :"So wie einer erscheint, so ist er

auch."

Ausdrucksforscher entwarfen "TÜV-Plaketten für Vorurteile." Wenn ich den Menschen sage,

was sie hören wollen und ihnen ihre eigenen Vorurteile verkaufe, dann bin ich ein großer Menschenkenner. Aber ganz anders werde ich beurteilt ,wenn ich gegen Vorurteile anrede.

Grundgefühle wie Schönheit, Haß und Angst werden von Beobachter auf das beobachtete Objekt übertragen- sie liegen alle "im Auge des Betrachters." Die Auswirkungen sind beträchtlich :

der Ausdruck, den ein Mensch zeigt, ist niemals eindeutig; er ist meist ein Kommunikationsangebot; die Bedeutung eines Gesichtes, einer Mimik ,einer Gestik, ist darin zu sehen, dass eine Art Gemeinschaft, gebildet wird, in der man sich erkennt und versteht.

Das gilt für alle Gesten ,die nicht trivial sind : wenn man starke Schmerzen hat, sieht man ihm das natürlich an. Aber bei allen nicht-trivialen Gesten sind wir heute auf Kommunikation

angewiesen .

Das reflexartige Einschätzen von Menschen hat aber, nach Frey, sehr viel mit Herrschaftsgefühlen zu tun: "Gehört der dazu, ist er einer von uns ?"

Das Zuschreiben von Meinungen war nach Frey die zu Fehlleistung gewordene Leistung

der Ausdruckspsychologie, die das nonverbale Verhalten in den falschen Funktionszusammenhang, indem sie Gestik, Mimik, Körperhaltung an den inneren Zusatand

des Akteurs statt an den des Betrachters koppelte .

Denn das Verhalten,das wir fälschlicher Weise als Ausdruck bezeichnen, entsteht nicht unter dem emmotionalen Druck der Gefühle des Akteurs, sondern es entsteht unter dem sozialen Druck des Betrachters .

Empfindungen ,die vom Ausdruck ausgelöst werden, sind vom Verstand nur sehr schwer relativierbar.

Jede Erkenntnis über Iraker, Amerikaner, über Juden, Schwarze ,Deutsche, Ausländer ,

Frauen und Männer ist immer eine Projektion eigener seelischer Befindlichkeit in andere

Menschen hinein. Mißverständnisse werden immer größer, je mehr fremde Menschen in miteinander in Kontakt kommen.

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