Geschichten aus dem Wiener Wald

Ödön von Horváth
Geschichten aus dem Wienerwald


Ödön von Horváth (1901 - 1938)

Ödön von Horváth wurde als Sohn eines österreichischen Diplomaten in Fiume (nahe Rijeka) geboren.
Er studierte Philosophie und Germanistik. Dann wurde er freier Schriftsteller. Er lebte zuerst in
Murnau/Oberbayern dann ab 1933 in Wien und Henndorf bei Salzburg und von 1934 - 1938 in Berlin. Im
gleichen Jahr emigrierte er auch aus Österreich und gelangte über Ungarn, Jugoslawien und Italien
nach Zürich. Zu geschäftlichen Besprechungen nach Belgien gerufen, machte er einen Abstecher nach
Paris, wo er während eines Sturmes von einem umstürzenden Baum erschlagen wurde.
Sein schriftstellerisches Werk umfaßt, abgesehen von einer Anzahl früherer, meist
unveröffentlichter Kurzgeschichten, siebzehn Bühnenstücke und drei Romane.
1930: Der ewige Spießer
1938: Jugend ohne Gott
1938: Ein Kind unserer Zeit
Der satirirsch - gesellschaftskritische Dramatiker des psychologischen Realismus ist der Darsteller
der Tragikkomödie der menschlichen Unzulänglichkeiten, der Herzensträgheit des egoistischen
Menschen der Gegenwart. In dem satirischen Grundton tritt seine Bindung an Nestroy zutage. In
seinem zum Teil sozial - und moralkritischen Bühnenwerk versucht Horváth das Wiener Volksstück neu
zu beleben. Kennzeichnend für ihn ist die knappe Stilisierung, die dichte Atmosphäre, die
geschickte Dialogführung und die treffende Menschendarstellung.


Der Inhalt:

Marianne, die freundliche und liebenswürdige Tochter eines Spielwarenhändlers, der "Zauberkönig",
ist mit dem Fleischermeister Oskar verlobt. Sie lernt jedoch Alfred kennen, einen eleganten
"Strizzi", der sich von der Trafikantin Valerie aushalten lässt und von Rennwetten und dunklen
Geschäften lebt. Während eines Picknickausfluges in den Wienerwald, gelingt es Alfred, sich die
rührend hilflose und unerfahrene Marianne gewogen zu machen, während Valerie einen norddeutschen
Studenten verführt. Vom Vater verstoßen, zieht Marianne nun zu Alfred und bekommt bald darauf ein
Kind. Um von der Geliebten, deren Anhänglichkeit ihm bald lästig wird, wieder freizukommen, bringt
Alfred sie bei einer Tanzgruppe unter.
Das Kind wird bei Alfreds Mutter in der Wachau untergebracht. Oskar liebt Marianne immer noch, er
würde sie auch heiraten, gäbe es nicht das Kind, das aufzunehmen er nicht bereit ist. Marianne
landet schließlich im "Maxim", wo sie halbnackt in den sogenannten "Lebenden Bildern" posieren muss.
Aus Not bestiehlt sie einen Gast und kommt ins Gefängnis. Nach der Entlassung, auf dem tiefsten
Punkt ihrer Erniedrigung angelangt, kehrt sie verzweifelt ins Elternhaus zurück. Ihr Vater,
inzwischen einsichtig geworden, verzeiht ihr, und Oskar will nun endlich Marianne - auch mit ihrem
Kind - heiraten. Alfred kehrt zu seiner Valerie zurück.
Ein glückliches Ende scheint sich anzubahnen, als alle in die Wachau zu Alfreds Großmutter kommen.
Marianne muss erfahren, dass ihr Kind durch die Schuld der Großmutter, die Alfred von dieser Last
befreien wollte und von einer erfolgreichen Zukunft ihres Enkels träumt, gestorben ist.
Gebrochen und willenlos geht Marianne mit Oskar davon.


Charakteristik:

Marianne, die leidende Heldin verliebt sich in den lässig - charmanten Alfred und lässt sich von ihm
ins Verderben ziehen. Sie ist zu naiv um zu erkennen, dass sie für Alfred bald wieder eine
langweiliges Spielzeug sein wird. Am Ende findet sie gebrochen zu Oskar zurück.


Alfred, ein ehemaliger Bankangestellter, hat es aufgegeben einer geregelten Arbeit nachzugehen. Er
meint, dass sich Arbeit in den Wirrnissen der zwanziger Jahre für ihn nicht rentiert, wenn man mit
ein wenig Glück bei Wetten viel mehr verdienen kann. Er lässt sich zuerst von der Trafikantin
Valerie und später auch von Marianne aushalten.


Oskar, ein Fleischermeister ist ein selbstgefälliger Spießer, der vorgibt Marianne zu lieben. Als
es aber darauf ankommt, bringt er es nicht über sich, seiner geliebten Marianne und ihrem Kind
beizustehen. Als er Marianne zum Schluß dann doch zu sich nimmt ist er noch immer davon überzeugt,
dass sie für ihn bestimmt ist.


Persönliche Stellungnahme:

Ich glaube Ödön von Horváth versuchte mit diesem Stück die Gleichgültigkeit und leichte
Beeinflußbarkeit der Wiener Gesellschaft der Zwischenkriegszeit zu zeigen. Der falsche Charme der
Krämer und kleinen Ganoven sowie der Mädchen und Damen mit den hinterrücks geäußerten Beleidigungen
zeigt kaum die wahren Gesichter der Personen. Man versucht etwas zu verbergen. Viele nichtssagende
Dialoge spiegeln die gespielte Höflichkeit dieser Generation wider.
Der Leser leidet bei jeden Fehler, den Marianne begeht, mit. Dennoch soll sie einem zum Schluß dann
doch nicht leidtun. Obwohl sie sehr viel erleiden muss, trifft es sie doch nicht so hart, denn sie
wird ja wieder von ihrem Vater akzeptiert und Oskar nimmt sie wieder auf.
Diese Mentalität der Bevölkerung schafft der Autor sehr gut einzufangen.

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