Schachnovelle

Autor

Stefan Zweig wird am 28. November 1881 als zweites Kind des böhmischen Textilfabrikanten Moritz Zweig und dessen Frau Ida in Wien geboren.
1892 besucht er das Maximiliangymnasium. Im Jahre 1900 beginnt er mit dem Literaturgeschichts- und Philosophiestudium in Wien; ein Jahr später wird sein erstes Buch ("Silberne Saiten") veröffentlicht. Aus Furcht vor den Nazis wandert er 1935 nach England und danach nach Brasilien aus.
Bis zu seinem Tode, 1942 begeht er Selbstmord durch Vergiften, reist Zweig häufig in der Welt umher. Durch das Herumreisen versucht er sich vor seinem Verfolgungswahn und seinen Depressionen, die er sich wegen der zwangsläufigen Flucht aus seinem geliebten Heimatland Österreich bekommen hatte, zu entziehen. Doch genau das Reisen hat viel zu seiner geistigen und künstlerischen Entwicklung beigetragen.
Der Autor galt als kurioser, komplizierter Mensch; schwierig wie interessant, neugierig und listig, ewig bedenklich, alles berechnend, kühl und amüsant; also voller Widersprüche.

Die "Schachnovelle" erschien 1949, also nach Zweigs Tod. Sie gehört zu seinen schwierigeren Werken. Über seinen Tod wird viel gemunkelt; die einfachste Erklärung ist vielleicht die, dass er am Leben verzweifelt war und deshalb den Freitod wählte.

Inhalt

Schauplatz der Geschichte ist ein großer Luxusdampfer der Linie New York- Buenos Aires.
Die Hauptpersonen sind: der Chronist, ein Tiefbauingenieur, namens Mc Connor; Mirko Czentovic, einem legendären Schachweltmeister; sowie Dr. B, ein ehemaliger Vermögensverwalter eines österreichischen Klosters und ehemaliger Gestapo Häftling.
Nach anfänglichem Scheitern gelingt es dem Chronisten mit Mc Connors Hilfe, Mirko Czentovic gegen Geld zu einer Partie Schach herauszufordern. Nur mit Hilfe eines fremden Mannes, der sich später als Dr. B vorstellt, gelingt es den Spielern im letzten Moment, eine peinliche Niederlage gegen den Weltmeister zu verhindern. Fasziniert von der Begabung Dr. Bs für das Schach, bittet ihn der Chronist gegen Czentovic anzutreten. Im Verlauf des Gesprächs erzählt Dr. B unter welchen Umständen er zum Schachspielen gekommen ist. Dieses Spiel rettete ihn einst vor dem Verlust des Verstandes während er in der Einsamkeit die Gestapo-Haft verbrachte.
In der ersten Partie des Matches schlägt Dr. B Czentovic mit Leichtigkeit. Bei der Revanche muss Dr. B jedoch die Partie abbrechen, da er von den Erinnerungen seiner Haftzeit eingeholt wird und dadurch erneut in Gefahr gerät, wahnsinnig zu werden.

Aufbau

Die Novelle ist eine Rahmengeschichte, die sich in einen äußeren Rahmen und in eine Binnenerzählung gliedert. Sie besteht aus drei Teilen:
Erster Teil: Rahmenhandlung I (Schiffsreise)
Zweiter Teil: Novelle in der Novelle (Geschichte Czentovic's vom Chronisten erzählt; Geschichte Dr. Bs von Dr. B selber erzählt.)
Dritter Teil: Rahmenhandlung II (Schaukampf der Giganten)

Im ersten Teil schildert der Autor die Schiffsreise; gleichzeitig stellt er die Hauptpersonen vor.

Im zweiten Teil vermittelt der Autor eine nähere Beziehung zwischen dem Leser und seinen Hauptpersonen indem er Czentovic's Aufstieg zum Weltmeister beschreibt, und Dr. B selber seine eigene Lebensgeschichte erzählen lässt.

Im dritten Teil wird der Leser zum entscheidende Finale der Geschichte vorbereitet. Der Match zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Figuren beginnt.

Während der Autor sich damit zufrieden gibt, auf den ersten zweiten Seiten Mirko Czentovic in seiner Sozialbiographie und in seinen charakteristischen Wesensmerkmalen darzustellen, gehören gut fünfzig Seiten Dr. B. Die letzten zehn Seiten sind dem großen Schachkampf gewidmet.

Personen und Zusammenhänge

Aus der großen anonymen Menge der Passagiere hebt Stefan Zweig nur drei Personen hervor, um sie gruppieren sich "Statisten" ohne nähere oder größerer Bedeutung:
McConnor, ein Tiefbauingenieur, der in Amerika zu beträchtlichem Wohlstand gekommen ist, wird schon am Anfang der Novelle mit eindeutig negativen Merkmalen eingeführt. Zweig beschreibt schon durch sein Aussehen, ("..ein stämmiger Mensch mit starken, fast quadratisch harten Kinnbacken..), dass er eine Abneigung gegen dieser Sorte von Mensch hat. Sein Verhalten wird hier als rüde, seine Sprache als direkt und unqualifiziert dargestellt. McConnor lebt und handelt nach der Devise: "Ich bezahle hier die Musik, also bin ich auch der Boss und bestimme was läuft".

Mirko Czentovic, geboren als Sohn eines armen südslawischen Donauschiffers, wird nach dem Tode seines Vaters von einem Dorfpfarrer aufgenommen und erzogen. Trotz allen Anstrengungen gelingt es ihm nicht, dem Jungen eine elementare Bildung zu verschaffen. Erst als man seine ungewöhnliche Schachbegabung auf die Probe stellt, gelingt es Czentovic, mit Hilfe eines Förderers, eine steile Karriere zu starten und somit mit zwanzig Jahren Weltmeister zu werden. Der Chronist stellt Czentovic zwar als Schachprofi dar, gleichzeitig aber schildert er auch dessen Weltvorstellung. Sein ganzes Leben lang hat er all seine Denkweise dem Schachspiel gewidmet, dem einseitig Begabten bleibt jeder Zugang zur eigentlichen Welt verschlossen.

Dr. B. hatte eine unauffällige Anwaltspraxis, die in Wirklichkeit auf die Rechts- und Vermögensberatung großer Klöster ausgerichtet war. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, erwies sich diese Betätigung, als äußerst gefährlich. Durch eine Denunzierung wird er von der Gestapo festgenommen und in Isolierhaft gesteckt. Die Idee dieser Methode war, dass man beim Gefangenen Wahnvorstellungen erzeugte und ihn so, ohne jeglicher Anwendung von körperlicher Gewalt zum Geständnis bringen konnte. Dr. B. war monatelang von der Außenwelt abgeschnitten; nur mit Hilfe eines Schachbuches, das er raffiniert in seine Zelle hereingeschmuggelt hatte, konnte er sich vor dem wahnsinnig werden retten. Anfänglich war das Buch ein optimales Ablenkungsmittel, doch schon nach einigen Monaten konnte Dr. B sämtliche darin festgehaltene Partien auswendig spielen, so dass er eine neue Art der Zerstreuung suchen musste. Er begann gegen sich selbst zu spielen, was jedoch zwangsläufig eine Bewusstseinsspaltung mit sich brachte und ebenfalls die Gefahr des Wahnsinnigwerdens in sich barg.

In Czentovic und Dr. B prallen zwei starke Gegensätze aufeinander. Außer dem Schach gibt es zwischen den beiden überhaupt keine Gemeinsamkeiten.
Mc Connor und dem Erzähler verbindet die Gelegenheit einem ungewöhnlichen Ereignis beizuwohnen. Doch während Mc Connor nur das Sensationelle reizt, das man sich mit Geld erkaufen kann, ist der Chronist am menschlichen
Hintergrund interessiert. Dr. B ist für McConnor gleichgültig; er will sich nur an der Sensation befriedigen.
Zwischen Czentovic und McConnor kann man eine Verbindung herstellen. Für beide gibt es nur den Erfolg, Emotionen oder menschliche Schicksale und Tragödien haben für die zwei Materialisten keinen Stellenwert.

Stellt man diese Personen in eine Beziehung so erhält man, wie das Schachspiel, eine schwarz-weiß Gruppierung, wobei schwarz symbolisch für das Negative und weiß für das Positive steht.

Interpretation

Der Autor schildert in dieser Novelle die Begegnung zweier Schachgenies, von denen das eine, eine stumpfe, bäuerliche Natur ist, das seinen Lebensinhalt auf das Schach, und den damit verbundenen zählbaren Erfolg, reduziert hat, um sich somit den Zugang zu den materialistischen Werten wie Geld, Macht und Ansehen zu verschaffen. Im Gegensatz dazu steht Dr. B, ein hochorganisierter, gebildeter Mensch, dem einst das "Spiel der Spiele" in der Einsamkeit der Gestapo- Haft als Rettung vor dem Wahnsinn gedient hat.
Befasst man sich ein wenig mit dem Menschen Stefan Zweig, so steht es außer Frage, dass er der Chronist in seiner Novelle ist. Er gibt sich darin als denjenigen zu erkennen, der er war: als Mensch, der immer bestrebt war, am Außergewöhnlichen teilzunehmen; als der vertrauenerserweckende Freund und Zuhörer. Der Autor zeigt sich selber von einer objektiven Sicht heraus.
In Dr. B kann man ebenfalls Zweigs Züge erkennen: Dr. B war wie Zweig und der Chronist Österreicher. Beide wurden als hochgebildete Menschen von den Nazis verfolgt. Aus Angst um ihr Leben mussten sie ihr geliebtes Heimatland verlassen.
In der Novelle stellt der Autor Dr. B im Vergleich mit Czentovic eindeutig als Überlegener dar; aufgrund äußere Umstände (durch vergangenheitsbedingte Gefährdung), muss er die Partie jedoch abbrechen, um nicht erneut in Gefahr zu geraten, wahnsinnig zu werden; womit er den Match verliert. Stefan Zweig versucht hier zu erklären, dass das Gute in gewisser Hinsicht dem Bösen, wie es Zweig als Flüchtling vor den Nationalsozialisten widerfahren ist, unterliegt. Wie Zweig muss auch Dr. B vor einer Bedrohung ( Wahnsinn) fliehen. Wäre Zweig in Österreich geblieben, hätten die Nazis sein Leben zerstört. Hätte Dr. B die Partie fortgesetzt, wäre er erneut vom Wahnsinn heimgesucht worden. Sein Geist wäre gewissermaßen bis zur Funktionsunfähigkeit beeinträchtigt worden, was im Grunde genommen einer Zerstörung seines auf dem Geist basierenden Lebens gleichkommt.
Der Schachkampf zwischen Czentovic und Dr. B interpretiere ich als Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, was wiederum als Krieg zwischen den Amerikanern (gut) und Nazi- Deutschland ( böse) gedeutet werden kann. Der Autor verdeutlicht McConnors und Czentovics Weltanschauung, die sich nur auf das Materielle vertieft, im Buch sehr deutlich. Dr. B ist sehr gebildet und kulturell begabt, was die Nationalsozialisten verachteten und solche Art Menschen unerbittlich eliminieren wollten. Auch das Schiff, das auf dem Atlantik treibt, stellt für mich symbolisch für den Kampf der beiden Kontinente in Verbindung der beiden Kontinenten dar. Hitler, der den größten Teil Europas unterjocht hatte, gegen Amerika. Der Kampf wird also stellvertretend für den Krieg auf dem Schiff ausgetragen.

Ich denke Stefan Zweig wollte mit diesem Buch, den Nationalsozialismus scharf kritisieren; und zwar aus der Sicht der Opfer, welche zerstörerischen Ausmaße die Methoden der Gestapo auf die Verfolgten hatten. Schließlich widmet Zweig über die Hälfte seines Buches Dr. B, dem die Nebenwirkungen der Folter (Isolierhaft) ein Leben lang begleiten wird.

Sprache

Stefan Zweig benutzt in seiner Novelle sehr lange Sätze, in denen reichlich viel Fremdwörter vorkommen; sie wird sehr gehoben und intellektuell, was auf seine akademische Herkunft schließen lässt, dargestellt. Der Autor offenbart damit seine eigene Stellung; daraus kann man seine sozialgesellschaftliche Herkunft erkennen; er selber gehörte nämlich zu den akademischen Intellektuellen.

Textstellen

"Man tat uns nichts - man stellte uns nur in das vollkommene Nichts, denn bekanntlich erzeugt kein Ding auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das Nichts. In dem man uns in ein völliges Vakuum sperrte, in ein Zimmer das hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen war, sollte, statt von außen durch Prügel und Kälte, jener Druck von Innen erzeugt werden, der uns schließlich die Lippen aufsprengte."
An dieser Stelle kann man die langen Sätze Zweigs erkennen. Dr. B schildert welche Idee bei der Isolierhaft dahinter steckt.

"Aus der Spielfreude war eine Spiellust geworden, aus der Spiellust ein Spielzwang, eine Manie, eine frenetische Wut, die nicht nur meine wachen Stunden, sondern allmählich auch meinen Schlaf durchdrang. Ich konnte nur an Schach denken, nur in Schachbewegungen, Schachproblemen, manchmal erwachte ich mit feuriger Stirn und erkannte, dass ich sogar im Schlaf unbewusst weitergespielt haben musste, und wenn ich von Menschen träumte, so geschah es ausschließlich in den Bewegungen des Läufers, des Turmes, im Vor- und Zurück des Rösselsprunges."

Hier wird ein klassischer Satzbau Zweigs gezeigt. Auch hier treten die typischen die langen Sätze auf. Ebenso gut kann man die Fremdwörter erkennen die er eingesetzt hat.
Stefan Zweig schildert hier die Besessenheit Dr. Bs am Schachspiel. Hier zeigen sich die ersten Symptome des Wahnsinns. Er hat sein Weltbild nur noch auf das Schachspielen reduziert, da er keinen Zugang mehr in die Realität findet, ist das Schach das einzige das in am Leben erhält.

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