Taizé

Taizé

Was ist das überhaupt und wieso zieht es so viele Menschen an?

So manch einer wird sicherlich schon einmal etwas über den Begriff "Taizé" gehört haben. Doch was genau dahintersteckt, war demjenigen noch nicht bekannt. So in etwa auch ging's auch mir. Und deswegen habe ich mir gedacht: "Fahr' doch einfach mal' über Silvester nach Stuttgart, wo zur Jahreswende 1996 - 1997 das 19. Europäische Jugendtreffen stattfindet. Vielleicht kannst Du dann mal herausfinden, was hinter dieser ökumenischen Bewegung steckt, die von einer Gemeinschaft von Glaubensbrüdern aus dem kleinen burgundischen Dorf Taizé unter dem Motto ‘Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde’ ausgeht".



Um 1940 zerreisst ein weiterer Weltkrieg Europa. Damals macht sich ein 25 Jahre alter junger Mann aus der Schweiz auf Weg nach Frankreich, mit dem Ziel, eine monastische Gemeinschaft ins Leben zu rufen, die sich der Versöhnung widmet. Es war Roger Schutz, der sich auf die Suche nach einem dafür geeigneten Haus suchte. Dazu zog er in das Heimatland seine Mutter, wo derzeit ebenfalls Krieg und Elend herrschte. Ganz in der Nähe von Cluny findet er solch eine Städte zum Verweilen, wo er sich um seine Nächsten kümmern konnte. Und seine Nächsten brauchte er nicht lange suchen, denn das Dorf Taizé liegt nur etwa 2 Kilometer von der Demarkationslinie entfernt, zwischen der unbesetzten und der von Deutschen besetzten Zone. Von 1940 bis 1942 nimmt er also nun politische Flüchtlinge auf, die sich in die freie Zone absetzen wollten; das waren besonders Juden. Doch da die Gestapo mehrmals sein Haus durchsucht, muss er sich von Ende 1942 bis 1944 ausserhalb Frankreichs aufhalten. 1944 kehrt er dann zusammen mit 3 Brüdern, denen er unterdessen begegnet war, nach Taizé zurück. 1949 verpflichten sie sich zusammen mit weiteren 4 Brüdern zum monastischen Leben in Ehelosigkeit, Anerkennung des Dienstamts des Priors, welches Frère Roger inne hatte und zu geistiger sowie materieller Gütergemeinschaft.

1952 schreibt Roger seine erste Fassung der "Regel von Taizé", deren Inhalt und Titel er im Laufe der Jahre mehrfach überarbeitet. Damals war diese Communauté von Taizé nur evangelischen Christen vorbehalten, doch seit 1969 können auch Katholiken zu ihr stoßen. Heute gehören ihr ca. 90 Männer aus etwa 20 Nationen an. Sie alle wollen sich für die Versöhnung von Christen einsetzen, die untereinander gespalten sind, für Völker, die gegeneinander gerichtet sind. Dabei sollen alle Christen - egal welcher Konfession - ein Teil der Versöhnung unter den Menschen. Des Vertrauens unter den Völkern und des Friedens auf der Erde sein.

Die Communauté lehnt jede Spende und Schenkung, auch persönliche Erbschaften der Brüder, für sich selbst ab. Ihren Lebensunterhalt und was sie zum Teilen mit anderen brauchen, bestreiten die Brüder mit den Einkünften aus ihrer Arbeit.



Seit 1957/58 kommen immer mehr junge und auch weniger junge Menschen nach Taizé. Das ganze Jahr über finden, jeweils von Sonntag zu Sonntag, Jugendtreffen mit Teilnehmern aus bis zu sechzig Nationen statt. Dabei begegnen sich Menschen der unterschiedlichsten Hautfarben und Sprachen. In manchen Wochen sind es sechstausend. Dreimal am Tag treffen sich die Brüder und die Teilnehmer zum gemeinsamen Gebet in der "Kirche der Versöhnung" (1962 gebaut, 1990 erweitert). Hunderttausende aus Europa und den anderen Erdteilen finden sich zu einer gemeinsamen Suche zusammen: um zu den Quellen des Glaubens gehen, einen Sinn für das Leben entdecken, sich darauf vorbereiten, zu hause (z.B. in der Kirchengemeinde) verantwortliche Aufgaben zu übernehmen.

Prägend für die Liturgie sind die "Gesänge aus Taizé": das sind Wiederholgesänge, die aus einem Satz bestehen und in verschiedenen Sprachen einen wichtigen, teils biblischen Gedanken zum Ausdruck bringen, der schnell begriffen und nach und nach verinnerlicht werden kann (teilweise über 30 mal das gleiche Lied...). Das Gebet am Samstag Abend vor der Abreise der Pilger am Sonntag wird als Auferstehungsfeier, als Lichterfest gestaltet. Aus Moskau brachte Frère Roger ein Symbol für den Freitagabend mit: eine Kreuzikone auf den Boden legen, die Stirn auf das Holz des Kreuzes legen und so Gott die eigenen Lasten und die der anderen anvertrauen.

1970 kündigte Frère Roger ein Konzil der Jugend an, dessen Hauptversammlung 1974 stattfand. In einer Zeit, in der die Jugendlichen, zumal in Europa, entmutigt waren und sich von der Kirche abwandten, half ihnen das Konzil der Jugend, ihren Teil zur Versöhnung unter den Christen und zum Aufbau des Friedens beizutragen. Das Konzil wurde 1979 vorläufig ausgesetzt und ging in einen "Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde" über.



Und genau diesen Weg gingen über die Jahreswende über 70 Tausend Jugendliche aus ganz Europa, als sie sich in Stuttgart trafen. Allen aus Polen kamen etwa 30 Tsd Menschen, aus DL waren es ca. 20 Tsd, die dem Aufruf von Frère Roger folgten. Er schreibt für jedes Treffen so etwas wie eine kleine Skizze, an der man sich orientieren kann. Dieser Brief entsteht meistens an einem aktuellen Brennpunkt der Erde. Sie werden in über 30 Sprachen übersetzt und dienen als Grundlage für Gespräche und persönliches Nachdenken.



Dabei war diese Veranstaltung in Stuttgart kein anonymes Massenprojekt einer fest organisierten Bewegung, sondern ein Treffen, bei dem jeder Einzelne gefordert war. Voraussetzung dabei war lediglich, dass jeder offen für Neues war: sei es nun in der jeweiligen Kirchengemeinde um Stuttgart, wo man untergebracht war, oder bei den gemeinsamen Veranstaltungen auf dem Stuttgarter Messegelände am "Killesberg", wo gegessen und gebetet wurde.

Erfreulich bei der Unterbringung war, dass fast alle "Pilgerer" ein Plätzchen direkt in Stuttgarter Familien oder Privatleuten gefunden haben, und nicht in eine Massenunterkunft wie eine Schule oder Turnhalle mussten. Die Gastgeber waren durchwegs alle freundlich, offen - und teils interessierten sie sich auch für Probleme in der Heimat ihrer Gäste: v.a. die vielen Jugendlichen aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks hatten da viel zu erzählen, denn nach über 25 Stunden Busfahrt - zumindest bei einigen aus Polen oder Bosnien - Herzegowina - waren sie in einer ganz anderen Welt. Leider hatte nicht jeder das Glück, bei netten Leuten untergebracht zu werden, mit denen man sofort nach der Ankunft auf per Du war und den Haustürschlüssel bekommen hat - es gab auch schwarze Schafe: einer hatte etwa zwei Mädchen zu sich in die 30 Quadratmeterwohnung eingeladen... - nach einer halben Stunde hatten sie aber eine neue Unterbringung in der Kirchengemeinde.

Wenn sich abertausende von Menschen treffen, meint man natürlich, dass es da zu irgendwelchen Ausschreitungen kommt. Aber nicht in Stuttgart. Denn dort herrschte immer und überall Frieden. Zwar ging es manchmal ziemlich hektisch zu, vor allem bei der allmitttäglichen und abendlichen Essensausgabe, doch man fand immer wieder zur Ruhe. Dazu dienten zum einem die Gespräche und Gottesdienste in den jeweiligen Kirchengemeinden um Stuttgart, oder auch die gemeinsamen Gebete in den Messehallen. Man möge zwar annehmen, dass man dort bestimmt keine Ruhe findet, aber als man dann eine mit Menschenmassen befüllte Halle betrat, hörte man in der Stille keine Stecknadel mehr fallen. Innere Ruhe konnte man auch in den gemeinsamen Gesängen finden, die zwar alle recht einfach gehalten sind, dafür aber ungemein Beruhigend wirken, sowie für jeden leicht in seiner Sprache mitzusingen sind.

Im Grunde hört sich das jetzt nach einer religiösen Massenveranstaltung an. Eigentlich war es das auch, denn irgendwie fand jeder wieder seinen "Draht nach Oben". Aber so etwas sollte man nicht über einen Kamm mit anderen kirchlichen Veranstaltungen im herkömmlichen Sinne kehren, denn man kann es nicht miteinander vergleichen, wenn man es selbst noch nicht miterlebt hat und es nicht vorstellen kann. Denn im direkten Vergleich mit einem "herkömmlichen" Gottesdienst bei uns wirkt dieser meiner Meinung nach einfach heruntergebetet und viel zu wenig auf den Einzelnen eingegangen.

Der ganze multikulturelle Menschenauflauf in Stuttgart war eigentlich Stimmung pur: in der proppenvollen U - Bahn zum Messegelände fängt eine Gruppe Polen an, in ihrer Sprache "Bruder Jakob" zu singen - kurz darauf singt die ganze Bahn in allen möglichen Sprachen das Lied nach. Mitten in der Innenstadt stehen 50 Mann im Kreis und singen "Stille Nacht". In der S - Bahn packen Leute aus Südeuropa ihr Weißbrot und ihre Schweinssalami aus und laden einem zum Mitessen ein. Bei der Silvesterparty wurde natürlich auch groß gefeiert, getanzt und geratscht - kurz: es war einfach unmöglich, nicht auf neue Gesichter zu stoßen, wovon jedes dritte eine andere Sprache sprach.

Wo das Treffen den kommenden Jahreswechsel stattfindet, ist noch nicht bekannt. Bekannt ist jedoch für mich, dass ich im Sommer auf jeden Fall in ein kleines burgundisches Dorf Names Taizé fahren werde, um mich dort vom Stress des Alltags zu befreien.



Ich kann eigentlich nur jedem empfehlen, an irgendeinem Treffen - egal ob in Taizé oder auf einem europ. Treffen teilzunehmen, denn es tut sehr gut, auch mal solche Erfahrungen machen zu können.



"Es ist möglich mit den härtesten Ereignissen etwas aufzubauen, anstatt sie nur über sich ergehen zu lassen."

Frère Roger, Begründer der Bruderschaft in Taizé

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