Anna Seghers

Anna Seghers


Netty Reiling, so hiess Anna Seghers mit Mädchenname wurde am 19. November 1900 als einziges Kind einer wohlhabenden, jüdischen Familie in Mainz geboren. Der Vater, Isidor Reiling (1868 - 1940), führte eine Antiquitäten - und Kunstsammlung. Die Mutter, Hedwig (1880 - 1943), stammte aus einem alteingesessenen Frankfurter Haus, sie wurde Anfang März 1942 nach Auschwitz deportiert und kam dort ein Jahr später um, obwohl Anna Seghers aus dem Exil noch versucht hatte ihre Mutter zu retten.
Netty wurde nach den strengen Regeln und Gebräuchen der elterlichen Religion erzogen und trat aber zwischen 1925 und 27 aus der jüdischen Gemeinde aus und wurde Christin.
Schon früh förderte die Mutter, die Literatur liebte, die Begeisterung von Netty fürs Schreiben und Lesen; seit ich Buchstaben schreiben kann, schreibe ich, so Anna. Ausserdem hörte sie sehr gerne Erzählungen.
1907 tritt sie in eine kleine Privatschule in Mainz ein, dann kam sie via eine Höhere Mädchenschule 1917 ins Gymnasium, wo sie im Jahre 1920 ihr Abitur ablegte. Sie ging sehr gerne zur Schule und galt als intelligent.
In dieser Zeit las sie Werke von Heinrich Heine, Georg Büchner, Balzac, Schiller, Tolstoj und Dostojevskij, um nur einige zu erwähnen. Solche Lektüre öffnete ihr die Tür zu den unbekannten Welten, nach denen sie sich sehnte.
Aus der relativen Geborgenheit ihres bürgerlichen Elternhauses heraus verfolgte Netty jedoch die geistigen, sozialen und politischen Umwälzungen der Zeit um 1918 mit grosser Anteilnahme. Für politische Theorien interessierte sie sich zwar nie besonders. Der Hauptimpuls, der Leben und Arbeit bestimmte, war stets die Solidarität mit den Armen und Unterdrückten.
1920 begann Netty ein Studium an der Universität Heidelberg. Sie belegte im Hauptfach Kunstgeschichte, was den Einfluss des Elternhauses verrät. In dieser Zeit jedoch entfernte sie sich unwiederbringlich von der Welt ihrer Kindheit und frühen Jugend und damit auch von ihrer Heimatstadt Mainz. Die Begegnung mit vielen jungen Studenten, Flüchtlingen aus den von Revolution erschütterten Ländern, und deren politisches Bewusstsein öffneten Netty die Augen für viele politische Vorgänge, vor allem aber für den Klassenkampf. Einer dieser Flüchtlinge war auch Laszlo Radvanyi (1900 - 1978), ihr zukünftiger Ehemann, der von Ungarn nach Deutschland geflohen war. Er war es denn auch, der sie den marxistischen Ideen vertraut machte. Durch Tolstoj und Dostojevskij, die Anna Seghers in dieser Zeit näher kennen lernte, wuchs auch ihre Bewunderung für die Sowjetunion. Diese grosse Sympathie zu diesem kommunistischen Land verspürte sie bis zu ihrem Tod.
1924 gab sie ihre Doktorarbeit zum Thema "Jude und Judentum im Werke Rembrandts" ab. Am Ende des gleichen Jahres gab sie in der "Frankfurter Zeitung" ihr Debüt als Erzählerin mit "die Toten auf der Insel Djal". Dort verwendete sie zum erstenmal das Pseudonym Antje Seghers, das sie mit leichter Veränderung des Vornamens ein ganzes Leben beibehielt. Diesen Namen übernahm sie vom holländischen Maler Hercules Segers, mit dessen Werke sie sich im Kunststudium befasst hatte.
Nach ihrer Heirat am 10. August 1925 zogen Anna und Laszlo nach Berlin, wo er die Leitung der neu eingerichteten Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) übernahm.
1926 kam ihr erstes Kind, Peter, zur Welt. Zwei Jahre später folgte Ruth. In diesem Jahr bekam Anna den sehr angesehenen Kleistpreis für ihre zwei Werke "Grubetsch" und "Aufstand der Fischer von St. Barbara". Nachdem sie als Schriftstellerin reüssiert hatte, trat sie auch in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, in der ihr Mann schon lange Mitglied war. 1929 wurde sie, die nun künstlerisches Ansehen einbringen konnte, auch Mitglied des Bundes proletarisch - revolutionärer Schriftsteller (BPRS). Sie war sehr engagiert im Bund, so sagte sie: Es war die revolutionäre Gemeinschaft, die ganze Atmosphäre, die mich im Bund heimisch werden liess. Es zeigte sich, dass das, was ich schrieb, eine Waffe war, die im Klassenkampf mitkämpfte. Sie fügte an: denn wir schreiben ja nicht, um zu beschreiben, sondern um beschreibend zu verändern. Sie wurde zu einem der grossen Aushängeschilder der KPD und des BPRS, in dessen Leitung sie 1932 gewählt wurde.

Als Kommunistin und Jüdin entsprach sie den Feindbildern der Nazis. Seit Hitlers Machtergreifung befand sie sich denn auch in Gefahr. "Ich verliess 1933 Deutschland, nachdem die Polizei mich schon einmal verhaftet hatte und unter ständiger Bewachung hielt, so berichtete sie. Anna Seghers und ihr Mann flohen über die Schweiz nach Frankreich, das bis zum Ausbruch des Krieges eine aufnahmebereite Asylpolitik betrieb und ihr, wie vielen anderen, die beste Zuflucht zu bieten schien. Das Exil stand für Seghers im Zeichen des antifaschistischen Kampfes und sprach die tiefe Einsatzbereitschaft, die ihr Leben und ihre Literatur von Anfang an bestimmt hatten, voll an. Beide, Anna und ihr Mann, engagierten sich auch in Frankreich sehr stark für die MASCH und den BPRS. Sie half auch bei der Schaffung der Deutschen Freiheitsbibliothek, die am 10. Mai 1934, dem Jahrestag der Bücherverbrennung in Berlin, eröffnet wurde. Sie hatte auch gute Kontakte durch ihr Engagement zu französischen Schriftstellern wie z.B. André Gide und Romain Rolland. In dieser Zeit (1933 - 47) schrieb sie viele ihrer besten Romane, Erzählungen und Aufsätze - darunter auch "das siebte Kreuz" neben andern wie "Transit", "die Rettung" und " der Ausflug der toten Mädchen". Im Sommer 1935 konnte Anna Seghers im Rahmen des "internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur" in Paris ihren ersten, für ihre zukünftige Arbeit wesentlichen Exilvortrag "Vaterlandsliebe" halten. Dies wirkt sich in ihren in der Beschreibung des für sie wahren Deutschlands aus. Zitat: Deutschland ist unser Land... überlassen wir nicht dem Feind, dem Faschismus, die Darstellung, die Auslegung unserer Geschichte ... jeder Quadratmeter unseres Landes zeugt von der Begabung, von der Arbeitskraft, von dem Widerstand seines Volkes.





Claudio

Der Roman "das siebte Kreuz" soll ein Gesamtbild des deutschen Volkes geben und den Begriff Vaterland vom Standpunkt der Antifaschisten positiv und sozial werten. Sie tat dies, indem sie ihre engere Heimat um Mainz nicht nur als Landschafts - und Kulturraum in eindrucksvollen Bildern beschrieb, sondern den Alltag der Menschen darin zeigte. Es ist kein Zufall, dass mein Roman "das siebte Kreuz" in der Gegend von Mainz spielt, kein Zufall, dass der Flüchtling Georg Heisler sich eine Nacht im Mainzer Dom versteckt. Kein Zufall, dass ihm auf einem Rheinschiff die Flucht gelingt. Ein Fluss spielt fast in allen meinen Geschichten und all meinen Romanen eine gewisse Rolle. Oft ist dieser Fluss Sinnbild für Weite, Veränderung, Befreiung oder für die Sehnsucht danach. Im Buch "das siebte Kreuz" entwirft Anna Seghers ein grossangelegtes Bild dieses alten Kulturraums, den sie stets mit Stolz - und im Exil mit Wehmut - ihre Heimat nannte. Sie suchte eine Wirklichkeit zu vermitteln die sie nicht aus eigener Anschauung kannte und verliess sich stets auf die künstlerische Phantasie als auch sowohl auf genaue Kenntnisse. Gezielt sammelte sie Material über deutsche Antifaschisten und las Bücher, die bereits über das Dritte Reich und seine KZs erschienen waren. Sie hörte Augenzeugenberichte und sprach mit Flüchtlingen aus KZs. Auch die Sache mit dem siebten Kreuz erinnert sich Seghers von einem ehemaligen Häftling gehört zu haben.
Macht und Glanz des gewöhnlichen Lebens, wie hat er es früher verachtet, heisst es von Georg Heisler, dem dieser Glanz auf seiner Flucht schmerzlich bewusst wird. Die Worte beziehen sich aber auch auf die Autorin, die die eigene Ablehnung des bürgerlichen Alltags ja auf ihre jugendlichen Rebellen übertragen hatte. Georg - und bis zu einem gewissen Grad auch Seghers - sind jedoch weiterhin gezwungen, ein gefährliches Leben zu führen.
Als Seghers "das siebte Kreuz" im Sommer 1939 abschloss, verschlechterte sich die internationale Situation und damit ihre Lage rapide. Der Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin in dieser Zeit erschütterte auch Seghers Weltbild. Sie verlor nicht nur ihren Rückhalt in Moskau, sondern auch die Sicherheit in Frankreich. Seit Kriegsausbruch lag die Verantwortung für das Überleben der Familie ganz in Annas Händen. Ihr Mann wurde in einem Konzentrationslager in Südfrankreich interniert. Mit der deutschen Besetzung des Nordens von Frankreich erhielt die Flucht aus Europa Dringlichkeit. Am 24. März 1941 verliess Anna Seghers mit Ehemann und Kindern Marseille in Richtung Mexiko. Die Überfahrt wurde ihr vom Nordamerikanischen Schriftstellerverband bezahlt. Bei einem Zwischenhalt in New York konnte sie einen Vertrag mit dem Verlag "Little Brown" für "Das Siebte Kreuz" in Englisch unterschreiben.
Das Leben in Mexiko bot Seghers bald finanzielle Sicherheit vor allem auch durch den Erfolg ihres Romans, der in den USA im Oktober 1942 als "Book of the month" in sehr hohen Auflagen verkauft wurde. Für 70‘000 US$ konnte sie 1943 "Das Siebte Kreuz" an MGM als Filmstory verkaufen. Noch wichtiger aber war für Seghers, dass sie wieder in einem Kreis Gleichgesinnter lebte und arbeitete - Mexiko hat viele deutschsprachige, kommunistische Intellektuelle aufgenommen. Trotzdem hatte sie Sehnsucht nach Deutschland. 1943 wurde "Das Siebte Kreuz" das erstemal in Deutsch durch einen von deutschen Emigranten gegründeten Verlag herausgegeben. Ihren zweiten grossen Exilroman "Transit", schloss sie 1943 ab. Aber als Kern des Exilwerks gilt "der Ausflug der toten Schulmädchen" mit seiner Thematik: Fragen zu den Auseinandersetzungen um das Schicksal der Deutschen nach dem Krieg. Solche Fragen traten in Mexiko in den Vordergrund.
Im April 1947 kam Anna Seghers allein nach Ostberlin zurück. Ihre Kinder studierten bereits in Frankreich, ihr Mann folgte erst 1952, nachdem sich die Hoffnungen des Paares auf ein bikontinentales Leben an den Reisebeschränkungen des Kalten Krieges zerschlagen hatten. Für Seghers bedeutete Heimkehr die notwendige, konsequente Fortsetzung ihrer bisheriger Arbeit, ich will durch die Bücher, die hier entstehen werden, verhindern helfen, dass die Fehler der Vergangenheit jemals wiederholt werden, sagte sie gleich nach der Ankunft. Im Jahre der Rückkehr wurde ihr der Büchner - Preis für "der Ausflug der toten Mädchen" verliehen. 1951 bekam sie den Stalin - Friedenspreis und den Nationalpreis der DDR, den sie 1959 und 1971 nochmals bekam. Ausserdem wurde sie 1960 mit dem vaterländischen Verdienstorden in Gold geehrt. Und wurde 1975 Ehrenbürgerin von Ostberlin. Durch ihre stark kommunistische Haltung und ihre Stellung als Ehrenpräsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR, wurde sie und ihre Werke während des Kalten Krieges im Westen nur wenig beachtet. So wurde sie erst 1981 Ehrenbürgerin ihrer Geburtsstadt Mainz. Diese Zeit war aber vom Tod ihres Mannes 1978 und von zunehmender Gebrechlichkeit gezeichnet. Nach einem eineinhalbjährigen Aufenthalt in einem Heim in Berlin starb sie am 1. Juni 1983 im Alter von 83 Jahren.
Anna Seghers wünschte, mit ihrem Werk die Zeitgeschichte Deutschlands nicht nur künstlerisch zu begleiten und zu interpretieren, sondern sie aktiv mitzugestalten, indem sie sich als Mensch und als Schriftstellerin politisch engagierte. Die problematischen Aspekte ihres Lebens und Schreibens waren eng verbunden mit der Partei und dem Land, an die sie ihren Wunsch nach einer gerechten Welt knüpfte. Sie nimmt in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts einen wichtigen Platz als grosse Erzählerin ein. Wir schliessen mit einem Zitat, das ihren Lebensinn umreisst:
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