Der Mensch und sein Verhältnis zur Natur

Der Mensch wird immer unabh"ngiger

vom Boden, auf dem er lebt. Wenn

frher ein Mensch und ein Sumpf

zusammenkamen, verschwand

der Mensch, jetzt der

Sumpf.

Wie Schiffer sind wir, die ihr

Schiff auf offener See umbauen

mssen, ohne es jemals in einem

Dock zerlegen und aus besten

Bestandteilen neu errichten zu

k"nnen.

Otto Neurath

Gliederung:

1 Einleitung

2 Der Mensch

2.1 Der Mensch als Suchender

2.2 Der Mensch als Stellvertreter Gottes

2.3 Der Mensch als Tr"ger von Rechten

2.4 Der Mensch als moralisches Wesen

2.5 Zusammenfassung

3 Die Natur

3.1 Das mechanistische Weltbild von Natur und Mensch

3.2 Das "kologische Weltbild von Natur und Mensch

3.3 Zusammenfassung

4 Folgerungen fr den Umweltschutz

4.1 Umweltschutz dem heutigen Menschen zuliebe?

4.2 Umweltschutz knftiger Generationen zuliebe?

4.3 Umweltschutz der Natur zuliebe?

5 Schluá

6 Literatur

1 Einleitung

Wer sich als Philosophierender zu aktuellen Problemen "uáert, ger"t leicht unter

zweierlei Verdacht. Die einen verd"chtigen ihn der Ahnungslosigkeit, denkt er

doch ber ein Thema nach, fr das es Spezialisten gibt. Und schon am Anfang

der Philosophie wurde Thales verlacht, weil er die Sterne beobachtete und dabei

in den Brunnen fiel. Der Verdacht der Unwissenheit liegt also nahe.

Die anderen aber verd"chtigen ihn wegen seiner Unbefangenheit. Sie frchten

ihn sogar ob seiner Ehrlichkeit, mit der er es wagt, die Probleme an- und auszu-

sprechen.

Beide Verd"chtigungen zeigen etwas vom Wesen des Philosophierens und des

Philosophierenden. In der Philosophie gibt es n"mlich keine endgltigen Ergeb-

nisse, kein 2 x 2, das gleich 4 ist. Daá aber eingestandenes Nicht-Wissen ein

mehr an Wissen bedeutet, mssen manche erst lernen.

Des weiteren versucht der Philosophierende, ohne Scheuklappen zu denken. Die

Freiheit, die er fr sich in Anspruch nimmt, endet nicht bei irgendeiner Autorit"t

oder der Macht eines einzelnen, einer Partei oder Institution. Er ist im besten

Sinne des Wortes radikal, er geht den Dingen an die Wurzel und auf den Grund.

Beide Aspekte der Philosophie verunsichern, ist doch jeder Mensch froh, wenn

er endlich festen Boden unter den Fáen hat, und sei er auch nur vermeintlich

fest, aber ein Weltbild muá sein.

Gerade beim Thema ™kologie wird man diese Schwierigkeit immer wieder

feststellen. Wer sich beim Umweltschutz engagiert, tut dies mit Leib und Seele,

hat sein "kologisches Weltbild, umgekehrt: Wer die ganze Sache fr berflssig

h"lt, verd"chtigt die anderen der Ideologie. Kommunikationsprobleme sind

deshalb die unausweichlichen Folgen.

Hier hilft nur das Nachdenken ber die eigene Position, den eigenen Standort,

und hier kann die Philosophie helfen.

Wichtig ist dabei, daá zuerst einmal die richtigen Fragen gestellt werden, bevor

man Antworten geben kann. Deshalb fragen wir in einem ersten Schritt nach

dem Menschen und seinem Selbstverst"ndnis, das unser Denken bestimmt.

2 Der Mensch

Die Frage nach dem Wesen des Menschen ist nie abgeschlossen, denn der

Mensch besitzt kein universelles, kein endgltig definierbares Wesen. Jeder

Mensch und jede Zeit muá sich neu entscheiden und verantworten. Und jede

Antwort auf die Frage ¯Was ist der Mensch?® ist in sich unstimmig weil ab-

strakt, denn sie scheitert an der konkreten Situation. So ist die Frage ¯Was ist

der Mensch?® eigentlich die Frage ¯Was soll i c h sein als Mensch?® Die

Unbestimmbarkeit des Menschen ist also seine Bestimmung. Deshalb kann jede

Antwort gltig, aber nicht end-gltig sein.

2.1 Der Mensch als Suchender

Schon im 18. Jahrhundert beschreibt Johann Gottfried Herder (1744-1803) den

Menschen als ¯das verwaisteste Kind der Natur® (Herder 1772, 24), er sei der

¯erste Freigelassene der Sch"pfung® (Herder 1784, 119). Seine dadurch

bedingte Ortlosigkeit berwindet er durch die Schaffung einer 2. Natur, die er

Kultur nennt. Auch Friedrich Nietzsche (1844-1900) beschreibt die Unsicherheit

des Menschen drastisch: ¯Der Mensch ist kr"nker, unsicherer [...] als irgendein

Tier sonst®. Er ist das kranke Tier, sein Verstand macht ihn krank. Die Un-

menschlichkeit des Menschen ist die faktische Wirklichkeit. Der Mensch findet

nicht sein Wesen, er treibt sein Unwesen.

In unserem Jahrhundert war es Max Scheler (1874-1928), der mit seiner

berhmten Schrift ¯Die Stellung des Menschen im Kosmos® (1928) die Diskus-

sion weiterfhrte. Seine Frage lautet: Besteht mehr als ein gradueller Unter-

schied zwischen Mensch und Tier? Besteht ein Wesensunterschied?

Den ersten und entscheidenden Unterschied sieht Scheler in dem, was wir

¯Geist® oder ¯Person¯ nennen, also ¯seine existentielle Entbundenheit vom

Organischen, seine Freiheit®¯ (Scheler 1928, 38). Das Tier ist trieb- und um-

weltgebunden, der Mensch ist ¯umweltfrei®, ¯weltoffen® (Scheler 1928, 38).

Der zweite Unterschied besteht darin, daá der Mensch im Gegensatz zum Tier

Selbstbewuátsein hat; das heiát, daá er seine eigene physiologische und

psychische Beschaffenheit sich selbst gegenst"ndlich machen kann. ¯Das Tier

h"rt und sieht - aber ohne zu wissen, daá es h"rt und sieht® (Scheler 1928,

42).

Die Grnde fr die Weltoffenheit des Menschen sieht Arnold Gehlen

(1904-1976) in den fr den Menschen konstitutiven M"ngeln. Es fehlt der

Schutz des Haarkleids, es fehlen die natrlichen Angriffsorgane, es fehlt die

Sch"rfe der Sinne, und es fehlt an echten Instinkten. Dazu kommt als Nest-

flchtler seine lange Schutzbedrftigkeit in den S"uglings- und Kinderjahren. Er

spricht deshalb vom ¯M"ngelwesen Mensch®.

Entscheidend ist nun, daá diese M"ngel den Menschen dazu zwingen, wenn er

berleben will, die Welt so umzugestalten, daá Leben m"glich ist. Da der

Mensch nicht auf eine bestimmte Umwelt festgelegt ist, muá er sich seine

Umwelt schaffen, die umgearbeitete Natur heiát Kultur, also z.B. Ackerbau,

Zchtung von Pflanzen und Haustieren, pr"parierte Nahrung, Behausung.

¯Der Mensch ist, um existenzf"hig zu sein, auf Umschaffung und Bew"ltigung

der Natur hin gebaut und deswegen auch auf die M"glichkeit der Erfahrung der

Welt hin. Er ist handelndes Wesen, weil er unspezialisiert ist und also der

natrlich angepaáten Umwelt entbehrt® (Gehlen 1962, 38).

2.2 Der Mensch als Stellvertreter Gottes

Man muá aber noch weiter zurckgehen, um die heutige Problematik zu ver-

stehen, man muá bei Adam und Eva anfangen. Das Verst"ndnis des Menschen

im Alten Testament hat unseren Kulturkreis gepr"gt. Von allen geschaffenen

Wesen steht der Mensch gem"á der Genesis an der Spitze einer Pyramide. Der

Mensch ist in der Natur ein ¯Aristokrat® (Fraser-Darling 1968, 9), er allein ist

ausgezeichnet durch eine besondere Beziehung zu seinem Sch"pfergott, er ist

sogar der Stellvertreter Gottes auf Erden.

Diese im Judentum konzipierte Vorstellung der Beziehung Natur - Mensch hat

ihre unbestreitbaren Vorzge: Der Mensch emanzipierte sich von seiner Befan-

genheit in den Naturgewalten und Naturgottheiten. Die Natur wird entsakrali-

siert, ein primitiver Animismus wird berwunden. Der Dichotomie zwischen

Gott und Welt, Himmel und Erde, Leib und Seele entspricht die Dichotomie

Mensch - Natur. Es ist aber auch nur noch ein kleiner Schritt zur bedenkenlosen

Naturbeherrschung und -ausbeutung.

Natrlich wird heute von der Theologie betont, daá der Herrschaftsauftrag des

Menschen, das sog. dominium terrae, im Sinne des Hegens und Pflegens ver-

standen werden muá, denn das ¯Gott sah, daá es gut war® gilt fr die belebte

und unbelebte Natur gleichermaáen. Daraus leitet die christliche Theologie eine

Verantwortung des Menschen fr die gesamte Natur ab. Aber die Einstellung

eines Franziskus blieb historisch gesehen leider die Ausnahme.

Dieter Birnbacher (1980, 111ff) weist noch auf eine logische Schwierigkeit

dieses Ansatzes hin. Er unterscheidet zwischen einer Verantwortung gegenber

der Natur und einer Verantwortung in Ansehung der Natur. Aus der Sicht des

biblischen Sch"pfungsberichts hat der Mensch eine Verantwortung fr die

Natur, weil auch sie von Gott geschaffen ist. Das eigentliche Objekt der Ver-

antwortung ist also Gott und nicht die Natur selbst. Der Mensch steht also in

der Rolle des ¯stewardship®, des ¯Hausvogts®, wie Luther Gen 15, 2 bersetzt.

Eine Pflicht besteht demnach gegenber dem Auftraggeber, also Gott, und nicht

gegenber der Sache, also der Natur.

2.3 Der Mensch als Tr"ger von Rechten

Diese biblisch begrndete Anthropozentrik blieb ber Jahrhunderte relativ

gefahrlos fr die Natur (und fr den Menschen selbst, wie man hinzufgen

muá). Dies aber allein dadurch, weil die Zahl der Menschen und deren M"glich-

keiten begrenzt blieb.

Im Fortgang der Freiheitsgeschichte des Menschen stoáen wir auf entscheiden-

de Ver"nderungen im 18. Jahrhundert. Der christliche Sch"pfungsglaube hatte

zwar prinzipiell allen Menschen Freiheit und Gleichheit als Kinder Gottes zu-

erkannt, aber die politische Durchsetzung begann erst, bedingt durch die

gesellschaftlichen, politischen und sozialen Revolutionen, im Zeitalter der

Aufkl"rung. Das Machtvakuum, das durch die Durchsetzung des kopernikani-

schen Weltbildes entstanden war, in dem nicht mehr die Erde der Mittelpunkt

des Universums war, wurde dadurch gefllt, daá sich jeder einzelne Mensch

als Mittelpunkt eines Universums verstehen konnte.

Die Befreiung des Menschen aus der Vormundschaft der Institutionen, der Mut,

sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Kant), hatte auch eine konse-

quente Abgrenzung zur Natur zur Folge. Indem der Mensch Subjekt wird, wird

alles andere zum Objekt. Nur der Mensch ist das erkennende Wesen (res

cogitans), ihm gegenber stehen die Dinge, die erkannt werden sollen (res

extensa). Das ¯Cogito ergo sum® eines Ren' Descartes begrndet und festigt

denkerisch die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mensch und

Natur.

Damit ist politisch gesehen der Weg frei fr die Proklamation der Menschen-

rechte, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins ohne Ansehung der

Person, Alter, Stand oder Rasse genuine Rechte zuerkennt. Weil der Mensch ein

moralisches Wesen ist, das allein Gut und B"se unterscheiden kann, stehen ihm

Rechte zu. So schreibt z.B. John Passmore: ¯Die Annahme, daá irgend etwas

auáer dem Menschen "Rechte" besitzen k"nnte, ist g"nzlich unhaltbar® (Pass

more 1974, 229). Eine Begrndung sieht er darin, daá Dinge keine Interessen,

Wnsche und Hoffnungen haben k"nnen. Der Wert der Dinge besteht rechtlich

gesehen nicht in einem Eigenwert, sondern im Wert, der von einem Menschen

zugesprochen wird, denn sie sind Gegenstand des Interesses eines erkennenden

Menschen.

Man erkennt hierbei sehr gut die anthropozentrische Bestimmtheit dieses Den-

kens.

2.4 Der Mensch als moralisches Wesen

Die Aufkl"rung hat den Menschen nicht nur als freies Wesen definiert, sondern

auch als ein Wesen, das Verantwortung hat. Frei sein bedeutet ja w"hlen, was

wir wnschen, was wir tun sollen. Dieser Sollensanspruch muá gefunden,

rational begrndet und damit fr jeden nachvollziehbar sein.

Das ist nicht so einfach. Ein typischer Fehler, der dabei unterlaufen kann, ist der

sog. ¯naturalistische Fehlschluá®, d.h. man schlieát von einer deskriptiven

Pr"misse auf ein Pflicht- oder Werturteil. So kann z.B. von einer deskriptiven

Wissenschaft, wie etwa der Medizin oder ™kologie, keine Aussage darber

gemacht werden, was erhalten werden muá oder nicht. Die Naturwissenschaf-

ten k"nnen Folgen beschreiben, etwa daá Zigarettenkonsum sch"dliche Aus-

wirkungen auf den menschlichen Organismus hat, ob ich aber rauche oder nicht

rauche, ist keine medizinische Entscheidung, da mssen eindeutig auáermedizi-

nische Kriterien hinzukommen.

Oder ein Beispiel aus der ™kologie: Hier wird oft vom ¯"kologischen Gleichge-

wicht® gesprochen. Dies klingt fr den Laien normativ, denn mit dem Wort

¯Gleichgewicht® verbindet jeder etwas Gutes; ob dies aber der einzig wn-

schenswerte oder gar der optimale Zustand ist, ist mit dieser deskriptiven

Aussage bei genauerem Hinsehen nicht entschieden und kann auch gar nicht

entschieden werden.

Bei der Suche nach Werten, die unser Handeln bestimmen k"nnen, kann der

sog. Utilitarismus ein ganzes Stck weiterhelfen. Als teleologische Ethik werden

hierbei Pflichten auf auáermoralische Werte zurckbezogen. Ein solcher Wert,

der fr Mensch und Natur gleichermaáen Geltung beanspruchen kann, ist nach

Jeremy Bentham, dem Begrnder des Utilitarismus, die Leidensfreiheit. Hier

setzt nun auch die Bedeutung der deskriptiven Wissenschaften an: Wenn

Leidensfreiheit als Kriterium genannt wird, dann muá die Wissenschaft sagen,

inwieweit ein Tier unter den Bedingungen, die der Mensch geschaffen hat,

leidet.

Welche Schwierigkeiten sich dabei allerdings auftun, sieht man schon an dem

Urteil des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe, der darber zu entscheiden hatte,

ob das Betreiben von Legehennen-Batterien strafbar sei oder nicht (AZ: 1 StR

159/86). Die befragten Wissenschaftler waren sich uneins, ob durch die Mas-

sentierhaltung den Hennen ein ¯erhebliches Leid® zugefgt werde. Deshalb

endete das Verfahren mit einem Freispruch.

So sehr die moralische Entrstung bei Tierschtzern verst"ndlich ist, sie hilft bei

einer rationalen Argumentation nicht weiter und ersetzt diese nicht. Ein Satz

wie ¯Schmerz ist Schmerz, ob er Menschen oder Tieren zugefgt wird®, ist so

problematisch wie suggestiv.

Umgekehrt wird aber durch ein solches Urteil kein Mensch aus der Verantwor-

tung auch fr die Leiden der Natur entlassen. Es stellt sich vielmehr verst"rkt

die Frage, ob z.B. Tiere ein Recht darauf haben, von uns vor Leiden bewahrt zu

werden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Urteil des Amtsgerichts Hamm,

das zwei Sportfischer zu einer Geldbuáe von 1200 DM verurteilte, weil das

Gericht es fr erwiesen ansah, daá sie etwa zehn Zentnern Fischen ¯lang an-

haltende und erhebliche Leiden® (FAZ 19.4.1988) zugefgt hatten. Zwar

konnten auch hier die Gutachter nicht kl"ren, ob Fische Schmerz empfinden, die

Leidensf"higkeit der Tiere stand aber auáer Zweifel.

2.5 Zusammenfassung

Zusammenfassend kann man sagen: Die Frage nach dem Menschen ist die

Frage des Menschen nach sich selbst. Das M"ngelwesen Mensch kennt keine

"kologische Nische, es ist extrem unangepaát. Der Mensch muá sich deshalb<>

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