Frau Jenny Treibel

Theodor Fontane "Frau Jenny Treibel" Kommerzienrat Treibel im Jahre 1888
Mein Name ist Treibel. Ich bin Kommerzienrat und wohne seit 16 Jahren in einer modischen Villa(14) in Berlin. Wo ich zum erstenmal im Roman auftrete, wird einem die Widersprüchlichkeit in meinem Charakter doch ganz deutlich. Ich möchte euch das einmal näher beschreiben. Ich sitze also in meinem Zimmer, lese das Berliner Tageblatt mit der Wochenbeilage Ulk und denke mir, sehr gut... Ausgezeichnet... Aber ich werde das Blatt doch beiseiteschieben oder mindestens das Deutsche Tageblatt darüber legen müssen(16). Meine Maxime je freier, je besser(45) gilt aber nur der Erotik zugewendeten Wege(44), und die gilt natürlich auch nur bei Abwesenheit der Damen.
Ich bin jovial(18), immer artig, besonders Frauen gegenüber(88), außerdem zeichne ich mich durch meine große Höflichkeit und mehr noch durch Herzensgüte aus(116). Meistens bin ich gut gelaunt(109) und als Frühaufsteher immer gestiefelt und gespornt und immer in sauberster Toilette(87). Ich nehme mich nicht allzu ernst, bin aber auch nicht ganz von Eitelkeit frei(110) und achte meist nur auf das, was mir persönlich Gefällt(110 f.). Um jetzt noch mal auf meinen Titel zurück zu kommen, der Titel Kommerzienrat bedarf meiner Meinung nach einer Ergänzung(32). Würde ich nach den Wünschen meines Strebens gehen, so wäre der Titel eines Kommerzialrates, oder besser der eines Generalkonsuls(24) für mich wünschenswert. Aber da ich meinen Weg genau berechnet(32 f.) habe, muss ich sagen, dass dieser Titel mich einfach besser kleidet.
Wenn ich noch einmal Absichten zu sprechen kommen, so kann man sagen, wenn ich gewartet hätte, könnt‘ ich jetzt, in viel besserer Gesellschaft, auf Seiten der Regierung stehen. In meinen politischen Ambitionen stellt Fontane die Schwächen des Bürgertums meiner Zeit dar.
Ich bin der Mann, der die Sachen von zwei Seiten her betrachtet(161). Den Toast, den ich beim Diner ausbringe zeigt, dass ich mich in der Gastgeberrolle wohl fühle und mich darin mit Sicherheit bewege. Die Schillerzitate, welche in der damaligen Zeit zum Sprachgebrauch gehören, habe ich immer parat. Aber beim Sprechen streue ich gerne französische Brocken ein, auch Wörter lateinischer Herkunft. Dass ich nicht lüge, zeige ich euch anhand einiger Ausdrücke: L’appétit vient en mangeant (32) und gutta cavat lapidem. Nichts desto trotz, kann ich mich auch mühelos anderen Jargons anpassen. Dies wird deutlich, wenn ich mit den Worten kapitales Weib(42) dem Vogelsang anschließe. Bei mir kommen natürlich wie bei jedem anderen Menschen auch derbe Wörter vor. Zum Beispiel Klimperkasten(159) und um es berlinerisch zu sagen, ihren uns aufgebuckelten Ehrengast(89). So wird der Wechsel zwischen den verschiedenen Ebenen für mich typisch. Hier aber verbinde ich die Extreme mit Sprüchen, wie Der eine hat den Beutel, der andere das Geld(125) oder der Gebrannte scheut das Feuer(115). Ich selbst, und auch der Autor sehen mich als einen ganz klugen Kerl(159). Klett ISBN 3 - 12 - 351120 - 0

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