Bundesverfassungsgericht

Gliederung zum Thema: Das Bundesverfassungsgericht - Garant unseres Staates

1. Vorwort 2
2. Geschichte und Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit 2
3. Das Gebäude 3
4. Die politische Dimension des Bundesverfassungsgerichtes 4
5. Organisation und Stellung des Bundesverfassungsgerichtes 5
5.1. Gliederung des Bundesverfassungsgerichtes 5
5.2. Die Kammern und die Präsidialräte 6
5.3. Präsident, Vizepräsident und Plenum des BVerfG 6
6. Wahl der Verfassungsrichter 6
7. Die Verfahrensweise 7
8. Die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 8
8.1. Die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr.4a GG) 8
8.2. Die Normenkontrolle 8
8.2.1. Die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 I Nr.2 GG) 8
8.2.2. Die konkrete Normenkontrollklage (Art. 100 I GG) 9
8.3. Verfassungsstreitigkeiten 9
9. Auslastung des BVerfG 10

1. Vorwort

Keine andere politische Institution setzt mit ihren Entscheidungen - neben dem Bundestag - so oft eine öffentliche Debatte in Gang wie das Bundesverfassungsgericht. Je nach politischer Richtung wird es für Entscheidungen zum "Abtreibungsparagraphen" 218 StGB, zur Verfolgbarkeit von Stasi-Agenten, zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, zum Gewaltbegriff bei Sitzblockaden oder zum Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" beschimpft oder gelobt. Selten war die Kritik jedoch so groß, wie beim sogenannten "Kruzifix-Urteil" aus dem Frühling diesen Jahres, als man selbst vor Vergleichen mit nationalsozialistischen Massenmördern nicht zurückschreckte. Was ist nun dieses Verfassungsgericht, was macht es und wer spricht die Urteile, die sogar Entscheidungen des demokratisch gewählten Gesetzgebers außer Kraft setzen können? Im folgenden der Versuch eines kleinen Überblicks.

2. Geschichte und Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit

In einer Demokratie äußert sich der politische Wille des Volkes primär in den Wahlen zum Parlament, welchem somit die direkteste Legitimation zukommt. Das Parlament erlässt die Gesetze, die die Exekutive auszuführen und die Gerichte anzuwenden haben. Sogar die Verfassung, also die rechtliche Grundlage der demokratischen Gesellschaft, kann - in gewissen Grenzen und mit gewissen Einschränkungen - vom Parlament verändert werden. Doch schon zu Beginn des Demokratisierungsprozesses der Moderne hat man erkannt, dass ein unkontrolliertes Wirken des Gesetzgebers große Gefahren für die Gesellschaft und auch die Demokratie in sich bergen kann. Die Bindung an gewisse Grundwerte alleine musste ohne überwachende Institution mehr oder weniger wirkungslos bleiben. Aus diesem Grund nahm das oberste Gericht der frisch gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika, der "Supreme Court", schon recht früh für sich das Recht in Anspruch, Gesetze nicht nur anzuwenden, sondern sie auch auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Dieses 1803 erstmals ausgeübte richterliche Prüfungsrecht konnte sich in der Folgezeit in den USA etablieren und wurde im Laufe der Zeit auch Bestandteil des politischen Gefüges der europäischen Rechtsstaaten. In Deutschland existierte während der Weimarer Republik ein Staatsgerichtshof, dessen primäre Aufgabe in der Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, bzw. zwischen einzelnen Ländern, lag und der keine größere Bedeutung in der Praxis erlangen konnte. Nach den Erfahrungen des "Dritten Reiches", das unter dem Deckmantel scheinbar formell korrekt zustande gekommenen Rechtes auch die (oftmals allzu bereitwilligen) Institutionen der Justiz für seine Zwecke missbrauchte, sah der Parlamentarische Rat im Grundgesetz ein völlig neu konzipiertes Verfassungsgericht vor. Es sollte ganz explizit den Erfahrungen der Nazidiktatur Rechnung tragen und somit wichtige Verfassungsprinzipien auch vor dem Zugriff der demokratischen Mehrheit (bzw. deren parlamentarischer Repräsentanten) schützen. Und anders als der in erster Linie als Berufungsgericht fungierende "Supreme Court" sollte sich das neue Verfassungsgericht ausschließlich mit Rechtsstreitigkeiten beschäftigen, die die Verfassung betreffen. Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde dann das Bundesverfassungsgerichtsgesetz verabschiedet. Das in Karlsruhe angesiedelte Bundesverfassungsgericht nahm noch 1951 seine Arbeit auf. In der Zwischenzeit hat es in zahlreichen Entscheidungen seine Bedeutung für das politische Leben in der Bundesrepublik bewiesen, nicht zuletzt auch durch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde des Bürgers. Diese wurde erst 1969 (zusammen mit der Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde von Kommunen und Gemeindeverbänden) ins Grundgesetz aufgenommen, war jedoch vorher bereits einfachgesetzlich eröffnet gewesen. Die aktuellste verfassungsrechtliche Änderung seiner Zuständigkeit erfuhr das Bundesverfassungsgericht 1994 durch die Einführung einer neuen Klagemöglichkeit für die Länder oder den Bundesrat auf Überprüfung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung. Im Vergleich zum Karlsruher Gericht sind die Verfassungsgerichte (bzw. "Staatsgerichtshöfe") der Länder etwas in den Hintergrund geraten und treten eigentlich nur noch bei mehr oder weniger publikumswirksamen Aufgaben wie Wahlprüfungen in das Licht der Öffentlichkeit.

3. Das Gebäude

Als das Bundesverfassungsgericht gegründet wurde hatte es seinen Sitz in Karlsruhe im Prinz-Max-Palais in der Karlstraße. 1969 zog es in sein heutiges Amtsgebäude, das sich in unmittelbarer Nähe des Karlsruher Schlosses (zwischen Schloßplatz und Botanischem Garten) befindet. (Abb. 1)
Die offene Bauweise soll den Eindruck demokratischer Transparenz vermitteln. Das höchste Teilgebäude ist für die Öffentlichkeit bestimmt. In ihm befindet sich auch der Sitzungssaal.

4. Die politische Dimension des Bundesverfassungsgerichtes

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Auslegung der Verfassung. Das bedeutet zwangsläufig, dass seine Entscheidungen erhebliche politische Auswirkungen haben. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass deshalb die politische Opposition oftmals versucht, parlamentarische Mehrheitsentscheide über den Weg nach Karlsruhe zu Fall zu bringen, das Verfassungsgericht somit zur Verwirklichung der eigenen politischen Zielvorstellungen einzusetzen. Das birgt natürlich mehrere Gefahren. Zum einen werden so Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers durch ein sehr kleines Gremium für ungültig erklärt, teilweise mit drastischen Folgen für die Praxis - es sei nur an Theo Waigels Probleme mit der verfassungskonformen Umstrukturierung des Steuersystems erinnert. Zum anderen existieren immer mehr Verfassungsgerichtsurteile, die den Spielraum der Politik a priori verkleinern. Besonders kritisch wird dies, wenn das Verfassungsgericht selbst gestaltend eingreift und Übergangslösungen, bzw. verfassungskonforme Ersatzlösungen entwirft. Der amerikanische "Supreme Court" entzieht sich der Gefahr, sich zum "Ersatz-Gesetzgeber" aufzuschwingen und eine Justizsalisierung der Politik des Landes zu betreiben, indem er bestimmte Fragen zu "politcal questions" und sich für nicht zuständig erklärt. Diese Möglichkeit hat das Verfassungsgericht so nicht - und sollte es im politischen Gefüge der BRD auch nicht haben. Die Zurückhaltung des Gerichts, ein "judicial self-restraint", kann nicht so weit gehen, dem Recht aus politischen Gründen nicht zu seiner Geltung zu verhelfen, ist es doch gerade Ziel der Politik, gestalterische Vorstellungen durch Rechtsetzung in die Praxis umzusetzen. Andererseits bleibt aber festzustellen, dass auch das Bundesverfassungsgericht kein eigentlicher Akteur des politischen Lebens ist. Das kommt schon daher, dass es nur auf Antrag tätig wird. Darüber hinaus ist es in der Ausgestaltung seiner Verfahren an die Vorgaben von Verfassungs- und Gesetzgeber gebunden. Und dass es auch ab und an Entscheidungen des Gesetzgebers für verfassungswidrig und nichtig erklärt, entspricht ja auch dem Sinn und Zweck des Gerichtes, der zwar nicht darin liegen kann, es zum "Hüter der Verfassung", aber wohl doch zum "Interpreten der Verfassung" zu machen. Zudem bemüht sich das Verfassungsgericht im Normalfall, eine notwendig gewordene Nichtigerklärung auf einzelne Teile des umstrittenen Gesetzes zu beschränken, bzw. ihm eine verbindliche verfassungskonforme Auslegung zu geben. Dass seine Entscheidungen nicht immer einfach sind, wird in jüngerer Vergangenheit durch die Möglichkeit "abweichender Voten" dokumentiert, in denen die Senatsmitglieder, die nicht mit der Mehrheit stimmten, ihre abweichende Meinung nennen und ausführlich begründen können. Somit kann im Ergebnis wohl festgestellt werden, dass das Verfassungsgericht bisher ein wichtiger aber nicht zu dominantem Faktor im Staatsgefüge der Bundesrepublik Deutschland war. Aufgrund seiner tatsächlichen Bedeutung ist eine ständige Hinterfragung seiner Arbeit und seiner Entscheidungen notwendig. Es jedoch ganz in Frage zu stellen oder aufgrund einzelner Urteile diffamierend gegen das Gericht zu hetzen, gefährdet das politische Klima und bringt natürlich die große Gefahr mit sich, dass etwa über die Inanspruchnahme eines umfassenderen Gestaltungsrechtes in den Urteilssprüchen von richterlicher Seite, bzw. über Einschränkungen seiner Entscheidungskompetenz oder seiner Zuständigkeit durch Verfassungs- oder Gesetzesänderung von Seiten der Politik ein fein ausbalanciertes Element der Gewaltenkontrolle aus dem Gleichgewicht kommt.
Ganz entscheidend für das zukünftige Wirken des Bundesverfassungsgerichtes dürfte auch die zunehmende europäische Integration werden - mit einem europäischen Gesetzgeber und einem europäischen obersten Gericht.

5. Organisation und Stellung des Bundesverfassungsgerichtes

Aufgrund seiner Funktion verfügt das Bundesverfassungsgericht über eine Bedeutung, die über die eines der obersten Bundesgerichte (z.B. Bundesgerichtshof oder Bundesarbeitsgericht) hinaus geht. So stehen ihm zahlreiche direkt in der Verfassung normierte Kompetenzen zu. Auch verfügt es über eine eigene Verwaltung und eine eigene Geschäftsordnung. Diese basiert jedoch wie die gesamte Verfahrensordnung auf dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz, also einer einfachgesetzlichen Regelung. Somit ist das Gericht nicht mit anderen "obersten" Verfassungs- oder Bundesorganen gleichzusetzen, ist es doch in erheblichem Maße von diesen abhängig. Es nimmt damit eine Art "Zwitterstellung" zwischen Verfassungsorgan und Gerichtshof ein.

5.1. Gliederung des Bundesverfassungsgerichtes

Organisatorisch gliedert sich das Bundesverfassungsgericht in zwei Senate, die mit zur Zeit jeweils acht Richtern (vor 1963 waren es 10 und mehr) besetzt sind. Davon müssen jeweils drei Richter ehemals als Richter an einem Obersten Gerichtshof des Bundes tätig gewesen sein. Der erste Senat (Abb. 2) ist für die meisten Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollen zuständig (der Grundrechtssenat), der zweite Senat (Abb. 3) für die anderen Verfahren, also primär für Streitigkeiten zwischen den Staatsorganen (Staatsrechtssenat). In der öffentlichen Diskussion spricht man dabei auch vom "roten" und vom "schwarzen" Senat.
5.2. Die Kammern und die Präsidialräte

Beide Senate richten in jedem Geschäftsjahr mehrere Kammern ein, welche aus jeweils drei Verfassungsrichtern bestehen und als Filter für die ständig steigende Zahl von Verfassungsbeschwerden dienen sollen. Dies geschieht durch eine einstimmig zu erfolgende Entscheidung, ob die jeweilige Beschwerde von vorneherein überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann oder nicht. Doch noch vor den Kammern gibt es bereits eine Hürde für Verfassungsbeschwerden - die sogenannten Präsidialräte, am Gericht tätige Beamte. Diese treffen bereits zuvor eine Beurteilung über die mögliche Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde, welche jedoch auf Verlangen des Beschwerdeführers zugunsten einer Entscheidung durch das Gericht selbst zurückgestellt werden kann.

5.3. Präsident, Vizepräsident und Plenum des BVerfG

Die Senate selbst stehen unter dem Vorsitz des Präsidenten bzw. des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, den beiden höchsten Repräsentanten der Rechtssprechung in der Bundesrepublik und in etwa auf einer Ebene mit Bundestagspräsident und Bundesratspräsident anzusiedeln. Ihre Vertreter sind die jeweils Dienstältesten Senatsmitglieder. Zur Zeit ist Jutta Limbach Präsidentin des Verfassungsgerichtes und Vorsitzende des Zweiten Senates. Den Vorsitz des Ersten Senates und das Amt des stellvertretenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes hat momentan Johann Friedrich Henschel inne. Um eine Vereinheitlichung des Rechtes zu gewährleisten, gibt es das Plenum, des Bundesverfassungsgerichtes, also quasi die "Vollversammlung" des Bundesverfassungsgerichtes, das entscheidet, wenn ein Senat "in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senates enthaltenen Rechtsauffassung abweichen" will (§16 BVerfGG).

6. Wahl der Verfassungsrichter

Nicht jeder Bundesbürger kann zum Verfassungsrichter gewählt werden. Voraussetzungen sind die Vollendung des 40. Lebensjahres und eine Ausbildung zum Volljuristen (erstes und zweites juristisches Staatsexamen). Darüber hinaus zieht eine erfolgte Wahl zum Verfassungsrichter das automatische Ausscheiden aus Legislativ- oder Exekutivorganen der Länder oder des Bundes nach sich. Überhaupt ist nur die Tätigkeit als Hochschullehrer neben dem Amt als Verfassungsrichter zulässig. Die Amtsdauer selbst beträgt dann zwölf Jahre, wobei eine anschließende oder spätere Wiederwahl nicht möglich ist (seit 1971). Dies hat zum einen den Sinn und Zweck, eine Beeinflussung der Entscheidungen des Gerichtes durch den Wunsch seiner Mitglieder nach Wiederwahl oder sonstiger Fortsetzung der Karriere zu verhindern und soll zum anderen auch eine gewisse Kontinuität der Rechtsprechung garantieren. Ein Verfassungsrichter kann nur aus drei Gründen vor Ablauf der zwölf Jahre aus dem Amt ausscheiden:

· jedes Mitglied des Bundesverfassungsgerichtes kann jederzeit seine vorherige Entlassung durch den Bundespräsidenten beantragen
· ein Richter kann bei rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Straftat oder bei sonstigen groben Pflichtverstößen auf Antrag einer qualifizierten Mehrheit des Plenums der Bundesverfassungsgerichtes vom Bundespräsidenten aus dem Amt entlassen werden
· ein Verfassungsrichter, der das 68. Lebensjahr vollendet hat, bleibt nur noch solange im Amt, bis sein Nachfolger ernannt ist

Die Wahl der Verfassungsrichter selbst verläuft in zwei unterschiedlichen Verfahren. (Abb. 4) Das ergibt sich daraus, dass die eine Hälfte der Verfassungsrichter vom Bundestag, die andere vom Bundesrat ernannt wird. Beim Ausscheiden eines Richters wird sein Nachfolger somit vom selben Organ gewählt, das auch bereits für die Wahl des Vorgänger verantwortlich zeichnete. Für den Bundesrat ist dazu ein Direktwahlverfahren vorgeschrieben, in dem der zu wählende Kandidat von zwei Dritteln der Bundesratsstimmen gewählt werden muss. Das Bundestags-Verfahren ist dagegen etwas komplizierter. Das Parlament wählt nämlich zunächst einen sogenannten "Wahlmännerausschuss", welcher aus zwölf Personen besteht, nach den Methoden der Verhältniswahl. Aufgrund seiner sehr geringen Größe ist demnach nicht gewährleistet, dass jede Fraktion oder gar Gruppe des Bundestages einen Vertreter ihrer politischen Couleur in den Ausschuss senden kann. Der Ausschuss wählt dann wie der Bundesrat mit qualifizierter Mehrheit die "Bundestagsrichter". Das Erfordernis der Zwei-Drittel-Mehrheit soll im übrigen dazu führen, dass die jeweiligen politischen Mehrheiten nicht Vertreter lediglich nach dem Parteibuch sondern nach der Qualifikation in das Verfassungsgericht entsenden.
In der Praxis hat sich eine Art stillschweigender Übereinkunft zwischen den politischen Lagern herausgebildet, die dem jeweils anderen politischen Lager große Freiheit bei der Auswahl von Richtern nach eigenem Geschmack ermöglicht. Bundestag und Bundesrat wählen im übrigen im Wechsel den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichtes.

7. Die Verfahrensweise

Beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerden werden durch eine Kammer aus drei Richtern eines Senates vorgeprüft. Jeder Senat darf mehrere Kammern einrichten. Entscheiden alle Richter der Kammer gegen die Verfassungsbeschwerde, so gilt sie als abgelehnt. Die Richter können der Beschwerde aber auch zustimmen, zum Beispiel weil das Gericht bereits in dieser Sache entschieden hat. Ansonsten entscheidet der Senat.

8. Die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

Dem Verfassungsgericht sind zahlreiche Verfahren zugeordnet, in der Praxis beschränkt sich die Bedeutung jedoch primär auf die Verfahren der Verfassungsbeschwerde, der konkreten und der abstrakten Normenkontrolle und in gewissem Maße auch der Verfassungsstreitigkeiten. Gänzlich ohne praktische Bedeutung ist hingegen die Präsidentenanklage oder die Anklage gegen Bundes- und Landesrichter. Als unabdingbare Voraussetzung für ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht muss genau diese Art des Verfahrens dem Gericht auch durch das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz oder durch den einfachen Gesetzgeber zugewiesen sein. Deshalb kommt insbesondere den im Grundgesetz aufgeführten Verfahrensarten eine entscheidende Bedeutung zu.

8.1. Die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr.4a GG)

Das Verfahren der Verfassungsbeschwerde ermöglicht jedermann die Möglichkeit, sich gegen einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff der öffentlichen Gewalt in seine Grundrechte zur Wehr zu setzen. Dies gilt selbst für juristische Personen, insofern das Grundrecht ihnen seinem Wesen nach zustehen kann. Zulässigkeitsvoraussetzungen sind neben der Beschwerdebefugnis, nach der eine Grundrechtsverletzung durch einen Akt der öffentlichen Gewalt aus dem Vortrag des Klägers zumindest möglich erscheinen muss, auch die Einhaltung einer sehr kurzen Frist (ein Monat, gegen ein Gesetz : ein Jahr) und die Erschöpfung des Rechtsweges, die nur in besonders eiligen oder allgemein bedeutsamen Fällen entbehrlich ist. Aufgrund der hohen Zahl der Verfassungsbeschwerden (bis 1989 waren über 75.000 Verfahren angestrebt worden, Tendenz steigend) gibt es verschiedene Regelungen, die die Verfahrensflut stoppen sollen. Neben den oben beschriebenen Kammern und der Vorauswahl durch die Präsidialräte, besteht auch die Möglichkeit der Verhängung einer Missbrauchsgebühr in Höhe von bis zu 5.000 DM.

8.2. Die Normenkontrolle
8.2.1. Die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 I Nr.2 GG)

Dieses Verfahren ist dasjenige, das die Bedeutung des Verfassungsrechts im politischen und rechtlichen Leben der Bundesrepublik wohl am deutlichsten vor Augen hält. Denn völlig losgelöst von konkreten Streitfällen oder auch Streitigkeiten kann hier von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder einem Drittel der Mitglieder des Bundestages beantragt werden, eine Rechtsnorm auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, also insbesondere der Verfassung, hin zu überprüfen. Dabei sieht das Verfassungsgericht selbst die abstrakte Normenkontrolle so nachdrücklich als objektives Verfahren zum Schutz der Verfassung, dass es sich vorbehält, ein einmal beantragtes Verfahren auch gegen den später vielleicht entgegenstehenden Willen des Antragstellers weiterzuverfolgen. Die Entscheidung des Gerichtes wirkt mit Gesetzeskraft. Teilweise heftig umstritten ist die Frage, ob eine mit höherrangigem Recht nicht vereinbare Rechtsnorm von Anfang an (ex tunc) und automatisch (ipso iure) nichtig ist oder erst durch den Spruch des Verfassungsgerichtes unwirksam wird. Dies hat jedoch in der Praxis - im Gegensatz zum Normenkontrollverfahren selbst - nur geringe Bedeutung.

8.2.2. Die konkrete Normenkontrollklage (Art. 100 I GG)

Im Gegensatz zur abstrakten ist Voraussetzung für die konkrete Normenkontrollklage ein tatsächlich verhandelter Rechtsstreit. Hält in einem solchen das Gericht eine Gesetzvorschrift, auf die es bei der Entscheidung des Streites ankommt, für unvereinbar mit höherrangigem Recht, so kann sich das Gericht zur Einholung einer Entscheidung direkt an das Bundesverfassungsgericht wenden. Dieses verfährt und urteilt dann ähnlich wie bei der abstrakten Normenkontrolle. Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist in der Praxis weitaus bedeutsamer als das der abstrakten.

8.3. Verfassungsstreitigkeiten

Nach den Regelungen des Grundgesetzes - in Verbindung mit dem BVerfG - ist das Bundesverfassungsgericht für folgende Rechtsstreitigkeiten zuständig:

1. Im konkreten und abstrakten Normenkontrollverfahren über die Vereinbarkeit eines (formellen) Bundes- oder Landesgesetzes mit dem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit Bundesrecht,
2. bei Meinungsverschiedenheiten über die Fortgeltung von Recht als Bundesrecht,
3. wenn ein Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder eines Verfassungsgerichts eines anderen Landes abweichen will,
4. bei Zweifeln darüber, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten erzeugt,
5. über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (Organstreit),
6. bei Meinungsverschiedenheiten über die Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder und bei Ausübung der Bundesaufsicht,
7. in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern oder zwischen verschiedenen Ländern sowie innerhalb eines Landes, wenn hierfür nicht ein besonderer Rechtsweg gegeben ist,
8. über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, wenn diese durch Landesgesetz dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen sind,
9. über Verfassungsbeschwerden,
10. über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
11. über die Verfassungswidrigkeit von Grundrechten,
12. über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundestages bei der Wahlprüfung,
13. über die Anklagen des Bundestags oder des Bundesrats gegen den Bundespräsidenten sowie über die Richteranklagen gegen Bundesrichter und Landesrichter. Entsprechende, wenn auch unterschiedlich ausgestaltete Zuständigkeitskataloge für die Verfassungsgerichte der Länder enthalten die Landesverfassungen und Landesgesetze.

9. Auslastung des BVerfG

Zwischen September 1951, dem Gründungsmonat des BVerfG, bis Ende 1994 sind circa 97'000 Verfassungsbeschwerden von Einzelpersonen eingegangen. 95'000 davon wurden entschieden, ca. 2,7% (das sind rund 2'600) zugunsten des Angeklagten.
Hinzukommen eine steigende Anzahl von politischen Klagen, wie z.B. zu Bundeswehreinsätzen usw.

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