Angst

Thema: Fritz Wagners Vergeltungsaktion - Motive für sein Handeln und Bewertung seiner Vorgehensweise in Stefan Zweigs Novelle "Angst"

Gliederung




A) Stefan Zweigs Biographie im Zusammenhang mit seiner Novelle "Angst"


B) Fritz Wagners Vergeltungsaktion

    Motive für sein Handeln Verlassen des Geliebten Wegen der Kinder Zurückrufen zu normal bürgerlichem Verhalten Seine ungewöhnliche Reaktion Chance für sie es selbst zu gestehen Unfähigkeit Fritz Wagners mit seiner Frau über ihre außereheliche Affäre zu reden Aufgrund seiner Leidenschaft zur Psychologie Als Rache Beschreibung und Bewertung seiner Vorgehensweise Engagieren der Schauspielerin Erhöhung der geforderten Summe Immer riskanter werdende Orte der Erpressung Erzwingen des Geständnisses Improvisierte Gerichtsverhandlung mit der Tochter Anstiftung zu einer Straftat Verursachen des Selbstmordversuchs seiner Frau Eingestehen, dass er Fehler gemacht hat

    Zukunft der Beziehung


Stefan Zweigs Novelle Angst handelt von einer Frau, die ihren Mann mit einem jungen Künstler betrügt. Da er durch Zufall davon erfährt, engagiert er eine Schauspielerin, die seine Frau erpressen soll. Ihr Mann versucht während dessen des Öfteren ihr ein Geständnis zu entlocken. Die "Erpresserin" stellt zunehmend hohe Forderungen, welche nach kurzer Zeit ihre finanziellen Mittel übersteigen. Als sie den psychischen Druck der Erpressung und des Schweigens nicht mehr aushält und sie keine Chance mehr zu haben glaubt, ihre Liebschaft vor ihrem Mann geheimzuhalten, sieht sie ihre Ehe zerbrechen und als einzig möglichen Ausweg den Selbstmord. In einer Apotheke will sie sich schließlich ein Medikament kaufen, welches in einer zu hohen Dosis tödlich ist. Ihr Mann, der ihr den ganzen Tag gefolgt ist, nimmt ihr dann das Gift weg und klärt sie über die Vorgänge auf.
Stefan Zweig beging selbst Anfang des Jahres 1942 Selbstmord. Dies zeigt, dass für ihn der Selbstmord als letzter Ausweg durchaus möglich ist. Richard Friedenthal schreibt, dass Zweigs "tief eindringender psychologischer Spürsinn" mit daher komme, dass der "damals noch unbekannte Sigmund Freud" ein "väterliche[r] Freund und Lehrer" Zweigs war (S.61). Diesen psychologischen Spürsinn beweist er auch in seiner Novelle "Angst". Deshalb ist es sicherlich interessant, sich mit der Vergeltungsaktion Fritz Wagners etwas näher zu beschäftigen.
Zuerst einmal will er sicherlich mit seiner Vergeltungsaktion seine Frau dazu bewegen, dass sie sich von ihrem Geliebten trennt. Er sagt dies gegen Ende der Novelle: " ... nur dass du von ihm weggehst ... für immer ... und zurück zu uns" (S.56). An dieser Stelle versucht er sein Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen. Er redet zwar seine Frau an, diese kann ihm aber nicht zuhören, da sie nahe der Ohnmacht ist. Belegt wird dies durch folgenden Ausschnitt des Buches. "Sie hörte dumpf aus unendlicher Ferne Worte, die nah klangen, und verstand sie doch nicht." (S.56). Er macht sich hier also Vorwürfe bezüglich seines Verhaltens. Des Weiteren gibt er als Grund die Kinder an. " ... nur wegen der Kinder, weißt du, wegen der Kinder musste ich dich doch zwingen ... " (S.56). Er will, dass die Kinder Mutter und Vater haben und nicht als Scheidungskinder aufwachsen, da diese häufig sehr darunter zu leiden haben. Außerdem sollen ihre Eltern ihnen ein Vorbild sein. Deshalb will er sie auch dazu bringen sich wieder den gesellschaftlichen Normen entsprechend zu verhalten. " ... nur rufen wollte ich dich ... zurückrufen zu deiner Pflicht" (S.56). Ein weiterer Grund dafür, dass er will, dass sie sich wieder nach den bürgerlichen Tugenden verhält ist, dass er Angst um sein Ansehen hat. Er, als Anwalt hat doch eine etwas höhere Stellung in der Gesellschaft und wenn seine Frau ihn betrügt wäre dies schädlich für sein Ansehen. Im Text heißt es, dass er "eine[r] der bekanntesten Verteidiger der Residenz" (S.9) ist. Hiermit ist allerdings noch nicht begründet, wieso er zu einer so ungewöhnlichen Maßnahme greift, um seine Frau von ihrem Liebhaber zu trennen. Diese inszeniert er um ihr die Möglichkeit zu geben, es selbst zu gestehen. Dies bringt er auch selbst zum Ausdruck mit den Worten: "ich habe dir doch immer gezeigt, dass ich bereit bin ... dass ich nichts will als verzeihen, aber du hast mich nicht verstanden [...]" (S.56). Er will ihr diese Chance geben, da er der Ansicht ist, dass es für sie später leichter ist, wenn sie das Gefühl hat, dass sie es ihm selbst gestanden hat.
Aber dennoch muss man auch betrachten, dass ein Anlass für diese Handlung auch seine anscheinende Unfähigkeit mit ihr darüber zu reden ist. " ... ich hatte doch keine andere Wahl, als ich es durch Zufall erfuhr ... ich konnte es dir selbst doch nicht sagen ... ich dachte ... dachte immer, du würdest kommen ... darum habe ich sie gesandt, diese arme Person, dass sie dich treiben sollte ... " (S.56). Dieses Problem ergibt sich wahrscheinlich daraus, dass sich beide trotz achtjähriger Ehe nicht kennen. "[...] aber jetzt erst, da sie sich nach seinem möglichen Verhalten fragte, wurde ihr klar, wie fremd und unbekannt er ihr geblieben war." (S.18). Des Weiteren erfolgte die Heirat "auf die Anregung ihrer Eltern hin" (S.18), was für die damalige Zeit durchaus noch üblich war, "aber ohne Widerstand" (S.18). Eine Sympathie war zwar vorhanden, jedoch ist die Bindung nicht so intensiv, wie sie vielleicht wäre, wenn sie sich erst selbst richtig kennengelernt, verliebt und schließlich dann erst geheiratet und eine Familie gegründet hätten. Außerdem war man damals, selbst in einer Beziehung, auch etwas prüder und weniger offen als heute. Dies ist auch mit ein Grund, wieso er nicht direkt mit ihr darüber spricht. Darüber hinaus hat er eine "psychologische Leidenschaft", die "ihn weit über das Maß der juridischen Ansprüche an seinen Beruf " fesselt (S.29). Jene Leidenschaft ist es auch, die ihn dazu bringt vorzugehen wie ein Richter. Höchst wahrscheinlich sind es aber Rachegedanken, die bei der Entstehung des Plans die entscheidende Rolle gespielt haben. "[S]o weit wollte [er sie] nicht treiben", aber treiben generell will er sie folglich schon.
Nun möchte ich mich zwar eher mit Fritz Wagners Vorgehensweise beschäftigen, werde aber den Zusammenhang mit seinen Motiven nicht vergessen. Hier ist zu erwähnen, dass er eine Schauspielerin engagiert hat. Dadurch, dass er eine ungepflegt scheinende, - "schlechte[r] Atem" (S.6) - "die Person propfte ihren massigen Körper breit in die Tür" (S.4) - dicke Frau sich als Freundin, beziehungsweise Geliebte des Geliebten seiner Frau ausgeben lässt, sinkt der Wert des anderen Mannes für sie deutlich. Folgender Textabschnitt aus dem Inhalt ihres Briefes an den Geliebten zeigt die Auswirkung des optischen Erscheinens der Erpresserin: "Ihr Stolz war gereizt durch jene peinliche Entdeckung, in der Gunst ihres Liebhabers eine so niedere und unwürdige Vorgängerin abgelöst zu haben" (S.9). Diese Reaktion war von ihm sicher nicht unbeabsichtigt und dies zeigt, dass er sehr planmäßig vorgeht. Er hätte auch eine schönere Frau wählen können, diese hätte aber nicht den selben Effekt erzielt. Außerdem kann man daran, dass er diese Scheinerpressung - mit Hilfe der Schauspielerin - vornimmt, sehen, dass er sich nicht zutraut mit seiner Frau über das Problem zu sprechen. Er ist auch gut über die finanziellen Verhältnisse seiner Frau informiert, da er ja derjenige von beiden ist, der Geld verdient. Anders als heutzutage gingen früher eigentlich nur die Männer arbeiten und die Frauen blieben zu Hause. Deswegen kann er auch gut die Forderungen so in die Höhe treiben, bis sie nicht mehr über ausreichend Liquidität verfügt. Am Anfang verlangt sie keine konkrete Summe, sondern überlässt ihr, wieviel sie hergibt. "Irene gab sich einen Ruck und griff, einer vagen Eingebung gehorchend, in ihr Portemonnaie und faßte, was ihr gerade an Banknoten in die Hand kam." (S.5). Beim zweiten Treffen jedoch ist die Erpresserin nicht mehr so bescheiden. "[Sie] riß ihre Silbertasche auf und holte alles Geld heraus, das ihr in die Finger kam. Aber diesmal sank die freche Hand, sobald sie das Geld spürte, nicht wie damals demütig in sich zusammen, sondern blieb starr in der Luft schweben und offen wie eine Kralle. "Geben S' mir doch auch die Silbertasche, damit ich das Geld nicht verlier!"" (S.16). Beim dritten Mal lautet die Forderung: ""Bitte, geben Sie dem Überbringer dieses sofort hundert Kronen."" (S.28). In der nächste Anweisung waren dann "zweihundert Kronen gefordert, [...] Entsetzlich war diese jähe Steigerung der Erpressung, der sie sich auch materiell nicht gewachsen fühlte, denn obzwar aus vermögender Familie, war sie doch nicht in der Lage, sich unauffällig größere Summen zu beschaffen." (S.33 - 34). Hier wird das Vorhaben und der Erfolg des Ehemanns deutlich, sie zum Gestehen zu bringen, indem er sie zwingt sich ihm anzuvertrauen. Das letzte Mal fordert die Erpresserin: "[...] dass Sie mir da halt aushelfen mit - na, mit halt vierhundert Kronen. [...] "Aber ich habe sie nicht!" [...] "Dann suchen Sie sich's zu verschaffen..." [...] "Na ... zum Beispiel der Ring da [...]"" (S.43) Es ist natürlich klar, dass die Schauspielerin die Höhe des Geldbetrags nicht selbst bestimmt und auch, dass die Idee mit dem Ring auf keinen Fall von ihr ist. Die Schauspielerin hat sicherlich nicht seine Erlaubnis eigenständig zu handeln, sondern muss das tun, wozu er sie anweist. Nicht nur die Summe steigert sich mit zunehmendem Verlauf der Handlung, sondern auch die Orte werden immer riskanter. So erfolgt die erste Erpressung im Treppenhaus oder Haustor ihres Geliebten. Dies ist noch ein relativ ungefährlicher Ort, da er in einem anderen Teil der Stadt ist, keine weitere Person anwesend und da sie verschleiert ist. Also ist es unwahrscheinlich erkannt zu werden. Das zweiten Mal findet die Begegnung vor ihrer Wohnung statt. Dieser Ort ist wesentlich gefährlicher als der erste, da ihr Mann oder sonst ein Bekannter so sehr leicht etwas mitbekommen kann. Die Art und Weise, wie sie beim dritten und vierten Mal vorgeht, ist höchst riskant, da ihr Mann die Briefe vielleicht lesen will und bei einer Verneinung ihrerseits dann mißtrauisch würde. Er könnte die Briefe sogar abfangen. Der fünfte Erpressungsort ist schließlich der absolut riskanteste Ort, nämlich das Haus von ihr und ihrem Mann. Herr Wagner könnte ja von der Arbeit heimkommen. Dies passiert auch und damit hat die Frau keine Chance mehr sich der Forderung der Schauspielerin zu widersetzen. Dies war sicher so abgesprochen, da er damit der ganzen Erpressergeschichte ein Ende setzen will. Sie hat ja keine Chance ihren Ring zurückzubekommen, weil sich die Erpresserin nicht mehr meldet. Außerdem ist es auch kein Zufall, dass der Mann zurückkommt, genau als es um denn Ring geht. Dieses exakte Timing und die raffinierte Idee lassen wieder erkennen, wie gut Fritz sein Handeln geplant hat.
Ein Punkt jedoch veranlasst Irene Wagner, ihm trotz seines sehr deutlich gezeigten Willens ihr zu verzeihen (S.40 oben), nicht zu gestehen. "Da traf sie sein Blick, in dem eine Gier war, nach dem Geständnis, nach irgend etwas von ihrem Wesen, eine glühende Ungeduld" (S.40).
Eine entscheidende Stelle ist die "kleine improvisierte Gerichtsverhandlung" (S.35): "Ihr Mann blickte zuerst streng, solange das Kind bei der Lüge beharrte, zwang dann Wort für Wort den Widerstand nieder, ohne je bei einer Weigerung in Zorn zu geraten. Dann aber, als sich das Leugnen in eine dumpfe Verstocktheit löste, sprach er ihr gütig zu, [...]" (S.36). Hier sind zu deutliche Parallelen mit ihrem eigenen Fall zu finden. Dies ist ein Grund, wieso sie dann schließlich, wie bereits erwähnt, nicht gesteht. Seine Rolle als Familienoberhaupt wird in dieser Passage auch deutlich, da er derjenige ist, der über die Tochter, den Sohn und auch über seine Frau richtet. Er hält sich für nahezu unfehlbar und dazu befähigt zu erkennen, was Recht und was Unrecht ist. Die Ähnlichkeit hinsichtlich seiner Methode des strengen Blickes drückt sich unter anderem in den Textpassagen "Da stieß kalt und hart der verwundert starre Blick ihres Mannes in ihr Herz" (S.22) und "[...] gleichsam hypnotisiert von diesem ernsten und verschleierten Blick" (S.26) aus. Es handelt sich hier um den Blick von Fritz auf Irene. Auch den Widerstand seiner Frau versucht er wie den der Tochter mit jenem strengen Blick zu brechen. Er geht auch weiterhin gleichermaßen vor: "Die drohende Strenge jener ersten inquisitorischen Tage war bei ihm einer eigenen Art von Güte und Besorgtheit gewichen, [...]" (S.34). Somit wird ersichtlich, dass er äußerst systematisch nach einem Schema vorgeht. Mit dem Engagieren der Erpresserin stiftet er diese natürlich zu einer Straftat an. "Sie hat sich ja ungern hergegeben, aber ich wollte es [...]" (S.56) sagt er über die Schauspielerin. Er muss sich auch bewusst sein, dass er eine Straftat begeht, da er ja schließlich wie schon erwähnt sehr nach Plan vorgeht und zudem noch "eine[r] der bekanntesten Verteidiger der Residenz" (S.9) ist und er also nicht behaupten kann, dass er sich in solchen Fragen nicht auskennt. Daran ist zu erkennen, dass er sich mit der Aktion auch wirklich an seiner Frau rächen will. Denn wenn er sie nur zurückhaben will, könnte er sie auch ohne die Straftat dazu bringen kann ihm zu gestehen. Weil er aber nach Vergeltung sucht, macht es ihm nicht viel aus, beziehungsweise nimmt er es in Kauf, dass er gegen das Gesetz verstößt.
Mit seinem gesamten Handeln sorgt er letztendlich dafür, dass seine Frau so verstört und verzweifelt ist, dass sie sich selbst sogar das Leben nehmen will. Dies kann er nur noch im letzten Augenblick verhindern. Er hat mit der Erpressung seiner Frau eine zusätzliche, große psychische Bürde auferlegt. Man kann aber nicht sagen, er wisse nicht, dass sie dies so belastet, da er ihr zum Teil verstörtes Verhalten zu Hause sieht und des Weiteren ohne Zweifel auch von der Erpresserin Informationen über ihren verwirrten und verängstigten Zustand bekommt. Er sagt auch selbst: "[J]eden Schritt habe ich dich beobachtet" (S.56). Im Widerspruch dazu steht aber seine Aussage: "so weit wollte ich dich nicht treiben". Denn, für einen an der Psychologie interessierten Mann, der über jeden ihrer Schritte im Bilde ist, ist es nicht möglich, dass er ihre Situation so unterschätzt. Am Schluss erst gesteht er ihr, dass er für die Erpressung verantwortlich ist und gibt zu, dass seine Vorgehensweise nicht richtig war. Gleichzeitig sucht er die Schuld am Misslingen seiner Aktion aber bei ihr, indem er ihr vorwirft: "ich habe dir doch immer gezeigt, dass ich bereit bin ... dass ich nichts will als verzeihen, aber du hast mich nicht verstanden" (S.56). Dieses Verhalten ist einerseits verständlich, da er ja von ihr betrogen wurde, andererseits ist es aber etwas narzißtisch. Zusammenfassend kann man sagen, dass diese Vergeltungsaktion sicher auch als Vergeltung oder Rache gedacht war, denn ansonsten hätte er sie nicht so leiden lassen müssen.
Obwohl der Schluss optimistisch wirkt, ist es nicht sicher, dass sich dieser Optimismus fortsetzt, nach all dem, was vorgefallen ist. Die Frage ist hier, ob er ihr nach ihrem Ehebruch wirklich nachsehen kann und ob sie ihm seine beinahe unmenschliche Vergeltungsaktion verzeihen kann. Der Text lässt dies ziemlich offen, jedoch merkt man, dass ein Schatten über ihrer Beziehung bleiben wird.
"Innen tat noch leise etwas weh [...] so wie Wunden brennen, ehe sie für immer vernarben wollen." Doch wer weis, vielleicht ist diese Krise auch ein Neuanfang für ihr Zusammenleben.


Literaturverzeichnis:
    Zweig, Stefan: Angst, Stuttgart, 1999 Friedenthal, Richard: Nachwort, In: Stefan Zweig Angst, erschienen im Reclam Verlag, Stuttgart, 1999

2470 Worte in "deutsch"  als "hilfreich"  bewertet