Jedermann

Hugo von Hofmannsthal "Jedermann"

1) Der Autor

Hugo von Hofmannsthal wurde am 1. Februar 1874 in Wien geboren. Er war der Sohn eines jüdischen Bankdirektors und einer sudetendeutschen Mutter italienischer Abstammung. Er begann schon mit 16 Jahren während seiner Gymnasiumszeit zu schreiben, wodurch er frühen Ruhm erlangte. Er begann mit "Kleinen Dramen", setzte mit der Jugendlyrik fort bis er nach 1900 gemeinsam mit Strauss ("Elektra"), antike Tragödienstoffe aufgriff. Nebenbei betätigte er sich als Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Essayist. Hoffmannsthal war österreichischer Dichter des Impressionismus. 1920 wurde er zum Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Hofmannsthal starb am 15.Juli 1929 in Rodaun (Niederösterreich) im Alter von 55 Jahren an einem Herzschlag nach dem Selbstmord seines ältesten Sohnes.

2) Zeit
Impressionismus: Zeit zwischen 1890 - 1910. In dieser Zeit erstrebten die Dichter eine möglichst genaue Wiedergabe persönlicher Eindrücke. Es ging ihnen um das Erfassen seelischer Stimmungen und um die Wiedergabe von Sinneseindrücken. Charakteristisch für diese Zeit ist auch das Stilmittel der Lautmalerei (=Onomatopöie) und das Zurücktreten der äußeren Handlung. Die Sprache zu dieser Zeit bedient sich häufig musikalischer Elemente. Die geschilderten Eindrücke und Dinge wirken als Stimmungsbilder. Der Impressionismus ist ein Leben in einer Scheinwelt, eine Flucht vor der Realität.

3) Zur Entstehung
Als Vorlage für Hoffmannsthals Jedermann diente das am Ende des 15.Jhdts. entstandene Everyman - Spiel eines anonymen Dichters, welches komplett in Englisch verfaßt war. Der geniale Regisseur Max Reinhardt drängte Hoffmannsthal, das in England inzwischen sehr populär gewordene Sujet baldmöglichst zu bearbeiten, damit ihm niemand zuvorkomme. Hoffmannsthal erstellte daraufhin eine fast vollständige, eng dem Original verpflichtete Übersetzung in unregelmäßig gereimten und dem Stil des Knittels angenäherten Versen. Der Knittelvers ist ein vierhebiger Vers der paarweise gereimt ist. In der Reimordnung erlaubt sich Hofmannsthal eine gewisse Freiheit, denn neben dem Paarreim lässt er immer wieder den Kreuzreim auftreten. Bei einer abermaligen Begegnung mit Reinhardt wurde beiden ein gewisser Mangel an äußerer Handlung und Farbigkeit der Personenbezeichnung bewußt. Um dem abzuhelfen, verband Hoffmannsthal seine Übersetzung mit einem Spiel gleichen Themas von Hans Sachs aus dem Jahre 1549: "Ein comedi von dem reichen sterbenden Menschen", der Hecastus genannt.
Letzterem entnahm er Figuren und Handlungselemente vor allem für den ersten Teil, des sogenannten "Weltlebens" Jedermanns.
Hoffmannsthal zog auch noch andere Quellen für sein Werk hinzu, wie z.B. ein Gebet Dürers, Lieder einiger Minnesänger sowie sporadisch Schauspiele Calderons und Maeterlincks. Er verstand es die einzelnen Handlungselemente geschickt miteinander zu verknüpfen.

4) Zum Werk
Jedermann ist ein geistliches Schauspiel um das Sterben eines reichen Mannes, den alle seine Freunde verlassen. Nur seine "guten Werke" und sein Glaube begleiten ihn vor Gottes Richterstuhl. Das Jedermann - Spiel wurde am 1. Dezember 1911 in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt. Es ist eines der bekanntesten Werke Hoffmannsthals, vor allem seit es am 22. August 1920 erstmals vor dem Salzburger Dom und von da an bei allen Salzburger Festspielen in Szene ging.
Die Aufführung des Jedermann auf dem Domplatz, anfänglich eine Notlösung aus Platzmangel, erwies sich für die Popularität des Stückes als glückliche Entscheidung. Die Premiere war eine karitative Veranstaltung, denn alle Beteiligten verzichteten auf ihre Gage zugunsten von Kriegsinvaliden.

5) Das Werk
Das Stück beginnt und der Spielansager tritt vor. Er erklärt den Charakter des Spieles, welches ein geistliches ist, das eine Lehre verkünden will. Nach dieser Einleitung wird Gott der Herr auf seinem Thron, vor ihm der Tod und neben ihm der Erzengel Michael sichtbar.
Als Gott der Herr sieht, dass man ihn auf der Erde nicht mehr schätzt und ihn nicht mehr als Schöpfer und Gebieter ehrt, beschließt er, die Menschen durch den Tod wieder an seine Allmacht zu erinnern. Der Allmächtige tadelt, dass das Trachten der Menschheit auf materielle Dinge allein gerichtet ist. Er trägt dem Tod auf, in das Haus des Jedermann zu gehen und ihn vor das göttliche Gericht zu rufen.

Jedermann ist ein sehr wohlhabenderer und angesehener Mann und lebt in einem prunkvollen Haus. Er ist äußerst habsüchtig und geizig. Eines Tages befiehlt Jedermann nun dem Hausvogt, er möge ihm ein Geldsäckchen bringen, damit er das Grundstück, das er zu kaufen gedenkt, bezahlen könne. Er will dort einen Lustgarten anlegen, den er seiner Buhlschaft zu schenken gedenkt.

Als er eben mit seinem Gesellen weggehen will, tritt der arme Nachbar an ihn heran, und bittet ihn um eine Geldspende. Jedermann gibt ihm einen Schilling und meint, dass dies vollauf genug sei. Der arme Nachbar gibt sich jedoch damit nicht zufrieden und erzählt ihm, dass er einst ebenso reich wie Jedermann gewesen sei, doch all seinen Reichtum verloren habe. Er meint, dass es jetzt christlich und recht sei, wenn der Reiche wenigstens ein Geldsäckchen mit ihm teile. Doch Jedermann denkt nicht daran. Er antwortet, dass dieser Beutel schon für ihn arbeiten müsse so dass er keinen einzigen Pfennig entbehren könne. Der arme Nachbar weiß hierauf nichts zu entgegnen, nimmt schweigend den Schilling und entfernt sich.
Kaum wollen sich Jedermann und sein Gesell anschicken um das Grundstück zu besichtigen, als ihnen ein Schuldknecht, der auf dem Weg in den Schuldturm ist, in den Weg tritt. Er ist ein Schuldner Jedermanns und er bittet ihn doch den Schuldbrief zu zerreißen und ihm aus seiner Not zu helfen. Jedermann aber kennt kein Erbarmen, doch um den Klagen des Weibes des Schuldners zu entgehen, erklärt er sich bereit, ihr und ihren Kindern Unterhalt und Verköstigung zu gewähren.

Nach der Begegnung mit dem Schuldknecht findet sich Jedermann nicht mehr in der Laune das Grundstück für den Lustgarten zu besichtigen und er beschließt zu seiner Buhlschaft zu gehen und bittet seinen Freund, ihm den Kaufvertrag dorthin zu bringen. Doch kaum will Jedermann das Haus verlassen, als er seine Mutter im Freien antrifft. Er hat es sehr eilig und darum versucht er seine Mutter auf ihre schwache Gesundheit aufmerksam zu machen, doch sie geht nicht darauf ein und hält ihm wie schon oft seine Gottlosigkeit und Liederlichkeit vor. Sie beklagt sich, dass er nicht ans Heiraten denke und sie gibt sich erst zufrieden, als er ihr verspricht sie werde seine Hochzeit schon noch erleben. Sein liederliches Leben aber will er nicht aufgeben und er meint, zum Glauben werde er schon noch im Alter zurückkehren wenn es dann ans Sterben ginge.

Kaum hat ihn seine Mutter verlassen, als seine Buhlschaft ihm auch schon entgegen kommt um ihn zu dem Feste, das für ihn bereitet wurde abzuholen. Auf dem Feste jedoch fühlt sich Jedermann schwach und elend und hat sonderbare Erscheinungen. Seine Buhlschaft ist um ihn besorgt und kann weder seine Meinung, dass er alle Gäste im Totenhemd vor sich sitzen sehe teilen, noch kann sie das dumpfe Glockenklingen, das in Jedermanns Ohren dröhnt vernehmen. Als er plötzlich sagt, er habe seinen Namen rufen hören, ist sie davon überzeugt, dass ihn das Fieber schüttle.

Doch Jedermann hat es mit der grausamen Wirklichkeit zu tun. Als er sich umblickt, steht ein ihm unbekannter Mann hinter ihm, der sich als Tod zu erkennen gibt und ihn auffordert sich für den letzten Weg bereit zu machen. Mit einmal kommt Jedermann sein schlechter Charakter und seine Untaten ins Bewußtsein, und er fleht den Tod an, ihm doch nur eine kurze Frist zu gewähren, damit er sich einen Freund suchen könne, der mit ihm vor die Schranken des Gerichtes Gottes treten wolle.


Nach langem Bitten gewährt der Tod Jedermann die Frist von einer Stunde, um sich nach einer Begleitung umzusehen; er gibt ihm aber den guten Rat nicht allzusehr auf seine Freunde zu vertrauen und die Stunde gut zu nützen.

Zuerst fragt er seinen guten Freund ob er ihm nicht einen Gefallen erweisen wolle, denn er müsse eine weite Reise antreten. Der Gesell ist bereit ihm alle Dienste zu tun, doch als er hört, dass er Jedermann vor das göttliche Gericht begleiten soll weigert er sich und verabschiedet sich eilig. Kaum anders handeln die beiden Vetter Jedermanns.
Auch sie lassen ihn im Stich. Da er sich nun von allen verlassen fühlt, will er doch wenigstens sein Geld in die Ewigkeit mitnehmen. Aber aus seiner Geldtruhe erhebt sich Mammon und erklärt sich keineswegs bereit mit ihm zu gehen.

Nun ist Jedermann völlig einsam und er ist der Verzweiflung nahe. Da hört er aus dem Hintergrund eine schwache Stimme, die seinen Namen ruft. Als er sich umwendet, sieht er eine gebrechliche Frau auf einer Bahre liegen, die ihm sagt, dass sie seine guten Werke sei und ihn gerne ins Jenseits begleiten wolle; sie sei aber zu schwach, da sie Jedermann immer so vernachlässigt habe. Sie ist aber bereit, ihre Schwester, den Glauben, um Beistand zu bitten. Der Glaube weist Jedermann nun auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes hin und rät ihm, die Gnade des Herrn anzurufen und um Vergebung zu flehen. Jedermann ergreift freudig die letzte Hoffnung auf Rettung und versucht nach Jahren der Ungläubigkeit wieder zu Gott zurückzufinden, wobei ihm ein Mönch hilft.

Inzwischen kommt der Teufel um die schuldbeladene Seele Jedermanns, deren er sich ganz sicher ist, zu holen und mit ihr zur Hölle zu fahren, doch er muss zu seinem Verdruß sehen, dass sie ihm durch die Gnade Gottes entrissen wurde. Wenig später kommt Jedermann völlig gereinigt zurück und nun kann er mit ruhigem Gewissen in Begleitung des Glaubens und der guten Werke vor Gottes Richterstuhl treten.


6) Problematik:
Jedermann vertritt in diesem Mysterienspiel die gesamte Menschheit.
In den ersten Worten Jedermanns erscheint ein bedeutungsvolles Motiv. Er erfreut sich an seinem Wohlstand und an seinem ausgedehnten Landsitz. Das Trachten der Menschen ist auf materielle Dinge allein gerichtet. Die Schuldknechtszene und die Szene mit dem armen Nachbarn gehören in gewisser Weise zusammen, denn beide Begegnungen verlaufen ähnlich. In beiden Episoden wendet Hofmannsthal die gleiche Technik an.
Während die äußere Handlung darin besteht, dass ein Bedürftiger eine Bitte vorbringt, und der Besitzende sie abschlägt, entfaltet sich die innere Handlung um so stärker.
Hierbei geht es um die soziale Verantwortung des Reichen und um die gesellschaftliche Stellung des Geldes. Seine Verwendung entspricht einer fortgeschrittenen Kulturstufe. Geld ist ein Zaubermittel, das die Menschen fast gottähnlich macht. Jedermann ist von seinem Irrglauben nicht los zubringen, denn er glaubt dass er mit seinem Geld jeden Menschen kaufen und wiederum verkaufen könne. Durch den am Ende auftretenden Tod, verlegt sich der reiche Mann aufs Bitten damit ihm noch eine Frist gewährt wird. Für den ersten Abschnitt des Stückes war charakteristisch, dass Jedermann den Menschen, die ihm nacheinander begegneten seinen Willen aufzuzwingen versuchte, oder zumindest ihre Interessen und Sorgen nicht ernst nahm. Hingegen im letzten Teil geschieht eine Verwandlung Jedermanns, denn der Fordernde wird zum demütig bittenden. Die Herzenshärte und der Egoismus, die er seinen Mitmenschen entgegenbrachte, werden ihm nun selbst zuteil. Doch als er seine Fehler einsieht, hat der Teufel verspielt, denn Jedermann kann in Frieden sterben.

7) Charakteristik:
In dem ersten Auftritt Jedermanns wird deutlich gemacht woran das Herz des reichen Mannes in besonderer Weise hängt, an seinem Schatz, dem Geld. Trotz seiner Liebe zu Besitz und Geld ist Jedermann aber kein Geizhals, kein primitiver oder habgieriger Mensch, sondern ein energischer, kluger Mann auf der Höhe des Lebens. Geschickt und überlegt geht er mit seinem Reichtum um, sein Wort hat Gewicht, er versteht seine Knechte sicher und selbstbewußt anzuleiten. Sein Lebensstil entspricht seiner sozialen Stellung. Jedoch die scharfen herrischen Befehle an seine Dienerschaft, zeigen neben dem großzügigen und geschickten Geschäftsmann immer deutlicher den hochfahrenden, überheblichen Reichen. Geld ist für Jedermann etwas ganz Besonderes, etwas Pseudo - Göttliches. In der Schuldknechtszene versäumt er es Gnade vor Recht ergehen zu lassen, denn er erfüllt die Bitte der Frau des Schuldknechts nicht. Trotzdem ist er aber auch hier nicht vollkommen hartherzig oder ganz und gar unbarmherzig. Seinem Durchschnittscharakter entsprechend, entschließt er sich dann doch dazu die Not der Familie zu lindern. Wenn diese Hilfe auch nicht aus spontanem Mitgefühlt entspringt, wenn für diese bescheidene Tat auch weniger sein gutes Herz verantwortlich ist, so verrät sie doch eine gewisse Menschlichkeit. In der Begegnung mit der Mutter zeigt sich der Charakter Jedermanns als solcher unreif und oberflächlich. Doch am Ende als ihm der Tod naht, beginnt eine Verwandlung mit Jedermann. Er sieht seine Fehler ein und wird so von Gott begnadigt.


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