Der Prozess

Inhaltsverzeichnis:

Hinweise zum Projekt

1. Inhalt:

1.1. Die Darstellung der Thematik

1.2. Skizze des Inhalts

2. Stilistik:

2.1. Die Charakteristik der sprachlichen Gestaltung des Werkes insgesamt

2.2. Die detaillierte sprachliche Analyse einer typischen Passage

2.3. Die Frage nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel

3. Biographische Bezüge:

3.1. Die Biographie des Autors: Franz Kafka

3.2. Die Stellung des Werkes in der Vita des Autors

4. Bewertung:

4.1. Ist die Thematik ein abstruser Einzelfall oder wird mit dem Besonderen auch Allgemeines erfaßt ?

4.2. Gelingt über die gewählten Inhalte die Kontaktaufnahme zum Leser ?

4.3. Die Bedeutung der Stilistik für die Rezipienten: "lesbar" oder nicht ?

5. Skizze eines produktorientierten Interpretationsansatzes

6. Zusammenfassende Darstellung der Rezeptionsgeschichte

7. Zusammenfassendes Urteil: "Leseempfehlung"

8. Quellenangabe

1. Inhalt

1.1. Darstellung der Thematik

Als Hauptthemen des Prozeß-Romans drängen sich die im Werk genannten juristischen Begriffe wie z.B. Verhaftung, Schuld, Prozeß, Gericht, Urteil, Anklage, Verfahren und Gesetz auf. Handlung und Geschehen kreisen um diese Aspekte, die vor allem durch die vielfach dargestellte Gerichtswelt ihre Intensität erlangt. Die Schuld- und Gerichtsthematik sind also die wichtigsten Aspekte dieses Romans.

Doch auch wie bei allen anderen Werken von Franz Kafka lässt sich dieser Roman nicht allein auf ein Thema reduzieren. Als weitere Themen ergeben sich zudem die Beziehung der Geschlechter, die Identitätsproblematik der Hauptfigur, die Beziehung zwischen Real (Wirklichkeit) und Irreal (Traum), die unerklärliche Schuldzuweisung und das verleumderische Verhalten.

Als weiteres zentrales Thema ist die Vereinzelung und Gespaltenheit des modernen Menschen zu nennen.

1.2. Skizze des Inhalts

Am Morgen seines 30igsten Geburtstages bekommt Josef K. im Zimmer der Pension, in der er wohnt, mitgeteilt, dass er verhaftet ist. Zunächst glaubt er an einen Scherz, da er sich keinerlei Schuld bewußt ist. Doch schon bald kommen ihm Zweifel. Auf die Frage, warum er verhaftet ist, kann ihm auch der Aufseher keine Antwort geben, den er etwas später im Zimmer der Frau Bürstner, die ebenfalls in der Pension wohnt, trifft. Er rät ihm lediglich, nicht zu emotional zu reagieren und seinem Beruf als Bankangestellter weiterhin nachzugehen. Daraufhin verlässt Josef K. verwirrt die Pension und geht zur Arbeit. (Erstes Kapitel)

Telephonisch teilt man Josef K. mit, dass am kommenden Sonntag eine Untersuchung in seiner Angelegenheit stattfinden würde. Er geht hin, obwohl ihm der Ort, ein Mietshaus, sehr merkwürdig vorkommt. Als er vor dem Untersuchungsrichter steht, beschwert er sich über dieses sinnlose Verfahren und über das Vorgehen seiner Verhaftung. Seine Beschwerde wird durch ein Kreischen gestört, das von einem Paar ausgeht, welches in einer unmißverständlichen Pose am Ende des Saals steht. Wütend über diese "Gerichts-verhältnisse" verlässt er den Saal. (Zweites Kapitel)

In der Annahme, dass am darauf folgenden Sonntag wieder eine Verhandlung ist, geht er abermals dort hin. Zufällig gelangt er in die Kanzlei, die zu seiner Verwunderung im Dachgeschoß des Mietshauses liegt. Ein Gerichtsdiener führt ihn durch die verwinkelten und endlos wirkenden Gänge. Durch die schwüle Hitze, die unter dem Dach herrscht, wird ihm immer schwindliger, er verlässt mit Hilfe eines Mannes die Kanzlei. (Drittes Kapitel)

Einige Abende später wird Josef K. in seinem Büro durch Geräusche aus der Abstellkammer gestört. Als er diese öffnet, trifft er auf zwei Wächter, die bei seiner Verhaftung dabei waren. Beide werden von einem Prügler des Gerichts bestraft, weil sich Josef K. über seine Verhaftung beschwert hatte. K. fühlt sich verantwortlich für die Bestrafung. Noch Tage später plagt ihn diese Schuld und er öffnet abermals die Tür zur Abstellkammer. Zu seinem Erstaunen befinden sich immer noch die beiden Wächter und der Prügler unverändert in diesem Raum. (Fünftes Kapitel)

Eines Nachmittages erscheint K.s Onkel in der Bank und bietet seine Hilfe an. Daraufhin fahren sie zu einem Advokaten, der trotz eines Herzleidens ihnen seine Hilfe verspricht. Das darauf folgende Gespräch empfindet K. als sehr langweilig. Zu seinem Glück wird er von der Pflegerin des Advokaten aus dem Zimmer gelockt. Die gegenseitige Sympathie der beiden endet mit dem Austausch von Zärtlichkeiten. Als K. das Haus verlässt und auf seinen Onkel trifft, ist dieser über K.s Verhalten entsetzt, da der Advokat mitbekommen hat, was er und die Pflegerin im Nebenzimmer getan hatten. Der Onkel wirft ihm vor, seiner Sache in Bezug auf den Prozeß schrecklich geschadet zu haben. (Sechstes Kapitel)

An einem Wintervormittag sitzt K. in seinem Büro und denkt an den Advokaten. Bei ihren Treffen muss sich K. Erzählungen anhören, die ihm das Verfahren und Wirken des Gerichts erklären sollen, aber das Gegenteil bewirken. K. zweifelt seine Hilfe an. Er bekommt den Tip, in Fragen bezüglich des Prozesses sich an den Maler Titorelli zu wenden. Diesen sucht er sofort auf. Titorelli stellt sich als Vertrauensmann des Gerichtes vor und verspricht K., ihn aus dem Prozeß herauszuholen. Er gibt K. einen Überblick über das Gericht und nennt drei Möglichkeiten der Befreiung. Die erste Möglichkeit schließt der Maler jedoch sofort aus, da er auf sie keinen Einfluß hat. Zwischen den anderen beiden soll sich K. entscheiden und ihm so schnell wie möglich Bescheid geben. Nach diesem Besuch kommt es K. vor, als sei jeder mit dem Gericht verwickelt. (Siebtes Kapitel)

K. soll einem Geschäftsfreund den Dom zeigen. Statt des Erwarteten trifft K. dort auf einen Geistlichen, der sich als der Gefängniskaplan des "Gerichts" herausstellt. Er war es, der ihn zu sich bestellte, um mit ihm zu sprechen. Der Geistliche versucht, ihm das Gericht näher zu erklären, indem er ihm das Gleichnis vom Türhüter erzählt. K. identifiziert sich sofort mit dem Mann vom Lande und ist überzeugt, dass dieser vom Türhüter getäuscht wurde und dass er unschuldig sei. Trotz weiterer Auslegungsmöglichkeiten des Geistlichen hält K. an seiner Meinung fest. Zuvor hatte der Geistliche ihm noch mitgeteilt, es stehe um seinen Prozeß sehr schlecht und er hatte ihm geraten, nicht zuviel fremde Hilfe zu suchen. (Neuntes Kapitel)

Am Vorabend seines 31. Geburtstages kommen zwei in schwarz gekleidete Herren in K.s Wohnung. Er weiß sofort, dass die beiden seinetwegen da sind. Sie führen ihn zu einem verlassenen Steinbruch. Dann ziehen sie K. aus und legen seinen Kopf auf einen Stein. Einer von ihnen zieht ein Fleischermesser unter dem Mantel hervor. K. wußte, es wäre seine Pflicht gewesen, sich selbst umzubringen, doch er wollte den Behörden nicht alle Arbeit abnehmen. Dann nimmt einer der Herren das Messer und stößt es K. ins Herz. (Zehntes Kapitel)

2. Stilistik

2.1. Die Charakteristik der sprachlichen Gestaltung des Werkes insgesamt

Die Sprache im "Prozeß" lässt sich mit sachlich und genau, nüchtern und präzise charakterisieren. Kafka bevorzugte eine knappe, kühle, unbeteiligte und wortarme Sprache, welche auch als "Kanzleistil" bezeichnet wird. Alltägliche Ausdrücke, umgangssprachliche Begriffe oder zu emotional wirkende Beschreibungen fehlen weitgehend. Kafka verwendet konsequent das Sprachmaterial: sachlicher Ausdruck und klar konstruierte Sätze. "Jedes einzelne Wort, jede sprachliche Fügung, jede Metapher, jedes Bild, jeder Ausdruck gewinnt eigenständige Bedeutung. Die Sprache lässt sich leichter wortwörtlich nehmen und ist trotz der größeren Abstraktheit greifbarer, konkreter durch den vertieften Sinn...".[1]Damit ist die Doppeldeutung der einzelnen Wörter gemeint, die man wörtlich oder abstrakt sehen kann. Der Sinn bei Kafkas Stil liegt darin, dass nichts so ist, wie es scheint. So ist z.B. das im Roman auftauchende Gericht auf der einen Seite real und auf der anderen Seite irreal.

Kafkas Schreibstil wurde als kafkaesk bezeichnet. "Ein Schlagwort, das Grauen, Angst, Entfremdung und Scheitern zum Ausdruck bringen soll. Es weckt die Vorstellung des Ausgeliefertseins an ein undurchschaubares, sinnloses Schicksal und erinnert an Terror, Schuld und Verzweiflung, an die Bedrohung des Menschen durch bürokratische Organisationen und anonyme Machtstrukturen, die ihn seine Nichtigkeit und Machtlosigkeit fühlen lassen."[2]

"Literatur war für Kafka auch eine Fluchtmöglichkeit und die Sprache ein Vehikel, dem Bereich des Vaters zu entkommen.... Gerade im "Prozeß" ist der Kampf um die genaue, reine und vollendete Sprache ausschlaggebend."[3]

2.2. Die detaillierte sprachliche Analyse einer typischen Passage

In einer für die Sprache typischen Passage begegnet Josef K. im Gang der Kanzleien einem wartenden Mann, der ebenfalls Angeklagter ist. Er unterhält sich mit ihm:

"Sie glauben wohl nicht, dass ich angeklagt bin ?" fragte K. "Oh bitte, gewiß", sagte der Mann, und trat ein wenig zur Seite, aber in der Antwort war nicht Glaube, sondern nur Angst. "Sie glauben mir also nicht ?" fragte K. und faßte ihn, unbewußt durch das demütige Wesen des Mannes aufgefordert, beim Arm, als wolle er ihn zum Glauben zwingen. Aber er wollte ihm nicht Schmerz bereiten, hatte ihn auch nur ganz leicht angegriffen, trotzdem schrie der Mann auf, als habe K. ihn nicht mit zwei Fingern, sondern mit einer glühenden Zange erfaßt. Dieses lächerliche Schreien machte ihn K. endgültig überdrüssig; glaubte man ihm nicht, dass er angeklagt war, so war es desto besser; vielleicht hielt er ihn sogar für einen Richter. Und er faßte ihn nun zum Abschied wirklich fester, stieß ihn auf die Bank zurück und ging weiter."[4]

Diese scheinbar emotionslos erzählte Passage lässt eine Spannung erkennen, die sich während des Vorgesprächs auf Grund Josef K.s Verhalten, das sich z.B. in Ungeduld äußert, aufgebaut hat. Die Frage : "Sie glauben wohl nicht, dass ich angeklagt bin ?", kann als eine rhetorische Frage bezeichnet werden, denn Josef K. will bestätigt bekommen, kein Angeklagter zu sein. Der Mann jedoch bejaht diese Frage und Josef K. äußert seine Enttäuschung durch Aggression. Obwohl er glaubt, den Mann nur leicht berührt zu haben, verrät die Sprache mit dem Wort "angegriffen" sein gewaltsames Vorgehen. Die Beschreibung "angefaßt" wäre wahrscheinlicher und vom Leser erwartet worden. Dieser deutliche Widerspruch zwischen K.s bewußtem Verhalten und seinem unbewußten Vorgehen ist also auch in der Sprache wieder- zufinden. Die geheime Absicht, durch Gewalt den Mann dazu zu bringen, seine Antwort rückgängig zu machen, wird durch den folgenden Satz verstärkt: "..., als habe K. ihn nicht mit zwei Fingern, sondern mit einer glühenden Zange erfaßt." Das Wort "als" kann man durch "wie wenn" ersetzen und man erhält so einen Vergleichssatz, der mit K.s Tat gleichgestellt werden kann. Außerdem wird K.s Aggression durch das Bild der "glühenden Zange" verstärkt.

An dieser Stelle kann man auch sehr gut erkennen, welche Erzählhaltung Kafka in diesem Roman benutzte. Er verwendete das personale Erzählen, bei dem zwar in der dritten Person erzählt wird, aber ausschließlich aus der Sicht des Josef K. Es handelt sich um eine besonders ausgeprägte Form dieser Erzählweise, denn der Erzähler ist identisch mit der Hauptfigur. Der Erzähler teilt nur die Gedanken und Vermutungen des Josef K. mit. Dieses Vorgehen nennt man einsinniges Erzählen. Man erfährt in diesem Roman nicht mehr als die Hauptperson weiß und preisgibt. Das ist auch der Grund, dass nichts in seiner Abwesenheit geschieht und er durchgehend anwesend ist.

2.3. Die Frage nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel

Meiner Meinung nach paßt die Sprache, gemessen an der Thematik, sehr gut zum Roman. Adjektive wie kühl, sachlich, unbeteiligt oder emotionslos werden mit dem Begriff "Gericht" problemlos assoziiert. Gerade die Sprache ist ausschlaggebend für das Verständnis der Situation und den Zustand des Josef K.. Durch Kafkas emotionslose Schreibweise wird dem Leser die Ausweglosigkeit und vor allem Sinnlosigkeit des Kampfes der Hauptfigur gegenüber dem Gericht vermittelt

3. Biographische Bezüge

3.1. Die Biographie des Autors: Franz Kafka

Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 als ältester von sechs Kindern eines deutschjüdischen Kurzwarenhändlers in Prag geboren. Im Herbst 1889 besuchte er die Deutsche Knabenschule. Schon damals zeigte sich seine Ängstlichkeit und Ernsthaftigkeit, die aus der elterlichen Erziehung hervorging, wenn man überhaupt von Erziehung sprechen konnte, da Kafka unter der Obhut der Köchin, später eines Kindermädchens und einer Gouvernante aufwuchs. Seine Eltern sah Kafka eher selten und somit beschränkte sich die Erziehung auf Anweisungen bei Tisch. Die Befehle seines Vaters blieben für Kafka unbegreiflich und so wurde er immer unsicherer in allem, was er tat. Von 1893 - 1901 besuchte er das altösterreichische humanistische Gymnasium in der Prager Altstadt. Seine Schulleistungen waren überdurchschnittlich. Sein ungewöhnlicher Mangel an Neugierde ist ein Beleg für das empfindliche Zurückweichen vor der Umwelt. Seine Mitschüler sprachen immer von einer gläsernen Wand, die ihn von der Welt trennte. In dieser Zeit (1897 - 98) begann Kafka zu schreiben. Durch seine Vereinsamung und weltanschaulichen Probleme erlangte das Schreiben für ihn eine immer stärkere Bedeutung. Nach seinem Abitur (1901) wollte er Philosophie studieren, dem widersetzte sich jedoch sein Vater. Von 1901 - 1906 studierte er, nach häufigem Wechsel der Studienrichtungen, an der deutschen Universität in Prag auf Wunsch des Vaters Jura. Mit dem Jurastudium schien die Schuld gegenüber dem Elternhaus abgetragen. Nach seiner Promotion, am 18. Juni 1906 zum Dr. jur., trat er zunächst als Versicherungsangestellter in die "Assicurazioni Generali" (1907) ein. Seine Berufswahl war ihm relativ gleichgültig, doch wollte er sich die Unabhängigkeit vom Elternhaus sichern, weiter weg von zu Hause sein und trotz des Berufes genügend Zeit zum Schreiben haben. 1908 wechselte er zu der halbstaatlichen Arbeiter-Unfall-Versicherungsgesellschaft in Prag und wurde Hilfsbeamter für das Königreich Böhmen. Er erweist sich als tüchtiger Beamter. Kafka steigt von der Aushilfskraft zum Obersekretär auf und wird später frühzeitig entlassen. Er leidet unter dem Beruf, da er die Kraft zum Schreiben verzehrt. Während dieser Zeit schließt er Freundschaft mit dem durchaus erfolgreichen Autor Max Brod, der ihn bewundert. Er ist der einzige engere Freund aus dem Kulturleben Prags, während er zum örtlichen Dichterkreis nur lockere Kontakte pflegte. Er machte Vergnügungsreisen wie andere junge Leute: nach Helgoland, Paris, Berlin, Venedig, Verona, Lübeck und Wien.

Anfang Mai 1912 lernte er die Berlinerin Felice Bauer (geb.1887) kennen. Einige Wochen später schon bat er in einem Brief an ihren Vater um die Verlobung. Ungeduldig wartete er auf eine Antwort und schrieb währenddessen einen neuen Brief an ihren Vater, den er aber nie abschickte. In diesem Brief schreibt er, dass seine Tochter mit ihm nicht glücklich werden wird, da für ihn die Literatur alles sei. Auch eine Ehe würde daran nichts ändern. Während er diesen Brief schreibt, kommt die zustimmende Antwort. Im September gibt es den ersten Bruch zwischen den beiden. Kafka fährt allein auf Reisen. Nach seiner Rückkehr nimmt er wieder Kontakt zu Felice auf, im November besucht er sie auch. Der Schriftsteller Ernst Weiss und eine Freundin von Felice, Grete Bloch, vermitteln zwischen den beiden. Am 1. Juni 1914 kommt es in Berlin zur offiziellen Verlobung. Durch diese Verlobung fühlt sich Kafka gebunden wie ein Verbrecher und sieht seine Arbeit durch die Ehe gefährdet. Am 12. Juli 1914 löst Kafka in Berlin die Verlobung.

Mit Grete Bloch entsteht ein ausführlicher Briefwechsel, und auch ein intimes Verhältnis. Kafka erfuhr niemals, dass Grete Bloch von ihm schwanger war und dass sein Sohn im Jahre 1915 geboren wurde, der jedoch nach sieben Jahren verstarb. Sie verschwieg ihm seine Vaterschaft aus Schuldgefühlen gegenüber Felice. Auch wußte sie, dass Kafka in einer Ehe keine Kinder wollte. Im Januar 1915 trifft er erstmals wieder mit Felice zusammen. Vor Kriegsende will er sich wieder mit ihr verloben. Anfang Juli findet die zweite Verlobung statt. Doch auch diesmal funktioniert es nicht. Im Sommer 1917 wird Kafka lungenkrank. Seine Krankheit war eine Befreiung von allen Verpflichtungen für ihn. Ende Dezember 1917 trennen sich die beiden endgültig. Es wird gesagt, dass seine Krankheit nur Vorwand für die Lösung von Felice war. In diesem Zeitraum schreibt er die Erzählungen: Das Urteil (entstanden: Sept. 1912), Die Verwandlung (Nov./Dez. 1912), In der Strafkolonie (Okt. 1914), Der Verschollene (1912 und 1914) sowie Der Prozeß (1914).

Im November 1918 fährt Kafka nach Schlesien. Dort lernt er Julie Wohryzek kennen, ein junges tschechisches Mädchen. Kafka verlobt sich mit ihr, nachdem er sie ein halbes Jahr kennt. Diesmal denkt er, wäre es die richtige Entscheidung. Die Hochzeit scheitert, weil ihnen am Freitag eine zugesicherte Wohnung verloren ging und sie somit am Sonntag nicht heiraten konnten.

Für Kafkas Vater war diese Verlobung eine Schande, denn Julie's Vater war Synagogendiener und gehörte somit zur letzten gesellschaftlichen Stufe. Das Scheitern dieser dritten Verlobung bewirkte Ende 1919 die Niederschrift des "Brief an den Vater" (1925), indem er sich konkret mit der übermächtigen erfahrenen Gestalt des autoritären Vaters auseinandersetzt.

Anfang Juli 1923 lernt Kafka, bei einem Besuch einer Ferienkolonie, die 25jährige ostjüdische Köchin Dora Diamant in Muritz kennen. Sie arbeitete dort als eine der Helferinnen - ein naives, hilfsbereites Mädchen. Kafka fühlt sich zu ihr hingezogen. Er verlässt Prag ein Jahr vor seinem Tod, um mit ihr seine letzten Monate zu verbringen. 1923/24 lebte Kafka mit ihr in Berlin.

Er stirbt am 3. Juni 1924 an Kehlkopftuberkulose im Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg. Nach Kafkas Willen sollten seine Manuskripte, von denen zu Lebzeiten kaum etwas veröffentlicht worden war, nach seinem Tod vernichtet werden. Entgegen seinem Willen veröffentlichte sein Freund Max Brod in den Dreißiger Jahren die Werke und begründete damit Kafkas späten Ruhm.

3.2. Die Stellung des Werkes in der Vita des Autors

Der Prozeß entstand zwischen August 1914 und Januar 1915. Anlass für den Roman, und somit der Schuld- und Gerichtsthematik, war die Auflösung der ersten Verlobung mit Felice Bauer.

Felice erscheint von Anfang an nicht als mögliche Liebespartnerin, der Kafkas Verlangen und Begehren gilt, sondern als Objekt für die Ehepläne und die Rolle im Häuslichen. Felice repräsentierte die Ehe, Familie und das bürgerliche Leben.

Schon während der Verlobung am 1. Juni 1914 in Berlin im Beisein beider Elternpaare fühlte sich Kafka "gebunden wie ein Verbrecher". Diese Worte zeigen deutlich, wie sehr Kafka die bevorstehende Heirat als eine Art Gefangenschaft und Strafe empfand. Die Heiratspläne mit Felice waren zugleich aber ein Hebel für Kafka, sich im Normalleben zu etablieren. So zog er aus den Konflikten Energie, um seinem inneren Wirrwarr durch Schreiben ein Ventil zu schaffen. Dennoch gründete sich Kafkas Schreiben aus dem Alleinsein heraus.

So fand die Entlobung am 12. Juli 1914 im Hotel "Askanischer Hof" in Anwesenheit von Freunden (Grete Bloch und Ernst Weiß) und Verwandten statt, sechs Wochen nach der offiziellen Verlobung. Grund für diese Entlobung waren Kafkas Zweifel an der Institution Ehe, da er die Verpflichtung zum Schreiben durch die Belastungen der Ehegemeinschaft gefährdet sah. Bei dieser Verhandlung im "Askanischen Hof" legte Grete Bloch, der sich Kafka in seinen Briefen genähert hatte, vertrauliche Korrespondenz von ihr und Kafka vor, die für Felice den letzten Ausschlag gaben, der Entlobung zuzustimmen. Kafka fühlte sich durch Grete Bloch, die als "Richterin" ihm gegenüber auftrat, hintergangen. Er suchte sowohl bei sich als auch bei ihr die Schuld. Aus dieser Situation heraus entstanden die wichtigsten Elemente des "Prozeß-Romans", die Kafka zur inneren Konfliktlösung drängten: Die Frage von Schuld und Gericht. Dies beweisen auch Kafkas Tagebuchaufzeichnungen, in denen dieser Schauplatz als "Der Gerichtshof im Hotel" bezeichnet wird.

Durch die Entlobung fühlte er sich einerseits befreit, aber die Schuldgefühle, in den entscheidend wichtigen Fragen der Ehe und Familiengründung versagt zu haben, waren unüberwindlich. Verfolgt von dieser Schuld erfährt er einen inneren Prozeß der Selbstanklage und des Selbstgerichts. Kafka beginnt, das Fiasko seiner Verlobung sprachlich zu verarbeiten. Die Niederschrift des Prozesses diente ihm somit als Selbstbefreiung.

4. Bewertung

4.1. Ist die Thematik ein abstruser Einzelfall oder wird mit dem Besonderen auch

Allgemeines erfaßt ?

Der Roman "Der Prozeß" beinhaltet nicht nur Kafkas persönliche Problembewältigung, sondern spricht wegen seiner Allgemein- und Vieldeutigkeit eine sehr große Bandbreite von Lesern an. So wird es wohl kaum jemanden geben, der sich von all den angesprochenen Problematiken freisprechen kann. Erstaunlich ist auch, dass der Roman, der 1914/15 entstand, für das heutige Leserpublikum immer noch aktuell ist. Dies liegt wohl an seinen zeitlosen Themen, die man immer noch individuell auf Personen oder allgemeine Lebenssituationen beziehen kann.

Die Konfrontation mit einer hierarchisch gegliederten Welt, das Gefühl trotz großer An-strengung sein Ziel nie erreichen zu können, sich klein und nichtig vorzukommen, weil man einer höheren Macht gegenübersteht, der Konflikt zwischen Beschuldigtwerden und deut-lichem Unschuldsgefühl oder gar das Gefühl der Einschüchterung und Vergeblichkeit im bürokratischen und institutionellen Bereich wird wohl niemandem fremd sein. Doch auch banal erscheinende Themen, wie z.B. die Beziehung der Geschlechter, werden immer ein Publikum finden.

4.2. Gelingt über die gewählten Inhalte die Kontaktaufnahme zum Leser ?

Wer diesen Roman liest, wird über die skurrile Handlung verwirrt sein. Der Leser wird sich vor allem über die Gerichtswelt wundern, die nicht mit unserem Rechtsempfinden übereinstimmt.

Der Leser erfährt die Handlung aus der Sicht des Josef K. und kann genau wie er den Gang des Prozesses nicht nachvollziehen. Der Leser fühlt also von Anfang an, in welcher Misere Josef K. steckt. Dieses Gefühl wird vor allem durch die Erzählhaltung erweckt. Der Leser wird gezwungen, K.s Verwirrung mitzuerleben, ohne dass er je mehr über das rätselhafte "Gericht" erfährt als K. selbst. Gerade diese Erzählhaltung trägt zur Rätselhaftigkeit des Textes bei.

Dennoch halte ich die Rätselhaftigkeit für positiv, da sie den Leser dazu anregt, nach einer anderen Deutung des Inhalts zu suchen. Gerade durch die skurrilen Inhalte des Romans gelingt die Kontaktaufnahme zum Leser, der sich nicht der Tatsache entziehen kann, über diesen Roman nachzudenken. Es gelingt dem Leser nicht, diesen Roman zu lesen und ihn ohne weiteres aus den Händen zu legen. Die Rätselhaftigkeit "zwingt" ihn, sich mit dem Roman auseinanderzusetzen.

4.3. Die Bedeutung der Stilistik für die Rezipienten: "lesbar" oder nicht ?

Mit Sicherheit kann man sagen, dass dieser Roman durchaus gut zu lesen ist. Durch die sachliche und genaue Sprache kann es zu keinerlei "Mißverständnissen" in Bezug auf den Inhalt kommen. Ereignisse oder Situationen werden nicht langatmig umschrieben, sondern schnell auf den Punkt gebracht.

5. Skizze eines produktorientierten Interpretationsansatzes

Alle Werke von Franz Kafka lassen sich in einem direktem Zusammenhang mit seinem Leben stellen, so auch der Roman "Der Prozeß". Er selbst und die Personen, mit denen er zu dem Zeitpunkt, als er den Roman schrieb, zu tun hatte, tauchen in diesem Werk unter anderen Namen auf. Dieser biographische Bezug lässt sich an Hand des Romans beweisen. So erscheinen in Kafkas Manuskript die Abkürzungen "K" für Josef K. und "F.B." für Fräulein Bürstner. Diese Initialen treffen auch auf Kafka selbst und Felice Bauer zu.

Darüber hinaus gibt es Textstellen, die sich in einen direkten Zusammenhang mit Kafka stellen lassen. Im Roman wird K. am Vorabend seines einunddreißigsten Geburtstages umgebracht. Am Vorabend Kafkas einunddreißigsten Geburtstages entschließt er sich nach Berlin zu fahren, um das Verlöbnis mit Felice zu lösen. Kafka stellte also dieses Ereignis (Entlobung) einer Hinrichtung gleich.

Auch seinen Vater-Sohn-Konflikt versuchte Kafka in diesem Werk zu bewältigen. Kafkas Vater war eine Machtgestalt (groß, stark, breit), der Kafka (mager, schwach, schmal) gegenüberstand. Der Prozeß verschärft die Einsichten in die Institutionalisierung des Vaterprinzips durch die Darstellung einer abstrakten Instanz der Herrschaft und des Richters. Der Vater erscheint Kafka als oberster Richter, als "letzte Instanz", worin sich die Prozeß-Welt andeutet.

Außer den überragenden Vaterfiguren erscheinen auch viele Mutter- oder Ersatzfiguren, so z.B. die Zimmervermieterin Josef K.s, Frau Grubach, die durch ihre Empfindlichkeit und Fürsorge an Kafkas Mutter erinnert.

Das Erleiden einer unerklärlichen Schuldzuweisung, die keinen Ausweg lässt, ist bezeichnend für die Thematik des Prozeß-Romans und lässt sich auf Ereignisse in Kafkas Kindheit zurückführen. Kafka wurde oft von seinem Vater bestraft, ohne dass dieser einen berechtigten Anlass dafür hatte. So wurde Kafka z.B. als Junge in der Nacht auf den Balkon ausgesperrt, da er seinen Vater lediglich um ein Glas Wasser bat. Parallelen zu Josef K. lassen sich ohne große Mühe ziehen, da auch Josef K. nie einen Grund für seine Verhaftung bzw. Verurteilung erfuhr.

Auch die Thematik des verleumderischen Verhaltens, das Kafka durch eine Köchin erfuhr, die ihm androhte, den Lehrern sein angeblich schlechtes Benehmen mitzuteilen, obwohl er gar nichts Böses getan hatte, griff Kafka gleich zu Beginn des Prozeß auf, als Josef K. eine Verleumdung vermutete, weil er verhaftet wird, "ohne dass er etwas Böses getan hätte".[5]

Auch Kafkas unüberwindbares Schuldgefühl, das er hatte, weil er in der Ehe und Familiengündung versagt hatte, spiegelt sich auch bei Josef K. wider. Genau wie Kafka ist auch Josef K. beziehungsunfähig. Dargestellt wird dies in den immer wieder auftauchenden "Beziehungen" zu Frauen. Die meisten Frauen im "Prozeß", zu denen Josef K. Verbindungen sucht, haben in seinen Augen einen hurenhaften Charakter. Es gibt nur einige wenige Frauenfiguren, die diesem Charakter nicht entsprechen, so z.B. Fräulein Bürstner, doch auch mit ihr konnte er keine dauerhafte Beziehung aufbauen.

Zudem spielt Kafkas räumliche Lebenssituation in diesem Werk eine große Rolle. Kafka verbrachte fast sein ganzes Leben in Prag. Diese Eindrücke der Stadt spiegeln sich im Prozeß wider.

Bezeichnend für Prags Stadtbild ist der Gegensatz von Höhe und Tiefe, symbolisiert vom hochgelegenem Schloß und Veitsdom zur niedriggelegenen Altstadt. Im Prozeß spielt der Dom als zentrale Begegnungstätte für Josef K. eine entscheidende Rolle. Der Dom wird Schauplatz seiner vergeblichen Sinnsuche. Die Bauwerke, die zu Josef K.s Alltagswelt gehören, stehen im Schatten des Doms.

Der Gegensatz zwischen Höhe und Tiefe spiegelte sich auch zur damaligen Zeit in den sozialen Schichtungen und Machtverhältnissen wider. Auch hier tauchen Parallelen zum Text auf. Josef K. gerät auf der Suche nach dem Gericht in unbekannte Gegenden, in Arbeiterviertel, die mit ihrer armseligen Alltagswirklichkeit im Kontrast zu seiner gewohnten bürgerlich geordneten Lebenswelt stehen.

Darüber hinaus mag der Beginn des Ersten Weltkrieges, von dessen Teilnahme Kafka wegen Unabkömmlichkeit in der Versicherungsbehörde verschont blieb, die Schuldthematik mittelbar beeinflußt haben. So kommt im Nachhinein die Frage auf, ob "Der Prozeß" mit den Motiven unvermuteter Verhaftungen, heimlicher Prügelkommandos, unkontrollierbarer Behördenentscheide und brutaler Tötungen sich auch auf den späteren nationalsozialistischen Terror beziehen lässt.

6. Zusammenfassende Darstellung der Rezeptionsgeschichte

Um einen Ãœberblick der Rezeptionsgeschichte zu bekommen, ist es notwendig, zu Beginn einige Rezensionen bekannter Schriftsteller zusammenfassend wiederzugeben:

Im "Berliner Börsen-Courier" erschien am 26. April 1925 unter dem Titel "Franz Kafka: Der Prozeß" ein Artikel von Ernst Weiß.

Ernst Weiß beschreibt den "Prozeß" als den Prozeß der eigenen Gewissensstimme. Das Werk sei nichts anderes als der Detektivroman einer Seele, in dem ein Wesen die halbverlöschten Spuren seiner selbst sucht. Von sich selbst angeklagt und von sich selbst verurteilt. "Und dass dieses Urteil wider den Willen dieses Richters und Angeklagten in einer Person, wider den Willen Kafkas an die Öffentlichkeit kommt, nachdem er sein ganzes Leben lang die Heimlichkeit des Verfahrens erlitten, das macht dies Werk zu einem echten Lebensdokument, zu einer erschütternden Tragikomödie."[6]

In der Abendausgabe des Berliner Tageblattes vom 9. September 1925 erschien unter der Ãœberschrift "Franz Kafkas Nachlass" eine Rezension von Hermann Hesse.

In diesem Artikel beschreibt H. Hesse Kafka als einen merkwürdigen Dichter, der mit seiner Arbeit selbst nie zufrieden war. Über das Werk schreibt er, dass es viele von Kafkas Freunden überraschen, alle entzücken und ergreifen wird. Es sei ein seltsames, aufregendes, wunderliches und ein beglückendes Buch.

Hesse beschreibt dieses Werk als ein Gespinst aus zartesten Traumfäden, die Konstruktion einer Traumwelt, hergestellt mit so reinlicher Technik und geschaffen mit so intensiver Kraft der Vision, dass eine unheimliche, holspiegelhafte Scheinwirklichkeit entsteht, welche zunächst wie ein Alptraum wirkt, bedrückend und ängstigend, bis dem Leser der geheime Sinn dieser Dichtung aufgeht.

Der Sinn seiner Dichtung, schreibt Hesse, stecke nicht in der ungewöhnlichen Sorgfalt der Kleinarbeit, sondern sei ein religiöser. Was dieses Werk ausdrücke, sei Frömmigkeit, was es erwecke, ist Unterwürfigkeit und Ehrfurcht. Der "Prozeß" sei nichts anderes als die Lebensschuld selbst und die "Angeklagten" sind jene, denen eine beginnende Einsicht in die Furchtbarkeit allen Lebens das Herz einschnürt. Aber sie können Erlösung finden auf dem Weg der Ergebung, der frommen Hingabe an das Unvermeidliche. Diese Lebenslehre wird im "Prozeß" gepredigt.

Jakob Elias Poritzky beschreibt in seiner Sammelbesprechung, veröffentlicht in der literarischen Informationszeitschrift "Die Literatur" (April 1926 in Stuttgart und Berlin), unter dem Titel "Phantasten" Kafkas "Prozeß" als ein Werk voll schmerzhafter Selbstqual und herzaufwühlender Weltverlorenheit.

Es zeigt dem Leser, unter welchen dämonischen Masken die Erinnyen (Rachegöttin) des Alltags sich verbergen. Der Leser wandert durch eine traumhafte Hölle, voll eigen erfundener Ungeheuer und grausiger Stationen. Weiter schreibt er, dass es eine Nerventortur stärksten Grades sei, die man als Mitwanderer durchleidet. Die Trostlosigkeit und Traumgebundenheit sei vollkommen. Man lebt im Purgatorium (Fegefeuer), von Mächten umringt, denen man ohnmächtig und hilflos ausgeliefert sei.

So und ähnlich klangen die Meinungen und Äußerungen der meisten Kritiker unmitelbar nach der Veröffentlichung des Romans. Kafkas Roman "Der Prozeß" wurde in den höchsten Tönen gelobt. Viele sprachen sogar vom bedeutendsten Werk Kafkas. Es sei ein Roman, der durch seine große Stärke, nämlich der Allgemeingültigkeit, viele Leser anspreche.

Kafka selbst wurde von seinen Kritikern als heimlicher Meister und König der deutschen Sprache (Sprachkünstler) genannt, der die Fähigkeit besaß, durch sorgfältige Kleinarbeit ein solch komplexes Werk zu schreiben.

Hinzuzufügen ist, dass Kafkas Kritiker immer wieder Dank gegenüber Max Brod äußern, da er gegen den Willen Kafkas, zwei Jahre nach dessen Tod, den ersten Roman veröffentlichte.

Der Roman "Der Prozeß" wurde bis zum heutigen Tag immer wieder neu gedeutet. "Die Zeit des Faschismus aktualisierte in der Kafka-Interpretation das jüdische Schicksal des Verfolgtseins, das Max Brod schon 1933 Kafkas Roman zuschrieb als "all das, was für die heutige Lage des Judenrtums charakteristisch ist", wobei er die zeitgeschichtliche Vorwegnahme des "SS-Mannes" in Kafkas Roman fesstellen zu können glaubte."[7]

Die Vehemenz, mit der Kafka nach 1945 in der geistigen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit Furore machte, hing nicht zuletzt mit der schwierigen Lage des Einzelnen im Dritten Reich zusammen. Die alten Ordnungssysteme waren zerstört worden. Man war von einem Gefühl der Orientierungslosigkeit und oft auch Hoffnungslosigkeit ergriffen und deutete dementsprechend diesen Roman.

"Heutzutage geht die Dynamik des Processes eher dahin, "unabhängige Akte einer Selbstbegegnung, die zur Ich-Findung durch Schulderkenntnisse führt", in den Geschehnissen des Romans anzubieten. Der "wahre" Prozeß sei "das schwere Durchringen von der Fremdbestimmung zur Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung." Diese neueren Ansätze und Deutungen entlassen die LeserInnen mit der Aufgabe, den unausdeutbaren Text als Sinnenergie, die das eigene Denken, die Selbsterkenntnis vorantreibt, mitzunehmen, den Text als Mitteilung anzuhören."[8]

7. Zusammenfassendes Urteil: "Leseempfehlung"

Wer Kafka und seine Art zu Schreiben mag, der wird diesen Roman zu schätzen wissen, denn "Der Prozeß" wird nicht umsonst als Kafkas größtes Werk bezeichnet.

Ich persönlich hatte zu Beginn des Romans sehr starke Zweifel. Schon wieder ein Werk von Kafka, der mit sich und der Welt nicht zurechtkam und seine Probleme durchs Schreiben bewältigte.

Doch auf Grund der Biographie und der Umstände, die zu diesem Roman führten, also als Hintergründe und Zusammenhänge deutlicher wurden, wurde mir klar, dass dieser Roman geradezu ein Meisterwerk der Verarbeitung ist. Wenn man Kafkas Lebenssituation kennt und sie sich während des Lesens immer wieder vor Augen hält, erkennt man erst die Komplexität, die dieser Roman, trotz seiner Einfachheit, mit sich bringt. Kafkas Talent bestand darin, seine persönliche Situation in den Mittelpunkt zu stellen. Trotzdem erreichte er unbewußt ein sehr hohes Maß an Vieldeutigkeit, obwohl er eine Veröffentlichung seiner Werke nicht vorsah.

Auch die einfach wirkende Schreibweise, die erst auf den zweiten Blick ihre Vielfalt erkennen lässt, ist wirklich erstaunlich und faszinierend. Genau wie das Zusammenspiel zwischen Real (Wirklichkeit) und Irreal (Traum), welches fließend ineinander übergeht, so dass den Leser nach einer gewissen Zeit nichts mehr verwundert, selbst wenn das Geschehen zum Ende hin immer absurder wird.

Dieses Werk ist meiner Meinung nach erst dann faszinierend, wenn man sich mit Kafkas Biographie beschäftigt. Als "Bettlektüre", also zum Vergnügen, eignet es sich nicht.

8. Quellenangabe:

Klaus Wagenbach, Rowohlt Taschenbuch Verlag Gmbh, Reinbek bei Hamburg, 1964 Franz Kafka: Tagebücher 1910-1923, S.Fischer Verlag, 1986 Lektüre: Durchblick, Der Prozeß, von Friedrich Hobek, Mentor Verlag München Franz Kafka, Eine kritische Einführung in die Forschung, von Peter U. Beicken, Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag Kafka-Handbuch, in zwei Bänden, Band 2: Das Werk und seine Wirkung, herausgegeben von Hartmut Binder, Alfred Körner Verlag Stuttgart Kindlers Literatur Lexikon im dtv, Band 9: O,P,Q; Deutscher Taschenbuch Verlag, München, März 1986 Franz Kafka, Der Proceß: Interpretation/ von Peter Beicken -1. Auflage- München: Oldenbourg, 1995 Franz Kafka: Der Prozess, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1979, Nachdruck August 1992 Franz Kafka: Kritik und Rezeption 1924-38, Herausgegeben von Jürgen Born, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1983 Hermes Handlexikon: Franz Kafka: Leben, Werk, Wirkung; von Hartmut Müller, ECON Taschenbuch Verlag, Düsseldorf, 1985

[1]Kafka, Franz; Der Proceß: Interpretation/ von Peter Beicken -1. Aufl.- München: Oldenbourg, 1995, Seite 120.

[2]Hermes Handlexikon: Franz Kafka: Leben, Werk, Wirkung; von Hartmut Müller, ECON Taschenbuch Verlag, Düsseldorf, 1985, Seite 159.

[3]Kafka, Franz; Der Proceß: Interpretation/ von Peter Beicken -1.Aufl.- München: Oldenbourg, 1995, Seite 121.

[4]Kafka, Franz: Der Prozess, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, März 1979, Nachdruck August 1992, Seite 59.

[5]Kafka, Franz: Der Prozess, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, März 1979, Nachdruck August 1992, Seite 7.

[6]Kafka, Franz: Kritik und Rezeption 1924-38, herausgegeben von Jürgen Born unter Mitwirkung von Elke Koch, Herbert Mühlfreit und Mercedes Treckmann; S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1983, Seite 98.

[7]Kafka, Franz; Der Proceß: Interpretation/ von Peter Beicken -1. Aufl.- München: Oldenbourg, 1995, Seite 177.

[8]Franz Kafka; Der Proceß: Interpretation/ von Peter Beicken -1. Aufl.- München: Oldenbourg, 1995, Seite 180.

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