Bahnwärter Thiel

BAHNWÄRTER THIEL
(Novellistische Studie aus dem märkischen Kiefernforst)

Erzählung von Gerhart Hauptmann, 1888/98


Gerhart Hauptmann wurde am 15.11.1862 in Bad Salzbrunn geboren und starb in Agnetendorf (in der Nähe von Regensburg) am 6.6.1946. Er betrieb künstlerische und wissenschaftliche (historische) Studien und lebte in Berlin (1884 - 91) und in Schlesien. 1889 gelang ihm der erste Erfolg mit dem sozialen Drama "Vor Sonnenaufgang", mit dem er dem Naturalismus zum Durchbruch verhalf, und mit der dramatischen Bearbeitung des Weberaufstands von 1844 in dem Stück "Die Weber" Realistische Milieutragödien "Fuhrmann Henschel"(1899) und "Rose Bernd"(1903), neuromantische Versdramen und Bearbeitungen von historischen, Sagen - und literarischen Stoffen.
Unter seiner Prosa ragt die naturalistisch - psychologische Novelle "Bahnwärter Thiel" hervor.



Die Hauptfigur der knapp 40 Seiten langen Erzählung ist Thiel, der zuverlässig und ohne Aufhebens seinen Dienst als Bahnwärter versieht. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet er - eigentlich vorerst nur, um seinen kleinen Sohn Tobias zu versorgen - eine Bauernmagd (Charakter:"...eine harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale Leidenschaftlichkeit.") Nach der Geburt eines zweiten gemeinsamen Kindes bevorzugt Lene es nicht nur, sondern mißhandelt das erste Kind. Dessenungeachtet gerät der immer noch seiner ersten Ehe nachtrauernde Thiel in immer größer werdende Abhängigkeit von Lene. Als er wieder einmal Nachtdienst versieht, erscheint ihm einer Halluzination Minna, seine erste Frau, mit einem blutroten Bündel im Arm und flieht - ohne ihn zu beachten - die Gleise entlang, während sie von einem heranbrausenden Zug verfolgt wird. Diese Vision, die in Thiels Schicksal eintreten wird, ist das symbolische Zentrum der Novelle.
Lene mißhandelt ihren Stiefsohn immer Ärger, bis er eines Tages, in der Nähe der Bahngleise spielend, unter einen Zug gerät.
Im beginnenden Wahnsinn erschlägt Thiel Lene und schneidet dem gemeinsamen Kind die Kehle durch. Bei der Einlieferung in die Nervenklinik hält er noch immer das braune Häubchen von Tobias in den Händen und streichelt es zärtlich.
Die Eisenbahn wird zur wesentlichen Metapher für das übermächtige Schicksal. Sie zieht die reale, geordnete Welt ins Geisterhafte und Chaotische; sie zerstört sowohl die Umwelt als auch die Leben von Tobias und Thiel.

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