Die Verwandlung

Der Käfer Gregor Samsa - Erörterung und Interpretation

I. Inhaltsangabe und Fragestellung

Kafkas im Jahre 1912 geschriebene, 1915 veröffentlichte Erzählung "Die Verwandlung" be -
ginnt mit einem sehr plötzlichen Geschehen. Der Handlungsreisende Gregor Samsa entdeckt
beim Aufwachen, dass er sich in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt hat. Er ist nicht mehr
in der Lage, seinen alltäglichen Geschäften nachzugehen. Dabei steht "Geschäft" als Synonym
für das ganze Leben.

Diese Verwandlung verändert sein Leben und das der Familie vollständig. Im Verlauf der
Handlung gerät der verwandelte Gregor zunehmend in eine isolierte und missachtete Position
innerhalb seiner Familie. Am Ende leistet er dem Wunsch, das ekelhafte Ungeziefer, in das er
sich verwandelt hat, loszuwerden, Folge, indem er sich selbst zum Sterben entschließt. Zurück
bleiben Vater, Mutter, Schwester, die, befreit von dem belastenden Familienmitglied, zuver -
sichtlich in die Zukunft blicken.

Ein alternatives Ende hat der Frankfurter Maler und Schriftsteller Robert Gernhardt in einer
Zeichnung entworfen. Der Käfer Gregor wird von anderen Käfern liebevoll und freundlich
bei seinesgleichen aufgenommen.

Ich möchte mich im folgenden mit der Erzählung "Die Verwandlung" auseinandersetzen und
erörtern, ob Gernhardts Darstellung ein mögliches alternatives Ende von Kafkas Darstellung
sein könnte.

II. Die Beziehungen zwischen Gregor und den Familienmitgliedern

II.I Die Position Gregors innerhalb der Familie

Gregor Samsa arbeitet als Handlungsreisender. Dieser Beruf mißfällt ihm. Er ist unterwegs
als Reisender, jedoch nicht als Reisender in eigener Sache, eigenem Interesse. Angestellt ist
er bei einer Firma, bei der er arbeitet, um Schulden, verursacht durch geschäftliche Mißerfolge
des Vaters, abzuarbeiten und gleichzeitig seiner Familie ein angenehmes Auskommen zu er -
möglichen. Nur aus Pflichtbewußtsein zwingt er sich zu dieser Arbeit. Die Familienmitglieder
jedoch leben durch seinen Einsatz und Fleiß ein durchaus angenehmes Leben. Die Mutter schont sich kränkelnd, die Schwester verbringt einen von Arbeit unbeschwerten Alltag, der Va -
ter liest ausgiebig Zeitung und ruht.

Die Rücksichtnahme und das Pflichtbewußtsein, mit dem Gregor unter Aufgabe eigener Inter -
essen den finanziellen Rückhalt für die Familie verdient, würdigt die Familie nicht. Sie nimmt dies als selbstverständlich hin.

Gregor hat neben der Arbeit nach Aussage der Familienmitglieder wenig Interessen. Er geht
niemals aus, beschäftigt sich nach Aussage der Mutter allenfalls mit kleinen Laubsägearbeiten.
Neben der Arbeit bestehen Verbindungen zur Außenwelt nur in seiner Beschäftigung mit dem
Bild einer Dame, das er aus einer Illustrierten ausgeschnitten und eingerahmt hat, und dem
Blick durch das Fenster seines Zimmers auf die darunterliegende Gasse.
Die Beziehungen der Familie zu Gregor reduzieren sich auf die Erwartung, er habe für ihr
gutes Befinden und ihre Bequemlichkeit zu sorgen. Bezeichnend ist die Beschreibung von Gre -
gors Zimmer: Innerhalb der großen, durch seine Arbeit finanzierten Wohnung bewohnt er ein
richtiges, nur etwas kleines Menschenzimmer.
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Eines Morgens verschläft Gregor den Wecker und die Pflicht seiner Arbeit. Aufwachend,
stellt er fest, dass er sich in einen Käfer verwandelt hat. Unsicher und unfähig fühlt er sich in
dieser verwandelten Gestalt.

Gerne hätte er schon lange seine Arbeit aufgeben. Das Pflichtbewußtsein, für seine Familie
und die durch den Vater gemachten Schulden aufzukommen, hinderte ihn.

Nun wird seinem Unbehagen äußere Gestalt verliehen. Die Verwandlung in ein Tier verleiht
seiner Unzufriedenheit in körperlicher Form Ausdruck. Gleichzeitig stellt die Verwandlung
in einen Käfer, ein abstoßendes, nutzloses Tier die Position dar, in der er sich gegenüber der
Familie empfindet. So kann er den Erwartungen der Familie nicht mehr entsprechen.

Der ihm zugewiesenen Aufgabe, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, kann er so nicht
mehr entsprechen. Er ist auch nicht mehr in der Lage, sich den Familienmitgliedern mitzutei -
len. Obwohl in der Gestalt eines Ungeziefers, bleibt er in seinem Denken und Fühlen vollkom -
men menschlich. Doch eine Verständigung zwischen ihm und den Familienmitgliedern auf üb - liche Weise ist durch die Verwandlung nicht möglich.

Sein plötzlicher Ausfall als Ernährer der Familie und seine Verwandlung in einen nutzlosen
Käfer verändert die Beziehungen zwischen allen Familienmitgliedern und zwingt diese, ihr Verhalten und ihre Lebensweise zu ändern.

II.II Die Reaktion der Familie

Es ist anders als sonst. Die Mutter wundert sich, dass Gregor nicht wie üblich zur Arbeit un -
terwegs ist. Ihre Ermahnungen und die Sorge der Familie werden verstärkt durch den Prokuristen von Gregors Firma, der auffällig früh erscheint und Gregor sein Versäumnis deutlich und nachhaltig vorwirft.

Gregor hatte vorher auf seinem Bett gelegen und seine neue Situation als Käfer überdacht. Noch ist er getrieben von Pflichtbewußtsein und dem Wunsch, Erwartungen zu erfüllen. So
mobilisiert er alle Kräfte und es gelingt ihm schließlich, zur Tür zu gelangen und diese
zu öffnen, indem er den Schlüssel mit dem Mund bewegt. Der Mund als Kommunikationsorgan
ist ein Mittel, den Weg zu den Mitmenschen zu finden. Doch Gregors Anstrengung wird nicht
gewürdigt, seine Tierstimme - für ihn völlig verständlich - wird von den anderen nicht verstan -
den. Auch sein Anblick löst Entsetzen und Abscheu, auf seiten des Vaters einen feind -
seligen Ausdruck aus.

Letzterer drängt Gregor gewaltsam in dessen Zimmer zurück. Dabei stößt er Zischlaute aus,
die Gregor als unerträglich empfindet. Ob diese Zischlaute an ein Tier, vielleicht eine Schlan -
ge erinnern, die den Käfer mühelos vernichten kann, oder einfach nur darstellen, dass nicht nur
Gregors Tierstimme von der Familie nicht verstanden werden, sondern auch des Vaters Spra -
che teilweise für Gregor nicht verständlich ist, ist zu überlegen. Eindeutig scheint, dass Gre -
gor den Vater als verständnislosen und mitleidslosen Menschen empfindet, mit dem eine Kom -
munikation nicht möglich ist.

Der Prokurist, der so frühzeitig Gregors Nichterscheinen erkannte und sich darüber beklagte, verschwindet bei dessen Erscheinen schnellstens. Sein rasches Verschwinden demonstriert die Abwendung der Aussenwelt angesichts der Verwandlung. Vom Vater wird Gregor unter Hinzufügung einer blutenden Wunde gefühllos in sein Zimmer zurückgedrängt.

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Nun verbleibt der Käfer Gregor allein in seinem Zimmer. Die Verbindung zur Außenwelt hatte
der Prokurist bereits durch sein Verschwinden gelöst. Auch die Sicht durch das Fenster auf
die Gasse, durch welche Gregor das Geschehen außerhalb passiv beobachtet, wird immer
mehr vernebelt. So reduziert sich Existenz G regors mehr und mehr auf das Leben in seinem
Zimmer.

Obwohl Gregor die Tür mühsam mit dem Mund öffnete, erscheint kein Familienmitglied, um
mit ihm Kontakt aufzunehmen. Lediglich die Schwester erscheint, um ihm Nahrung zu bringen.
Sie bietet ihm zur Auswahl verschiedene, auch unübliche Nahrungsmittel an und zeigt so, dass
sie seine Bedürfnisse herausfinden möchte. Doch sie ist gespalten zwischen dem Wunsch., ihm
zu helfen sowie dem Ekel und Widerwillen gegenüber seiner veränderten Gestalt.

Die Mutter ist trotz gegenteiliger Beteuerungen zu schwach, sich gegen Vater und Schwester
durchzusetzen und Gregor aufzusuchen. Erst auf Aufforderung der Schwester kommt sie ins
Zimmer, um dieses von Möbeln freizuräumen. Dies soll angeblich eine Bequemlichkeit für
den Käfer sein, der sich dann ungehinderter im Zimmer bewegen könne. Doch erkennt die
Mutter, wie auch Gregor es empfindet, dass dieser damit von seiner vorherigen menschlischen
Existenz getrennt wird. Doch sie kann sich nicht gegen das Vorhaben von Gregors Schwester,
das Zimmer auszuräumen, durchsetzen.

Auch Gregor empfindet, dass man ihm nimmt, was ihm lieb ist und zu seinem menschlichen
Leben gehört. Er kommt aus seinem Versteck hervor und preßt sich verteidigend an
das anfangs erwähnte Bild der Dame, das einen Menschen zeigt, der nicht zur Familie ge -
hört und eine Verbindung zur Außenwelt darstellt. Doch als die Mutter ihn, ihren veränderten
Sohn erblickt, fällt sie ihn Ohnmacht. Völlige Hilflosigkeit ist ihre Stellungnahme zur veränder -
ten Situation.

Dem heimkommenden Vater möchte sich Gregor verständlich machen und ihm seine guten Absichten mitteilen. Dabei staunt er, wie der Vater sich verwandelt hat. Aus dem müden zeitungslesenden, auf Unterstützung angewiesenen Kränkelnden ist ein kraftstrotzender Mann
geworden. Er musste sich um eine Erwerbstätigkeit bemühen, als Gregor sich in einen Käfer
verwandelte. Nun trägt er die Uniform eines Bankangestellten. Dies bedeutet eine Steigerung
gegenüber der von Gregor ausgeübten Tätigkeit, es bedeutet eine mächtige Stellung, aus der
heraus der Vater auch die Familie bestimmen kann.

Die von Gregor festgestellte Riesengröße seiner Stiefelsohlen zeigt die Furcht des Sohnes,
mit Leichtigkeit von diesen zertreten zu werden. Sie zeigt das Verhältnis zwischen Vater
und Sohn. Die Angriffe, mit denen der nun vitale und erstarkte Vater den Sohn in dessen Le -
bensbereich zurückzudrängen versucht, sind für diesen lebensgefährlich.

Zwar bittet die Mutter den Vater, Gregors Leben zu schonen. Doch zu schwach, um für den
Sohn Partei zu ergreifen und ihn aktiv zu unterstützen, erscheint sie Gregor als mit dem Vater
vereint, als Partei gegen ihn.

Durch einen Apfel, mit dem der Vater ihn trifft, erleidet der Käfer Georg eine schwere Ver -
wundung. Dieser Apfel sitzt als sichtbares Andenken in seinem Fleische und verursacht eine
dauerhafte Wunde. Mit letzter Kraft zieht sich Gregor in sein Zimmer, seinen Lebensbereich,
zurück.
Die veränderte Situation hat nicht nur den Vater aktiv und vital werden lassen. Auch Mutter
und Schwester haben Kräfte entwickelt. Die Mutter näht, die Schwester arbeitet als Verkäuferin und bildet sich fort, um später eine bessere Stellung zu erreichen.
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Dadurch wird Gregors Betreuung vernachlässigt. Schwächer wird seine Position als Familien -
mitglied, stärker wird die Betonung der Nutzlosigkeit gegenüber der Aktivität der anderen.
Gregors Wunde schmerzt, denn auch die Mutter verlangt jetzt abends das Schließen der Tür.

Das Essen wird dem Ungeziefer Gregor - der sowieso an Appetitlosigkeit gegenüber der
üblichen Nahrung leidet - nunmehr flüchtig hingestellt, das Zimmer verschmutzt, eine alte Be -
dienerin betreut Gregor, den sie als alten Mistkäfer bezeichnet.

Schließlich wird das Zimmer, anfangs ausgeräumt, um Gregor mehr Bequemlichkeit z u bie -
ten, mit den Möbeln vollgestellt, die man herausräumte, um drei Zimmerherren mit eigenen
Möbeln Platz zu bieten. Es wird zur Rumpelkammer.

Die Zimmerherren bringen nicht nur ihre Möbel aus der Außenwelt mit, sondern auch ihre
Wertvorstellungen. Sie sind ordentlich, sauber, und lehnen jeden Schmutz und jede Abweichung vom Normalen ab.

Die Entwicklung der Handlung zeigt, wie Gregor, der ehemalige Familienernährer, dessen
Bemühungen nicht geschätzt, sondern für selbstverständlich gehalten wurden, nun als nutzloses
Ungeziefer für die Familie zunehmend bedeutungsloser wird. Noch trennt sich die Familie nicht
von dem verwandelten Gregor. Doch die ordentlichen, vitalen Zimmerherren, die die Plätze der
Familie einnehmen, stehen in deutlichem Kontrast zu dem in der Rumpelkammer lebenden, nutzlosen, verwundeten Ungeziefer Gregor, das der Familie zunehmend lästig wird.

Beim Violinspiel der Schwester vor den recht desinteressierten Zimmerherren wagt sich
Gregor aus der eigenen Kammer. Er, der so lange nichts aß, fühlt sich durch die Musik auf dem Wege zur ersehnten Nahrung. So, wie er sich in einen Käfer verwandelte, als er die
Erwartungen der Familie an seine Bereitschaft zur Selbstaufopferung und die Verdrängung der
eignen Bedürfnisse nicht mehr ertragen konnte, so fühlt er nun, der so lange hungerte, dass die Musik Nahrung für ihn ist. Es ist dies die Befriedigung der Bedürfnisse von Geist und Seele, die ihm fehlte. Und so zeigt er sich als Käfer ohne Scheu, getrieben von dem Wunsch, sich der Schwester mitzuteilen.

Empört reagieren die Zimmerherren auf das Ungeziefer. Auch die Schwester spricht nun ihre
Ablehnung klar aus: Gregor ist kein Menschwesen mehr, kein Bruder, das "es", das Un -
geziefer muss man loswerden. "Wenn er uns nur verstände", sagt der Vater, der niemals eine
Möglichkeit der Verständigung suchte, und so besteht Einigkeit in der Ablehnung des Ungeziefers.

Mit letzten Kräften kriecht Gregor in sein Zimmer zurück. Die Schwester demonstriert die Ab -
lösung vom Bruder durch das Abschließen der Tür. Nun übernimmt Gregor ohne Aufbegehren
die Einstellung, dass es für die Familie am besten sei, dieses nicht nur nutzlose, sondern jetzt
auch schädliche Ungeziefer loszuwerden. Er stirbt einen einsamen Käfertod, nicht vernichtet
von den Riesenstiefeln des Vaters oder der Wunde durch den Apfel, sondern von der Einstel -
lung seiner Familie ihm gegenüber.

Vater, Mutter, Schwester jedoch erstarken. Die Zimmerherren, jetzt nicht mehr nötig, müssen
auf Geheiß des Vaters ihre Stellung wieder der Familie überlassen, auch die Bedienerin soll
gehen.

Auf einem Ausflug entstehen neue Perspektiven und Pläne für die Zukunft, in deren Mittel -
punkt die junge, vitale Tochter steht.
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III. Zur Verarbeitung von Kafkas persönlicher Lebenswelt in dieser Erzählung

Wenn ich im folgenden versuche, Informationen über Kafkas Leben in Beziehung zu der
Erzählung "Die Verwandlung" zu finden, so beziehe ich mich auf die Quelle: A.Miller,
Du sollst nicht merken, S. 355 - 361.

Kafka hat in seiner Erzählung, wie auch diese Sekundärliteratur zeigt, viele autobiographische
Bezüge verarbeitet. Die geschilderte Wohnung gleicht wohl der elterlichen Wohnung in Prag.

Gleichzeitig steht die Wohnung als Handlungsraum des Lebens für Kafkas seelischen Innen -
raum, in den er sich wechselweise in sein Zimmer zurückzieht oder zurückgedrängt wird.

Neben den räumlichen Analogien sind diejenigen zu den Familienmitgliedern Kafkas auf -
fällig. Die Mutter wird geschildert als liebevolle und gütige Frau, die sich um ihren Sohn "sorgt". Doch steht sie gleichzeitig unter dem Einfluß des Ehemanns, dessen Forderungen an sie als fleißige Arbeitskraft und gehorsame Ehefrau sie willig zu entsprechen versucht. So ist sie nicht in der Lage, bei Auseinandersetzungen zwischen dem Vater und dem anders veranlagten, künstlerischen und sensiblen Sohn diesen aktiv zu unterstützen. Ferner ist zu fragen, ob sie, bestrebt, mit ihrer Arbeit ihren Beitrag zur Sicherung des alltäglichen Lebens zu leisten, überhaupt fähig war, diesen Sohn zu verstehen und seine Bedürfnisse zu begreifen.

So schreibt sie in einem Brief an die ihr unbekannte Felice von ihren Sorgen um des Sohnes
ungesunde Lebensweise: "Er schläft und ißt so wenig, dass es seine Gesundheit untergräbt",
während sie andererseits zu Kafkas Schreiben äußert: "Ich hielt dieses nur für einen Zeitver -
treib".

Gerade eine solche Fehleinschätzung der Bedeutung von Kafkas Wunsch, als Schriftsteller zu arbeiten - sie erinnert an die Aussage in der Verwandlung, dass sich Gregor mit kleinen
Laubsägearbeiten beschäftigte - lässt vermuten, dass sich die Mutter zwar sorge, jedoch keine
verständnisvolle Beziehung zu diesem hat und seine Bedürfnisse nicht erkennt.

Kafka schildert in der "Verwandlung" seine Mutter als schwache Frau, die den Wunsch, den
verwandelten Sohn zu besuchen, nicht durchsetzt, bei seinem Anblick in Ohnmacht fällt, beim
Vater um das Leben des Sohnes bittet und doch auf seiten des Vaters steht.

Stärker wird die Schwester geschildert, die anfangs halbherzig versucht, dem andersartigen Bruder zu helfen, ohne eine wirkliche Beziehung zu ihm zu suchen. Auch sie trägt Züge von Kafkas jüngerer Schwester Olga. Beim Aufräumen des Zimmers versucht Gregor, das Bild der Dame, an dem ihm viel liegt, vor ihr zu schützen. Diese Dame, eine der wenigen Verbindungen zur Außenwelt, könnte Kafkas Verlobte Felice darstellen.

Kafkas persönliche Begegnung mit Felice war nur kurz. Seine Beziehung zu ihr besteht fast ausschliesslich in brieflichem Kontakt und so könnte man auch das Bild in der "Verwandlung", von dem man außer einer dargestellten Dame mit Pelzhut und Pelzboa - die auf ein Tier und damit die Andersartigkeit gegenüber den Kafka bekannten Menschen hindeuten könnten - deuten als Wunschbild, das Kafka sich macht.Durch das geschilderte tierliche der Person kommt sie dem Käfer Kafka näher. Das von Gregor verteidigte Bild unter Glas könnte darauf hinweisen, dass Kafka auch zu seiner geliebten und verehrten Felice in einer gewissen Distanz lebt und sie nicht richtig erreichen kann. Dies geht auf sein durch die Kindheit verursachtes Gefühl der Isolation und Minderwertigkeit zurück, dass er auch in der Beziehung zu Felice nicht überwinden kann.
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Sehr deutlich kommt in Kafkas Erzählung das problematische Verhältnis zum Vater zum Aus -
druck. Dieser, der ihn feindselig zurückstößt, der ihn mit seinen Riesenfüssen leicht zermalmen
könnte, stößt ihn immer wieder in die Isolation und Einsamkeit zurück. Er versetzt ihm eine
Wunde, die nicht heilen kann. Der Apfel, langsam verfaulend, in seinem Fleische steckend,
symbolisiert diese Verletzungen.

Kafkas Vater ist geprägt von einer harten, von Entbehrungen durchzogenen Jugend, in der er nur durch Entwicklung von Stärke und Durchsetzungskraft überleben konnte. Ähnliche Verhaltensweise, Stärke, Respekt, Tüchtigkeit, Gehorsam, erwartet er vom eigenen Sohn. Den sensiblen Künstler zu verstehen, überfordert seine Lebenserfahrungen und seine Fähigkeiten.

So, wie Kafkas den Vater als bedrohlich, verletzend, gefühllos empfindet, schildert er ihn in
der "Verwandlung." Unfähig, des Vaters Erwartungen zu erfüllen, realisierend, das sein Be -
mühen nicht gewürdigt wird und für ihn selbst eine Qual darstellt, stellt er sich selbst dar, er 'outet' sich, zeigt sich in verwandelter Form und so wird er innerhalb der Familie noch isolierter, verwundbarer und verletzbarer. Schließlich gibt er sich selbst auf.

Doch gleichzeitig ist das Problem zwischen Kafka und seinem Vater nicht nur als persönliches
Problem zu sehen. Denn als der Vater den Käfer Gregor in sein Zimmer zurückdrängt, klingt
es diesem gar nicht mehr wie die Stimme bloß eines einzelnen Vaters.

Dies weist darauf hin, dass Kafka sehr genau realisiert, dass der Vater nur Teil einer Gesell -
schaft ist, die für Künstler wie Kafka nur Geringschätzung übrig haben.

IV. Die Heimkehr Käfer Gregors - ein alternatives Ende

Eine Zeichnung des Malers und Schriftstellers Robert Gernhardt zeigt, wie Käfer Gregor
von drei anderen Käfern - zwei seiner Größe, einem größeren Käfer - liebevoll empfangen
wird.
Diesen Empfang hätte man dem Käfer Gregor, der sich vorher für seine Familie aufgeopfert
hatte und nun seine andersartigen Bedürfnisse nicht mehr verstecken konnte, wirklich gewünscht.

Doch diese harmonische Heimkehr - dieses Happy End - kann aus der Erzählung Kafkas nicht
gefolgert werden. Gregor kann seine Andersartigkeit gegenüber der Familie nicht mehr ver -
leugnen, was bildhaft durch die Verwandlung in einen Käfer, ein Ungeziefer, dargestellt wird.
Noch bestehen familiäre Gefühlsbeziehungen, besonders zur Schwester, die anfangs durch
die Versorgung mit Nahrung und dabei auch wahlweisen Angeboten versucht, eine Beziehung
zu halten. Doch ist sie deutlich im Zwiespalt zwischen dem Wunsch, Gregor zu helfen und
dem Widerwillen gegenüber dem in der Käfergestalt dargestellten Anderssein des Bruders.
Die Mutter äußert den Wunsch, Gregor zu sehen, macht jedoch keine Anstalten, zu dem ver -
änderten Sohn zu kommen. Der Vater lehnt die Veränderung einfach ab .

Gregors Verwandlung zeigt auf, dass er anders ist als die Familie. Gleichzeitig wird die
Verwandlung in einen Käfer als minderwertige Position Gregors dargestellt. Gregor wünscht
trotzdem den Kontakt zu den Familienmitgliedern und unternimmt anfangs noch große An -
strengungen, z.B. die Öffnung der Tür durch seinen Käfermund. Er versucht, sich mitzuteilen,
ist menschlisch in seinem Fühlen und Denken und entsetzt, dass er nicht mehr verstanden wird.
Er versteht auch die Sprache der Familienmitglieder mit Ausnahme des Vaters, der ihn mit be -
drohlichen Zischlauten zurückzudrängen versucht.

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Doch kein Mitglied der Familie wendet sich ihm wirklich zu, versucht, mitfühlend Kontakt
mit ihm aufzunehmen. Keiner versucht, mit ihm oder zu ihm zu sprechen, einfach bei ihm zu
sein oder ihm Gesellschaft zu leisten. Gefühle werden nur als Widerwillen über Gregor aus -
gedrückt, nicht als Mitgefühl. Das einzige Anliegen der Familie ist, er möge sein wie vorher
Die Familie wünscht Normalität. Sie reagiert auf Gregors äußerliche Gestalt, welche sie als
ekelhaft empfindet, sie macht keinen Versuch zu entdecken, ob und was er innerlich denkt und
fühlt.

Da Gregor sich in seiner verwandelten Gestalt nicht ändert, werden ihm nach und nach, begin -
nend mit der Ausräumung des Zimmers, die Lebensgrundlagen entzogen.

Seine Position wird immer schwächer. Anfangs wird die Zimmertür noch geöffnet, damit er
passiv an den Gesprächen der Familienmitglieder teilnehmen kann. Schließlich wird die Tür
sogar auf Betreiben der Mutter geschlossen. Eine Entscheidung wird herbeigeführt durch die
Zimmerherren, die mit ihrer Welt von Sauberkeit, Stärke, Ordnung die Plätze der Familie ein -
nehmen und diese von den familiär geprägten Bindungsverpflichtungen befreien.

Mit ihren kauenden Zähnen bewältigen sie stillschweigend, kommunikationslos, doch in einer
Position der Stärke den Alltag und beweisen, dass Gregor mit seinen schwachen und zahnlosen
Kiefern und dem Wunsch nach andersartiger, nicht materieller Nahrung wertlos ist.

Schließlich spricht die Schwester, die anfangs halbherzig zu helfen versuchte, die Einstellung
aus, man müsse das lästige, abnormale Ungeziefer loswerden.

Und so gibt Gregor auf. Der Käfer, der andersartige, hat in dieser Familie, dieser Welt ,keinen
Platz. Er wählt den radikalen Rückzug der Selbstaufgabe bis zum Tode, dabei noch verständ -
nisvoll mit Gedanken der Liebe und Rührung hinsichtlich der Familie.

Vater, Mutter, Schwester, befreit vom Konflikt zwischen ihren Wertvorstellungen und der An -
dersartigkeit des Bruders, der sich durch seine Verwandlung klar äußerte und von ihnen eben -
so deutlich abgelehnt wurde, fühlen sich befreit. Der Rückzug des lästigen Gregors wird von
ihnen gefeiert, so sehr, dass sie ihre eigenen Pflichten einmal absagen. Die Hoffnungen, die die
Eltern an Gregor hatten, richten sich jetzt auf die Tochter.

Gewiß ist Kafka nicht der einzige Künstler, der von seiner Familie wegen anderer Lebens -
und Wertvorstellungen abgelehnt wurde. Für manchen dieser Künstler könnte Gernhardts
Zeichnung eine Lösung sein. Gleichgesinnte Menschen nehmen ihn verständnisvoll auf und akzeptieren ihn.

Für den Käfer Gregor Samsa könnte die einzige Lösung darin bestehen, dass er sich zu
"anderen Käfern " begibt. Zu seinesgleichen. Das bedingt Verbindungen zur Außenwelt.


Doch in der Erzählung "Die Verwandlung" reduzieren sich die Beziehungen zur Aussenwelt auf das Bild der Dame, die nur als ein von Gregor geschätztes Bild eine Rolle spielt, sowie auf
das Fenster, durch das er die Außenwelt betrachtet. Und das Bild vor dem Fenster wird zunehmend verschwommener und nebliger.
Daher ist Gernhardts Zeichnung der Heimkehr des Käfers Gregor eine Wiedergabe des in der
Erzählung ausgedrückten Wunsches. Ein mögliches alternatives Ende stellt sie nicht dar.
- 7 -









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"Die Verwandlung"

Geschrieben von Franz Kafka,

erörtert von Lukas Kroh

(Gk Deutsch Fürst)














Eine Zeichnung des Malers und Schriftstellers Robert Gernhardt zeigt den Käfer Gregor,
der von drei anderen Käfern - zwei gleichgroßen und einem deutlich größeren - liebevoll
empfangen wird.

Sie gibt pointiert und prägnant den in der Erzählung ausgedrückten Wunsch des Künstlers Kafka nach Akzeptanz, Verständnis und gleichberechtiger Stellung gegenüber den anderen wieder.

Diese harmonische Heimkehr - ein gezeichnetes Happy End - kann jedoch aus der Erzählung nicht abgeleitet werden. Gregor kann seine Andersartigkeit gegenüber der Familie nicht mehr verleugnen, was bildhaft durch die Verwandlung in den Käfer, das Ungeziefer, dargestellt wird.Noch bestehen familiäre Gefühlsbeziehungen, besonders zur Schwester, die anfangs durch die Versorgung versucht, die Beziehung zu halten. Doch sie ist in ihren Versuch bereits gespalten zwischen dem Wunsch zu helfen und deutlichem Widerwillen gegenüber dem klar
demonstrierten Anderssein Gregors. Die Mutter äußert wohl den Wunsch, nach ihrem Sohn zu sehen, macht jedoch keine entschiedenen Anstalten, dies auch aktiv durchzusetzen. Der Vater lehnt die unerwünschte Veränderung erbarmungslos ab.

Gregors Verwandlung zeigt auf, dass er anders ist als Vater, Mutter, Schwester. Gleichzeitig wertet sie dieses durch die Verwandlung in ein Ungeziefer als eine als minderwertig empfun -
dene Position. Trotzdem wünscht er den Kontakt zu den Familienmitgliedern und unternimmt anfangs große Anstrengungen wie das Öffnen der Tür mit seinem Käfermund. Er versucht, sich mitzuteilen,ist menschlisch in seinem Denken und Fühlen und entsetzt, dass er nicht mehr ver -
standen wird. Ebenso versteht er die Sprache der anderen Familienmitglieder mit Ausnahme der für ihn unverständlichen Reaktion des Vaters, der ihn mit bedrohlichen Zischlauten zurück -
treibt.

Doch kein Mitglied seiner Familie wendet sich ihm wirklich zu, versucht, mitfühlenden Kontakt mit ihm aufzunehmen. Keiner versucht, mit ihm oder nur zu ihm zu sprechen oder einfach bei
ihm zu sein, ihm Gesellschaft zu leisten. Gefühle werden nur als Widerwillen über Gregor
ausgedrückt, nicht als Mitgefühl. Das einzige Anliegen der Familie ist, Gregor wieder zu
sehen wie vorher. Die Familie wünscht die, die für sie gültige Normalität wiederhergestellt zu sehen. Sie kümmert sich um Gregors äußere Gestalt, die sie als ekelhaft empfinden, und machen keinen Versuch, zu entdecken, wie er innerlich denkt und fühlt.

Da Gregor sich nicht ändert, werden ihm nach und nach, beginnend mit der Ausräumung des
Zimmers, die Lebensgrundlagen als Sohn und Bruder der Familie entzogen.

Seine Position wird immer schwächer. Anfangs wird die Zimmertür noch manchmal geöffnet.
Wenigstens passiv darf er seinerseits an der Kommunikation innerhalb der Familie teilnehmen.
Doch immer öfter wird die Tür, schließlich auch auf Betreiben der Mutter, geschlossen.
Eine Entscheidung wird herbeigeführt durch die Zimmerherren, die mit ihrer Welt von Sauber -
keit, Ordnung, Stärke die Plätze der Familie einnehmen und diese von den familiär geprägten
noch bestehenden Bindungsverpflichtungen befreien.

Mit ihren kauenden Zähnen bewältigen sie stillschweigend, kommunikationslos, doch in einer
Position der Stärke den Alltag und demonstrieren, dass Gregor mit seinen schwachen zahn -
losen Kiefern und dem Wunsch nach andersartiger,nicht materieller, sondern geistig - seelischer
Nahrung, wertlos ist.

Schließlich spricht die Schwester, die Gregor anfangs halbherzig zu helfen versuchte, die Ein -
stellung der Familie klar aus. Man muss Gregor, das lästige, der normalen Welt schädliche Un -
geziefer, los werden.

Und so gibt Gregor auf. Er versteht, dass er in dieser Familie, dieser Welt, keinen Platz hat, und wählt den radikalen Rückzug der Aufgabe bis zum Tode, dabei noch verständnisvoll mit
Gedanken der Liebe und Rührung hinsichtlich seiner Familie.

Vater, Mutter, Schwester, befreit vom Konflikt zwischen ihren Wertvorstellungen und der An -
dersartigkeit des Bruders, der sich in seiner Verwandlung klar äußerte und von ihnen ebenso
deutlich abgelehnt wurde, fühlen sich befreit. Die Erwartungen, die die Eltern an Gregor hat -
ten, konzentrieren sich jetzt auf die Tochter. Der Rückzug des lästigen Gregor, der andere
Werte vertrat als die normal gültigen Vorstellungen, wird von ihnen gefeiert. Sie trauern nicht,
sie freuen sich und dies so sehr, dass sie die eigenen Pflichten erst einmal absagen, um einen
Ausflug zu machen.

Gewiss ist Kafka nicht der einzige Künstler, der von seiner Familie wegen anderer Lebens -
und Wertvorstellungen abgelehnt wird oder wurde. Und für manchen könnte Gernhardts
Zeichnung eine Lösung sein: Gleichgesinnte Menschen nehmen ihn akzeptierend und verständ -
nisvoll auf, die nicht zur Familie gehören.

Doch in der Erzählung "Die Verwandlung" reduzieren sich die Außenbeziehungen auf das
Bild der Dame, die nur als von Gregor geschätztes Bild eine Rolle spielt, sowie auf das
Fenster, durch das er die Außenwelt beobachtet. Und das Leben vor dem Fenster wird zuneh -
mend undeutlich, wie im Nebel.

Die einzige Lösung für den Käfer Gregor Samsa könnte darin bestehen, dass er sich zu ande -
ren Käfern begibt: Zu seinesgleichen. Dies bedingt Verbindungen zur Außenwelt. In Kafkas
Erzählung bestehen diese nicht.

Daher ist Gernhardts Zeichnung der Heimkehr des Käfers Gregor eine Wiedergabe des An -
liegens der Erzählung, jedoch kein mögliches alternatives Ende der Erzählung Kafkas.







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