Kabale und Liebe

Literarische Erörterung zu Friedrich Schiller: Kabale und Liebe

Zeitkritik im Drama "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller

Gliederung:


    Friedrich Schiller, ein vom Denken und Handeln des Absolutismus beeinflusster Mensch, der die politischen Missstände seiner Jugendzeit als Anlass zum Verfassen von "Kabale und Liebe nimmt"

    Friedrich Schiller kritisiert mit seinem bürgerlichen Trauerspiel "Kabale und Liebe" die Zeit des Absolutismus.

I. Kritik am Bürgertum
    alte Wertvorstellungen gelten mehr als Liebe und Gefühle Religion als Ideologie

II. Kritik am Lebensstil des Adels
    Mätressenwesen Luxusleben

III. Kritik am Machtbestreben des Adels
    Persönliche Stellung zum Fürsten ist wichtiger als alles andere Amt als Mittel zur Verfolgung eigener Interessen Machtübernahme durch kriminelle Machenschaften

IV. Kritik an den politischen Praktiken des herrschenden Adels
    Gleichgültigkeit gegenüber den Untertanen Ohnmacht und Rechtlosigkeit der Untertanen Skrupellosigkeit der Herrschenden Intrigen zur Vergrößerung der Macht

C) Kabale und Liebe - ein revolutionäres bürgerliches Trauerspiel







A) "Die ersten Jugendjahre bestimmen vielleicht die Gesichtszüge des Menschen durch sein ganzes Leben, so wie sie überhaupt die Grundlage seines moralischen Charakters sind" (Quelle 2)
(Friedrich Schiller 1779)

Johann Christoph Friedrich Schiller wird am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, das im Herrschaftsgebiet des württembergischen Herzogs Karl Eugen liegt, in der Epoche des Absolutismus geboren. Sein Vater, der Hauptmann und spätere Major Johann Kaspar Schiller, sieht für seinen Sohn eine theologische Laufbahn vor, wird aber vom Herzog Eugen, dessen Hof als Eldorado von Mätressen - und Günstlingswirtschaft, Ausbeutung des Volks und ungerechter "Justiz" galt, gezwungen Friedrich in die "Militär - Pflanzschule" (Militärakademie) zu bringen. Ab diesem Zeitpunkt war Schiller ganz und gar dem Herzog ausgeliefert, welcher bestimmte, dass er ein Jurastudium zu absolvieren hatte, welches ihn aber in keinster Weise ansprach. Durch etwas Glück, konnte der junge Schiller vom ungeliebten Jurastudium zum neueingerichteten Studiengang Medizin wechseln, der zur damaligen Zeit auch philosophische und psychologische Kurse enthielt. Bereits während des Studiums begann Schiller, der sich schon seit seiner frühen Jugendzeit für das Literarische begeistert hatte, mit der Arbeit an "Die Räuber", dessen Uraufführung ein überwältigender Erfolg wurde. Als ihm jedoch nach einem Disput mit dem Herzog jegliche schriftstellerische Arbeit untersagt wurde, floh Friedrich 1782 ins Exil nach Mannheim und später ins thüringische Bauerbach, wo das bürgerliche Trauerspiel "Luise Millerin", später "Kabale und Liebe" genannt entstand. In diesem Drama rechnet er mit Herzog Eugen und dem absolutistischen System ab, indem er seinem Unmut freien Lauf lässt.
Im nachfolgenden möchte ich seine wesentlichen Kritikelemente am Absolutismus im bürgerlichen Trauerspiel "Kabale und Liebe" aufzeigen.



    I. Als erstes ist zu erwähnen, dass Friedrich Schiller nicht nur, wie zu erwarten, über den Adelsstand rebelliert, sondern auch das Bürgertum, dem er entstammt, mit kritischen Worten versieht.

Hier stellt er besonders die Tatsache heraus, dass das vom absolutistischen Denken geprägte Bürgertum alte, gewohnte Wertvorstellungen höher bewertet, als Gefühle und Liebe. Besonders die Schlussszene verdeutlicht die Überbewertung bestimmter Tugenden. Die Tatsache, dass Luise ihr gegebenes Wort nicht brechen kann oder will, zeigt, wie sehr dort ein Eid oder Versprechen gilt. Auch Luises Ausspruch, "Vater! Deine Tochter kann für dich sterben, aber nicht sündigen"( Friedrich Schiller: "Kabale und Liebe", Stuttgart 1999, S.64) gibt Auskunft darüber, wie sehr im bürgerlichen Haus das Ansehen zählt. Es ist aber insbesondere ihre Auffassung, dass ihre Liebe zu Ferdinand Sünde ist, die, besonders beim gegenwärtigen Publikum, auf Unverständnis stößt. Auch im Angesicht des Todes, das Publikum weiß bereits von der vergifteten Limonade, ist es um so absurder, dass sie nicht die Wahrheit sagt.

Ein weiterer Kritikpunkt Schillers am Verhalten des Bürgertums ist die Tatsache, dass die Religion als Ideologie "missbraucht" wird. So ist zu beobachten, dass die Figuren des bürgerlichen Lagers, sprich die Familie Miller, sich die absolutistische Denkweise derartig angeeignet haben, dass sie nicht nur in politischer und gesellschaftlicher Sicht Führung durch einen Höhergestellten benötigen, sondern auch im privaten und gefühlsorientierten Belangen benötigen. Da hierfür keine irdische Instanz vorhanden ist, wird einfach Gott als Leitfigur herangezogen und somit jede Handlung nicht mit dem eigenem Gewissen, sondern mit der Religion gerechtfertigt. Besonders deutlich zeigt sich dies im Dialog, zwischen Luise und ihrem Vater (5.Akt,1.Szene), indem Luise sich aus Verzweiflung das Leben nehmen will und diesen Entschluss als Gottes Willen darstellt: "Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist entschieden. Vater!"(a.a.O., S.86 ff) Auch der Vater, der seine Tochter über alles liebt, versucht sie von ihrem Entschluss abzubringen, indem er sich ebenfalls auf Gott beruft: "Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben."(a.a.O., S.89) Außerdem ist zu beobachten, dass das ganze Buch hindurch das Wort Gott, oder der Ausruf "O Gott!"(a.a.O., S.91) unzählige Male verwendet wird. An dieser Verhaltensweise ist deutlich zu erkennen, wozu es führt, wenn das Volk von einem politischen System zur Unmündigkeit erzogen wird. Das Volk verliert sein Gewissen, sein eigenes Ich, es klammert sich an Ideale und dies ist im privaten Bereich nun mal die Religion.

II. Ein zweiter wesentlicher Kritikpunk am politischen System des Absolutismus ist die prunkvolle und verschwenderische Lebensweise am Hof des Fürsten.

So galt es zur damaligen Zeit als Prestigeangelegenheit sich als absolutistischer Herrscher neben einer Ehegattin auch noch eine oder mehrere Mätressen zu leisten, die mehr oder weniger gutbesoldete "Lustobjekte" des Fürsten waren. Im Buch wird die Mätresse des Fürsten, Lady Milford, mit allerlei Schmuck, Wertgegenstände und Vergnügungen überschüttet, wie zum Beispiel Reitpferde oder kostbaren Brillanten, die "soeben erst aus Venedig"(a.a.O., S.29) kommen. Die Tatsache, dass sich der Fürst eine Mätresse hält ist zwar moralisch nicht einwandfrei, wäre aber im Endeffekt zu vernachlässigen, wenn nicht das Volk die dadurch entstehenden enormen Kosten finanzieren müsste. So antwortet zum Beispiel der Bote, der Lady Milford die edlen Brillanten überbringt auf ihre Frage, was denn die Steine kosteten, dass sie den Fürsten "keinen Heller"(a.a.O., S.29) kosten, da die "siebentausend Landskinder, [die nach Amerika fortgehen,] [...] alles zahlen." (a.a.O., S.29) Damit ist gemeint, dass der Herzog deutsche Soldaten nach Amerika verkauft, nur um seiner Geliebten auf Kosten des Volkes ein angemessenes Geschenk machen zu können.


Ein weiterer Kritikpunkt Schillers ist der luxuriöse Lebenswandel des Adels, der Unmengen an Geld verschlingt, was dazu führt, dass der Adel ständig in Finanzierungsschwierigkeiten steckt. So werden zur damaligen Zeit prunkvolle "Hofbälle" (a.a.O., S.55) abgehalten deren einzigstes Ziel es war den persönlichen Reichtum zur Schau zu stellen. Zur Darstellung und Verbildlichung der monarchischen Größe bedient man sich an den kulturellen Ausdrucksformen wie Ballet, Musik, Theater und "süperbeste Feuerwerk[e]" (a.a.O., S.53), die ebenfalls Unmengen von Geld verschlingen. Zur Freizeitbeschäftigung der Adeligen werden zum Beispiel "Bärenhatzen" (a.a.O., S.30) abgehalten. Auch "Paraden" (a.a.O., S.57) und Aufmarsche, die ein einziges Schaulaufen sind, gehören zur luxuriösen Hofkultur. Da dieses Leben Unmengen an Geld verschlingt, kommt es dem Fürsten ganz recht, dass England bereit ist gut für das "Joch Menschen" (a.a.O., S.29) zu bezahlen, um diese in Amerika im Unabhängigkeitskrieg kämpfen zu lassen. Mit der Aussage des Kammerdieners "Die zahlen alles"(a.a.O., S.29) wird eindeutig belegt, dass allein das Volk für diese Prunksucht des Adels gerade stehen muss. Auch wird im Buch verdeutlicht, dass Protest oder Widerstand zwecklos war, da Leute die fragen, "wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe" wie "die Maulaffen nieder[geschossen werden]" (a.a.O., S.29ff).


III. Außer dem bereits Erwähnten fällt deutlich auf, dass Schillers das enorme Machtbestreben des adeligen Standes kritisiert.

Aus adeliger Sicht ist es sehr wichtig ein sehr enges und harmonisches Verhältnis zum Fürsten zu unterhalten, da dieser alleine über Gedeihen und Verderben des einzelnen entscheiden kann. Bei diesem Wettstreit um die Gunst des Fürsten wird unter den Adeligen keine Rücksicht auf Gesetze oder persönliche Gefühle genommen. Als der Herzog zum Beispiel nach einem Adeligen sucht, der seine Mätresse Lady Milford heiraten solle, da er aus politischen Gründen eine Heirat eingehen wird, aber trotzdem seine Geliebte in der Nähe haben will, versucht der Präsident mit allen Mittel seinen Sohn Ferdinand zu zwingen sie zur Frau zu nehmen. Damit würde die Familie des Präsidenten dem Fürsten ein deutliches Stück näherkommen und somit ihre Machtansprüche untermauern oder sogar vergrößern. Als sich jedoch Ferdinand gegenüber seinem Vater unwillig zeigt, versucht ihm dieser zu erklären, dass es hier nicht um Gefühle geht, sondern die Heirat lediglich ein Instrument zur Machtvergrößerung ist. Da der Präsident bereits "den Entschluss [s]eines Ferdinands in der ganzen Residenz bekannt machen" (a.a.O., S.20) ließ, und keinesfalls als Lügner dastehen will, droht er seinem Sohn: "Wenn du mich zum Lügner machst, Junge - vor dem Fürsten [...] - Höre, Junge - oder wenn ich hinter gewisse Historien komme!" (a.a.O., S.24ff) An dieser Szene wird deutlich, dass nur Macht und Einfluss von Bedeutung sind, persönliche Gefühle oder gar Liebe gelten dafür als belanglos.

Nachdem ich nun die Machtsucht der Adeligen in der Zeit des Absolutismus aus dem Werk "Kabale und Liebe" herausgearbeitet habe, stellt sich nun die Frage, wodurch dieser enorme Ehrgeiz nach politischen Ämtern begründet ist.
Diese Frage wird dem Leser im Drama ziemlich schnell beantwortet, spätestens aber im II. Akt, in dem der Präsident von Walter sein Amt missbraucht, um eigene Interessen durchzusetzen.
Wie bereits im Punkt II.1 erwähnt, will der Präsident aus machtpolitischen Gründen eine Heirat seines Sohnes Ferdinand mit Lady Milford erzwingen, was aber zu scheitern droht, da Ferdinand die Bürgerstochter Luise Miller bevorzugt und fest entschlossen ist diese zur Frau zu nehmen, was er immer wieder durch Aussagen wie, "Ich liebe dich Luise - Du sollst mir bleiben, Luise - [...]! (a.a.O., S.43) bekräftigt. Da dies aber der Präsident nicht hinnehmen will, versucht er durch gezielten Amtsmissbrauch diese Liebe zu unterbinden. Dies lässt sich an Hand der Aussage, die er im Hause der Millers von sich gibt deutlich belegen: "Ein solches Gesindel sollte meine Pläne zerschlagen und ungestraft Vater und Sohn aneinanderhetzen? - Ha, Verfluchte! Ich will meinen Hass an eurem Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter will ich meiner brennenden Rache opfern."(a.a.O., S.45) Er versucht die Familie Miller durch Aufbootung einer Schar von Gerichtsdiener, die er anweist, den "Vater ins Zuchthaus [zu bringen] - an den Pranger Mutter und Metze von Tochter [zu stellen]."(a.a.O., S.45) Doch das Verachtenste an diesem Amtsmissbrauch ist, dass der Präsident dabei auch noch von "Gerechtigkeit"(a.a.O., S.45) spricht.

Eng damit verbunden, welche Methoden der Präsident von Walter zur Verfolgung seiner eigenen Interessen benutzt, ist die Frage wie er überhaupt zu seiner derzeitigen mächtigen Stellung gekommen ist.
Zu diesem Punkt werden im Drama vor allem von Ferdinand immer wieder Äußerungen gemacht, aus denen hervorgeht, dass sein Vater durch kriminelle Machenschaften an sein hohes Amt gekommen ist: "[...] unterdessen erzähl ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird."(a.a.O., S.48) Die ganze Tragweite dieses Verbrechens wird zwar im Drama nicht aufgeklärt, aber aufgrund verschiedener Äußerungen kann man darauf schließen, dass es sich keinesfalls um ein Kavaliersdelikt handelt, da auf alle Fälle Mord im Spiel war: " ... wo die große Mine losgehen und den guten Mann [Vorgänger des Präsidenten; Anm. d. Autors] in die Luft blasen sollte."(a.a.O., S.50)
Diese These lässt sich auch durch das Verhalten des Präsidenten bestärken, den bei der Machtausübung immer wieder das schlechte Gewissen plagt, da es Mitwisser gibt, deren der Präsident keineswegs absolut sicher ist, aber die gleichwohl von ihm unangetastet bleiben. So macht der Präsident auch immer wieder Andeutungen, wie "er führt mich da vor einen entsetzlichen Abgrund"(a.a.O., S.50), in denen er andeutet, dass es ihm lieb wäre, wenn die von ihm in Gang gesetzte Intrige keine allzu schmerzlichen Auswirkungen zeigt.


IV. Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt Schillers an der Epoche des Absolutismus ist die Art und Weise des politischen Handelns des herrschenden Adels.

Als erstes lässt sich hier, die zur Zeit des Absolutismus übliche Ausbeutung des Landes und der Bevölkerung, anmerken. So sind der Klerus und der Adel privilegiert und zahlen deshalb praktisch keine Steuern. Allein der Adel ist zu Führungspositionen im Staat und Armee berechtigt und verfügt über Ehrenvorrechte, die ausgiebig genutzt werden. Der dritte Stand hingegen muss die Ganze, durch die prunkvolle und verschwenderische Hofhaltung entstehende Finanzlast tragen, wobei der Fürst keine Rücksicht darauf nimmt, ob der generell finanzschwache dritte Stand überhaupt in der Lage ist diese aufzubringen. So wird zum Beispiel vom Herrscher keine Rücksicht darauf genommen, dass bei Missernten oder andern Miseren die Bauernschaft nicht in der Lage ist seine Steuern und Abgaben zu leisten. An eine Unterstützung durch den Fürsten bei Unglücksfällen, Naturkatastrophen oder Arbeitsunfähigkeit ist erst gar nicht zu denken. Auch als ein "Feuer eine Stadt an der Grenze verwüstet[e] und bei vierhundert Familien an den Bettelstab gebracht[e]"(a.a.O., S.31), wird von offizieller Seite her keine Hilfe gewährt. Die absolutistischen Herrscher sehen das Volk als ihre Knechte an, deren einzigste Aufgabe es ist für den Staatshaushalt zu sorgen.

Ein weiteres Beispiel für die rücksichtslosen Herrschaftspraktiken des Adels ist die Ohnmacht, bzw. Rechtlosigkeit der Untertanen gegenüber den absolutistischen Herrschern.
Als der Präsident wie in II.2 beschrieben die Familie Miller in deren Wohnung durch die Gerichtsdiener grundlos verhaften lassen will, wirft Herr Miller ein: "Ich laufe zum Herzog - Der Leibschneider - das hat mir Gott eingeblasen! - Der Leibschneider lernt die Flöte bei mir. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog."(a.a.O., S.46) Da jedoch das absolutistische Politsystem aus einer Hierarchie besteht, führt kein Weg am Präsidenten von Walter vorbei. Da dieser jenen Umstand geschickt auszunutzen weiß, fragt er gelassen, wenn nicht so gar spöttisch dem untergeben Miller, ob er " vergessen [hat], dass [er (der Präsident; Anm. d. Autors)] die Schwelle [ist], worüber [er (Miller; Anm. d. Autors)] springen oder den Hals brechen [muss]?"(a.a.O., S.46) Außerdem droht er ihm drastische Konsequenzen an, für den Fall das er es versuchen wolle: "Versuches, wenn du, lebendig tot, eine Turmhöhe tief unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit der Hölle liebäugelt und Schall und Licht wieder umkehren!"(a.a.O., S.46) Auch kann der Präsident dann im weiteren Verlauf der Intrige tatsächlich das Ehepaar grundlos festnehmen, indem er anordnet, dass "Dieser Verhaftungsbefehl ohne Aufschub in die Gerichte [muss], [...], ganz in der Stille."(a.a.O., S.53)
Durch diese Beispiele wird eindeutig belegt, dass die Bevölkerung völlig rechtlos war und ohne Schutz der Willkür der Herrscher ausgesetzt war.

Äußerst stark prangert Schiller die moralische Skrupellosigkeit der Adeligen an und äußert sich ausgesprochen negativ über deren Wertvorstellungen. So findet man die Charaktereigenschaften, wie man sie von den mittelalterlichen Edelmännern aus Heldenromanen her kennt, wie Treue, Ehre Tugend, etc. bei den "Edelmännern", sprich den Adeligen des 18. Jahrhunderts nicht, da jene ja nur bei der Karriere stören würden. So kommt der Präsident, wie bereits erwähnt, nur durch ein Verbrechen an sein hohes Amt. Aber auch der machtgierige Wurm, Sekretär des Präsidenten, steht seinem Vorgesetzten in Sachen Moralverständnis in nichts nach, obwohl er als Amtadeliger ursprünglich dem Bürgertum entstammt. Besonders deutlich wird dies in der Szene, als der Präsident und Wurm nach Ferdinands Drohung, die Missetaten des Vaters aufzudecken, einen neuen Plan zur Verwirklichung ihrer Ziele schmieden. Wurm schlägt eine "satanisch fein[en]" (a.a.O., S.52) Plan vor, worauf der Präsident meint: "Der Schüler übertrifft seinen Meister" (a.a.O., S.52). Wurms Vorschlag sieht vor, der Familie Miller einen Eid abzupressen, worauf von Walter sofort einwirft, "was wird ein Eid fruchten, Dummkopf" (a.a.O., S.52), da ihm dieser selbst nichts bedeutet. Darauf entgegnet ihm aber Wurm: "Nichts bei uns [dem Adel; Anm. d. Autors], gnädiger Herr. Bei dieser Menschenart [den Bürgern; Anm. d. Autors] alles."(a.a.O., S.52) Bei diesem Vorgehen wird eindeutig das politische Prinzip des herrschenden Geschlechts zur damaligen Zeit klar, "nach oben kuschen" und "nach unten treten", wobei für Moral oder Skrupel kein Platz ist.

Das Hauptaugenmerk im Drama aber legt Schiller auf den Gebrauch von Intrigen, die zur Erreichung eigener Ziele und Herrschaftssicherung vom Präsidenten und Wurm inszeniert werden, da sich diese wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Der Präsident von Walter heckt zusammen mit seinem Sekretär Wurm eine "Kabale" aus, da er befürchtet, dass " sein ganzer Einfluss in Gefahr ist, wenn die Partie mit der Lady zurückgeht"(a.a.O., S.51). Aus diesem Grund veranlasst der Präsident Wurm der Familie Miller einen Eid aufzuzwingen und Luise durch Vortäuschung falscher Tatsachen einen, an den Hofmarschall gerichteten, gefälschten Liebesbrief aufsetzen zu lassen. Diesen soll dann von Kalb "irgendwo herausfallen lassen, wo er dem Major [Ferdinand, Anm. d. Autors] zu Gesicht kommen muss"(a.a.O., S.57) und das alles nur um Ferdinand und Luise gewaltsam zu trennen, um seine Pläne verwirklichen zu können. Die "Kabale" scheint zunächst aus Sicht der Intriganten problemlos zu verlaufen, bis Ferdinand aus Verzweiflung vor den Augen seines Vaters durch Selbstmord stirbt. Als ob sie damit nicht schon genug Unheil angerichtet haben, streiten daraufhin der Präsident und Wurm um die Schuldfrage. Von Walter wirft seinem Sekretär vor: "Du, du gabst den Schlangenrat - Über dich die Verantwortung - Ich wasche die Hände." In seiner Wut über diese Aussage prangert nun Wurm im Gegenzug eine weitere Verschwörung an: "Ruft Mord durch die Gassen! Weckt die Justiz auf! Gerichtsdiener, bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will Geheimnisse aufdecken [...]"(a.a.O., S.109) Damit hat er sich entschlossen dem Präsidenten den Rücken zu kehren und nun den Mord aufzudecken, durch welchen von Walter, er selbst und der Hofmarschall zu Macht und Ansehen zu kommen, um nicht als alleiniger Sündenbock dazustehen. An dieser letzten Szene lässt sich sehr deutlich zeigen, dass im Mittelpunkt des adeligen Denkens im 18. Jahrhundert immer zuerst die politische Macht und die eigene Stellung stehen, bevor überhaupt über andere Personen, von Gefühlen ganz zu schweigen, nachgedacht wurde.


    Mit der Veröffentlichung des revolutionären bürgerlichen Trauerspiel "Kabale und Liebe" hat Friedrich Schiller, wie sein schriftstellerisches Vorbild Lessing, große Dienste geleistet, um endlich die veralterte Denkweise des Absolutismus in den Köpfen der Menschen gegen ein aufgeklärtes Menschenbild auszutauschen. Die Motive dieses Sturm - und - Drang Dramas entstanden laut Walter Scharfschick "aus der Empörung gegen den Herzog Karl Eugen und aus tiefer Einsicht in die Unmoral vieler Regenten seiner Zeit" (Quelle 3). Seine theoretischen Vorstellungen über die gesellschaftliche Funktion des Dramas entlehnte Schiller den damals umlaufenden Thesen des Franzosen Sébastian Mercier, der verkündete, dass das Drama eine Schule für Tugenden und Pflichten des Bürgers sein sollte. Dass Schiller damit den richtigen Weg gegangen ist, zeigt sich an dem unglaublichen Erfolg des Stücks. So wurde es zum Beispiel im Jahr 1784 in Berlin innerhalb eines Monats siebenmal aufgeführt, wobei berichtet wird, " dass sich bereits nach dem zweiten Akt alle Zuschauer erhoben und in stürmisches Beifallrufen ausbrachen.



Quellenangabe:
1. Schiller, Kabale und Liebe. Universal - Bibliothek Nr. 33.
Stuttgart 1993
2. Bertelsmann Discovery 1999: Das Große Universallexikon
3. Schiller, Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel.
Anmerkungen von Walter Schafarschick. Stuttgart 1997
4. Königs Erläuterungen und Materialien zu Kabale und Liebe.
9. Auflage. Hollfeld 1998
5. Königs Erläuterungen zu Kabale und Liebe. Band 31
17. Auflage. Hollfeld (Jahresangabe nicht vorhanden)

3053 Worte in "deutsch"  als "hilfreich"  bewertet