Berlin bis zum 19. Jahrhundert




Was wir heute Berlin nennen, ist - verglichen mit anderen europäischen Hauptstädten - nicht sehr alt. Das genaue Gründungsjahr von Berlin ist nicht bekannt, da die Gründungsurkunden vermutlich beim Rathausbrand im Jahre 1380 vernichtet worden sind. Man geht davon aus, dass die Stadt zwischen 1200 und 1230 n.Chr. gegründet wurde, da Archäologen im Jahre 1982 bei Ausgrabungsarbeiten im Rahmen der Wiederherstellung der Nikolaikirche auf die Fundamente einer romanischen Basilika, die wahrscheinlich schon um 1220 errichtet worden ist, stießen.

Ursprünglich gibt es zwei Orte auf zwei benachbarten Inseln der Spree, Berlin und Cölln, die unabhängig voneinander von durchreisenden Kaufleuten gegründet wurden. Sie sind durch wirtschaftliche Interessen sehr eng miteinander verbunden und schließen sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts unter einer gemeinsamen Stadtverwaltung zusammen. Die Lage der Doppelstadt ermöglicht die Kontrolle des Schiffsverkehrs, und schon bald dominieren Berliner Kaufleute und Schiffer nicht nur die Warenversorgung des Hinterlandes, sondern auch den Fernhandel der Mark Brandenburg. Roggen, Holz und märkisches Bier finden guten Absatz, während Tuche, Wein und Fische zu den bevorzugten Importgütern gehören. Mit dem Handel kommt auch der Wohlstand, aus den strohgedeckten Lehmbauten werden solide Behausungen und es werden Kirchen und Klöster, Spitäler und Brücken gebaut. Dennoch sind Wohlstand und Glanz Berlins verglichen mit den alten deutschen Kaufmannsstädten an Rhein und Donau eher bescheiden. Auch im deutschen Kultur - und Wissenschaftsleben spielt Berlin während des Mittelalters kaum eine Rolle.

Als mit Heinrich II. die Askanierdynastie erlischt, entbrannte der Kampf um das Erbe, den schließlich die bayrischen Wittelsbacher für sich entscheiden. Am 4.Mai 1323 ernennt König Ludwig der Bayer seinen erst achtjährigen Sohn Ludwig den Älteren zum neuen Herrn über die Mark, welcher zunächst unter königlicher Vormundschaft regiert. Doch die sächsisch - askanische Seite hat noch immer starke Anhänger in der Berliner Bürgerschaft, die von den Bayern nichts wissen wollen. Sie trumpfen auf, als es zum Streit zwischen dem bayrischen König Ludwig der Bayer und Papst Johannes XXII. kommt, der mit der Verhängung des Kirchenbanns über Ludwig im Jahr 1324 endet. Als königstreue Berliner Bürger 1325 den Probst der Marienkirche Nikolaus von Bernau, der für die askanische Seite Partei ergriffen hat, erschlagen und verbrennen, wird die Stadt vom Papst gezwungen, die Kirchen für 20 Jahre zu schließen.

Berlin, in dem zu dieser Zeit reiche Patrizier und Handwerksmeister das Sagen haben, hat sich inzwischen einen Namen weit über die Grenzen der Mark erworben. Doch innerhalb weniger Jahre verwüsten drei große Stadtbrände die hölzernen Bauten und Pestepidemien dezimieren die Bevölkerung. Wegen der hohen Kosten für den Wiederaufbau kommt es zum Streit, der beinahe zur erneuten Teilung der Doppelstadt geführt hätte. Schließlich siegte die Vernunft, die Stadt entsteht neu und die Kirchen werden instandgesetzt.

1440 tritt der Hohenzoller Friedrich II. die Nachfolge seines Vaters an und hat nun die absolutistische Herrschaft. Aus der freien Handels - und Hansestadt wird unter Friedrich II. die Residenz der Landesherren, und bleibt es bis 1918.




Im Jahre 1540 erlässt der neue Kurfürst Joachim II. die erste evangelische Kirchenordnung zur neuen Lehre Martin Luthers. Joachim II. lässt einen Bohlendamm zwischen der Stadt und dem Jagdschloss Grunenwald anlegen, welcher später die Trasse für den Kurfürstendamm bildete. Auch andere Bauwerke verdankt die Stadt diesem Kürfürsten. Als Joachim II. im Jahr 1571 starb, hinterlässt er seinem ältesten Sohn Johann Georg außer dem Kurfürstentitel einen gewaltigen Schuldenberg und mehrere ruinierte Berliner Handelshäuser. Der neue Kurfürst beginnt, die Schulden durch seine Sparsamkeit abzubauen. Er achtet auch auf die Bildung, indem er ein Gymnasium einrichtet, denn von den 10 000 Berlinern ist die Hälfte noch Analphabeten. Durch dieses Gymnasium gehen unter anderem spätere berühmte Männer wie Schadow, Schinkel, Schleiermacher und Bismarck. Die Amtszeit des Johann Georg geht bis 1598.

Der nächste Hohenzollern - Kurfürst, dessen Regierungszeit nur von 1608 bis 1619 dauert, kann sich durch den Tod seines Schwiegervaters Herzog Albrecht Friedrich Preußen einverleiben und damit den Grundstein für das künftige Königreich legen. Aufgrund der unentschlossenen Haltung des Kurfürsten Georg Wihelm spielt der 30 - jährige Krieg Berlin besonders übel mit. Die Folgen für Berlin sind schrecklich. Nacheinander überziehen zwei riesige Armeen plündernd das Gebiet, Geld und Lebensmittel gehen bald zu Ende, Hungersnöte und Pestepidemien brechen aus, und zuletzt legt eine verheerende Feuerbrunst die Vorstädte in Schutt und Asche. Danach zählt Berlin nur noch die Hälfte seiner Einwohner. Als im Jahr 1648 endlich Frieden einzieht, steht der Kurfürst Friedrich Wilhelm vor der schier unlösbaren Aufgabe, einen brandenburgisch - preußischen Staat zu schaffen, dessen Hauptstadt Berlin sein soll. Zu den bedeutendsten politischen Entscheidungen des "Großen Kurfürsten" gehört zweifellos das "Edikt von Potsdam", das es ab 1685 Zehntausenden von protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Frankreich - den Hugenotten - ermöglicht, sich in der Mark Brandenburg anzusiedeln. Etwa 800 von ihnen - Ärzte, Juristen, Handwerker und Kaufleute - kommen nach Berlin und üben einen ungemein fördernden Einfluss auf Wirtschaft, Kultur und Kunst der Stadt aus, der bis heute zu spüren ist. Als der "Große Kurfürst" im Jahre 1688 in der Domgruft seine letzte Ruhestätte findet, hinterlässt er eine blühende Residenz, in der kaum noch etwas an die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges erinnert.

Nach der Regierungszeit von Friedrich II. kommt der körperlich verkrüppelte Friedrich III. an die Macht. Heute wissen wir, dass vieles von dem, was unter seiner Herrschaft an Bleibendem entsteht, seiner geistvollen Gattin, der Kurfürstin Sophie Charlotte, zu verdanken ist. Friedrich III. erreicht es als Kurfürst, sich vom habsburgischen Kaiser Leopold, dem Friedrich stets eifrig mit militärischen Dienstleistungen zur Hand ist, krönen zu lassen.

Preußen ist nun Königreich und Berlin seine Hauptstadt. Unter Friedrich II. geht es 1756 in den Siebenjährigen Krieg gegen eine starke Koalition Österreichs, Sachsens, Russlands und Frankreichs. Auch als Feldherrn steht ihm das Glück des Tüchtigen zur Seite; als er 1763, nun als "Friedrich der Große" heimkehrt, hat er sein Reich weiter vergrößern können. Schlesien und Westpreußen gehören jetzt dazu.
Was der "Alte Fritz", wie "Friedrich der Große" eher respekt - als liebevoll genannt wird zusammengehalten hat, rinnt seinem Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., wieder durch die



Finger. Als er nach nur zehnjähriger Herrschaft im November 1797 stirbt, ist es ihm gelungen, den Staatsschatz von 50 Millionen Talern in einen Schuldenberg von 48 Millionen Talern umzuwandeln.

Der neue Monarch Wilhelm III. muss nicht nur mit den Schulden fertig werden, sondern auch mit den Franzosen, da der selbsternannte Kaiser Napoleon I. sich anschickt, Europa zu unterwerfen. In der Schlacht von Jena und Austerlitz wird das einst so stolze preußische Heer vernichtend geschlagen. Der König flieht nach Ostpreußen, und am 27. Oktober 1806 zieht Napoleon nach Berlin ein und hält es für zwei Jahre besetzt. Er entführt die Friedensgöttin vom Brandenburger Tor als Kriegsbeute nach Paris. Die Berliner müssen mehr als acht Millionen Taler als Kontribution für die Franzosen aufbringen. Im Jahr 1812 geht König Wilhelm III. ein Bündnis mit dem Franzosenkaiser ein und stellt ihm 20 000 Mann für den Feldzug gegen Russland zur Verfügung. Als in Berlin die Nachricht des Desasters der "Grande Armee" vor Moskau eintrifft, hält es die Berliner nicht mehr länger. Zu Tausenden greifen sie zu den Waffen und schließen sich den Freiheitskämpfern an, die überall im Lande operieren. Danach entschließt sich der König, sich mit den Russen gemeinsam gegen Napoleon zu stellen. 1813 verlassen schließlich die französischen Truppen fluchtartig Berlin. Die Russen werden von der Bevölkerung als Befreier jubelnd begrüßt.

Preußen wird nun zum Polizeistaat, in dem jede freiheitliche oder liberale Regung brutal unterdrückt wird. Die Bürger setzen nun große Hoffnungen in Friedrich Wilhelm IV., der sich selber für "gottbegnadet" hält. Dieser ordnet eine Amnestie für die unter seinem Vorgänger politisch Verfolgten an und beruft viele Gelehrte und Politiker wieder in ihre Ämter. Die Bürger sind erregt über den König, der sich auf die preußisch - probaten Mittel der Unterdrückung besinnt und ziehen am Morgen des 18. März 1848 zu Zehntausenden zum Schlossplatz, um dem König ihre Forderungen zu überreichen. Das Militär feuert in die Menge, es gibt viele Tote. Innerhalb weniger Stunden werden in der Stadt mehr als tausend Barrikaden errichtet, hinter denen sich die schlecht bewaffneten Bürger gegen 14 000 gut ausgerüstete Soldaten entschlossen zur Wehr setzen. Der Kampf tobt über 14 Stunden, danach muss der König nachgeben. Er verspricht, die politischen Gefangenen freizulassen, sowie Presse - und Vereinsfreiheit zu gewähren. Am 9. November 1848 marschieren Truppen unter General Wrangel in Berlin ein, das Parlament wird auseinandergejagt und über die Stadt Belagerungszustand verhängt. Damit behält er preußische Polizeistaat wieder einmal die Oberhand.

In den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts wächst Berlin zur bedeutendsten Industriestadt Deutschlands und zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt Europas heran. Friedrich Wilhelm IV. muss abdanken und seinem Bruder Wilhelm Platz machen. 1862 ernennt dieser den pommerschen Junker Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten und Außenminister des Königreichs Preußen. Am 19. Juli 1870 beginnt der Krieg gegen Frankreich, der schon im September mit der Kapitulation bei Sedan endete. Nun war der Weg frei für die Geburt des zweiten Deutschen Reiches. Die Bürger Berlins haben allerdings genug damit zu tun, mit der immer stürmischer verlaufenden industriellen Entwicklung und den damit verbundenen sozialen Problemen fertigzuwerden. Fabriken, Banken und Handelshäuser schießen wie Pilze aus dem Boden. Dem Boom folgt bald der große Krach. Allein im November 1873 müssen 28



Berliner Bankhäuser Konkurs anmelden.1878 erlässt Bismarck das berüchtigte "Sozialistengesetz", durch das alle Organisationen der jungen Sozialdemokratie und der Gewerkschaften verboten werden. Inzwischen ist Berlin zur bedeutendsten Industriestadt des Kontinents geworden. Am 6. September 1884 legte Kaiser Wilhelm I. eigenhändig den Grundstein zum neuen Reichstagsgebäude.

Im Jahr 1888 gibt es in Berlin 3 Kaiser. Im März stirbt der 91jährige Wilhelm I. Sein Sohn Friedrich III., bereits von tödlicher Krankheit gezeichnet, herrscht nur für 99 Tage. Am 25. Juni 1888 bestieg schließlich der 29jährige Wilhelm II. den deutschen Kaiserthron. In den nun folgenden Jahren steigt Deutschland zur imperialistischen Weltmacht auf, und Berlin wird zur Metropole ersten Ranges. Seitdem gibt es in Berlin viele Sensationen: 1892 wird das erste Automobil, das von einem wohlhabendem Kaufmann über das Kopfsteinpflaster gelenkt wird, zugelassen; in Lichterfelde unternimmt der Ingenieur Otto Lilienthal seine ersten tollkühnen Gleitversuche, bei denen er 1896 den Tod findet.
Die Metropole geht mit 1,9 Millionen Einwohnern ins neue Jahrhundert.

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