Erdbeben


Erdbeben
Natürliche Erschütterungen der Erdkruste und des oberen Erdmantels. Die häufigsten (90 Prozent aller Beben) und stärksten Beben sind die tektonischen Beben. Sie entstehen, wenn sich in tektonisch aktiven Zonen langsam Spannungen aufbauen und plötzlich entladen. Ihre Wirkung kann sehr weit reichen und katastrophale Wirkungen haben. Vulkanische Beben sind mit vulkanischen Aktivitäten verbunden, sie machen etwa sieben Prozent aller Beben aus und haben keine große Reichweite. Einsturzbeben werden durch einstürzende Höhlen ausgelöst; sie sind sehr selten und schwach. Nach der Entfernung des Bebens werden Ortsbeben, Nahbeben und Fernbeben unterschieden. Eine weitere Unterteilung orientiert sich an der Tiefe des Erdbebenherdes: Flachbeben haben ihren Herd in einer Tiefe bis 70 Kilometer, mitteltiefe Beben bis 300 Kilometer und Tiefbeben bis 700 Kilometer. Die Herde besitzen eine gewisse räumliche Ausdehnung. Das gedachte Zentrum eines Bebens wird Hypozentrum genannt. Der senkrecht darüber liegende Punkt der Erdoberfläche heißt Epizentrum. Erdbeben pflanzen sich als Erdbebenwellen fort. Am schnellsten laufen die P - Wellen (von lateinisch undae primae: die ersten Wellen), sie erreichen den Beobachter als erste. Es handelt sich dabei um Kompressions - oder Longitudinalwellen, d. h., sie versetzen das Gestein in eine Schwingung parallel zur Ausbreitungsrichtung der Wellen. Mit halber Geschwindigkeit folgen die S - Wellen (von lateinisch undae secundae: die zweiten Wellen), das sind Scher - oder Transversalwellen; sie versetzen das Gestein in eine Schwingung senkrecht zur Fortpflanzungsrichtung der Wellen. Erdbebenstationen messen den zeitlichen Abstand, mit dem P - und S - Wellen eintreffen, und errechnen daraus die Entfernung des Herdes. Während P - und S - Wellen durch das Erdinnere laufen, pflanzen sich die L - Wellen (von lateinisch undae longae: lange Wellen) entlang der Erdoberfläche aus. Sie erreichen den Beobachter zuletzt.
Die Plattentektonik lokalisiert die Herde tektonischer Beben an aktiven Plattenrändern. Der englische Geologe John F. Dewey hat folgende Klassifikation für Erdbebenzonen vorgeschlagen: Typ eins fällt mit den Spreizungszonen der mittelozeanischen Rücken zusammen. Hier entstehen Flachbeben. In dieser Zone ist außerdem ein basaltischer Vulkanismus aktiv. Typ zwei erstreckt sich entlang horizontaler Verschiebungslinien, zu denen z. B. die San - Andreas - Störung gehört. Hier treten ebenfalls Flachbeben auf, aber es gibt keinen Vulkanismus. Typ drei ist an Subduktionszonen gebunden, also an Tiefseegräben und Inselbögen. Da die Subduktionen in große Tiefe reichen, sind hier Flachbeben, mitteltiefe und Tiefbeben möglich. Diese Beben konzentrieren sich vor allem im zirkumpazifischen Gürtel, d. h. an den Rändern der Pazifischen Platte, der Nazcaplatte, der Philippinenplatte und der Fijiplatte. Typ vier setzt Dewey mit den Kettengebirgen gleich, die sich von Birma bis zum Mittelmeer erstrecken. Hier entstehen vor allem Flachbeben, mitteltiefe Beben nur im Hindukusch und in Rumänien, Tiefbeben nur selten, z. B. nördlich von Sizilien. Die großen Erdbeben mit katastrophalen Folgen gehen größtenteils von Typ zwei und drei aus. Innerhalb der Platten sind Beben selten und schwächer. Vulkanische Beben sind zwar ebenfalls eher schwach, doch ein wichtiges Alarmsignal für bevorstehende Vulkanausbrüche. Auf der Insel Hawaii können die Seismographen am Tag vor einem Ausbruch bis zu 1 000 kleine Beben registrieren.
Erdbebenwirkungen
Erdbeben können viele Todesopfer fordern, wenn sie Bauwerke wie Gebäude, Brücken und Dämme zerstören, und sie können außerdem verheerende Erdrutsche auslösen. Zum Beispiel verursachte 1959 ein Beben bei Hebgen (Montana, USA) einen Erdrutsch, der mehrere Menschenleben forderte und zeitweilig den Madison River blockierte. Dadurch entstand ein See, der die Stadt Ennis mit einer verhängnisvollen Überschwemmung bedrohte.
Unterseeische Beben können Flutwellen oder seismische Wogen auslösen, so genannte Tsunamis. An der japanischen Pazifikküste wurden Tsunamis von 40 Meter Höhe beobachtet. Auf hoher See bleiben diese Flutwellen wegen ihrer langen Wellenlänge (bis zu 1 000 Kilometer) unbemerkt. An der Küste aber, besonders in Buchten und Flussmündungen, wirken sie katastrophal. 1896 erlitt die Stadt Sanriku (Japan) mit 20 000 Einwohnern ein verheerendes Schicksal.
Wo Bauwerke auf lockerem Baugrund errichtet wurden, ist das Fließen des Bodens eine weitere seismische Gefahr, da er schlagartig seine Tragkraft verlieren kann und sich wie Treibsand verhält. Gebäude, die auf diesem Baugrund stehen, werden buchstäblich vom Boden verschluckt, wie es 1906 bei dem Erdbeben von San Francisco der Fall war.

Intensitätsskalen

Seismologen haben zwei Messskalen aufgestellt, die es ihnen erlauben, Erdbeben quantitativ zu erfassen. Die eine ist die Richterskala - benannt nach dem amerikanischen Seismologen Charles Francis Richter -, nach der die freigesetzte Energie im Herd des Bebens bestimmt wird. Es handelt sich um eine logarithmische Skala, die von 0,1 bis 10 reicht; ein Beben der Stärke 7 ist demnach zehnmal stärker als ein Beben der Stärke 6, hundertmal stärker als ein Beben der Stärke 5, tausendmal stärker als ein Beben der Stärke 4 und so weiter. Weltweit werden jährlich etwa 800 Beben der Stärke 5 bis 6 gezählt, etwa 50 000 Beben der Stärke 3 bis 4 und durchschnittlich ein Erdbeben der Stärke 8 bis 9. Theoretisch ist die Richterskala nach oben offen, doch bis 1979 nahm man an, dass ein Erdbeben die Stärke 8,5 nicht übersteigen könne. Seitdem wurden die seismischen Messmethoden verbessert und die Skala korrigiert. Heute wird 9,5 als obere Grenze angesehen.
Die andere Skala, die der italienische Seismologe Giuseppe Mercalli Anfang des 20. Jahrhunderts einführte, ordnet die Intensität der Erschütterungen in Stufen von I bis XII ein. Da sich seismische Oberflächeneffekte mit dem Abstand vom Herd des Bebens verringern, hängt die Mercalli - Bewertung von der Messstelle ab. Mit der Intensität I wird auf dieser Skala ein Beben bezeichnet, dass nur von Seismographen registriert wird. Beben der Intensität II spüren nur wenige Menschen. Die Intensität XII wird dagegen einem katastrophalen Ereignis zugeordnet, das totale Zerstörung verursacht. Ereignisse der Intensitäten II bis III entsprechen annähernd Beben der Stärke 3 bis 4 auf der Richterskala; und XI bis XII auf der Mercalliskala kann mit Stärken von 8 bis 9 auf der Richterskala gleichgesetzt werden.
Erdbebenvorhersage
Wissenschaftliche Versuche, Erdbeben genau vorherzusagen, zeigen erst in letzter Zeit einzelne Erfolge. Vor allem China, Japan, Russland und die USA arbeiten an derartigen Forschungsprojekten. 1975 sagten chinesische Forscher ein Beben der Stärke 7,3 bei Haicheng voraus und evakuierten 90 000 Einwohner zwei Tage bevor das Beben 90 Prozent der in der Stadt befindlichen Bauten zerstörte oder beschädigte. Einer der Anhaltspunkte für diese Voraussage waren eine Reihe von Beben geringer Stärke, die so genannten Vorbeben, die schon fünf Jahre früher in diesem Gebiet begonnen hatten. Andere potentielle Hinweise für die Ermittlung sind Neigung oder Anschwellen der Landoberfläche sowie Veränderungen im Erdmagnetfeld, im Pegelstand von Brunnen und sogar im Verhalten der Tiere. Eine neue Untersuchungsmethode in den USA stützt sich darauf, die Vergrößerung der Spannung in der Erdkruste zu messen.

Verheerende Erdbeben

Geschichtliche Aufzeichnungen über Erdbeben sind bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts meist lückenhaft und unzuverlässig. Zu den frühesten Beben, für die zuverlässige Aufzeichnungen erhalten sind, gehört das Beben, das 425 v. Chr. vor der Küste von Griechenland auftrat und Euböa zu einer Insel machte. 17 n. Chr. zerstörte ein Beben die Stadt Ephesus in Kleinasien, 63 wurde ein Großteil von Pompeji zerstört, 476 von Rom, 557 von Konstantinopel (heute Istanbul) und nochmals 936. Im Mittelalter traten schwere Beben in England (1318), Neapel (1456) und Lissabon (1531) auf.
Das Erdbeben von 1556 in der Provinz Shaanxi (Shensi) in China, bei dem etwa 800 000 Menschen den Tod fanden, war eine der größten Naturkatastrophen in der Geschichte der Menschheit. 1693 kostete ein Erdbeben auf Sizilien schätzungsweise 60 000 Menschen das Leben. Und im frühen 18. Jahrhundert wurde die Stadt Edo (an der Stelle des heutigen Tokyo) zerstört, etwa 200 000 Menschen verloren ihr Leben. 1755 verwüstete ein Beben die Stadt Lissabon, wobei etwa 60 000 Menschen umkamen. Die Erschütterung spürte man noch in England. Diese Katastrophe löste eine philosophische und literarische Debatte in der europäischen Aufklärung aus. Der französische Schriftsteller Voltaire ließ sich von diesem Ereignis in seinem Roman Candide anregen. Quito, die heutige Hauptstadt von Ecuador, wurde 1797 durch ein Erdbeben erschüttert, bei dem über 40 000 Menschen starben.[1]
[1]"Erdbeben", Microsoft® Encarta® 98 Enzyklopädie. © 1993 - 1997 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

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