Die Zeit und das Zimmer


Das Werk ist sehr kurz gefaßt (etwas mehr als 50 Taschenbuchseiten) und enthält im Grunde keinen bzw. kaum einen Inhalt. Vielmehr soll der Leser nur auf eine Interpretation Wert legen.

Die Personen, die mit der Zeit ohne Einladung aus den verschiedensten Gründen in einen Raum treten, spiegeln alle für sich eine Eigenschaft des Menschen wider. Sie bekommen vom Autor zunächst äußerst seltsame Namen verpaßt, welche eben auf diese Eigenschaften hinweisen:
    "Die Ungeduldige" und "der Mann ohne Uhr" zeigen den Mensch im ständigen Streß, welche - aus der Sicht des Autors - allesamt selbst an dieser Bürde Schuld tragen. "Das Mädchen von der Straße" lässt erkennen, dass der Mensch stets in der Lage ist, sich an die Gegebenheiten anzupassen und mit der neuen Umwelt zu leben imstande ist. In diesem Fall hat das Mädchen - in Wirklichkeit eine Frau - sich auf eine Menge von Männern und deren Verhalten einrichten müssen. "Der völlig Unbekannte" stellt die Geheimnisse des Menschen dar und die Angst, dass diese gelüftet werden und er sozusagen nackt da steht. Weiters zeigt er die Fähigkeit der Menschheit, unter Umständen - wenn es die Wichtigkeit des Geheimnisses erfordert - über Leichen gehen zu können.

Es treten zwar noch andere Personen auf, welche allerdings in gewisser Weise mit den oben angeführten vergleichbar sind.
Der Leser erfährt eine kleine Hilfe, indem die beiden mehr oder weniger passiven Beobachter - Julius und Olaf - das Verhalten der eintretenden und ebenfalls ohne ersichtlichen Grund und ohne Erklärung austretenden Personen analysieren.
Das Zimmer stellt eine Art Eingrenzung des Weltgeschehens, mit welchem der Mensch zu kämpfen hat, dar. Hier spielt sich alles ab, hier wird der wahre Charakter des Einzelnen und auch die Vielfalt an solchen Charakteren erkenntlich.

Wenn die Personen eintreten, so ist es ihr einziges Anliegen, ihre Meinung über irgendein Geschehen - was ihnen also gerade so auf der Zunge liegt - darzulegen, ohne eine Reaktion bzw. Antwort darauf überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Sie reden allesamt aneinander vorbei, Hauptsache, sie konnten ihre Meinung sagen. Man kann also behaupten, dass die in Dialogen aufgebauten Gespräche tatsächlich parallel geführte Monologe sind. Hiermit lässt Botho Strauß eindeutig die Unfähigkeit des Menschen, miteinander zu kommunizieren, durchscheinen.

Weiters erkennt man, dass durch die ständige Ungeduld des Einzelnen - ein Zeichen für Streß - man nicht in der Lage ist, mit der Zeit umzugehen bzw. sie zu verstehen oder mit ihr zu leben. Als Beispiel wird hier eine neue Uhrenart aus der Schweiz angeführt - die Swatch. Die Tatsache, dass für jede Gelegenheit, für jede mögliche Form von Vergnügen und Beschäftigung, eine eigene Uhr vorhanden ist, spielt auf den ständig wechselnden Zeitgeist an. Kaum hat man die eine Gegebenheit als solche akzeptiert - denn das Verständnis dafür kann ja nicht aufgebracht werden -, hat sich die Situation bereits wieder vollständig umgedreht und verändert. Als konkretes Beispiel für die Unfähigkeit des Verständnisses der Zeit findet der Leser einen Mann vor, der eine Frau aus einem brennenden Hotel rettet. Sie wurde nicht mal vom ohrenbetäubenden Lärm des berstenden Holzes wach gerüttelt. Sie schlief und schlief, der Mann war nicht in der Lage, sie zu wecken. Er wird immer älter, sie ruht immer noch. Erst als er ein sehr alter Mensch geworden war, versteht er, was geschehen war: Er ist lediglich eine Marionette in ihrem Traum.
Man sieht, der Mensch benötigt nahezu unendlich viel Zeit, um diese in ihrer wahren Natur zu verstehen.

Wie bereits erwähnt, sind die Personen nicht in der Lage, miteinander zu kommunizieren. Allerdings keimt in den meisten von ihnen das Gefühl, den "Gesprächspartner" doch schon einmal getroffen zu haben. Jedoch ist die Erinnerung zu sehr getrübt, wodurch sich beide Parteien nicht sicher sind.

Botho Strauß listet also in Die Zeit und das Zimmer folgende Unfähigkeiten des Menschen auf:
    Der Umgang mit der Zeit bzw. deren Verständnis Die Kommunikation miteinander Die Erinnerung an Ereignisse

Der Autor geht auch auf einige andere Charaktereigenschaften des Menschen ein, jedoch sind diese in diesem Werk nicht von allzu großer Bedeutung: Der Hang, über Belangloses streiten zu können und leicht beleidigt zu sein; der Trotz, den jeder mit sich herum trägt, etc...

Der Schriftsteller Botho Strauß[1] gehört neben Franz Xaver Kroetz zu den bedeutendsten Dramatikern der westdeutschen Nachkriegsgeneration.

Er wurde am 2. Dezember 1944 als Sohn eines Lebensmittelberaters in Naumburg geboren. Ein Studium der Germanistik, Theatergeschichte und Soziologie in Köln und München brach er nach fünf Semestern ab; während dieser Zeit versuchte er sich als Schauspieler in Laientheatern. Zwischen 1967 und 1970 war Strauß als Kritiker und Redakteur der Zeitschrift Theater heute tätig. Danach arbeitete er bis 1975 als dramaturgischer Mitarbeiter und Übersetzer (Eugéne Labiche: Das Sparschwein) für die Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer. In dieser Eigenschaft bearbeitete er u. a. die Sommergäste von Maxim Gorki (das Stück wurde 1975 mit einem Drehbuch von Strauß durch Peter Stein fürs Fernsehen inszeniert). Heute lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. Für Aufsehen sorgte 1993 sein im Nachrichtenmagazin Der Spiegel abgedruckter Essay Anschwellender Bocksgesang, in dem er der bundesrepublikanischen Gesellschaft materielle Sinnleere vorwarf und zur Rettung des desorientierten Volks eine neue Elite intellektueller Führer einklagte. Strauß ist Mitglied des PEN - Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise, u. a. den Dramatikerpreis der Stadt Hannover für Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle (1974, gemeinsam mit Kroetz und Thomas Bernhard), den Deutschen Schallplattenpreis, Sparte Literatur (1980), den Literaturpreis der Bayrischen Akademie der Schönen Künste (1982), den Mühlheimer Dramatikerpreis für die Komödie Kalldewey, Farce (1982), den Jean - Paul - Preis (1987), den Georg - Büchner - Preis (1989) und den Berliner Theaterpreis (1993).

Werke

Strauß’ Ästhetik wurde stark vom Denken der Frankfurter Schule, insbesondere von der Theorie Theodor W. Adornos, geprägt. Sie äußert sich in der schockhaften Durchbrechung eingespielter Wahrnehmungsformen und in der zynischen Ãœberhöhung bürgerlicher Glücksvorstellungen. Zu den herausragenden Dramen des Autors, die diese Poetologie umzusetzen suchen, zählen Die Hypochonder (1972), Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle (1975) und Kalldewey, Farce (1981). Letzteres inszeniert einen kaleidoskopartig zersplitterten Blick auf deutsche Befindlichkeiten, Therapiesüchte, Liebesleiden und Unterhaltungsirrsinn und spielt über die Figur des obszönen, in seiner Abwesenheit immer präsenten Titelhelden Kalldewey ("Ich bin der unsichtbare Bienenstich, der bösen Frauen in die Titten sticht") zudem an auf die Verführbarkeit des deutschen Volkes zur Zeit des Nationalsozialismus. Auch begreift sich Kalldewey, Farce als Form eines Theaters der Grausamkeit in der Nachfolge Antonin Artauds und als Bühnenstück innerhalb des Programms einer eklektizistischen Postmoderne ("Die Zeit, sie sammelt viele Zeiten ein"). Das Schauspiel Der Park (1983) spiegelt den Einfluss William Shakespeares wider. In der furiosen Trilogie Schlußchor (1991) zeigt sich Strauß als kritischer Beobachter der bundesrepublikanischen Geschichte vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung. Neben seinen Stücken verfasste er auch herausragende Prosasammlungen wie Paare, Passanten (1981), in der die Figur Adornos kurz auftritt. (Die Sammlung mit Prosagedichten fand in Niemand anderes 1987 ihre Fortsetzung.) Mit Der junge Mann (1984) versuchte Strauß eine Neubelebung des deutschen Bildungsromans in der Tradition Johann Wolfgang von Goethes. Mit Ithaka brachte er 1996 in den Münchner Kammerspielen ein Königsdrama auf die Bühne, das seine konservative Kulturkritik einmal mehr illustrierte. Sein im Frühjahr 1997 veröffentlichtes Buch Die Fehler der Kopisten, in dem er zum ersten Mal vom Zusammenleben mit seinem Sohn berichtet sowie den Gegensatz zwischen Großstadt und Landleben thematisiert und vehement gegen die Entwicklung der modernen Zivilisation polemisiert, fand bei der Kritik (wie alle seine Prosawerke) ein unterschiedliches Echo.
Weitere Werke des Autors sind die Romane Rumor (1980) und Kongreß. Die Kette der Demütigungen (1989), der Erzählband Marlenes Schwester (1975), die Dramen Groß und Klein. Szenen (1978), Die Fremdenführerin (1986), Besucher (1988), Die Zeit und das Zimmer (1988), Sieben Türen. Bagatellen (1988), Angelas Kleider (1991) und Das Gleichgewicht (1993). Zu Strauß’ essayistischen Schriften gehören Versuch, ästhetische und politische Ereignisse zusammen zu denken. Texte über Theater 1967 - 1986 (1987), Fragmente der Undeutlichkeit (1989) und Beginnlosigkeit. Reflexionen über Fleck und Linie (1992). Fernsehaufzeichnungen der Stücke besorgten neben Peter Stein (Trilogie des Wiedersehens, 1979, Groß und Klein, 1980) Luc Bondy (Kalldewey, Farce, 1983, Die Zeit und Das Zimmer, 1990) sowie Winfried Minks (Besucher, 1991).
[1] Encarta 98

1329 Worte in "deutsch"  als "hilfreich"  bewertet