De rerum natura

De rerum natura

Titel entspricht dem griechischen "P e r i j u s e w V "; größter epikureischer Text und ausführlichste Darstellung der antiken Atomlehre (nach Demokrit und Leukipp), konnte sich letzlich nicht gegen die unmaterialistischen Systeme von Plato oder Aristoteles behaupten

Anlass zu Kritik v.a. von Seiten der Kirche, z.B. bei Lactanz: "delirat Lucretius"; 18.Jhdt: Kardinal gibt lateinisch-hexametrische Dichtung heraus unter dem Titel "Antilucretius über Gott und die Natur"

Lukrez = Repräsentant der nicht-teleologischen Natursysteme ð Wirkung auf viele Naturwissenschaftler der späteren Zeit (z.B. Darwin, Heckel)

"De rerum natura" ist C. Memmius gewidmet: wüster Politiker, der in zahlreiche Skandale verwickelt war ð Verbannung nach Griechenland ð ließ dort Epikurs Wohnhaus (Heiligtum der Epikureer!) abreißen, um für sich eine Villa zu bauen; = Beispiel für den Aufstieg und Fall eines Machtmenschen?

Buch 1: Raum und Materie

Buch 2: Bewegung und Formen der Atome

Buch 3: Leben und Seele

Buch 4: Sinneswahrnehmungen

Buch 5: Kosmologie (Entstehung der Welt und Kultur)

Buch 6: Naturerscheinungen (v.a. solche, die Götterfurcht bewirken)

I ) Grundsatz: "Nichts entsteht aus nichts", zieht sich durchs ganze Werk, Knechtschaft der "religio"; ð "Nichts vergeht zu nichts"--- bei noch so vollständiger Vernichtung müssen die Atome, die unteilbaren Teilchen, die Lukrez übrigens niemals mit dem griechischen Fremdwort bezeichnet, erhalten bleiben; ewiger Kampf von Vernichtung und Zerstörung: Nichts entsteht, wenn es nicht durch anderen Tod gefördert wird.

Aber nicht nur Materie gibt es, sondern auch das Leere. Existenz der Materie durch die Sinneswahrnehmung erwiesen, das Leere muss durch das logische Denken und die ratio erschlossen werden. --- Ohne das Leere wäre Bewegung unmöglich! Jeder Körper hat eine bestimmte Ausdehnung, ist er berührbar ð Körper, ist er unberührbar und lässt Körper ohne Widerstand durch sich hindurchgehen ð Raum. Alles andere sind coniuncta ("Attribute", die sich von einem Ding nicht trennen lassen, z. B. Hitze zu Feuer) oder eventa (Ereignisse)

Leeres können die Dinge nur in ihrem Inneren haben, wenn sie fester Stoff (Atomverbindungen) umschließt; Atome finden sich nach der Zerstörung eines Dings wieder zur Erschaffung eines neuen.

Atome sind unteilbar und unlöslich; unendliche Teilbarkeit widerspricht dem logischen Denken, außerdem wären so winzige Gebilde nicht mehr fähig, Dinge durch Gewicht, Zusammenprall und Bewegung aufzubauen.

Kritik Lukrez an Vorsokratikern, die nur einen Grundstoff für die Entstehung aller Dinge annehmen (z.B. Heraklit - Feuer);

Unendlichkeit der Atome und des Raumes; wäre das All begrenzt, wäre längst alle Materie zu Boden gesunken; wäre die Materie endlich, könnte nie im unendlichen Raum eine Ballung, wie unsere Welt es ist, zu Stande kommen.

Weltentstehung nur durch Bewegung der Atome möglich;

In Folge ihres Gewichtes müssen sie einmal im leeren Raum nach unten sinken oder mit anderen zusammenprallend entsprechend in die entgegengesetzte Richtung springen.

ð unendliche Atommasse in dauernder Bewegung. Dichte der Atomhäufungen bestimmt Härte der Stoffe;

Bestimmte "Ausnahmefälle", bei denen eine Kraft von unten wirkt, sprechen nach der Erfahrung gegen die Annahme des Falles der Atome (z.B. Feuer); Atome weichen unregelmäßig, aber unmerklich vom geraden Fall ab: Dadurch kommt es zu Kollisionen und Atomverbindungen. Atome besitzen verschiedene Gestalt: das beweisen die unterschiedliche Schnelligkeit der Stoffe (Fließgeschwindigkeit von Öl - Wasser), ihre unterschiedliche Wirkung auf die Sinnesorgane (sauer - süß) und Eigenschaften (rund, spitz, ...);

Jedes Ding verfügt über verschiedene Sorten von Atomen: dies erklärt die Vielgestaltigkeit der Welt (Vgl. mit Alphabet); Atome sind farb-, geruch- und geschmacklos ð nur so können sie ewig sein, denn Qualitäten verändern sich stets. Leben entsteht nur aus "besonderen" Atomen;

Kurze Skizzierung der Weltentstehung - In ihrer "Jugend" brachte sie alle Tiere und die Menschen hervor, versorgte sie "freiwillig", dann aber begann ihr allmählicher Verfall ð Vgl. Zeitaltermythos (Hesiod, Ovid...)

III) 3 Teile: Der erste handelt vom Wesen des animus und der anima, der Seele und des Lebens, der zweite beweist beider Sterblichkeit, zu der gehört, dass die Seele jeweils geboren wird, und der Schluss bekämpft die Todesfurcht; Die Seele und das Leben sind Teile des Körpers wie jeder andere. Animus und anima sind unter sich verbunden und ein Wesen, aber der animus hat seinen Sitz in der Brust, währen die anima über den ganzen Körper hin verteilt ist. Ihre Atome müssen äußerst klein, glatt und rund sein (Gegensatz zu Demokrit!!!), sonst könnten z.B. Gedanken und Reflexe nicht so schnell ablaufen. Außerdem erklärt ihre geringe Größe auch die Tatsache, dass wir an manchen Stellen, nämlich dort, wo keine "Empfindungsatome" sind, schwerer empfinden (Spinnweben!).

Aus der Mischung dieser 2 Teile des Körpers ergeben sich die verschiedenen Temperamente. Teile der anima kann man ohne größeren Schaden verlieren, während ohne den animus das Leben erlischt.

Lange Beweiskette: Seele entsteht mit dem Körper und geht mit ihm zu Grunde. ð "Der Tod geht uns also nichts an" (Epikur!); Klage, der Tod nehme alles Schöne des Lebens, ist unnötig, denn nach dem Tod sehnen wir uns ja nicht mehr danach; Das Leben verlängern will nur jemand, der es nicht ausgekostet hat; Man soll die Sinnhaftigkeit des Todes anerkennen, denn aus ihm entsteht in ständigem Kreislauf wieder neues Leben.

IV) Aus den Atomkomplexen lösen sich mehr oder weniger feste Gewebe von Atomen, was z. B. Gerüche bewirkt. Lukrez schildert in diesem Buch auch optische Phänomene (z.B. Spiegelbild, Vervielfachung des Bildes durch mehrer Spiegel, Schatten...), die Beschaffenheit von Klängen (unangenehme bestehen aus rauen, Musik besteht aus glatten Atomen, die Klangfarbe ergibt sich durch die Verschiedenheit der Atome); Sogar das Echo wird durch das Abprallen der Atomverbindungen von den Felsen erklärt;

Das Sehen und die geistige Wahrnehmung sind einander sehr ähnlich, sie unterscheiden sich nur in der Feinheit der Atome: dadurch ist auch zu erklären, dass in vielen Fällen, z. B. im Traum, in der Erscheinung von Verstorbenen oder Fabelwesen, das geistige Abbild falsch gedeutet wird ð Ziel natürlich auch hier: Zerstörung des Mythos und aller unerklärbarer, unnatürlicher Erscheinungen! Der Schlaf beruht auf einem Sichzurückziehen der anima aus den Gliedern. Gründe dafür: Körper muss sich eine Zeit lang von den "Atomschlägen" aus der Luft erholen.

Leidenschaften: wird durch Erfüllung nur noch stärker angefacht ð Kraft geht verloren, Pflichten werden verletzt, Vermögen wird verschwendet; einziges Mittel: ratio, mit der man die Trugbilder entlarvt. Sinn der Liebe als Funktion der Natur...

V) Erde ist unvollkommen ð kann kein Werk der Götter sein; Feuer, Wasser, Luft und Erde sind vergänglich, also muss auch die Erde im Ganzen entstanden sein und einmal vergehen. Auch die junge Kultur ist Beweis für die Entstehung der Welt, frühere Kulturen wurden durch Katastrophen ausgelöscht ð bei größeren wäre auch ein Weltuntergang möglich; astronomische Phänomene: Bahn der Sonne, Tag und Nacht, Wechsel der Tageslänge, Mondlicht, Jahreszeiten, Sonnen- und Mondfinsternis; ð auch hier Ziel: Götterfurcht zu beseitigen;

In der Urzeit des Mensch konnte man einerseits wie Hesiod die goldene Zeit sehen, andererseits wie Demokrit die Zeit der Primitivität, seitdem die Kultur ungeheure Fortschritte gemacht hat. Kritik Lukrez an seiner gegenwärtigen Zeit: Vergleich mit "hartem Geschlecht": So verhungert man damals, "heute" stirbt man an Üppigkeit etc...

Entwicklung der Kultur: Sesshaftigkeit (Haus und Feuer, das natürlich nicht durch Prometheus gegeben wurde, sondern durch das Vorbild der Natur-Blitze!), soziale Gefüge bilden sich, Entwicklung der Sprache; ð Individualisierung, Ausbildung von herrschender Schicht und unterwürfigem Volk;

ð Machtgier: sinnlos, denn dadurch erreicht man keine friedliche Sicherheit des Lebens, im Gegenteil: feindliche Gesinnung der Konkurrenten sind die Folge;

VI) Aufgabe: Ereignisse zwischen Himmel und Erde und sonstige Dramen irdischer Kräfte, die den Menschen immer wieder zur Götterangst zurückführen, zu erklären und auch hier den Mythos zurückzudrängen.

Wetterphänomene: Blitz, Donner, Regen und Wolken

Schilderung und Erklärung von Erdbeben (aus Einsturz unterirdischer Höhlen) und Vulkanismus ð Vergänglichkeit der Erde!

Naturereignisse, die den Göttern zugeschrieben wurden, werden sachlich erklärt, z. B. Anschwillen des Nils, der als einziger Fluss im Sommer mehr Wasser führt, anstatt auszutrocknen, Ausdünstungen in den avernischen Gegenden (man hielt sie für den Eingang zur Unterwelt), heiße Quellen, ...Suche von Gründen für den Magnetismus (Experimente!)

Auch an Seuchen sind nicht Götter schuld, sondern der Einfluss von "schädlichen" Atomen, die durch die Luft in andere Gegenden übertragen werden ð Abschluss des 6. Buches un damit des ganzen Werkes bildet die Schilderung der Pest in Athen

Buch 6 wird allgemein als unvollendet beurteilt!

Lehrgedicht: Spannung zwischen sachlicher Materie und Poesie; Begründer = Hesiod; enthält meist ethische Ermahnungen in poetischer Form und Sprache; besonders beliebt bei Philosophen (Empedokles, Parmenides), um ihre Lehre vorzustellen und für sie zu werben. Metrum = meist Hexameter, später auch elegisches Distichon; Lehrgedicht lebte nach der klassischen Zeit erst wieder im Hellenismus auf ð zu der Zeit übernahmen es die Römer ð bedeutendster Vertreter: Lukrez; nach ihm: Varius Rufus (De morte - Anlehnung an 3. Buch), Vergil (Georgica - "Vorbild" Nikandros), Manilius (Astronomica - bewusster Gegensatz zu Lukrez: alle Geschehnisse durchs Schicksal verkettet), Lehrgedicht über den Aetna;

Spielerische und scherzhafte Lehrgedichte bei Ovid (Ars amatoria, Remedia Amoris);

Fachschriftstellerei: schon in archaischer Zeit gab es Spezialwerke, besonders Erd- und Küstenbeschreibungen; im 5. Jh kamen Schriften über Probleme der Medizin, bald auch der Mathematik hinzu; in W-Griechenland: erstes Lehrbuch der Rhetorik, in Athen: Abhandlungen über Probleme der künstlerischen Technik, zahlreiche naturwissenschaftliche Schriften, z. B. von Demokrit

Besondere Bedeutung im Hellenismus: v.a. in Gebieten wie der Philologie (bes. Grammatik), Naturwissenschaften (bes. Medizin, Astronomie, Mechanik, Biologie, Geographie), Kunst und Musik;

Im Gegensatz zur griechischen Fachschriftstellerei ist die römische mehr praktisch-technisch als wissenschaftlich ausgerichtet; v.a. pädagogische Ziele (Cato, Plinius); beliebte römische Themen waren daher technischer (Architektur) oder rechtlicher Natur;

Naturwissenschaftliche Werke beschränkten sich in Rom auf praktische Gebiete, z.B. Feldmesskunst; Während in Griechenland die Fachschriftstellerei rein wissenschaftliche Ziele verfolgte, nahm in Rom auch Unwissenschaftliches breiten Raum ein, so z.B. Magie in der Medizin, die Astrologie oder sogar Kochbücher...

Besonders beliebt: landwirtschaftliche Schriftstellerei (Cato d.Ä.: De agricultura) und Fachschriftstellerei in metrischer Form ð siehe Lehrgedicht;

Naturwissenschaft: Die griechische Naturwissenschaft bleibt bis Platon ausschließlich, später im Wesentlichen auf das Ganze des Kosmos gerichtet ð ursprünglich reine Kosmogonie; Ursprung ist die Theogonie (Anfang = Chaos; Kosmos als Welt"ordnung")

Vorsokratiker (no comment) ð erst wieder bei Platon und Aristoteles geschlossenes naturwissenschaftliches Weltbild;

Atomistik trotz zahlreicher Vertreter (Leukipp, Demokrit, Epikur, Lukrez...) ohne großen Einfluss (rein materialistisch);

Griechische Naturwissenschaftler wollten mit ihren Fragen stets die gesamte Natur umfassen. Nach einer Unterscheidung zwischen beseelter und unbeseelter Natur konnten bes. von der Medizin innerhalb des beseelten Bereichs physiologische Vorgänge in Pflanzen und Tieren speziell zur Verdeutlichung und Erklärung solcher im menschlichen Körper herangezogen werden. Fragen der Biologie wurden jedoch erst als eigenständig angesehen, als man nach der Unterscheidung verschiedener Seelenteile (sensibile, vegetative) einen Unterschied zwischen den Lebensformen Pflanze, Tier, Mensch und Gott sah. ð Aristoteles! (bis in die Neuzeit keine wesentlichen Ergänzungen);

Die induktive Methode der naturwissenschaftlichen Forschung Aristoteles benutzt auch die moderne Wissenschaft. Das verifizierende Experiment im modernen Sinn kann in der antiken Naturwissenschaft keinen Platz gehabt haben, da der Eingriff des Menschen in einen natürlichen Vorgang, als "Kunstgriff" (Technik, Mechanik) und nicht mehr als Naturwissenschaft an sich gesehen wurde.

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